Israel und Gazastreifen - Berichte zum aktuellen Nahostkonflikt

josef

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#21
„ZENTRALER FAKTOR“
Künstliche Intelligenz im Krieg gegen Hamas
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Seit dem Terroranschlag vom 7. Oktober führt Israel im Gazastreifen eine bisher beispiellose Militäroffensive gegen die radikalislamische Hamas. Nahezu täglich gibt das Militär Auskunft über Fortschritte bei den zuletzt mit einer siebentägigen Feuerpause unterbrochenen Kampfhandlungen. Was einem Medienbericht zufolge bisher kaum Beachtung gefunden habe, seien allerdings die Methoden, mit denen die Ziele im Gazastreifen ausgewählt werden – und die hier offenbar zentrale Rolle von künstlicher Intelligenz (KI).
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Die Israelischen Streitkräfte (IDF) seien seit Langem für ihre technischen Fähigkeiten bekannt, wie der „Guardian“ mit Verweis auf Israels „ersten KI-Krieg“ gegen die Hamas im Mai 2021 berichtet. Eine Analyse von IDF-Aussagen zum Gaza-Einsatz sowie zuletzt von den Onlinemagazinen +972 und Local Call veröffentlichte Recherchen samt Interviews mit Geheimdienstquellen, pensionierten Beamten und weiteren mit der Sache vertrauten Personen würden nun nahelegen, dass „maschinelles Lernen und fortschrittliche Datenverarbeitung“ im laufenden Gaza-Krieg in einem noch weit größeren Ausmaß zum Einsatz kommen.

Unter den hier angesprochenen „Werkzeugen“ hebt der „Guardian“ eine offenbar auf Habsora (Hebräisch für Botschaft, Anm.) getaufte KI-Plattform hervor, mit der die Suche nach Angriffszielen „erheblich beschleunigt“ worden sei. Das habe den „Guardian“-Angaben zufolge auch der Chef der IDF, Aviv Kochavi, einmal in einem Interview nahegelegt.

Laut Kochavi habe „diese Maschine“, sobald sie während des Krieges Israels gegen die Hamas im Mai 2021 „aktiviert wurde“, 100 mögliche Ziele pro Tag identifiziert. „Um das in die richtige Perspektive zu rücken“, erinnerte der IDF-Chef an die frühere Trefferquote im Gazastreifen mit 50 Zielen pro Jahr.

„Berge von Rohdaten“
Dass sich das KI-basierte Habsora-System nun auch im neuerlichen Krieg gegen die Hamas im Einsatz befindet, findet sich in einer kurzgehaltenen Erklärung nun auch auf der IDF-Website. Abseits davon sind offizielle Auskünfte, etwa über die genaue Funktionsweise des als klassifiziert geltenden und somit geheimen KI-Projekts, rar.

Grob umrissen fasst die seit 2021 laufende KI-Plattform alle vorhandenen Daten über terroristische Gruppen im Gazastreifen in einem System zusammen, wie ein Bericht der „Jerusalem Times“ („JT“) nahelegt. Die Rede ist von „Bergen von Rohdaten, die durchkämmt werden müssen, um die für die Durchführung eines Angriffs erforderlichen Schlüsselstücke zu finden“.

Beispielhaft verweist die Zeitung auf ein offenbar automatisiert und somit deutlich schneller ermöglichtes Aufspüren von Raketenabschussvorrichtungen. Das System könne „Veränderungen im Gelände automatisch und in Echtzeit … erkennen“. So seien den „JP“-Angaben zufolge 2021 etwa etliche Raketenwerfer ausfindig gemacht und zerstört worden.

„Target Factory“
Auch im laufenden Gaza-Krieg hätten die israelischen Streitkräfte mittlerweile den großangelegten Einsatz von KI eingestanden, wie zuletzt etwa die Times of Israel berichtete. Die Identifizierung von Angriffszielen sei weiterhin Aufgabe einer als „Target Factory“ (Zielfabrik) bezeichneten, „mit Cybersicherheit, Dekodierung und Forschung betrauten“ Spezialeinheit.

Während des Krieges hat diese laut Times of Israel mit anderen nachrichtendienstlichen Einheiten des israelischen Militärs zusammengearbeitet, um schnell Ziele zu finden, damit diese dann angegriffen werden können. Das US-Portal Politico berichtet in diesem Zusammenhang von einer erhöhten Nachfrage nach hochmoderner Verteidigungstechnologie aus Israel.

Nur wenige Stunden nach dem Hamas-Angriff habe beispielsweise das US-Drohnen-Start-up Skydio Anfragen vom israelischen Militär über Aufklärungsdrohnen erhalten, „die bereits von der US-Armee verwendet werden, um Hindernisse autonom zu umfliegen und 3-D-Scans von komplexen Strukturen wie Gebäuden zu erstellen“.

15.000 Ziele in 35 Tagen
Auf künstliche Intelligenz basierende Systeme seien im Gaza-Krieg wohl „in signifikanter Weise“ im Einsatz, heißt es im „Guardian“. Allerdings zeichne sich erst nach und nach ein Bild etwa des Ausmaßes ab. Die Zeitung verweist allen voran auf IDF-Angaben über die Anzahl der erfassten und auch angegriffenen Ziele. Allein in den ersten 35 Kriegstagen bezifferten die israelischen Streitkräfte die Zahl der Angriffe mit rund 15.000. Zum Vergleich: 2014 waren es innerhalb von 51 Tagen zwischen 5.000 und 6.000 gewesen.

Teil der KI-Plattform sei schließlich auch eine über die letzten Jahre aufgebaute, bis zu 40.000 mutmaßliche Hamas-Kämpfer umfassende Datenbank – samt Bewegungsprofilen und möglichen Aufenthaltsorten. „Wir arbeiten kompromisslos daran zu definieren, wer und was der Feind ist. Die Hamas-Aktivisten sind nicht immun – egal, wo sie sich verstecken“, zitiert der „Guardian“ dazu einen namentlich nicht genannten israelischen Beamten.

Durch die sich in diesem Zusammenhang abzeichnende Ausweitung „komplexer und undurchsichtiger automatisierter Systeme“ steige aber auch die Besorgnis vor Risiken für die Zivilbevölkerung. Mit „andere Staaten werden zusehen und lernen“ stellt laut „Guardian“ unterdessen ein ehemaliger US-Sicherheitsbeamter ein offenbar großes Interesse anderer Militärs am israelischen KI-Know-how außer Frage.

Verweis auf Ausmaß der Zerstörung
Experten für künstliche Intelligenz und bewaffnete Konflikte äußerten laut „Guardian“ unterdessen Zweifel an der Behauptung, wonach KI-basierte Systeme die Schäden für die Zivilbevölkerung verringern, indem sie eine genauere Zielerfassung fördern. Während die israelische Tageszeitung „Jediot Achronot“ berichtete, dass die hier zuständige IDF-Spezialeinheit „so weit wie möglich sicherstellt, dass keine unbeteiligten Zivilisten zu Schaden kommen“, verweisen andere auf die sichtbaren Auswirkungen der Bombardierung.

„Schauen Sie sich die physische Landschaft des Gazastreifens an“, zitierte der „Guardian“ Richard Moyes von der Nichtregierungsorganisation Article36, die sich für die Verringerung von Schäden durch Waffen einsetzt: „Wir sehen, wie ein Stadtgebiet mit schweren Sprengstoffwaffen großflächig platt gemacht wird. Die Behauptung, dass es sich um eine präzise und begrenzte Gewaltanwendung handelt, wird durch die Fakten nicht bestätigt.“

Dem stehen aber ohnehin Aussagen vonseiten des israelischen Militärs entgegen. So bestätigten etwa in den ersten Tagen der Offensive die israelischen Luftstreitkräfte „rund um die Uhr“ geflogene Angriffe auf den Gazastreifen. Man greife nur militärische Ziele an, wie es damals hieß – 05.12.2023, man gehe aber „nicht chirurgisch vor“.
pepr, ORF.at

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#22
HABSORA
Wählt tatsächlich ein KI-System die Ziele Israels im Gaza-Krieg aus?
In einem Bericht des Magazins "+972" wird der Vorwurf gegen die israelische Armee erhoben, auf Basis von KI-Entscheidungen Ziele zu bombardieren und zivile Verluste hinzunehmen. Lässt sich das belegen?
Die Vorwürfe, die in einem Bericht des Onlinemagazins "+972" formuliert werden, wiegen schwer: Mehrere israelische Armee-Offizielle erzählen dem Medium unter Schutz der Anonymität, wie ein KI-System namens Habsora Ziele für die Angriffe der israelischen Armee in Gaza auswähle – und wie dabei zunehmend auch Zivilisten zum Ziel werden. Demnach würden nun bedeutend schneller als in früheren Konflikten etwa Wohnhäuser mutmaßlicher Hamas-Offiziere zur Zerstörung freigegeben. Dies gelte auch dann, wenn es sich nicht um hohe Mitglieder der Terrororganisation handle, und vor allem auch dann, wenn zahlreiche andere Bewohner der Häuser oder Familienmitglieder der eigentlichen Ziele noch im Haus seien. Hintergrund der Angriffe sei es dabei unter anderem, Schrecken unter der Zivilbevölkerung auszulösen und diese damit gegen die Hamas aufzubringen. Auch das sei, so das Magazin, einer der Gründe, wieso der aktuelle Krieg deutlich mehr zivile Opfer zur Folge gehabt habe als ähnliche Konflikte zuvor.


"Power Targets" heißen im israelischen Armeejargon Ziele, die auch wegen ihrer Signalwirkung ausgewählt werden. Im aktuellen Krieg werde dabei weniger als früher auf die Vermeidung ziviler Opfer geachtet, heißt es in Medienberichten.
AFP/JOHN MACDOUGALL

Übernommen wurde die Berichterstattung auch in mehreren internationalen Medien, vor allem der "Guardian" schrieb früh und ausführlich über das System und die Vorwürfe. Das britische Magazin holte dafür auch viele zusätzliche Stimmen von Fachleuten ein, der Kern der Berichterstattung stammt aber auch dort von "+972" sowie der hebräischsprachigen Schwesterpublikation "Local Call". Wer sind also diese Magazine? Sowohl "+972" als auch "Local Call", das auf Hebräisch den direkt übersetzten Namen "Sikha Mekomit" trägt, bezieht sich im Titel auf Telefonvorwahlen. +972 ist jene Nummer, die sowohl für Anrufe nach Israel als auch in die Palästinensergebiete gewählt werden muss.

Für dort bereits Anwesende ist das dann ein Ortsgespräch. Ausgedrückt werden soll damit, dass sich die Publikationen als gemeinsame israelisch-palästinensische Unternehmungen verstehen. An "+972", das dem linken Flügel der israelischen Politik zugeordnet wird, gab es immer wieder auch Kritik, weil man sich dort in der Vergangenheit unter anderem mit Apartheid-Vorwürfen an Israel gemein gemacht hat. Als unseriös in Sachen faktischer Berichterstattung gilt das Medium bisher aber nicht. Es wird, unter anderem, auch mit einem kleinen Betrag von der deutschen Heinrich-Böll-Stiftung unterstützt.

Das Evangelium weist den Weg
An der aktuellen Berichterstattung ist der Teilaspekt über den Einsatz der KI am einfachsten zu prüfen. Damit nämlich, dass KI-Systeme in Gaza zu Einsatz kommen, hält Israel selber nicht hinter dem Berg. Schon beim letzten größeren Konflikt im Jahr 2021 rühmte sich die israelische Armee im Anschluss, man habe "den ersten KI-Krieg" in der Geschichte geführt, wie der "Guardian" in seinem Bericht in Erinnerung ruft. Dass ein KI-System namens Habsora ("Evangelium" oder "Botschaft") aktuell im Einsatz ist, ist zudem auch einer eigens eingerichteten Homepage der Armee zu entnehmen. Dort heißt es, das System werde genutzt, um "schneller und zielsicherer" Angriffsziele in Gaza zu finden. Bereits vor dem Krieg lobte der ehemalige Armeechef Aviv Kochavi das System, das an einem Tag 100 Ziele gefunden habe, während Menschen 50 in einem Jahr ausgemacht hätten.

Die Armee betont allerdings zudem, dass die Systeme zum Zweck hätten, zivile Schäden zu begrenzen. "Die israelische Armee ist internationalen Gesetzen verpflichtet und verhält sich dem entsprechend, sie greift militärische Ziele und nicht Zivilisten an", hießt es auch in einer Stellungname des Militärs bei "+972". Nicht wird in den Antworten allerdings auf die anderen Vorwürfe eingegangen, die im Text von "+972" erhoben werden. Dort heißt es nämlich unter anderem, dass Menschen zwar alle von der KI ausgewählten Ziele sichten würden, allerdings wenig Zeit dafür hätten, weil ihre Einheiten nach Erfolg bewertet würden – und dass dieser nach Quantität ermessen werde. Wer mehr Ziele freigebe, müsse weniger oft mit Mahnungen rechnen.

Shock and awe
Zudem schreibt die Plattform, ebenfalls unter Berufung auf ihre anonymen Quellen, dass im aktuellen Krieg auffällig viele sogenannte "Power Targets" zum Ziel von Angriffen geworden seien. "Power Targets" sind eine von vier möglichen Zielkategorien der Armee. Es gibt "taktische Ziele" (also etwa militärische Stellungen), "unterirdische Ziele" (also etwa Tunnel), die Familienwohnungen von mutmaßlichen Terroristen – und eben die "Power Targets". Diese sind häufig in größeren Wohnhäusern untergebracht und stehen ebenfalls, etwa als Kommandozentren, der Hamas zur Verfügung.

Ziel ihrer Zerstörung ist aber weniger der eigentliche Schaden für die Hamas, sondern eine Machtdemonstration, mit der die örtliche Bevölkerung von der Hamas entfremdet werden solle. In früheren Kriegen wurde daher vor dem eigentlichen Angriff oft vorgewarnt, damit zwar physische Zerstörungen, nicht aber menschliche Kollateralschäden angerichtet werden. Im aktuellen Krieg ist das laut den Aussagen bei "+972" nicht mehr durchgehend der Fall, es würden deutlich mehr zivile Opfer in Kauf genommen als bei früheren Konflikten – etwa Familienmitglieder oder Nachbarn von Verdächtigen.

Auch dazu gab es eine Antwort des israelischen Militärs. Man habe, "wenn die Umstände es erlaubten", stets "individuelle Warnungen mittels Anrufen bei Personen übermittelt, die sich in der Nähe des Zieles befanden". Dafür habe man schon mehr als 25.000 Gespräche geführt. "Im Allgemeinen arbeitet die IDF (das Militär, Anm.) daran, Schäden für Zivilisten so weit wie möglich zu vermeiden, trotz der Herausforderungen, die dadurch entstehen, dass die Terrororganisation Hamas menschliche Schutzschilde einsetzt".
(mesc, 4.12.2023)
Wählt tatsächlich ein KI-System die Ziele Israels im Gaza-Krieg aus?
 

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#23
ISRAELISCHES MILITÄR
22.000 Ziele seit Kriegsbeginn angegriffen
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Das israelische Militär hat seit Beginn des Krieges vor gut zwei Monaten nach eigenen Angaben schon mehr als 22.000 Ziele im Gazastreifen angegriffen. Ungeachtet immer mehr getöteter Zivilisten und Zivilistinnen soll der Krieg gegen die islamistische Hamas weiter intensiviert werden.
Online seit heute, 11.15 Uhr (Update: 12.59 Uhr)
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Der Krieg werde noch andauern, „aber das ist der Anfang vom Ende der Hamas“, prophezeite Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu in einer Videobotschaft am Sonntagabend. „Zu den Terroristen der Hamas sage ich: Es ist aus. Sterbt nicht für (den Chef der Hamas im Gazastreifen, Jahja, Anm.) Sinwar. Ergebt euch – jetzt!“

Unterdessen wächst die internationale Kritik am Vorgehen seiner Regierung angesichts einer immer katastrophaleren Lage für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Laut den Vereinten Nationen hungert inzwischen die Hälfte der Bevölkerung in dem Gebiet. Weltweit wird gewarnt, dass das unerträgliche Leid nur noch mehr Palästinenser in die Arme der Hamas treibe.

Reuters/Yossi Zeliger
Israelische Soldaten und Panzer in Gaza-Stadt

Auch Artillerie nun im Einsatz
Erstmals sind jetzt auch Truppen der israelischen Artillerie innerhalb des Gazastreifens im Einsatz, ergänzend etwa zu Panzer- und Bodentruppen. Bisher war die Artillerie von der Grenzlinie aus im Einsatz. Angaben des Nationalen Sicherheitsberaters Zachi Hanegbi vom Wochenende zufolge sind nicht nur bereits etwa 7.000 Hamas-Terroristen tot. Auch streckten nach offizieller Darstellung immer mehr Kämpfer die Waffen. „In den letzten Tagen haben sich Dutzende Hamas-Terroristen unseren Streitkräften ergeben“, sagte auch Netanjahu.

Eigenen Angaben zufolge warf Israel in den vergangenen Tagen mehrere Tonnen Ausrüstung für Soldaten über dem Gazastreifen ab. Darunter seien etwa sieben Tonnen Wasser für die Einsatzkräfte im südlichen Teil des Küstengebiets gewesen, teilte das Militär am Montag mit. Es sei der erste Abwurf aus der Luft für israelische Truppen seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006. Die Ausrüstung gelangte den Angaben nach per Fallschirm an die Bodentruppen.

In den vergangenen Tagen veröffentlichte die Armee Videos aus dem Norden Gazas, in denen festgenommene palästinensische Männer in Unterhosen zu sehen sind. Die Zeitung „Haaretz“ schrieb allerdings am Sonntag unter Berufung auf namentlich nicht genannte Vertreter der Sicherheitskräfte, dass unter den mehreren hundert festgenommenen Palästinensern nur rund zehn bis 15 Prozent waren, die der Hamas oder mit ihr verbundenen Organisationen angehörten. Von einer Massenkapitulation könne derzeit keine Rede sein, hieß es.

Keine Bilder von halb nackten Gefangenen mehr
Nach Empörung über die Aufnahmen von Gefangenen in Unterhosen will Israel eine weitere Verbreitung solcher Bilder unterbinden. Hanegbi sagte laut Times of Israel am Sonntagabend, Verdächtige müssten durchsucht werden, um sicherzustellen, dass sie keine Waffen oder Sprengstoff bei sich tragen. Die Bilder von ihnen in Unterhosen würden jedoch „niemandem dienen“.

Er erwarte, dass die Verbreitung eingestellt werde. Die Bilder hätten Besorgnis über Israels Festnahmeverfahren in Gaza ausgelöst und Fragen über mögliche Rechtsverletzungen oder erniedrigende Behandlung aufgeworfen, schrieb die Times of Israel.

APA/AFP/Gil Cohen-Magen
Die Zahl der Todesopfer unter Unbeteiligten im Gazastreifen ist sehr hoch

UNO-Sondersitzung am Dienstag
Die UNO-Generalversammlung kommt am Dienstag zu einer Sondersitzung zur humanitären Lage im Gazastreifen zusammen. Die UNO-Vertreter Ägyptens und Mauretaniens hätten die Sondersitzung in ihrer jeweiligen Eigenschaft als Vorsitzender der Gruppe der arabischen Staaten und Vorsitzender der Organisation für islamische Zusammenarbeit einberufen, sagte ein Sprecher des Präsidenten der UNO-Vollversammlung am Sonntag (Ortszeit) in New York. Am Freitag war bei einer Dringlichkeitssitzung im UNO-Sicherheitsrat eine Resolution zu einer Waffenruhe am Veto der USA gescheitert.

Wie es aus diplomatischen Kreisen hieß, könnte die Generalversammlung in ihrer Sondersitzung über einen Resolutionsentwurf zu einer Waffenruhe abstimmen. In einem Textentwurf, welcher der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, werden eine „sofortige humanitäre Waffenruhe“ und eine „sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln“ gefordert. Zudem ist darin von „großer Besorgnis“ über die „katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen“ zu lesen.

„Über 75 Jahre nichts gelernt“
Die Vertreterin des UNO-Nothilfebüros (OCHA) für die Palästinensergebiete, Lynn Hastings, kritisierte die Verstöße gegen die Menschenrechte durch Israelis und Palästinenser scharf. „Es ist, als hätten wir in den vergangenen 75 Jahren nichts gelernt“, teilte Hastings am Sonntagabend mit. Sie bezog sich dabei auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die am Sonntag vor 75 Jahren verabschiedet wurde und die erstmals den Schutz grundlegender Menschenrechte wie das Recht auf Leben und Freiheit festlegte.

Die Tötungen, sexuelle Gewalt und Entführungen durch Terroristen der Hamas am 7. Oktober in Israel hätten „eine gesamte Nation traumatisiert“, sagte Hastings. Auch nicht staatliche Akteure hätten Verpflichtungen nach internationalem Recht. Alle Geiseln in ihrer Gewalt müssten bedingungslos freigelassen werden.

Die Angriffe Israels im Gazastreifen als Reaktion bezeichnete Hastings als „unverhältnismäßig“. Luftangriffe gegen Zivilisten und zivile Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen und UNO-Einrichtungen seien nicht zu rechtfertigen, auch Israels „Belagerung“ Gazas und der Entzug von Essen, Wasser, Arzneimitteln und Hygiene nicht.

Israel sei als „Besatzungsmacht“ verpflichtet, die sichere Lieferung von ausreichend Hilfsgütern zu ermöglichen. Im Westjordanland habe die Gewalt gegen Palästinenser ein „beispielloses Niveau“ erreicht. „Im Jahr 2023 sollte ich nicht solch eine Mitteilung veröffentlichen müssen“, hielt Hastings fest.

EU-Chefdiplomat wirft Israel Ignorieren von Aufrufen vor
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell warf Israel vor, Aufrufe von Partnern wie der Europäischen Union zu ignorieren. „Wir haben unter anderem bei den G-7-Treffen gesagt, dass Israel im Süden von Gaza nicht die gleiche Taktik anwenden sollte, die es im Norden angewendet hat“, sagte der Spanier am Montag am Rande eines EU-Außenministertreffens in Brüssel. Die Bombardierung gehe nun aber mit außerordentlicher Intensität weiter. „Es ist das Gleiche, wenn nicht sogar noch schlimmer“, sagte er.

Bei dem Außenministertreffen in Brüssel ging es unter anderem um die Frage, ob gegen extremistische israelische Siedler EU-Einreisverbote verhängt werden sollten. Zuletzt hatten bereits die USA in Reaktionen auf einen alarmierenden Anstieg an Gewalttaten im Westjordanland einen solchen Schritt angekündigt.
11.12.2023, red, ORF.at/Agenturen

Israelisches Militär: 22.000 Ziele seit Kriegsbeginn angegriffen
 

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#24
GAZA METRO
Israel pumpt Meerwasser in Hamas-Tunnel – doch das ist nicht unumstritten
Berichten zufolge testet Israels Militär die Flutung der Tunnel. Befürchtet wird eine Gefährdung der Geiseln und Zivilisten im Gazastreifen. Auch die USA reagieren misstrauisch
t, haben die israelischen Streitkräfte damit begonnen, Meerwasser in das unterirdische Tunnelnetzwerk der Hamas zu pumpen. Die Flutungen sind demnach schon länger im Gange, ein genauer Zeitpunkt wird nicht genannt. Auf X, vormals Twitter, kursieren bereits seit der Vorwoche entsprechende die Videos, die allerdings bisher nicht verifiziert sind.


Das Ziel der israelischen Streitkräfte lautet, die Tunnel zu vernichten.
REUTERS/RONEN ZVULUN

Israel hat sich zum Einsatz von Meerwasser bisher nicht offiziell geäußert: Die Pläne unterliegen militärischer Geheimhaltung, immerhin hat die Zerstörung der Hamas-Tunnel für die Armee höchste Priorität. Das ausgeklügelte unterirdische Netzwerk ist das Fundament der militärischen Schlagkraft der terroristischen Gruppierung. Unter der Erde werden unter anderem verdeckt Angriffe geplant und ausgeführt, Raketen verlegt und auch aus Israel entführte Geiseln versteckt. Unterirdische Kämpfe in den engen Tunneln haben die israelischen Streitkräfte bisher vermieden: Denn unter der Erde hätte Israel nicht mehr die Oberhand, dort könnte es zum Blutbad kommen. Doch von außen sind die tief unter der Erde liegenden Tunnel, wie berichtet, nur mit großem Aufwand zu zerstören.

Deshalb wird bereits seit Wochen über einen Einsatz von Salzwasser spekuliert. Vergangene Woche bezeichnete Israels Generalstabschef Herzi Halevi das als "gute Idee". Laut Medienberichten hat Israel schon vor Wochen fünf Pumpen im Norden Gazas unweit des Al-Shati-Flüchtlingsviertels errichtet, mit denen die Tunnel pro Stunde mit tausenden Kubikmetern Salzwasser aus dem Mittelmeer geflutet und offenbar innerhalb einiger Wochen überflutet werden können.

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Öffentliches Misstrauen der USA
Eine indirekte Bestätigung, dass Salzwasser zur Zerstörung der Tunnel zum Einsatz kommt, gab es am Dienstag von US-Präsident Joe Biden. Auf Nachfrage eines Journalisten sprach er von Behauptungen, dass nur Tunnel geflutet würden, in denen keine von der Hamas in den Gazastreifen entführten Geiseln vermutet werden. "Aber das kann ich nicht mit Sicherheit sagen", ergänzte Biden und forderte von Israel, dass der Schutz von Zivilisten kein leeres Versprechen sein dürfe.

Bemerkenswert ist das auch deshalb, weil die USA, der engste Verbündete Israels, seit Tagen zwar weiterhin Unterstützung für Israel ausdrücken, vermehrt aber auch Bedenken über das israelische Vorgehen im Gazastreifen kundtun. Biden sprach jüngst auch von langjährigen Differenzen mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Das Gros der Welt stehe hinter Israel, doch die Unterstützung bröckle angesichts wahlloser Bombardierungen, mahnte Biden.

Offenbar noch Testphase
Nach Angabe der vom "Wall Street Journal" zitierten US-Beamten sei Israel vorerst noch dabei, den Einsatz von Meerwasser zur Vernichtung des mehrere Hundert Kilometer langen Tunnelsystems samt abgedichteten Bunkern zu evaluieren. Einige Beamte der Biden-Regierung sind demnach besorgt, dass das Vorgehen die Trinkwasserversorgung im Gazastreifen gefährden könnte. Andere zeigten sich zuversichtlich, dass auf diesem Wege ein Teil des Netzwerks, das unter urbanem Gebiet und zahlreichen zivilen Einrichtungen verläuft, effektiv zerstört werden könne.

In Israel ist das Vorhaben durchaus umstritten. So haben aus Hamas-Gefangenschaft befreite Israelis und Angehörige von Geiseln in einer geleakten Aufnahme darüber Sorge geäußert: Sie warfen Netanjahu jüngst bei einem Treffen vor, nicht genug für die Befreiung der Geiseln zu tun, und das Vorgehen der israelischen Streitkräfte gefährde die Geiseln. So seien Geiseln unter israelischen Beschuss gekommen. In der Tonaufnahme wird die Befürchtung geäußert, dass man nicht nur durch Luftschläge, sondern auch durch die Flutung der Tunnel die verbliebenen mehr als hundert Geiseln gefährden könnte, weil den Geheimdiensten augenscheinliche Informationen über die Aufenthaltsorte der von der Hamas Verschleppten fehlten.

Geiselfamilien und Umweltschützer besorgt
Auch aus ökologischer Sicht ist die Methode bedenklich: So gibt es Befürchtungen, dass dadurch landwirtschaftliche Böden unfruchtbar würden. Als Ägypten 2015 Meerwasser nutzte, um von Schmugglern betriebene Tunnel unter dem Grenzübergang Rafah zu fluten, beschwerten sich Bauern über beschädigte Felder, Erdlöcher und verlorene Ernten.

Wie ein israelischer Umweltforscher der "Times of Israel" sagte, könnten große Mengen Meerwasser in der Tat auch die Grundwasserversorgung im extrem dicht besiedelten Gazastreifen für mehrere Generation gefährden. Zwar bestünde keine Gefahr für die Versorgung Israels, doch es sei fragwürdig, ob die Zerstörung natürlicher Ressourcen moralisch vertretbar sei, sagte der Wasserexperte Eilon Adar von der Ben-Gurion-Universität des Negev. Ein weiterer nicht genannter Forscher sieht dagegen durchaus Gefahren für israelische Brunnen unweit des Gazastreifens aufgrund des porösen Sandbodens.

Die mehr als zwei Millionen Bewohner des Gazastreifens leiden ohnehin schon unter Wasserknappheit und schlechter Wasserqualität, da die niedrigen Wasserstände in der Grundwasserschicht bereits zu einer Vermengung mit Meerwasser führen. Die Palästinensische Wasserbehörde reagierte in der Vorwoche alarmiert auf mögliche Pläne, die Tunnel mit Salzwasser zu fluten: Dies könne zu einer Beschädigung und Verdünnung des Sandbodens und damit zu einem Absinken der Böden in vielen Gebieten des Gazastreifens führen. Dadurch drohe eine Einsturzgefahr für die verbliebenen Häuser, Gebäude und Infrastruktur. Der Anstieg des Salzgehalts würde Böden zudem unkultivierbar machen.

Kämpfe im Norden
Warum die Zerstörung der Tunnel für eine Niederlage der Hamas aus israelischer Sicht so wichtig bleibt, zeigen derweil die aktuellen Kämpfen im Norden so wie im Süden des Gazastreifens. Dadurch, dass nach "Haaretz"-Informationen noch zahlreiche Tunnel intakt und die Kampfgebiete dicht verbaut seien, könnten Hamas-Kämpfer israelische Soldaten aus dem Hinterhalt angreifen und aus nächster Nähe in Feuergefechte verwickeln. Da bringe auch der große technologische und geheimdienstliche Vorsprung Israels nicht viel, argumentiert Militärexperte Amos Harel in der Zeitung "Haaretz".
(Flora Mory, 13.12.2023)
Israel pumpt Meerwasser in Hamas-Tunnel – doch das ist nicht unumstritten
 

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#25
Artikel zum Fund des bisher größten aufgespürten Hamas-Tunnels mit fünfminütigem Video, das zum größten Teil den Tunnel zeigt:

Israelische Armee: Bisher größter Hamas-Tunnel entdeckt

Die israelische Armee hat eigenen Angaben zufolge den bisher größten Tunnel der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen freigelegt. Er befindet sich nur wenige hundert Meter von einem wichtigen Grenzübergang entfernt und ist so groß, dass kleine Fahrzeuge darin fahren können, wie ein AFP-Fotograf berichtete. Der Tunnel sei Teil eines größeren, verzweigten Netzes, das vier Kilometer lang sei und bis auf 400 Meter an den Grenzübergang Erez heranreiche, teilte die israelische Armee mit.

Reuters, 17.12.2023

Bau soll Millionen Dollar gekostet haben

Der Bau des Tunnels habe Millionen Dollar gekostet und mehrere Jahre gedauert, Projektleiter sei Mohammed Sinwar gewesen, Bruder des Hamas-Anführers Jahja Sinwar, der als einer der Drahtzieher des Großangriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober gilt. Die Gänge verfügen über eine Kanalisation, Elektrizität, Lüftung, Abwasserentsorgung und ein Kommunikationsnetz sowie Schienen. Der Boden besteht aus festgestampfter Erde, die Wände sind aus Stahlbeton und der Eingang aus einem Metallzylinder mit eineinhalb Zentimeter dicken Wänden.

Auf von den israelischen Armee veröffentlichten Aufnahmen, die von der Hamas gefilmt worden sein sollen, ist ein kleines Baufahrzeug zu sehen, das in den Tunnel gefahren wird, außerdem ein weitläufiges provisorisches Lager mit Fertigbetonteilen zur Verstärkung der Wände und Bauarbeiter, die mit schwerem Gerät in der Erde graben. Die israelische Armee fand nach eigenen Angaben zahlreiche Waffen in dem Tunnel, die für einen Angriff einsatzbereit gewesen seien.

Lage nahe Erez bewusst gewählt

Die Hamas habe große Ressourcen in das Projekt investiert, sagte Armeesprecher Richard Hecht. Das habe sie „nur zu einem Zweck“ getan, um „den Staat Israel und seine Bewohner anzugreifen“, sagte er. Der Tunnel sei ganz bewusst in der Nähe des Übergangs Erez im Norden des Gazastreifens gebaut worden, sagte Hecht. Israel nutzt diesen, um palästinensische Arbeiter und andere Reisende zu kontrollieren, die medizinische Hilfe in Israel benötigen. „Für die Hamas haben Angriffe auf das Volk Israels weiter Priorität vor der Bevölkerung von Gaza“, erklärte Hecht weiter.

Das von der israelischen Armee „Gaza Metro“ genannte Tunnellabyrinth war ursprünglich gebaut worden, um die israelisch-ägyptische Blockade nach der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Jahr 2007 zu umgehen. Hunderte Tunnel wurden zum ägyptischen Sinai gebaut, durch die Menschen, Waren, aber auch Waffen in den Gazastreifen gelangten.

red, ORF.at/Agenturen
Quelle: Israelische Armee: Bisher größter Hamas-Tunnel entdeckt
 

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#26
KRIEG IN NAHOST
Rätselraten über neue Phase in Gazakrieg
Israel wird nach der Bodenoperation im Gazastreifen bald "Phase drei" des Krieges gegen die Hamas starten – wie sie aussieht, darüber gibt es sehr unterschiedliche Meldungen. Ein Bericht aus Jerusalem

Knapp drei Monate ist der Krieg in Gaza auch aus der Ferne zu sehen.
AFP/JACK GUEZ

Nun kommt also "Phase drei": Zwei Monate nach dem Beginn der Bodenoffensive im Gazastreifen, die als "Phase zwei" im Krieg gegen die Hamas bezeichnet wurde, bereitet sich Israels Armee auf eine neue Etappe im Krieg vor. Hoffnungen auf eine baldige Waffenruhe zerstreute Israels Generalstabschef Herzi Halevi am Dienstag: "Der Krieg wird noch viele Monate dauern."

Was "Phase drei" nun konkret bedeutet, sorgt in Israel für viel Verwirrung. Diese Verwirrung rührt nicht zuletzt daher, dass Armee und Regierung nicht immer mit einer Stimme sprechen. Während Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auch zuletzt immer wieder betonte, dass Israels Armee weiter auf Hochdruck kämpfen wird, erklären Armeekreise, dass man die Intensität zurückfahren werde.

Rückzug in Pufferzone
Laut israelischen Medienberichten in Berufung auf hohe Militärkreise plant die Armee, sich auf eine Pufferzone im Westen des Gazastreifens zurückzuziehen. Die Zone soll sich über die gesamte Nord-Süd-Ausdehnung des Streifens erstrecken und rund einen Kilometer breit sein.

So soll es möglich werden, dass die mehr als hunderttausend Bewohnerinnen und Bewohner der südlichen Gebiete Israels, die nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober evakuiert wurden und immer noch in Hotels und Notunterkünften ausharren, schrittweise wieder in ihre Heimatorte zurückkehren können – zumindest in jene Dörfer und Städte, die im Zuge der Massaker nicht verwüstet wurden. Wie viele Menschen diesen Rückkehraufrufen folgen werden, ist unklar.

In der neuen Kriegsphase soll die Armee – so jedenfalls die Medienberichte – punktuelle Einsätze ins Innere des Gazastreifens durchführen. Daran sollen sich auch weiterhin Bodentruppen, Luftwaffe und Marine beteiligen. Die US-Regierung hatte den Übergang zu einer solchen Phase gefordert – nicht zuletzt aus humanitären Gründen. Hilfsorganisationen beklagen seit langem, dass sie wegen der intensiven Kämpfe im Süden nur eingeschränkt tätig werden können.

Drohung aus Teheran
Indes verschärfen sich allerdings die Auseinandersetzungen auch im Norden Israels sowie im Osten, im von Israel besetzten Westjordanland. Im Norden halten die Angriffe auf israelische zivile Ziele an, am Dienstag wurden bei einem Raketeneinschlag auf dem Areal einer katholischen Kirche im Norden Israels ein Zivilist und neun Soldatinnen und Soldaten verwundet. Israels Armee antwortete mit Angriffen auf Stellungen der irantreuen Hisbollah-Milizen. Es reicht ein Funke, um die militärische Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah in einen offenen Krieg umschlagen zu lassen.

Eine Drohung aus Teheran befeuert nun diese Angst: Nach der Tötung eines hochrangigen Generals in Syrien kündigt der Iran Vergeltung an. Am Montag war Sayed Razi Moussavi, ein ranghohes Mitglied der Revolutionsgarden (IRGC), in einem Vorort von Damaskus durch einen mutmaßlichen Luftangriff Israels getötet worden.

Moussavi zog laut israelischen Informationen die Fäden beim Waffennachschub der Hisbollah, die ja vom Libanon aus in Richtung Israels schießt. Er soll dem vor drei Jahren im Irak getöteten IRGC-General Ghassem Soleimani nahegestanden haben. Ein Sprecher der IRGC behauptete am Mittwoch, die Massaker vom 7. Oktober seien eine Antwort auf die Tötung Soleimanis im Jahr 2020 gewesen – doch die Hamas bestreitet das. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 27.12.2023)
Rätselraten über neue Phase in Gazakrieg
 

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#28
ISRAEL – HAMAS
100 Tage Krieg in Gaza
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Vor 100 Tagen haben Kämpfer der radikalislamischen Hamas Israel in einem beispiellosen Überfall angegriffen. Seither herrscht Krieg im Gazastreifen. Es ist der bisher längste und tödlichste zwischen Israel und den Palästinensern seit der Gründung Israels im Jahr 1948. Ein Ende der Kämpfe in Nahost ist nicht abzusehen.
Online seit gestern, 23.30 Uhr
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Israel erklärte den Krieg als Reaktion auf den grenzüberschreitenden Angriff der Hamas am 7. Oktober, bei dem die militante islamische Gruppe etwa 1.200 Menschen, überwiegend Zivilpersonen, getötet und etwa 250 weitere als Geiseln genommen hatte.

Israel reagierte daraufhin mit wochenlangen intensiven Luftangriffen im Gazastreifen, bevor es die Operation zu einer Bodenoffensive ausweitete. Ziel ist es nach den Angaben Israels, die Hamas zu zerschlagen und die Freilassung der bis dato noch über 100 Geiseln zu erreichen, die sich nach wie vor in der Gewalt der Hamas befinden.

Angehörige protestieren
Die Angehörigen der Geiseln kämpfen weiter für deren Freilassung. Plakate der Entführten säumen immer noch Straßen, die Menschen tragen T-Shirts mit der Aufforderung „Bringt sie nach Hause“. Das Forum der Geiselfamilien errichtete im Zentrum von Tel Aviv den Nachbau eines kurzen Tunnelstücks. In derartigen Anlagen unter der Erde soll die Hamas Berichten zufolge die Geiseln gefangen halten. Am Samstag gingen in Tel Aviv Tausende Menschen für die Freilassung der Hamas-Geiseln auf die Straße. Solidaritätsdemos gab es weltweit, auch Demos für das Ende der Gewalt in Gaza.

AP/Leo Correa
In Tel Aviv wurde ein Abbild eines Hamas-Tunnels als Kunstinstallation eröffnet

Eine gewaltsame Befreiung der Verschleppten durch das israelische Militär gilt Berichten zufolge als nahezu undurchführbar. Die von der Hamas angelegten Tunnel durchziehen demnach auf Hunderten Kilometern den gesamten Gazastreifen. Den Kämpfern der islamistischen Organisation dienen sie als unterirdische Kommandozentralen, Rückzugs- und Lagerräume sowie Transportwege. Die Angehörigen der Geiseln knüpfen ihre Hoffnungen an eine Verhandlungslösung.


DEBATTE
Nahost: Wie wird die Zukunft der Region aussehen?



Große Zerstörung im Gazastreifen
Die Offensive Israels richtete im Gazastreifen große Zerstörung an. Doch mehr als drei Monate später ist die Hamas immer noch weitgehend intakt. Die Gesundheitsbehörden der Hamas geben an, dass die Zahl der Todesopfer bereits 23.000 überschritten habe, was etwa einem Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens entspricht. Tausende weitere werden vermisst. Hinzu kommen weitere Tausende Verletzte.

Mehr als 80 Prozent der Bevölkerung wurden vertrieben: Zehntausende von Menschen mussten in spärliche Zeltlager im südlichen Gazastreifen flüchten, die ebenfalls unter israelischen Beschuss geraten.

APA/AFP/Ahmad Gharabli
Rund 100 Geiseln befinden sich noch in der Gewalt der Hamas

Die Vereinten Nationen schätzen, dass etwa ein Viertel der Bevölkerung des Gazastreifens an Hunger leidet. Nur 15 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen sind nach Angaben der UNO teilweise funktionsfähig, sodass das medizinische System kurz vor dem Zusammenbruch steht. Kinder haben monatelang die Schule verpasst und haben keine Aussicht auf eine Rückkehr zum Unterricht. Schätzungen zufolge wurden etwa die Hälfte der Gebäude im Gazastreifen auf der Grundlage von Satellitenanalysen beschädigt oder zerstört.

Das UNO-Palästinenserhilfswerk (UNRWA) bekräftigte am Samstag daher seinen Appell für eine humanitäre Feuerpause. „Massenhafter Tod, Zerstörung, Vertreibung, Hunger, Verlust und Trauer haben in den letzten 100 Tagen die von uns allen geteilte Menschlichkeit befleckt“, schrieb das Netzwerk in einer Erklärung.

Spannungen in gesamten Nahen Osten
Der Konflikt weitete sich mittlerweile auf den gesamten Nahen Osten aus und droht zu eskalieren. Fast unmittelbar nach dem Hamas-Angriff begannen die vom Iran unterstützten Hisbollah-Kämpfer im Libanon, Israel anzugreifen, was israelische Vergeltungsangriffe zur Folge hatte.

Reuters/Kevin Coombs
Die Rufe nach Frieden in Nahost werden weltweit immer lauter

Zuletzt hatte es einen Luftangriff am 2. Jänner gegeben, für den Israel verantwortlich gemacht wird und bei dem ein hoher Hamas-Funktionär in Beirut getötet wurde. Die Hisbollah antwortete mit schwerem Beschuss auf israelische Militärstützpunkte, während Israel mehrere Hisbollah-Kommandeure bei gezielten Luftangriffen tötete.

Gleichzeitig verübten die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen im Jemen eine Reihe von Angriffen auf zivile Frachtschiffe im Roten Meer. Unterdessen griffen vom Iran unterstützte Milizen US-Streitkräfte im Irak und in Syrien an. Die USA sandten Kriegsschiffe ins Mittelmeer und ins Rote Meer, um die Gewalt einzudämmen. Am späten Donnerstag bombardierten das US-amerikanische und das britische Militär mehr als ein Dutzend Ziele der Huthis im Jemen. Diese begannen bereits mit Vergeltungsschlägen.

Netanjahu fest im Sattel
Der Anschlag vom 7. Oktober traf Israel mit voller Wucht und erschütterte auch das Vertrauen vieler Israelis in ihre Führung. Während sich ein paar israelische Sicherheitsbeamte entschuldigten, die Gefahr eines Überfalls der Hamas nicht richtig eingeschätzt zu haben, und bereits signalisierten, nach dem Krieg zurückzutreten, scheint Premierminister Benjamin Netanjahu fest im Sattel.

APA/AFP
Israel reagiert auf den Überfall der Hamas am 7. Oktober mit schweren Luftanschlägen auf den Gazastreifen

Auf einer Pressekonferenz am Samstag kündigte er an: „Niemand wird uns aufhalten.“ „Es ist möglich und notwendig, bis zum Sieg weiterzumachen, und das werden wir tun“, sagte der Regierungschef. Ihm wird von Kritikerinnen und Kritikern vorgeworfen, er habe während seiner gesamten Amtszeit die Palästinenser ignoriert. Mehrere tausend Menschen demonstrierten am Samstag in Tel Aviv für den Rücktritt Netanjahus.

Friedensinitiativen lehnte der Regierungschef schon vor dem 7. Oktober ab. Stattdessen hatte er versucht, die Beziehungen zu anderen arabischen Ländern zu normalisieren, in der Hoffnung, die Palästinenser unter Druck zu setzen. Kurz vor dem 7. Oktober prahlte Netanjahu noch mit seinen Bemühungen, Beziehungen zu Saudi-Arabien zu knüpfen.

Ausgang ungewiss
Pläne für die Nachkriegszeit werden heute nur selten erwähnt – und wenn, dann von den USA. Diese wollen eine wiederbelebte Palästinensische Autonomiebehörde, die den Gazastreifen regiert, sowie Schritte in Richtung einer Zweistaatenlösung. Israel ist dagegen und will eine langfristige Militärpräsenz in Gaza aufrechterhalten. Doch die USA sind gegen eine Besetzung des Gazastreifens durch Israel.

Erst vor wenigen Tagen lehnte Israel einen von Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) geforderten Stopp des Militäreinsatzes gegen die Hamas strikt ab. Auch den Vorwurf des Völkermordes in Gaza wies das Land entschieden zurück. Der Wiederaufbau der Region wird jedenfalls noch viele Jahre dauern, die Aufarbeitung des Leides auf allen Seiten ebenfalls.
14.01.2024, vogl, ORF.at/Agenturen

Israel – Hamas: 100 Tage Krieg in Gaza
 

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#31
GAZAKRIEG
Wie sinnvoll sind Hilfsgüter aus der Luft?
Die USA werfen tausende Mahlzeiten über dem Gazastreifen ab, weil Israel Hilfe über den Landweg weitgehend verhindert. Unterdessen wird auch an Hilfslieferungen auf dem Seeweg gearbeitet

Hilfsgüter über Nordgaza.
AFP/NICOLAS GARCIA

Luftbrücke, da denkt man gerne an die Hilfslieferungen des Westens aus der Luft nach Westberlin, nachdem die Sowjetunion den Zugang zu diesem Teil der deutschen Stadt sperren ließ. Von Sommer 1948 bis Herbst 1949 konnten so die dort blockierten Menschen mit den "Rosinenbombern" versorgt werden. Schon zuvor im Zweiten Weltkrieg und auch danach kam diese Art der Hilfe immer wieder einmal zum Einsatz, wenn es darum ging, von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen Lebensnotwendiges zukommen zu lassen. Die Uno greift darauf seit 1973 zurück.

Im syrischen Bürgerkrieg etwa kam Hilfe aus der Luft; im afrikanischen Krisenherd Südsudan oder im Zuge von Naturkatastrophen immer wieder. All diese Beispiele haben gemein, dass es sich dabei um Gegenden handelt, die man sonst über keinen anderen Weg erreicht. Zu Hilfe aus der Luft, sogenannten Airdrops, wird nun auch verstärkt im Gazakrieg gegriffen. Jordanien und Ägypten führen schon länger Luftbrücken nach Gaza durch, allerdings in kleineren Dimensionen. Am Wochenende haben die USA erstmals und gemeinsam mit der jordanischen Luftwaffe Hilfsgüter über den Küstenstreifen abgeworfen, in dem seit den Hamas-Massakern vom 7. Oktober ein brutaler Krieg tobt.

Noch mehr US-Hilfe angekündigt
38.000 Mahlzeiten wurden am Samstag abgeworfen, erklärte das US-Militär. Am Dienstag erfolgten Airdrops von 36.000 Mahlzeiten, dabei waren auch Ägypten und Frankreich jeweils mit einem Flugzeug beteiligt. Die Lebensmittel hat zum Teil auch das UN-Welternährungsprogramm zur Verfügung gestellt. US-Präsident Joe Biden kündigte an, diese Art der Hilfslieferungen zu forcieren. Und viele fragen sich nun: Wieso braucht es Hilfe aus der Luft für den Gazastreifen? Und ist das überhaupt sinnvoll?


Die Hilfsgüter werden gut eingepackt.
IMAGO/U.S. Air Force

Denn grundsätzlich ist der Gazastreifen, in dem laut UN-Nothilfebüro (Ocha) aktuell 576.000 Menschen "nur einen Schritt von einer Hungersnot entfernt" sind, ja zugänglich. Im Süden von Gaza kommen, nachdem dies Israel lange verhinderte, Hilfsgüter in begrenztem Umfang über den ägyptischen Grenzzugang Rafah und den von Israel kontrollierten Grenzübergang Kerem Shalom via Lkw an.

Diese Hilfe erreicht allerdings nicht den Norden von Gaza, dies lässt Israel bisher kaum zu. Dort leben laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 300.000 Menschen mit nur wenig Nahrung und sauberem Wasser. Bei einem Besuch dort habe man Erkenntnisse zu schwerer Unterernährung und zu verhungernden Kindern gesammelt, erklärte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus am Montag.

Dutzende Tote
Hinzu kam der tragische Zwischenfall vom Donnerstag, als es bei einer der wenigen Hilfsgüterverteilungen im Norden des Küstenstreifens in Gaza-Stadt zu dutzenden Toten kam. Israels Militär wurde vorgeworfen, auf die Menge gefeuert zu haben. Dieses erklärte Tage später, ein Massengedränge sei die Todesursache gewesen. Man habe lediglich auf jene geschossen, die sich den Soldaten gefährlich genähert hätten.

All das hat nun zu den verstärkten Airdrops geführt. Sie gelten aber nur als die Art der Hilfe, auf die zurückzugreifen ist, wenn gar nichts anderes mehr möglich ist. "Das ist der letzte Ausweg und wird eine Hungersnot nicht verhindern", sagt etwa Carl Skau, stellvertretender Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms. Sie ist sehr teuer, laut WFP kostet sie siebenmal so viel wie die Lieferung über Land. Man benötigt große Frachtflugzeuge, die die Güter dann aus 300 bis 5.600 Metern abwerfen, dazu Treibstoff und entsprechendes Personal. Die Pakete müssen äußerst robust verpackt werden, damit sie die Landung heil überstehen.

Viel zu wenig HiIfe
Normalerweise sucht man dafür große, freistehende Flächen, das ist im dichtbesiedelten Gazastreifen nur schwer möglich. Deshalb versucht man oft, wie zahlreiche Fotos belegen, die Hilfsgüter nahe der Küste abzuwerfen. Die Gefahr ist, dass sie ins Wasser fallen und ins offene Meer geschwemmt werden. Und wie Skau schon andeutet, können über den Luftweg auch nur wenige Hilfsgüter abgeworfen werden. Das ist bei der gewaltigen Not in Gaza viel zu wenig.


Bei den ersten US-Airdrops am Samstag landeten auch einige im Wasser.
AFP/ALINE MANOUKIAN

Schließlich wird auf das große Risiko hingewiesen, wenn Hilfsgüter ohne Kontrolle verteilt werden. Die Airdrops würden dazu führen, "dass unter der notleidenden Bevölkerung das Recht des Stärkeren regiert und keinesfalls gewährleistet ist, dass diese Hilfen besonders vom Hungertod gefährdete Menschen wie Kinder, Frauen, alte Menschen und Menschen mit Behinderung erreichen", sagt unter anderem Oliver Müller, der Leiter von Caritas international.

Tatsächlich gibt es bereits mehrere Videos, auf denen zu sehen ist, wie Menschen um die wenigen Hilfsgüter kämpfen, bisweilen auch mit Peitschen und Holzstöcken. Die BBC konnte mit mehreren Bewohnern von Gaza reden. Einer etwa erzählt: "Hunderte oder tausende Menschen sehen die abgeworfene Hilfe und warten auf sie. Aber nur zehn oder 20 bekommen etwas, der Rest geht leer aus."

Keine kontrollierte Ernährung
Hinzu kommt, betonen Hilfsorganisationen, dass bei lange hungernden oder bereits unterernährten Menschen die Nahrungszunahme vorsichtig und beaufsichtigt erfolgen sollte, alles andere könnte sogar lebensgefährlich sein. Dies ist durch die Hilfe aus der Luft natürlich auch nicht möglich.

Trotz all dieser Nachteile begrüßen viele die Hilfe aus der Luft, dies sei besser als nichts. Doch weit lieber wäre ihnen natürlich etwas anderes: eine Waffenruhe und zusätzliche Hilfskorridore auch in den Norden von Gaza, um den Menschen dort endlich humanitäre Hilfe in großem Ausmaß zukommen zu lassen. Die Verhandlungen laufen, eine Einigung lässt aber auf sich warten.

Hilfe über den Seeweg geplant
Unterdessen wird zur weiteren Unterstützung der Menschen in Gaza an Hilfslieferungen auf dem Seeweg gearbeitet. Laut der Zeitung "Haaretz" will Israel dies erstmals seit Kriegsbeginn erlauben. Dem Bericht zufolge sollen ab Sonntag von den Vereinigten Arabischen Emiraten finanzierte Güter in Zypern auf Schiffe geladen und von israelischen Behörden kontrolliert werden, bevor sie über das Mittelmeer nach Gaza gebracht werden. Die Organisation World Central Kitchen (WCK) soll diese dann mit Luftkissenfahrzeugen zu einem von der israelischen Armee kontrollierten Dock bringen. Via Schiff lassen sich grundsätzlich rasch große Mengen an Hilfsgütern transportieren.

Auch die EU plant einen Seekorridor auf dem Seeweg, aus diesem Grund wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag und Freitag nach Zypern reisen. Auch will Brüssel eigene Luftbrücken durchführen. Mangels eigener Flugzeuge müsste aber die Uno oder ein EU-Mitgliedsstaat mithelfen.
(Kim Son Hoang, 6.3.2024)
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#32
MIT PRIVATFIRMA
Gaza-Seebrücke als logistisches Großprojekt
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Am Dienstag haben vier Schiffe der US-Armee von Virginia aus abgelegt, mit dem Ziel Gaza. An Bord sind tonnenweise Equipment und Stahl für Teile, die zusammengesetzt eine Anlegestelle ergeben sollen. So sollen künftig mehr dringend benötigte Versorgungsgüter nach Gaza gelangen – ein logistisches Großprojekt. Die USA verpflichteten dafür eine bisher kaum bekannte Privatfirma.
Online seit heute, 6.06 Uhr
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Die vier Schiffe verließen am Dienstag die Docks der Joint Base Langley-Eustis Richtung Atlantik, die Reise könnte bis zu einen Monat lang dauern. In Gaza angekommen sollen die geladenen Teile zusammengebaut werden. Die Hauptkomponenten bestehen aus einem schwimmenden Dock aus Stahlsegmenten, auf das Container entladen werden können, sowie einem zweispurigen, fast 550 Meter langen Pier.

Dieses „modulare Dammsystem“ soll künftig Schiffen ermöglichen, Vorräte und Medizin zur notleidenden Bevölkerung zu bringen – über zwei Millionen Mahlzeiten pro Tag sollen es laut Pentagon sein. Die UNO geht davon aus, dass inzwischen so gut wie alle Menschen im Gazastreifen Probleme haben, genug Nahrung zu finden.

Hunderte Soldaten am Werk
Nach dem Monat Seefahrt soll der Aufbau in etwa eine Woche in Anspruch nehmen, danach muss die Koordination bewältigt werden. Alles in allem rechnet das US-Militär mit rund zwei Monaten Vorlaufzeit, bis der erste Container entladen werden kann. Das Projekt Joint Logistics Over-the-Shore (JLOTS) ist nicht das erste seiner Art. Die USA haben ähnliche Anlandestellen auch in Kuwait, Somalia und Haiti errichtet.

APA/AFP/Roberto Schmidt
Die Soldaten wurden in Virginia verabschiedet. Sie sollen in Gaza Hilfslieferungen ermöglichen.

Mehr als 1.000 US-Soldaten sollen an der Operation beteiligt, 500 direkt involviert sein – obwohl die offizielle Haltung des Weißen Hauses weiterhin lautet: „Keine US-Soldaten im Kriegsgebiet“. Das Pentagon wollte auch nicht bekanntgeben, wer die Container entladen und die Hilfsgüter an Land bringen soll.

Wie die BBC hingegen am Mittwoch meldete, hat sich das US-Militär zu diesem Zweck mit einer wenig bekannten Privatfirma namens Fogbow zusammengetan. Das Unternehmen werde geführt von ehemaligen US-Militärs und Geheimdienstlern.

Logistik in privaten Händen
Fogbow solle in erster Linie dazu dienen, den Transport von Hilfsgütern zu organisieren, nachdem diese an der Küste angekommen sind. Die Container würden geleert und der Inhalt auf Lastwagen verladen, um sie zu Verteilungspunkten weiter im Gazastreifen zu befördern, so die BBC. Das ist Teil eines von der US- und der israelischen Regierung genehmigten Plans. Fogbow sei, so ein Insider, noch auf der Suche nach Finanziers, man habe auch in Europa angeklopft. Längerfristig sei die Gründung einer von Spendern geführten Stiftung geplant, um Hilfsgüter nach Gaza zu führen.
Der Erfolg der Mission hängt von der Sicherheit ab – sowohl Kriegshandlungen als auch große Menschenmengen stellen Risiken dar. Daher soll es eine kleine Pufferzone geben, damit Zivilisten nicht zum Pier gelangen können. Zudem würden die israelischen Streitkräfte (IDF) weitere Sicherheitsmaßnahmen durchführen, so die BBC. Fogbow werde wohl nur begrenzte logistische Aufgaben wahrnehmen.

Auf dem Land und in der Luft
Fachleute und NGOs betonten in den vergangenen Tagen, dass Hilfsgüter über den Seeweg Lieferungen an Land nicht ersetzen könnten. Dazu sei der Bedarf zu groß. Die Bedingungen im Kriegsgebiet, Sicherheitsvorfälle und Restriktionen von israelischer Seite erschweren aber die Lieferungen mit Lkws enorm.

Daher wird doch verstärkt auf alternative Wege gesetzt. Am Dienstag stach etwa das Schiff „Open Arms“ der gleichnamigen Hilfsorganisation aus dem zypriotischen Hafen von Larnaka in Richtung Gazastreifen in See. Der umgebaute Schlepper zieht ebenfalls eine Plattform, auf die Hilfsgüter geladen worden sind – rund 200 Tonnen Trinkwasser, Medikamente und Lebensmittel. Von Jordanien initiiert, bringen zudem Flugzeuge der USA und Frankreichs Hilfsgüter per Luftbrücke in den Gazastreifen.

Blinken: Schutz von Zivilisten Priorität
US-Außenminister Antony Blinken appellierte erneut an Israel, die humanitäre Situation im Gazastreifen zu verbessern und den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen. US-Präsident Joe Biden habe bereits deutlich gemacht, dass das Priorität haben müsse, sagte Blinken in Washington. Es dürfe keine zweitrangige Überlegung sein. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagte Blinken.

Die US-Regierung schaue auf die israelische Regierung, um sicherzustellen, dass der Schutz der Zivilisten und die Versorgung der Menschen, die Hilfe brauchten, Vorrang hätten. „Das muss an erster Stelle stehen“, auch wenn Israel das Notwendige tue, um sich zu verteidigen und der Bedrohung durch die Terrororganisation Hamas zu begegnen, sagte Blinken.

USA drängen auf Feuerpause
Die USA versuchten mit allen Mitteln, die humanitäre Hilfe zu verstärken. Dennoch sei der „effektivste Weg“ eine Feuerpause. „Es liegt gerade ein sehr guter Vorschlag auf dem Tisch. Die Frage ist, ob die Hamas diesen Vorschlag annehmen wird“, sagte Blinken. Man tausche sich intensiv jeden einzelnen Tag, beinahe stündlich mit Katar und Ägypten aus, um zu sehen, wie man einen Deal erreichen könnte.

Die EU forderte Israel indes zur Öffnung weiterer Übergänge in den Gazastreifen auf, um zusätzliche Hilfe in das Palästinensergebiet zu lassen. Der EU-Kommissar für humanitäre Hilfe und Krisenschutz, Janez Lenarcic, schrieb auf X (Twitter), dabei müsse auch der Norden einbezogen werden. Zudem müsse Israel allgemein die Zollschranken senken.

Israel kündigte an, mehr humanitäre Hilfe in den Gazastreifen zu lassen. „Wir versuchen, das Gebiet mit humanitärer Hilfe zu überschwemmen“, so der Sprecher des Militärs, Daniel Hagari, gegenüber ausländischen Journalisten. Dazu zählten Konvois, ergänzt durch Abwürfe aus der Luft und Hilfslieferungen auf dem Seeweg. Hagari räumt jedoch ein, dass die Lieferung von Hilfsgütern nur ein Teil des Problems sei. Es müsse mehr getan werden, um das Problem der gerechten und effizienten Verteilung zu lösen.
14.03.2024, red, ORF.at/Agenturen

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Mit Privatfirma: Gaza-Seebrücke als logistisches Großprojekt
 

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#33
TECH-KRIEG
KI-gesteuertes System Israels soll Ziele in Gaza eigenständig identifiziert haben
Das "Lavender"-System soll bei der Suche nach Hamas-Kämpfern helfen. Die menschliche Entscheidung, ob es sich wirklich um ein militärisches Ziel handelt, wird dabei stark verkürzt
5. April 2024, 15:02

Seit sechs Monaten tobt der Krieg, die Zahl der zivilen Opfer steigt mit jedem Tag.
EPA/MOHAMMED SABER

Über 37.000 Ziele soll das KI-System "Lavender" im Gazastreifen identifiziert haben, die zu einem Teil danach einer Großbombardierung durch das israelische Militär zum Opfer gefallen sind. Laut einer Recherche des britischen "Guardian" und "+972 Magazine" soll dabei bewusst eine große Anzahl an zivilen Opfern in Kauf genommen worden sein, um mutmaßliche Hamas-Mitglieder auszuschalten.

Der nunmehr sechs Monate andauernde Krieg ist damit in eine neue Phase übergegangen, sagen Experten. Mit dem Einsatz solcher KI-gestützten Entscheidungen würde man mehr Vertrauen in "statistische Verfahren" setzen als in "trauernde Soldaten". Es wäre einfacher, wenn eine Maschine potenzielle Ziele ohne Gefühlsregung markiere als jemand, der erst kürzlich nahestehende Menschen verloren habe.

Zivile Opfer einkalkuliert
Sechs Geheimdienstmitarbeiter, die Erfahrung mit dem Einsatz von Lavender hatten, wurden in den Berichten zitiert. Sie sprechen von der zentralen Rolle der KI-gesteuerten Zielauswahl, die in sehr kurzer Zeit unzählige Daten verarbeiten und "Junior"-Ziele identifizieren könne. So sei es möglich gewesen, in nur wenigen Wochen 37.000 palästinensische Männer in eine Liste zu packen, weil sie von der KI der Hamas beziehungsweise der PIJ zugeordnet wurden.

Um die Ziele auszuschalten, seien "dumme Bomben" benutzt worden, die über keinerlei Zielvorrichtung verfügen. Es sei in Kauf genommen worden, vor allem in den ersten Wochen des Kriegs, dass für die Eliminierung eines mutmaßlichen Hamas-Kämpfers "15 bis 20 Zivilisten" getötet und ganze Häuser dem Erdboden gleichgemacht wurden. Nur so sei es zu erklären, dass laut Gesundheitsministerium in Gaza von bereits 33.000 getöteten Palästinensern und Palästinenserinnen ausgegangen wird.

Welche Trainingsdaten Lavender nutzt oder wie es letztlich zu den so wichtigen Schlussfolgerungen kommt, geht aus den Berichten nicht hervor. Was bestätigt wurde, ist, dass die für Lavender verantwortliche Einheit den Algorithmus über die Dauer des Krieges sehr wohl verfeinert und "Suchparameter optimiert" haben soll. Das habe zuletzt für eine 90-prozentige Genauigkeit gesorgt, speziell in Zusammenarbeit mit anderen KI-basierten Systemen, etwa "Gospel", welches vielmehr Gebäude als Menschen als Ziele identifiziert.

Das "Spiel" mit den Parametern sei wichtig gewesen, erzählt einer der Militärs gegenüber "+972 Magazine". Am Anfang sei die Definition "breiter angelegt" gewesen, und sofort fielen auch Polizeibeamte oder Verteidigungspersonal in die Definition der KI. "Die helfen der Hamas-Regierung mit Sicherheit, aber sie stellen keine Gefahr für unsere Soldaten dar", erzählt einer der Befragten. Hier sei es eine "Verschwendung", Bomben abzuwerfen. Zuletzt gab es allerdings im Februar Berichte über getötete palästinensische Polizisten.

Widerspruch
Die israelische Regierung widersprach den Vorwürfen am Mittwoch zumindest teilweise. KI-Systeme würden nicht dazu eingesetzt werden, Terroristen zu identifizieren, heißt es. Es handle sich lediglich um "Werkzeuge für Analysten im Zielidentifizierungsprozess". Lavender sei auch kein System, sondern lediglich eine Datenbank für Querverweise von Geheimdienstquellen, "um aktuelle Informationen zu militärischen Operationen von Terrororganisationen zu produzieren". Eine Bestätigung, ein bestimmtes Ziel angreifen zu dürfen, sei das nicht. Für diese finale Analyse, ob es sich wirklich um einen Terroristen handle, sei weiterhin menschliches Personal nötig.

Das bestätigen auch die Militärs im Bericht von "+972 Magazine". Jedoch sei speziell in den ersten Wochen nach dem Terrorangriff der Hamas auf die israelische Zivilbevölkerung diese Prozedur der Identifikation und des Freigebens von Angriffen "dramatisch verkürzt" worden, so die Befragten. (aam, 5.4.2024)
KI-gesteuertes System Israels soll Ziele in Gaza eigenständig identifiziert haben
 

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#35
ISRAEL
Stille Koalition wehrte Angriff des Iran ab
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Israel hat den Angriff des Iran in der Nacht auf Sonntag erfolgreich abgewehrt – aber bei Weitem nicht allein. Drohnen, Marschflugkörper und Raketen wurden großteils abgefangen. Mehrere Länder halfen dabei aus, von Kriegsschiffen, vom Boden und aus der Luft, wie es in internationalen Medienberichten am Montag hieß. Die USA sollen schon länger eine „stille“ Koalition für diesen Fall geschmiedet haben.
Online seit heute, 15.04 Uhr
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Insgesamt sollen mehr als 300 Kampfdrohnen, ballistische Raketen und Marschflugkörper, großteils aus dem Iran, teils auch vom Jemen und dem Libanon aus, gestartet worden sein, erreichten aber bis auf wenige Ausnahmen ihre Ziele auf israelischem Territorium nicht. Der Angriff auf Israel war der erste von iranischem Territorium aus überhaupt.

Laut Bericht des „Wall Street Journal“ von Montag, basierend auf Angaben aus Israel, waren zumindest 170 Drohnen, 120 Raketen und 30 Marschflugkörper in Richtung Israel abgefeuert worden. Die Wirkung „hätte katastrophal sein können“. In Israel wurde ein siebenjähriges Kind schwer verletzt, eine Militäreinrichtung beschädigt.

Nicht ohne Verbündete
Dass der Angriff weitgehend abgewehrt werden konnte, war laut der US-Zeitung der hoch entwickelten israelischen Luftabwehr – „Iron Dome“ und „Arrow“ – geschuldet und vor allem auch der Unterstützung der US-Armee im Mittelmeer-Raum und einzelner arabischer Länder, etwa Jordaniens. Die meisten Drohnen vom Typ Schahed wurden abgeschossen, noch bevor sie den israelischen Luftraum erreichten – laut israelischen Angaben „99 Prozent“.

AP/Stocktrek Images
US-Jets fingen Dutzende Drohnen und Raketen noch vor dem israelischen Luftraum ab

Die Drohungen der letzten Tage aus dem Iran hätten Israel und den USA Zeit zur Vorbereitung gegeben, so das „Wall Street Journal“. Der Angriff sei damit keineswegs überraschend gekommen. Ob Israel im Falle eines eskalierenden Krieges einen vergleichbaren Angriff alleine abwehren könne, sei fraglich.

„Test“ der israelischen Luftabwehr?
Laut dem britischen „Guardian“ und dem „Wall Street Journal“ könnte der Angriff auch ein „Test“ der israelischen Luftabwehr gewesen sein. Nachbarländer des Iran sollen vorgewarnt worden sein, dennoch habe der Angriff eine „ernsthafte Bedrohung“ für jedes Verteidigungssystem dargestellt.

Grafik APA/ORF; Quelle: BBC
Der iranische Generalstabschef Mohammed Bagheri hatte den Angriff auf Israel am Sonntag als einen Erfolg bezeichnet und weitere nicht notwendig genannt. Dessen faktische Wirkung müsse allerdings eher eine Enttäuschung für die Islamische Republik gewesen sein, schrieb der „Guardian“.

Ex-NATO-Chef sieht Indiz
Der frühere NATO-Generalsekretär George Robertson rief Israel zu Zurückhaltung in seiner Antwort auf den iranischen Angriff auf. Dieser sei zwar eine „dramatische Eskalation“ gewesen, doch wollte Teheran offenkundig keinen Treffer landen. „Es scheint klar, dass der Iran seinen Angriff so eingestellt hat, dass er von den Israelis eingedämmt werden kann“, sagte der ehemalige britische Verteidigungsminister am Montag im APA-Interview in Wien.

Grafik: APA/ORF; Quelle: APA
Der Iran stellte die Operation mit dem Titel „Aufrichtiges Versprechen“ als Vergeltungsschlag für die Tötung hochrangiger Offiziere in Syrien dar. Am 1. April waren bei einem mutmaßlich von Israel geführten Luftangriff auf das iranische Botschaftsgelände in Damaskus zwei Brigadegeneräle getötet worden.

Unterstützung von US-Kampfjets und -Kriegsschiffen
An der Seite der USA hätten bei der Abwehr der iranischen Luftangriffe einige arabische Länder etwa Radardaten weitergegeben und Jordanien seinen Luftraum geöffnet, berichtete das „Wall Street Journal“. Das US-Militär fing nach eigenen Angaben mit Unterstützung von Zerstörern des European Command am Samstag und Sonntag mehr als 80 Drohnen und mindestens sechs ballistische Raketen mit Ziel Israel ab und zerstörte sie. Diese seien vom Iran und dem Jemen aus abgefeuert worden, teilt das US-Zentralkommando (Centcom) auf X (Twitter) mit.

APA/AFP/Us Navy/Xavier Jimenez
Die US-Marine (im Bild der Zerstörer „USS Carny“) war mit Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer vorbereitet

Laut „Washington Post“ fiel der Angriff des Iran größer aus, als es die US-Armee erwartet hatte. Diese war aber offenbar trotzdem gut vorbereitet. Zwei Fliegerstaffeln, eine davon mit Hauptquartier in Großbritannien, die andere im US-Bundesstaat North Carolina, seien mit F-15E-Kampfjets im Einsatz gewesen und hätten an die 70 Drohnen abgeschossen.

Unterstützung sei auch vom Boden und dem Meer aus gekommen. Die beiden US-Zerstörer „USS Carney“ und „USS Arleigh Burke“ hätten vom östlichen Mittelmeer aus ballistische Raketen abgefangen, auch über dem Irak sei eine Rakete von einer Patriot-Luftabwehreinheit der US-Armee in Erbil abgeschossen worden.

Lange Vorarbeit
In einer weiteren Analyse nannte das „Wall Street Journal“ am Montag die Abwehr des Angriffs auf Israel eine „eindrucksvolle Demonstration kollektiver Verteidigung“, für die es bisher keinen Präzedenzfall gegeben habe. Die USA hätten jahrelang eine stille und „zerbrechliche“ Koalition gegen eine solche Bedrohung aus dem Iran etwa auch unter Einbeziehung Saudi-Arabiens und Katars geschmiedet.

Das sei eher informell und still geschehen, viele technische und diplomatische Hindernisse seien dabei zu überwinden gewesen, vor allem hätten sich sunnitisch-arabische Staaten nicht dem Verdacht aussetzen wollen, Israel vor dem Hintergrund des Krieges im Gazastreifen zu Hilfe zu kommen.
15.04.2024, geka, ORF.at/Agenturen

Israel: Stille Koalition wehrte Angriff des Iran ab
 

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#36
MILITÄRTECHNIK
Erstmals wurde eine Rakete (wahrscheinlich) im Weltraum abgefangen
Ein Hauch von "Star Wars": Der iranische Angriff auf Israel zeigt, dass Flugabwehr auch im erdnahen All stattfindet
16. April 2024, 18:35

Die SM-3 beim Start von einem Raketenzerstörer.
Raytheon

Die Streitkräfte der USA sollen bei der Abwehr des iranischen Angriffs auf Israel eine tragende Rolle gespielt haben. US-Kampfflugzeuge sollen mehr als 70 iranische Drohnen abgeschossen haben, während zwei Raketenzerstörer der U.S. Navy im östlichen Mittelmeer sechs iranische Raketen abgefangen haben sollen. Das ist aus mehreren Gründen bemerkenswert: Einerseits sind Militärexperten überrascht, wie präzise US-Kampfjets Drohnen und Marschflugkörper erfassen können. Andererseits dürften die USA erstmals ein neues Raketenabwehrsystem eingesetzt haben, das anfliegende Raketen außerhalb der Erdatmosphäre abfangen kann. Aber auch von der israelischen Armee kommen Berichte, die an "Star Wars" erinnern. Den Isrealis soll erstmals ein "exoathmosphärischer Kill" gelungen sein.

Waffe gegen eigene Spionagesatelliten
Nach Angaben der israelischen Verteidigungskräfte (IDF) wurden insgesamt 350 iranische Raketen und Drohnen auf Israel abgefeuert, deren Sprengköpfe zusammen 60 Tonnen Sprengstoff enthielten. Etwa 120 ballistische Raketen, 30 Marschflugkörper und 170 Drohnen sollen auf Ziele in Israel abgefeuert worden sein. 99 Prozent von ihnen wurden abgeschossen – meist schon bevor sie überhaupt in den israelischen Luftraum eindrangen.

Aktuell sind zwei Raketenzerstörer der Arleigh-Burke-Klasse im östlichen Mittelmeer stationiert. Die USS Carney schoss mindestens drei ballistische Raketen ab, während die USS Arleigh Burke mindestens eine weitere zerstörte, wie "The Warzone" berichtet. Und: Erstmals sollen dabei SM-3-Raketen des Aegis-Abwehrsystems eingesetzt worden sein. Bei Aegis handelt es sich um ein Abwehrsystem gegen ballistische Raketen. Diese Raketen haben eine parabelförmige Flugbahn und treten kurzzeitig in den erdnahen Orbit ein.

Aufgabe von Aegis ist es, die Flugbahn derartiger Raketen vorauszuberechnen. Die SM-3 ist unter anderem dafür gemacht, ballistische Raketen während des mittleren Flugabschnitts abzufangen – also sobald diese die Erdatmosphäre verlassen und in den Weltraum eintreten. Die dreistufige SM-3 ist eine sogenannte Hit-to-Kill-Waffe. Das heißt, sie muss ein Ziel direkt treffen, um ihre zerstörerische Wirkung entfalten zu können. Zu diesem Zweck wird kurz vor dem Einschlag das "Kill Vehicle" freigegeben, das selbst den verwundbarsten Bereich des Ziels ansteuert und dort mit 130 Megajoule kinetischer Energie einschlägt. Das entspricht laut Angaben von Hersteller Raytheon der Energie von 31 Kilogramm TNT. Zur Bekämpfung mehrerer Ziele ist es auch möglich, eine SM-3 mit mehreren Kill Vehicles auszustatten.


Das "Exoatmospheric Kill Vehicle" einer SM-3.
Raytheon

Sollte sich der Einsatz der SM-3 bestätigen, wäre dies der erste Kampfeinsatz einer derartigen Waffe – und für die USA ein dringend nötiger Beweis, dass die über 20 Jahre andauernde Entwicklung des Waffensystems keine Fehlinvestition war. Die Schwesterrakete der SM-3, die SM-6, hatte ihr Gefechtsdebüt im Roten Meer, in der Abwehr der von den Huthi abgefeuerten Raketen. Die SM-6 ist dafür gedacht, Ziele innerhalb der Atmosphäre wie Kampfjets oder Drohnen zu bekämpfen und soll darüber hinaus in der Lage sein, Hyperschallraketen und moderne Marschflugkörper zu bekämpfen, die meistens eine flachere Flugbahn haben und eher bodennah eingesetzt werden. Die SM-6 ist somit die universell einsetzbare Rakete mit begrenzter Reichweite, während die SM-3 über eine große Reichweite verfügt, aber spezialisierter ist.

Die SM-3 ist darüber hinaus auch als Anti-Satelliten-Waffe konzipiert. Einen feindlichen Satelliten hat die Rakete aber noch nie abwehren müssen, einen US-eigenen aber sehr wohl. Im Februar 2008 geriet der Spionagesatellit USA-193 außer Kontrolle. Eine SM-3 sollte ihn zerstören, und tatsächlich wurde der künstliche Himmelskörper in einer Höhe von rund 250 Kilometern bei einer Geschwindigkeit von 10,5 Kilometern pro Sekunde getroffen – und das, obwohl der Satellit taumelte und seine Flugbahn daher nur extrem schwer vorauszuberechnen war.

Derzeit werden im Aegis-BMD-System in erster Linie Abfangraketen der Typen SM-3 und SM-6 eingesetzt. Aegis ist eigentlich ein System, das auf Schiffen eingesetzt wird, aber in Polen und Rumänien gibt es auch Aegis-Basen an Land. Militärische Modellbezeichnungen folgen ja oft der "Rule of Cool" und deren Akronyme sollen besonders beeindruckend klingen oder zumindest witzig sein – wie der Pimpf der Taurus. Doch die USA haben ausnahmsweise auf derartige Wortspiele verzichtet, denn SM steht als Abkürzung für den wenig fantasievollen Namen "Standard Missile".

Ein "exoathmosphärischer" Abschuss
Während die U.S. Navy den Einsatz der SM-3 noch nicht bestätigt hat, tauchen immer mehr Videos von angeblichen exoathmosphärischen Abschüssen auf, also von Fällen, in denen eine Abwehrrakete ein Ziel im Weltraum und nicht innerhalb der Atmosphäre zerstört. Es ist aber wahrscheinlich, dass es sich dabei um den erfolgreichen Einsatz von israelischen Arrow-3-Raketen gehandelt hat, denn auch diese sind in der Lage, Ziele im Weltraum zu bekämpfen. Arrow-3-Raketen könnten auch Österreich im Rahmen von Sky Shield schützen – neben der US-Fliegerabwehrrakete Patriot.
(Peter Zellinger, 16.4.2024)
Erstmals wurde eine Rakete (wahrscheinlich) im Weltraum abgefangen
 

josef

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Israels Krieg im Gazastreifen als Testlabor für Künstliche Intelligenz
Militärprogramme wie "Gospel" und "Lavender" versprechen im Offensivbereich hohe Effizienz – wegen hoher Opferzahlen sind sie aber umstritten. Bericht aus Jerusalem
28. April 2024, 16:47
In keinem der bisherigen Kriege im Gazastreifen wurden so viele Menschen getötet wie im aktuellen. Israels Armee erklärt dazu, dass der Großteil der Getöteten keine Zivilisten, sondern Hamas-Kämpfer seien. Nach welchen Kriterien wird nun aber entschieden, wer "Kämpfer" ist – und wer nicht?

Israels Armee hat im Februar 2023 zugegeben, dass sie sich bei der Auswahl ihrer Beschussziele auch auf Künstliche Intelligenz (KI) verlässt. Laut Recherchen israelischer Investigativjournalisten soll die KI im Gazakrieg eine größere Rolle spielen als bisher angenommen. Schon vor dem aktuellen Krieg war bekannt, dass die KI-Maschine "Gospel" zum Einsatz kommt. Sie erstellt Listen möglicher Angriffsziele – also militärisch genutzte Gebäude oder Stellungen.


Nicht nur bei der Raketenabwehr ("Iron Dome" über Ashkelon) setzt Israel auf modernste Technologien.
REUTERS/AMIR COHEN

Jetzt soll zusätzlich auch das Programm "Lavender" zum Einsatz kommen, das dem Militär ermöglicht, binnen kurzer Zeit Listen tausender Zielpersonen vorzulegen, die als Terroristen eingestuft werden.

37.000 Kämpfer identifiziert
Laut den Recherchen der israelischen Rechercheplattformen +972 und Local Call, die auch von Journalisten des britischen Guardian überprüft werden konnten, soll die Armee in der ersten Kriegsphase dank dieser KI-Anwendung rund 37.000 Hamas-Kämpfer identifiziert haben. Die Angaben lassen sich nicht verifizieren, das Militär dementiert sie jedenfalls. Ein Armeesprecher betont, dass es stets Menschen seien, die die Letztkontrolle bei der Auswahl von Angriffszielen hätten. Sechs Offiziere, die mit Reportern von +972 sprachen, stellen es anders dar: Sie stammen laut Reporter Yuval Avraham alle der Militärgeheimdienst-Einheit 8200, die für Informationssammlung und Datenverwertung zuständig ist. Gospel und Lavender wurden von dieser Einheit entwickelt, ihre Listen dienen Militäreinheiten als Basis ihrer Einsatzplanung.

Nach einer Anfangsphase in diesem Krieg habe die Armee die Listen stichprobenartig überprüft, sagt Avraham. Man sei zum Ergebnis gekommen, dass Lavender in zehn Prozent der Fälle falschgelegen sei und Zivilisten irrtümlich als Terroristen markiert habe. Unter tausend von der Armee getöteten Personen seien demnach hundert unschuldige Zivilisten gewesen – doch die Armee soll diese Fehlerquote als "ausreichend gering" erachtet haben. Von da an, so erzählen die anonymen Quellen, habe man der KI dennoch für einige Wochen mehr Freiraum gelassen.

Grund für die hohen Opferzahlen war laut den Offizieren eine Richtlinienänderung, und diese machte den Einsatz der KI erst notwendig. Das bestätigt dem STANDARD auch ein Reservist, der anonym bleiben möchte: Während es vorher strengere Regeln für den Beschuss von Privathäusern gegeben habe, sei man diesmal legerer, sagt er. Jetzt sei es möglich, auch Mitglieder der unteren Hamas-Ebenen in deren Privathäusern zu töten. Da Präzisionsschläge in so großer Zahl vergleichsweise teuer seien, habe man sich oft für "dumb bombs" ("dumme", also keine "smarte" Bomben) entschieden, die große Streueffekte haben. Sie töten mit jeder gesuchten Person immer auch eine größere Anzahl Unschuldiger.

Schneller als der Mensch
Solche Vorwürfe werden von der Armee dementiert. Ein Vergleich der aktuellen Opferzahlen mit den Toten in früheren Gazakriegen legt aber nahe, dass man diesmal von einer geringeren Präzision ausgehen muss. Im Krieg 2014 kamen in Gaza 2300 Menschen ums Leben – in 49 Tagen. Im aktuellen Krieg gab es im gleichen Zeitraum 15.000 Tote. Die israelische Armee erklärte nach 27 Kriegstagen, man habe 12.000 militärische Ziele getroffen – also 444 pro Tag. 2014 waren es derer 164.

KI-Befürworter argumentieren, dass diese präziser und weniger fehleranfällig sei als menschliches Kalkül. Ein Algorithmus könne aus vielen Daten Schlussfolgerungen ableiten. Ein Mensch hingegen verarbeite nur ein paar Komponenten, bis er zu einer Entscheidung kommt – und dafür brauche er viel länger. Im Krieg, wo jede Sekunde zählt, biete KI entscheidende Vorteile. Wenn aber die Letztentscheidung, wie von der israelischen Armee betont wird, immer bei einem Menschen liegt, gibt es zwei mögliche Szenarien: Entweder passt sich der Mensch der Maschine an – was die Frage aufwirft, wie zuverlässig eine solche Kontrolle überhaupt sein kann. Oder aber: Die von der KI vorgelegten Daten werden tatsächlich akribisch verifiziert. Dann verlangsamt man aber den Prozess – und macht den entscheidenden Vorteil der KI zunichte.

Kritiker bemängeln, dass KI bloß Pseudo-Objektivität vortäusche: Jeder Algorithmus sei so voreingenommen wie die Menschen, die ihn programmiert haben. Zudem gebe es kaum Regeln dafür, was KI darf und was nicht, da diese immer erst mit einiger Verzögerung an die technischen Möglichkeiten angepasst werden. Gaza ist also eine Art Testlabor: nicht nur für die Rüstungsentwicklung, sondern auch für das internationale Kriegsrecht. Darüber wird auch bei einer am Montag in Wien beginnenden internationalen Konferenz zu autonomen Waffensystemen diskutiert werden.
(Maria Sterkl aus Jerusalem, 29.4.2024)
Israels Krieg im Gazastreifen als Testlabor für Künstliche Intelligenz
 
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