Österr. Nationalbibliothek - Bildarchiv und Grafiksammlung

josef

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#1
Bildgedächtnis der Republik

Link: Bildarchiv Austria

BILDARCHIV UND GRAFIKSAMMLUNG
Österreichs dickstes „Fotoalbum“
Die turbulente Geschichte Österreich von der Monarchie bis zur Gegenwart ist in Millionen Fotografien verewigt worden. Verwahrt werden diese in Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB), dem „Bildgedächtnis der Republik“. Heute ist es einfacher denn je, sich dort in die Bilderflut der Geschichte zu stürzen – und dabei Unentdecktes zu finden.
Online seit heute, 7.26 Uhr
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Die Institution auf dem Wiener Heldenplatz kümmert sich um die – teils unter außergewöhnlichen Umständen entstandenen – Lebenswerke von bedeutenden österreichischen Fotografen und Fotografinnen. Diese haben mit ihren Aufnahmen Ausschnitte der Welt von gestern auf Dauer erhalten, das Bild Österreichs geprägt, nicht selten ihre eigenen Biografien mit der Politik verwoben und manchmal auch mitbestimmt. Ihre Werke begegnen uns bis heute, in Filmen, Dokus und Büchern, in Schule und Uni, Ausstellungen und den Medien.

Will man Österreichs (visuelle) Geschichte erkunden, führt an Bildarchiv und Grafiksammlung kein Weg vorbei. In den Speichern finden sich „mehr als drei Millionen visuelle Objekte, darunter mindestens zweieinhalb Millionen Fotografien, Negativfilme, Glasplatten, Vintageprints und historische Abzüge“, so Bildarchiv und Grafiksammlungsdirektor Hans Petschar zu ORF.at. Sie werden dort digital und analog verwahrt und Öffentlichkeit und Forschung zur Verfügung gestellt.

Fotostrecke
ÖNB/Erich Lessing
Jubelnde Menschen bei der Unterzeichnung des Staatsvertrags. Erich Lessing, ÖNB, 1955.
ÖNB
Das Riesenrad in der Wiener Nachkriegslandschaft. Yoichi Okamoto, ÖNB, 1945.

ÖNB/Lucca Chmel
Architektur auf dem Flughafen Wien-Schwechat. Lucca Chmel, ÖNB, 1960.

ÖNB
Dirigent Leonard Bernstein im Wiener Musikverein. Margret Wenzel-Jelinek, ÖNB, 1985.

.ÖNB
Lamabildnis aus der Kunstsammlung von Kaiser Ferdinand I. von Österreich. Franz Krammer, ÖNB, 1828.

Die Bandbreite der Sammlung ist enorm und reicht von Meisterwerken der Grafik und Druckgrafik bis in die frühen Tage der Fotografie zurück. Zu verdanken ist das unter anderem der Habsburger Hofbibliothek und der privaten Bibliothek des damaligen Herrscherhauses. Sie sammelten bemerkenswerte Aufnahmen zu Stadtleben, Alltag und Architektur in verschiedenen Winkeln der Monarchie, zudem Tausende Porträts aus dem Kaiserhaus.

Fotostrecke mit 3 Bildern
ÖNB/Ludwig Angerer
Elisabeth, Kaiserin von Österreich. Ludwig Angerer, ÖNB, 1860.
ÖNB
Der 35-jährige Kaiser Franz Joseph. Ludwig Angerer, ÖNB, 1865.

ÖNB
Propagandabilder zum Gebirgskrieg, Standpunkt Cercen-Spitze. K.u.k. Kriegspressequartier, ÖNB, 1918.

Die Hofbibliothek legte auch den Grundstock für eine der weltweit wichtigsten Bildsammlungen zum Ersten Weltkrieg – und wurde dabei zur Vorreiterin in Sachen Crowdsourcing. „Die Bibliothek war eine der ersten, die öffentlich zur Sammlung von Dokumenten zum Krieg aufgerufen hat“, so Petschar. Gekommen seien „Plakate, Postkarten, aber auch Fotografien. Diese wurden großteils von Heeresfotografen an den Kriegsschauplätzen der Monarchie hergestellt – und dann für Propaganda verwertet“.

Ganz andere, wesentlich glamourösere Blicke auf diese Zeit erlauben später eingegliederte Sammlungen – etwa die Gesellschaftsporträts der später von den Nationalsozialisten vertriebenen Starfotografin Madame d’Ora, die ab 1907 als eine der ersten Frauen höchst erfolgreiche Fotostudios in Wien und Paris betrieb und die Reichen und Schönen Europas porträtierte. Nach dem Krieg widmete sie sich Sozialreportagen und fotografierte etwa Schlachthäuser. Infolge eines Unfalls verlor sie ihr Gedächtnis, sie verstarb 1963 in der Steiermark. Ähnlich faszinierend wie diese bewegte Lebensgeschichte sind auch die rund um 1910 entstanden Farbaufnahmen des Amateurs Heinrich Kühn, die ebenfalls im Bildarchiv liegen.

Fotostrecke mit 2 Bildern
ÖNB
Im Autochromverfahren angefertigte Farbaufnahme der Familie Kühn. Heinrich Kühn, ÖNB, 1912.
ÖNB
Die Wiener Autorin und Salonniere Berta Zuckerkandl-Szeps. Atelier Madame d’Ora (Dora Kallmus), ÖNB, 1908.

400.000 Fotos aus der Zeitgeschichte
Mit dem Zusammenbruch der Monarchie verschwand die Hofbibliothek organisatorisch und namentlich, doch die Sammlungstätigkeit ging weiter – und dabei wurde laut Petschar „das Thema der Dokumentarfotografie sehr stark weiterverfolgt“. Mehr als 400.000 Fotos aus unterschiedlichen Beständen widmen sich der Zeit nach 1918, dem Zweiten Weltkrieg und der NS-Zeit sowie den ersten Jahrzehnten der Zweiten Republik.

Diese Jahre waren auch für die österreichische Pressefotografie eine Zeit voller Brüche. Das Fach emanzipierte sich von der Atelierfotografie, wurde zu einem eigenständigen Metier. Es bildete sich ein Bildjournalismus heraus, der laut dem Historiker Otto Hochreiter internationales Format erreichte.
Ein Grund dafür ist gewiss, dass die Fotografinnen und Fotografen während der Zwischenkriegszeit und dem Dollfuß-Schuschnigg-Regime relativ frei arbeiten konnten. Auch den Aufstieg der Nazis vermochten die österreichischen Pressefotografen aus einem eigenen Blickwinkel zu dokumentieren – denn die späteren Eingriffe der NS-Propagandamaschine hielten sich noch in Grenzen.

Fotostrecke
ÖNB
Der Wiener Justizpalastbrand am 15. Juli 1927. Weltbild, ÖNB, 1927.
ÖNB
Szenen des nationalsozialistischen Juli-Putsches vom 25. Juli 1934, die Polizei vor dem besetzten RAVAG-Gebäude. Fotograf unbekannt, ÖNB, 1934.

Fotografen in Mühlen der Diktatur
Doch letzten Endes ließ der „Anschluss“ im März 1938 nicht nur die Presse, sondern auch die Fotografie in den Mahlstrom der Diktatur geraten. Jüdischen Fotografen und Fotografinnen wurde sofort die Berufsausübung verboten, rund ein Zehntel der Berufsgruppe war betroffen. Fast alle von ihnen gingen ins Exil, wurden Opfer von Vertreibung, Raub, Enteignung und Verfolgung. Die Presse und damit auch die Fotografie wurden gleichgeschaltet.

Gleichzeitig gab es Fotografen, die ihre Karrieren erfolgreich weiterführten, sich mit dem Regime arrangierten oder diesem auch dienten. Auch ihre propagandistischen Aufnahmen werden von Bildarchiv und Grafiksammlung gezeigt. Man wolle versuchen, „so gut wie möglich alle Bestände, die wir haben, zur Verfügung zu stellen. Ohne Einschränkungen, auch ohne ideologische oder inhaltliche. Das ist Aufgabe einer Bibliothek“, so Petschar.

Reporter als „Stratege des Kalten Kriegs“
Mit 1945 kam auch die langsame „Wiederbelebung“ der freien Fotografie. In deren Erforschung haben Bildarchiv und Grafiksammlung sowie Forscherinnen und Forscher anderer Institutionen jüngst viel Energie gesteckt – dank mehrerer Coups. So kam man in Besitz jener Aufnahmen, mit denen die US-Besatzungsmacht bzw. ihre Propagandastelle USIS zwischen 1945 und 1955 in Österreich Bildpolitik machte.

Wenig später tauchte dann das verschollen geglaubte Privatarchiv des USIS-Chefs und späteren „White House“-Fotografen Yoichi Okamoto auf. Er fotografierte das Österreich der Nachkriegszeit und war „ein wichtiger Stratege des Kalten Krieges. Er hat festgelegt, wie die Bildpolitik der Amerikaner aussehen soll, vor allem gegenüber den Sowjets. Gleichzeitig war er selbst auch ein wichtiger, künstlerisch begabter Fotograf“, so Petschar. Für 2023 plant die ÖNB eine große Ausstellung zu Okamotos Werk.

Fotostrecke
ÖNB
Wiener Straßenszene. Yoichi Okamoto, ÖNB, 1952.
ÖNB
Nonnen beim Katholikentag am Wiener Heldenplatz. ÖNB, Yoichi Okamoto, 1952.ÖNBPorträt der Choreografin Erika Hanka. Yoichi Okamoto, ÖNB, 1954.

Die Krux mit dem Nachlass
Das Interesse des Archivs endet allerdings nicht „mit der Farbfotografie“, es erstreckt sich in die Gegenwart und Zukunft. Seit 2000 wird systematisch versucht, Fotosammlungen zu erwerben und aktiv mit derzeit tätigen Pressefotografinnen und Pressefotografen zusammenzuarbeiten. Derzeit legt man dabei einen Fokus auf Zeit von den 1970er Jahren bis heute.

Das hat ganz praktische Gründe, so Petschar: „Bis in die 1990er Jahre hat die Sammeltätigkeit so ausgesehen, dass man Nachlässe von bereits verstorbenen Fotografen erworben hat. Das sind natürlich wichtige Nachlässe, aber sie haben den Nachteil, dass ihre Schöpfer keine Informationen mehr zu den Aufnahmen geben konnten.“ Dieser Punkt ist für die Tätigkeit von Bildarchiv und Grafiksammlung zentral, denn zur korrekten Archivierung nach Bibliotheksstandards gehört die Kontextualisierung. Wer ist auf einem Bild zu sehen, wann und wo wurde es geschossen?

Ein Problem bleiben bis heute auch die „dunklen Jahre“ der Fotografie – eine Folge des Übergangs von der Analog- auf die Digitaltechnik. Diese bahnbrechende Umwälzung hatte oftmals zwei wenig erfreuliche Auswirkungen: einerseits vergessene und vernachlässigte Analogarchive, andererseits unsystematische digitale Bildersammlungen, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Diese Jahre haben ein Loch ins Bildgedächtnis der Jahrtausendwende gerissen, das bis heute klafft.

Lücke der Gegenwart schließen
Um ähnliche Lücken zur Gegenwart zu vermeiden, konzentriert man sich derzeit also darauf, noch tätige Pressefotografen und -fotografinnen an Bord zu holen. Gemeinsam mit ihnen werden einerseits die Archive aufgearbeitet, andererseits auch gegenwärtig produziertes Bildmaterial übernommen. Derzeit arbeite man mit freiberuflichen Fotografen wie jüngst mit Klaus Titzer zusammen, zudem werden laufend ausgewählte Werke von Fotografinnen und Fotografen der Austria Presse Agentur (APA) archiviert, die Österreichs Medien tagtäglich mit Bildmaterial versorgt. Dieses Bildmaterial wird vor allem der Forschung zur Verfügung gestellt und nicht verwertet.

Fotostrecke
Klaus Titzer
Soldaten am Roten Platz in Moskau. Klaus Titzer, ÖNB, 1988.
Klaus Titzer
Rumänische Revolution, Soldat in Bukarest. Klaus Titzer, ÖNB, 1989.

Klaus Titzer
US-Präsident Ronald Reagan hält eine Rede vor einer Lenin-Statue in Moskau. Klaus Titzer, ÖNB, 1988.

Klaus Titzer
Männer stehen auf einem Panzer der jugoslawischen Armee bei Pesnica in Slowenien. Klaus Titzer, ÖNB, 1991.

ÖNB/Margret Wenzel-Jelinek
Bundeskanzler Bruno Kreisky, Margret Wenzel-Jelinek, ÖNB, Datum unbek.

Welt ertrinkt in Bilderflut
Dabei tut sich derzeit ein ganz anderes Problem auf – nämlich die Bilderflut, in der die Welt dank Smartphones und Digitaltechnologie ertrinkt. Welche Fotos schaffen es nun, nachhaltig und für die Ewigkeit in Österreichs „Bildgedächtnis“ einzugehen? Bei der Archivwürdigkeit spielen „verschiedene Komponenten“ eine Rolle, so Petschar – etwa die technische und ästhetische Güte der Aufnahmen, die Qualität der Dokumentation und – bei analogem Material – auch der physische Zustand. „Wichtig ist zudem: Welche Themen werden abgedeckt, und stehen sie im Einklang mit den Sammelaufgaben der Nationalbibliothek?“

Diese Selektion tut Not, denn längst stehe man vor „einer Flut an digitalen Daten, die wir produzieren und die vom Menschen nicht mehr verarbeitet werden kann. Man wird in Zukunft sehr viele neue Tools wie Artificial Intelligence und automatische Bilderkennung benötigen, um riesige Datenbestände durchforschen und verwalten zu können. Am Ende wird dann die Frage stehen, wie sich diese neuen Methoden mit der klassischen Forschung und Lehre kombinieren lassen.“ Denn die Vermittlung der Materialität historischer Bilder – vom Holzstich bis zur Fotoplatte – sei in Zeiten der Digitalisierung eine besondere Aufgabe.

Sammeln, Vermitteln, Forschen
Ob neues oder altes Bildmaterial, ob Zukunft oder Gegenwart: Ein Grundprinzip des Archivs müsse dessen Offenheit bleiben, so Petschar. Man agiere nach den Prinzipien Sammeln, Vermitteln und Forschen, diese Begriffe hingen „untrennbar zusammen“: „Ohne eine systematische Sammeltätigkeit hat die Forschung keine Grundlage, und ohne Vermittlung steht die Forschung im luftleeren Raum. Dann erreicht sie nicht die Bevölkerung und die Öffentlichkeit, der wir ja dienen.“

Dabei forschen Bildarchiv und Grafiksammlung nicht nur selbst, man holt auch andere Institutionen ins Boot. Immer wieder ergeben sich so Publikationen – zuletzt etwa der Sammelband „Visual Histories of Austria“, der unter anderem in Kooperation mit dem Austrian Marshall Plan Center for European Studies in New Orleans entstanden ist und Bildgeschichten im Österreich des 19. und 20. Jahrhunderts dokumentiert. Ein zentrales Ergebnis sind auch immer wieder Ausstellungen, die vom Bildmaterial leben, zuletzt etwa „Des Kaisers schönste Tiere“.

Die Sammlung richtet sich vor allem an die Öffentlichkeit. Wer nicht selbst auf dem Heldenplatz forschen kann oder will, für den wird die Digitalisierung zum Segen. Während der Pandemie hat das Archiv seinem Onlineportal eine Frischzellenkur verpasst, rund 1,2 Mio. digitale Objekte sind im Digitalen Lesesaal der ÖNB und 400.000 Bilder im Bildportal „Bildarchiv Austria“ abrufbar. So kann man komfortabler denn je von der Couch aus im „Fotoalbum der Republik“ versinken.
26.10.2022, Saskia Etschmaier, ORF.at
Bildarchiv und Grafiksammlung: Österreichs dickstes „Fotoalbum“
 
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