Lager Altheim 1945

#4
hallo
hätte eine bitte wer hat oder wieß wo ich fotos vom hungerlager altheim finde oder bekomme :hilfe2:
© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Die ostpreußische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

wenn heute nur ein einziger, allerdings sehr ausführlicher Brief in unserer Kolumne erscheint, so hat das seinen Grund. Wir erhielten ihn von unserem Leser Gustav Niemietz, der als 17jähriger nach der Kapitulation in US-Gefangenschaft geriet und in das Lager Altheim in Oberösterreich kam. Seine Alpträume – so schreibt er – wurden durch Leserbriefe, die kürzlich in unserer Zeitung erschienen, wieder geweckt. Vor allem der von Herrn Hartl aus Kanada hat ihn wachgerüttelt, denn es waren wohl Kanadier, die damals ihn und seine Mitgefangenen bewachten, denn sie hatten ein Ahornblatt an ihren Fahrzeugen. Herr Niemietz hat die furchtbare Zeit in dem Hungerlager Altheim so eindrucksvoll geschildert, daß wir seinen Bericht nicht kürzen können und wollen. Hinzu kommt, daß er noch Aufnahmen von dokumentarischem Wert besitzt, von denen wir einige hier veröffentlichen. Und schließlich, was ihm diesen Platz in unserer „Ostpreußischen Familie“ endgültig sicherte: Gustav Niemietz steht mit zwei ehemaligen Lagerinsassen in Verbindung, aber er sucht noch weitere Kameraden und bittet diese, sich zu melden. Der Bericht des gebürtigen Oberschlesiers, der damals trotz seiner Jugend und des kurzen Fronteinsatzes schon mehrfach verwundet war, beginnt in Oberösterreich nach der Kapitulation:

Wir sammelten uns mit Mann und Maus in Mauerkirchen. Ich kam mit meinem Freund Reinhold, der bis zuletzt mein MG-Schütze zwei war – wir hatten in der letzten Stellung ein reines Vater-Sohn-Verhältnis – dort an. Auf der Straße zum Sammellager der Division Wiking wurden wir nicht kontrolliert. Viele, die mit Fahrzeugen kamen, hatten Waffen und Munition bei sich. Im Lager machte sich die Parole breit, daß wir noch einmal gen Osten ziehen würden. Nach zwei Tagen hieß es aber alle Waffen abgeben. Einige Tage später, es könnte der 18. Mai gewesen sein, hieß es: Alle, die nach Mitteldeutschland entlassen werden wollen, antreten. Zwei Kompanien wurden zusammengestellt, und dann ging es los. Mit einem Mal waren so viele Amis da, die das Kommando übernahmen und uns im Gleichschritt etwa fünf Kilometer weit marschieren ließen. Plötzlich spielten sie verrückt und schrien: Let‘s go, let‘s go! So trieben sie uns etwa acht Kilometer im Dauerlauf. Wer nicht mitkam, dem wurde mit dem Gewehrkolben nachgeholfen. Blieb einer unterwegs liegen, weil er verletzt war oder nicht mehr weiter konnte, der wurde im Sanka aufgelesen.

Am Straßenrand sahen wir dann ein Schild „Altheim“. Nun hat keiner von uns mehr an ein Entlassungspapier geglaubt, weil wir auf einer Wiese sehr viele Landser sahen. Es hieß: Halt! Aus allen Ecken kamen die Amis und machten bei uns Leibesvisitation: Uhren, Ringe und alle übrigen Wertsachen wurden uns abgenommen. Jeder durfte nur eine Decke, ein Kochgeschirr und einen Löffel behalten, Feldflaschen und Zeltbahnen türmten sich zu einem großen Haufen. Jetzt wurden wir zu 120- Mann-Kompaniestärke eingeteilt. Für Nachschub wurde gesorgt. Reinhold und ich kamen in die 68. Kompanie. Es ist anzunehmen, daß dort schon 8000 Mann waren. In der Nähe des Lagereingangs war ein großes Rot-Kreuz-Zelt, in welchem die unterwegs Liegengebliebenen abgeliefert wurden. Auch eine Feldscheune, die als Lager für unsere Verpflegung diente, stand in der Nähe der Zufahrtstraße. Unsere Kompanie bekam einen Wiesenstreifen von ca. 200 mal 1,5 Meter zugewiesen. Nun hörten wir mehrmals täglich die Schreie: Let‘s go! Let‘s go! Und es wurde immer enger und voller. Keiner weiß, wie viele dort auf der Hungerwiese zusammen getrieben wurden: Waren es 25000 oder gar 35000? Über das Wetter und das Essen habe ich täglich Eintragungen gemacht. Weil ich diesen kleinen Kalender noch immer besitze, kann ich genau die Rationen nachlesen: Vormittags: halben Liter Zichorien-Kaffee; mittags: halben Liter Wassersuppe, Dörrgemüse; nachmittags: halben Liter Kaffee und zwischen 100 und 250 Gramm Brot. Wer mehr Durst hatte, konnte aus dem Mühlbach oder der Ache trinken. Die Ache war unser Alles: Wasch*raum, Durstlöscher und – Toilette! Bis zur Hälfte des Wasserlaufes durften wir rein. Sobald einer etwas weiter ging, wurde scharf geschossen.

Auf unserem Kompanieplatz bauten wir Hundehütten – unsere „Hotels“ – immer für je zwei Mann. So schliefen wir, mit einer Decke zugedeckt, die andere als Dach. Wenn das Lager vergrößert wurde, rupften wir wie Kühe das Gras, trock*neten es und verwendeten es als Unterbett. Die Hundehütten wurden unser Zuhause. Mir taten vielen Kameraden leid, die keine Hundehütten hatten. Wenn es aber einige Tage lang regnete, durfte man von innen her nicht an die Decke – das „Dach“ – anstoßen, sonst regnete es herein. Viele standen Tag und Nacht draußen, die Decke wurde schwer, bis sie dann zusammen brachen. Sie wurden dann vom „Rollkommando“, wie wir sie nannten, aufgelesen und ins Rot-Kreuz-Zelt gebracht. Meistens auf Nimmerwiedersehen! Ganz in der Nähe des Zeltes war ein großes Loch für die Verstorbenen – ein Massengrab! Es wurde täglich mit Kalk bestreut.

Vom 10. bis zum 15. Juni regnete es Tag und Nacht. Jetzt erst schätzten wir unsere Hundebude. In den Regentagen erhöhte sich die Brotration bis zu 250 Gramm. Ich habe alles genau eingetragen und kann so noch heute jedes Gramm nachweisen. So hatten wir am 26. Juni nur nachts Regen, die Brotration betrug 180 Gramm. Am 28. Juni gab es bei wechselhaftem Wetter 250 Gramm Brot, am 30. Juni sogar 375 Gramm. Ab Juli wurde es etwas besser. Am Ersten des Monats erhielt ich 187 Gramm Brot und zusätzlich 20 Gramm Butter und zehn Gramm Zucker, am nächsten Tag sogar 15 Gramm Käse. Die Versorgung erfolgte durch unsere alten Feldküchen. Satt durften nur die „Küchenbullen“ und das „Rollkommando“ werden. Wir haben gehungert wie kaum einer auf dieser Welt.

Täglich starben 10 bis 20 Mann von uns. Wenn nachmittags der Brotwagen kam, ging eine La Ola durch das Lager, vom Ersten, der den Wagen sah, bis zum letzten „Eierkopp, Eierkopp“. Das ganze Lager, also Tausende, war auf den Beinen und wartete auf die Brotverteilung. Die Rationen wurden auf selbst gebastelten Waagen bis auf den letzten Krümel genau ausgewogen. Bei einem meiner seltenen Rundgänge las ich am Schwarzen Brett die Namen der Verstorbenen, es waren 17 an der Zahl. Dazu: Japan kämpft noch immer! Wir waren zu schlapp, um öfter die Neuigkeiten zu lesen. Es ging nur um das Überleben. Jemand fand mal beim Graben auf der Wiese mit dem Löffel eine Glasscherbe. Gesehen habe ich, wie er Regenwürmer ausquetschte, die Glasscherbe in die Sonne stellte, so daß sich nach einiger Zeit das braune Gras entzündete, und er sich ein Süppchen kochen wollte. Es dauerte nicht lange, da fielen im Lager Schüsse. Man hörte nur ein paar Schreie – und das war‘s! Auch nachts schossen die Posten manchmal willkürlich in das Lager hinein. Das Massengrab war voll, wurde zugeschaufelt, das „Rollkommando“ trat in Aktion. Von dem Tage an kamen jede Nacht zwischen 24 und 1 Uhr zwei LKW zum Zelt. Ein LKW hat die Scheinwerfer ausgemacht, und der andere die Lampen angelassen. Die Toten wurden aufgeladen, und dann wechselten die beiden. Wie viele Tote sie abgefahren haben und wohin, das habe ich bis heute nicht erfahren können.

Es könnte um den 10. oder 12. August gewesen sein, als ich am Schwarzen Brett las: Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki, Japan kapituliert! Nun war auch dort der Krieg zu Ende. Als ich von meinem Rundgang zurück kam und meinem Kollegen Reinhold das erzählte, fragte er erst: Wie viele Tote hatten wir heute? Uns allen stand der Sensenmann täglich vor den Augen. Mal brannte die Sonne erbarmungslos auf die Tausenden von Menschen, dann regnete es wieder in Strömen. Es gab keine Hilfe, kein Erbarmen! Manchmal fragten wir uns: Gibt es eigentlich einen Herrgott? Was haben wir alles falsch gemacht und die Sieger alles richtig? Gab es in Altheim keine Kirche? Wir haben es nicht erfahren, sie nie gesehen. Wir waren so unterernährt und geschwächt, daß wir an eine Flucht aus dem Lager überhaupt nicht denken konnten.

Ende August / Anfang September haben wir dann mit einigen Hundertschaften die Hungerwiese in Altheim verlassen. Wir wurden in Güterwagen eingepfercht, und der Zug setzte sich in Bewegung. Kurz vor Ebensee – der Zug hatte keine Einfahrt – rissen wir die Waggontüre auf und stürzten uns auf ein Rübenfeld. Wer konnte, schnappte sich eine Runkel und ab in den Wagen, denn die Posten begannen zu schießen. Im KZ Ebensee angekommen, wurden wir in Baracken angewiesen – alles voller Läuse, Wanzen und Kakerlaken. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf und wurden entlaust. Es gab einen großen Waschraum, eine Küche und – dreiviertel Liter guter Suppe und 250 bis 300 Gramm Brot pro Mann!

Von Ebensee kam ich in ein Arbeitslager nach Lambach. Über dieses Lager wäre auch nicht viel zu berichten. Aber Altheim werde ich nie vergessen! Am 20. Mai 1946 bin ich in Wegscheid bei Linz entlassen worden. In dem Anzug, der Wäsche und den Schuhen, die ich ein Jahr lang getragen hatte!

Soweit der Bericht von Gustav Niemietz, der so spontan aufgrund der Leserbriefe, in denen – vor allem durch den Beitrag über US-amerikanische Internierungslager in unserer Zeitung – das Thema „Massenlager“ aufgegriffen wurde, diese Zeilen niedergeschrieben hat. Als ich ihn anrief, sagte Herr Niemietz – dessen Frau übrigens Königsbergerin ist – er könnte noch mehr berichten, vieles sei ihm erst beim Schreiben eingefallen. Doch darüber später. Zuerst einmal lassen wir diesen Bericht im Raum stehen, der durch die alten Aufnahmen ergänzt, noch an dokumentarischem Wert gewinnt. Herr Niemietz konnte vier Originalfotos von den Anfängen des Lagers bei einem Besuch in Altheim vor acht Jahren erwerben und überließ sie uns zur Veröffentlichung. Dafür sagen wir ihm einen besonderen Dank! Fast fassungslos betrachtet man diese hilflose Masse Mensch, man möchte den Vergleich mit einem Ameisenhaufen ziehen, aber auch der würde nicht stimmen, denn die Insekten dürfen sich frei bewegen – diese Menschen aber sind zusammengepfercht, schlimmer als Vieh, von Lebensraum kann man da nicht mehr sprechen, es ist einfach die Hölle.

Wie schon erwähnt, möchte Herr Niemietz wissen, wer noch das Hungerlager Altheim überlebt hat und hofft auf Zuschriften. Er ist im Besitz von einer Kassette über Altheim und den Soldatenfriedhof sowie Aussagen von Zeitzeugen. Seine Anschrift: Gustav Niemietz, Winkelweg 22, 59427 Unna-Massen, Telefon: (0 23 03) 5 49 62

Eure Ruth Geede

Foto: Nicht nur Flucht und Vertreibung prägen die Erinnerung an die Heimat: Auch die schrecklichen Erlebnisse während der Kriegsgefangenschaft zeichneten die Menschen.
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#5
#7
Hallo,
Mein Großvater wuchs zeitlebens in Kinderheimen auf. Es wurde nicht viel von seiner Kindheit geredet, er hatte selber zu viele Fragen (warum wurde er von den Eltern weggegeben,....)
Ich versuche jetzt, leider nach seinem Tod, Antworten zu finden. Durch einen Zeitungsartikel von 1946, wo ein Aufruf vom Roten Kreuz ist, weiß ich, dass er mit etwa 16 Jahren im Lager Altheim war.
Jetzt habe ich unmengen an Fragen da das Internet zum Lager Altheim nicht viel hergibt. Ich bin sehr froh eure Seite gefunden zu haben, und dass ich mir durch eure Berichte ein wenig ein Bild machen kann. Lg
 
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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-08 vom 19. April 2008

Die ostpreußische Familie
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von Ruth Geede

Lewe Landslied, liebe Familienfreunde,

wenn heute nur ein einziger, allerdings sehr ausführlicher Brief in unserer Kolumne erscheint, so hat das seinen Grund. Wir erhielten ihn von unserem Leser Gustav Niemietz, der als 17jähriger nach der Kapitulation in US-Gefangenschaft geriet und in das Lager Altheim in Oberösterreich kam. Seine Alpträume – so schreibt er – wurden durch Leserbriefe, die kürzlich in unserer Zeitung erschienen, wieder geweckt. Vor allem der von Herrn Hartl aus Kanada hat ihn wachgerüttelt, denn es waren wohl Kanadier, die damals ihn und seine Mitgefangenen bewachten, denn sie hatten ein Ahornblatt an ihren Fahrzeugen. Herr Niemietz hat die furchtbare Zeit in dem Hungerlager Altheim so eindrucksvoll geschildert, daß wir seinen Bericht nicht kürzen können und wollen. Hinzu kommt, daß er noch Aufnahmen von dokumentarischem Wert besitzt, von denen wir einige hier veröffentlichen. Und schließlich, was ihm diesen Platz in unserer „Ostpreußischen Familie“ endgültig sicherte: Gustav Niemietz steht mit zwei ehemaligen Lagerinsassen in Verbindung, aber er sucht noch weitere Kameraden und bittet diese, sich zu melden. Der Bericht des gebürtigen Oberschlesiers, der damals trotz seiner Jugend und des kurzen Fronteinsatzes schon mehrfach verwundet war, beginnt in Oberösterreich nach der Kapitulation:

Wir sammelten uns mit Mann und Maus in Mauerkirchen. Ich kam mit meinem Freund Reinhold, der bis zuletzt mein MG-Schütze zwei war – wir hatten in der letzten Stellung ein reines Vater-Sohn-Verhältnis – dort an. Auf der Straße zum Sammellager der Division Wiking wurden wir nicht kontrolliert. Viele, die mit Fahrzeugen kamen, hatten Waffen und Munition bei sich. Im Lager machte sich die Parole breit, daß wir noch einmal gen Osten ziehen würden. Nach zwei Tagen hieß es aber alle Waffen abgeben. Einige Tage später, es könnte der 18. Mai gewesen sein, hieß es: Alle, die nach Mitteldeutschland entlassen werden wollen, antreten. Zwei Kompanien wurden zusammengestellt, und dann ging es los. Mit einem Mal waren so viele Amis da, die das Kommando übernahmen und uns im Gleichschritt etwa fünf Kilometer weit marschieren ließen. Plötzlich spielten sie verrückt und schrien: Let‘s go, let‘s go! So trieben sie uns etwa acht Kilometer im Dauerlauf. Wer nicht mitkam, dem wurde mit dem Gewehrkolben nachgeholfen. Blieb einer unterwegs liegen, weil er verletzt war oder nicht mehr weiter konnte, der wurde im Sanka aufgelesen.

Am Straßenrand sahen wir dann ein Schild „Altheim“. Nun hat keiner von uns mehr an ein Entlassungspapier geglaubt, weil wir auf einer Wiese sehr viele Landser sahen. Es hieß: Halt! Aus allen Ecken kamen die Amis und machten bei uns Leibesvisitation: Uhren, Ringe und alle übrigen Wertsachen wurden uns abgenommen. Jeder durfte nur eine Decke, ein Kochgeschirr und einen Löffel behalten, Feldflaschen und Zeltbahnen türmten sich zu einem großen Haufen. Jetzt wurden wir zu 120- Mann-Kompaniestärke eingeteilt. Für Nachschub wurde gesorgt. Reinhold und ich kamen in die 68. Kompanie. Es ist anzunehmen, daß dort schon 8000 Mann waren. In der Nähe des Lagereingangs war ein großes Rot-Kreuz-Zelt, in welchem die unterwegs Liegengebliebenen abgeliefert wurden. Auch eine Feldscheune, die als Lager für unsere Verpflegung diente, stand in der Nähe der Zufahrtstraße. Unsere Kompanie bekam einen Wiesenstreifen von ca. 200 mal 1,5 Meter zugewiesen. Nun hörten wir mehrmals täglich die Schreie: Let‘s go! Let‘s go! Und es wurde immer enger und voller. Keiner weiß, wie viele dort auf der Hungerwiese zusammen getrieben wurden: Waren es 25000 oder gar 35000? Über das Wetter und das Essen habe ich täglich Eintragungen gemacht. Weil ich diesen kleinen Kalender noch immer besitze, kann ich genau die Rationen nachlesen: Vormittags: halben Liter Zichorien-Kaffee; mittags: halben Liter Wassersuppe, Dörrgemüse; nachmittags: halben Liter Kaffee und zwischen 100 und 250 Gramm Brot. Wer mehr Durst hatte, konnte aus dem Mühlbach oder der Ache trinken. Die Ache war unser Alles: Wasch*raum, Durstlöscher und – Toilette! Bis zur Hälfte des Wasserlaufes durften wir rein. Sobald einer etwas weiter ging, wurde scharf geschossen.

Auf unserem Kompanieplatz bauten wir Hundehütten – unsere „Hotels“ – immer für je zwei Mann. So schliefen wir, mit einer Decke zugedeckt, die andere als Dach. Wenn das Lager vergrößert wurde, rupften wir wie Kühe das Gras, trock*neten es und verwendeten es als Unterbett. Die Hundehütten wurden unser Zuhause. Mir taten vielen Kameraden leid, die keine Hundehütten hatten. Wenn es aber einige Tage lang regnete, durfte man von innen her nicht an die Decke – das „Dach“ – anstoßen, sonst regnete es herein. Viele standen Tag und Nacht draußen, die Decke wurde schwer, bis sie dann zusammen brachen. Sie wurden dann vom „Rollkommando“, wie wir sie nannten, aufgelesen und ins Rot-Kreuz-Zelt gebracht. Meistens auf Nimmerwiedersehen! Ganz in der Nähe des Zeltes war ein großes Loch für die Verstorbenen – ein Massengrab! Es wurde täglich mit Kalk bestreut.

Vom 10. bis zum 15. Juni regnete es Tag und Nacht. Jetzt erst schätzten wir unsere Hundebude. In den Regentagen erhöhte sich die Brotration bis zu 250 Gramm. Ich habe alles genau eingetragen und kann so noch heute jedes Gramm nachweisen. So hatten wir am 26. Juni nur nachts Regen, die Brotration betrug 180 Gramm. Am 28. Juni gab es bei wechselhaftem Wetter 250 Gramm Brot, am 30. Juni sogar 375 Gramm. Ab Juli wurde es etwas besser. Am Ersten des Monats erhielt ich 187 Gramm Brot und zusätzlich 20 Gramm Butter und zehn Gramm Zucker, am nächsten Tag sogar 15 Gramm Käse. Die Versorgung erfolgte durch unsere alten Feldküchen. Satt durften nur die „Küchenbullen“ und das „Rollkommando“ werden. Wir haben gehungert wie kaum einer auf dieser Welt.

Täglich starben 10 bis 20 Mann von uns. Wenn nachmittags der Brotwagen kam, ging eine La Ola durch das Lager, vom Ersten, der den Wagen sah, bis zum letzten „Eierkopp, Eierkopp“. Das ganze Lager, also Tausende, war auf den Beinen und wartete auf die Brotverteilung. Die Rationen wurden auf selbst gebastelten Waagen bis auf den letzten Krümel genau ausgewogen. Bei einem meiner seltenen Rundgänge las ich am Schwarzen Brett die Namen der Verstorbenen, es waren 17 an der Zahl. Dazu: Japan kämpft noch immer! Wir waren zu schlapp, um öfter die Neuigkeiten zu lesen. Es ging nur um das Überleben. Jemand fand mal beim Graben auf der Wiese mit dem Löffel eine Glasscherbe. Gesehen habe ich, wie er Regenwürmer ausquetschte, die Glasscherbe in die Sonne stellte, so daß sich nach einiger Zeit das braune Gras entzündete, und er sich ein Süppchen kochen wollte. Es dauerte nicht lange, da fielen im Lager Schüsse. Man hörte nur ein paar Schreie – und das war‘s! Auch nachts schossen die Posten manchmal willkürlich in das Lager hinein. Das Massengrab war voll, wurde zugeschaufelt, das „Rollkommando“ trat in Aktion. Von dem Tage an kamen jede Nacht zwischen 24 und 1 Uhr zwei LKW zum Zelt. Ein LKW hat die Scheinwerfer ausgemacht, und der andere die Lampen angelassen. Die Toten wurden aufgeladen, und dann wechselten die beiden. Wie viele Tote sie abgefahren haben und wohin, das habe ich bis heute nicht erfahren können.

Es könnte um den 10. oder 12. August gewesen sein, als ich am Schwarzen Brett las: Atombombe auf Hiroshima und Nagasaki, Japan kapituliert! Nun war auch dort der Krieg zu Ende. Als ich von meinem Rundgang zurück kam und meinem Kollegen Reinhold das erzählte, fragte er erst: Wie viele Tote hatten wir heute? Uns allen stand der Sensenmann täglich vor den Augen. Mal brannte die Sonne erbarmungslos auf die Tausenden von Menschen, dann regnete es wieder in Strömen. Es gab keine Hilfe, kein Erbarmen! Manchmal fragten wir uns: Gibt es eigentlich einen Herrgott? Was haben wir alles falsch gemacht und die Sieger alles richtig? Gab es in Altheim keine Kirche? Wir haben es nicht erfahren, sie nie gesehen. Wir waren so unterernährt und geschwächt, daß wir an eine Flucht aus dem Lager überhaupt nicht denken konnten.

Ende August / Anfang September haben wir dann mit einigen Hundertschaften die Hungerwiese in Altheim verlassen. Wir wurden in Güterwagen eingepfercht, und der Zug setzte sich in Bewegung. Kurz vor Ebensee – der Zug hatte keine Einfahrt – rissen wir die Waggontüre auf und stürzten uns auf ein Rübenfeld. Wer konnte, schnappte sich eine Runkel und ab in den Wagen, denn die Posten begannen zu schießen. Im KZ Ebensee angekommen, wurden wir in Baracken angewiesen – alles voller Läuse, Wanzen und Kakerlaken. Aber wir hatten ein Dach über dem Kopf und wurden entlaust. Es gab einen großen Waschraum, eine Küche und – dreiviertel Liter guter Suppe und 250 bis 300 Gramm Brot pro Mann!

Von Ebensee kam ich in ein Arbeitslager nach Lambach. Über dieses Lager wäre auch nicht viel zu berichten. Aber Altheim werde ich nie vergessen! Am 20. Mai 1946 bin ich in Wegscheid bei Linz entlassen worden. In dem Anzug, der Wäsche und den Schuhen, die ich ein Jahr lang getragen hatte!

Soweit der Bericht von Gustav Niemietz, der so spontan aufgrund der Leserbriefe, in denen – vor allem durch den Beitrag über US-amerikanische Internierungslager in unserer Zeitung – das Thema „Massenlager“ aufgegriffen wurde, diese Zeilen niedergeschrieben hat. Als ich ihn anrief, sagte Herr Niemietz – dessen Frau übrigens Königsbergerin ist – er könnte noch mehr berichten, vieles sei ihm erst beim Schreiben eingefallen. Doch darüber später. Zuerst einmal lassen wir diesen Bericht im Raum stehen, der durch die alten Aufnahmen ergänzt, noch an dokumentarischem Wert gewinnt. Herr Niemietz konnte vier Originalfotos von den Anfängen des Lagers bei einem Besuch in Altheim vor acht Jahren erwerben und überließ sie uns zur Veröffentlichung. Dafür sagen wir ihm einen besonderen Dank! Fast fassungslos betrachtet man diese hilflose Masse Mensch, man möchte den Vergleich mit einem Ameisenhaufen ziehen, aber auch der würde nicht stimmen, denn die Insekten dürfen sich frei bewegen – diese Menschen aber sind zusammengepfercht, schlimmer als Vieh, von Lebensraum kann man da nicht mehr sprechen, es ist einfach die Hölle.

Wie schon erwähnt, möchte Herr Niemietz wissen, wer noch das Hungerlager Altheim überlebt hat und hofft auf Zuschriften. Er ist im Besitz von einer Kassette über Altheim und den Soldatenfriedhof sowie Aussagen von Zeitzeugen. Seine Anschrift: Gustav Niemietz, Winkelweg 22, 59427 Unna-Massen, Telefon: (0 23 03) 5 49 62

Eure Ruth Geede

Foto: Nicht nur Flucht und Vertreibung prägen die Erinnerung an die Heimat: Auch die schrecklichen Erlebnisse während der Kriegsgefangenschaft zeichneten die Menschen.
 

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Mein Großvater ... Ich versuche jetzt, leider nach seinem Tod, Antworten zu finden. Durch einen Zeitungsartikel von 1946, wo ein Aufruf vom Roten Kreuz ist, weiß ich, dass er mit etwa 16 Jahren im Lager Altheim war.
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Hallo Alice,
der Beitrag hier behandelt das amerikanische Kriegsgefangenenlager X (zehn) das von Mai bis Juli 1945 bestand. Die Gefangenen waren zum Großteil ehemalige Soldaten der Waffen-SS. Das Lager war auf einer Wiese, unter freiem Himmel, ohne bauliche Anlagen, mit ca. 27.000 Mann belegt. Ich kann mir schwer vorstellen dass dort 11-14 Jahre alte Kinder waren.

Wenn du weiterforschen willst kannst du dich an das Römer Museum (Verein Zeitspuren) in Altheim wenden.

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Der Lagerfriedhof in der Badstraße ist noch erhalten.

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IMG_0412.jpg Fotos vom 9.7.2019 © Xandl78
 
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