Österreichische Automobilindustrie nach Zerfall der Donaumonarchie

josef

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foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Taxistandplatz Wiener Graben 1911

Alle Räder stehen still
Im November 1918 schwiegen die Waffen, der Weltkrieg war beendet. Die Donaumonarchie zerfiel in ihre Nachfolgestaaten, die bisher grenzenlose Automobilproduktion kam zum Erliegen.

Der Neubeginn war holprig
Im November 1918 war der Kampfruf der sozialistischen Arbeiterschaft – "Alle Räder stehen still" – im abgewandelten Sinn zum Menetekel der Automobilindustrie in der untergehenden Monarchie geworden. Im Originaltext heißt es "wenn Dein starker Arm es will", in den trüben Spätherbsttagen wäre die Variante "wenn das Diktat der Sieger es will" treffender gewesen.

Das Kraftfahrzeug war ab etwa 1900 zu einem Motor der technischen Entwicklung geworden, in Deutschland, England, Frankreich, den USA, Italien, nicht minder auch in der Monarchie schossen Autofabriken aus dem Boden.

Skoda und Tatra
Zwei Schwerpunkte zeichneten sich hier ab: der Großraum Wien und das heutige Tschechien mit der prominenten Marke Laurin & Klement in Jungbunzlau. Unter dem Markennamen Skoda ab 1925 ist sie die einzige Überlebende aus der großen Schar der K.-u.-k.-Automobilhersteller. Die Nesselsdorfer Wagenbau Fabrik in Böhmen brachte zwar 1897/98 ihr erstes Auto (Präsident) heraus, doch der Schwerpunkt lag auf dem Bau von Eisenbahnwaggons. 1924 mutierte diese Firma zu Tatra, als der große Autopionier Hans Ledwinka seine erste Kreation vorstellte.

Zurück nach Österreich, nach Wien und seinem weiteren Umfeld. Marken kamen, Marken gingen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, manche davon sind aber den vielen Interessierten der Mobilitätsentwicklung noch heute ein Begriff: Gräf & Stift, Österreichische Fiat-Werke, Steyr Waffenfabrik, Ing. Rudolf Perl, Fross-Büssing, Saurer Werke, Österreichische Daimler Motoren AG mit Ferdinand Porsche als Chef, Johann Puch AG in Graz, Wiener Automobilfabrik, die Lohner Werke, die Firma Raba in Raab (Györ), die damals schon Nutzfahrzeuge baute.

Lasterbedarf
Der Kriegsausbruch schlug im wahrsten Sinn des Wortes in der Branche wie eine Bombe ein. Die Armee gierte nach Lastern, dem Sofortbedarf von 8000 Einheiten standen im gesamten Staatsgebiet 3800 Stück mit teilweise mangelnder Mobilität gegenüber. Schon in Friedenszeiten erfreute sich der sogenannte Subventions-Lkw mit drei Tonnen Nutzlast, beachtlicher Steigfähigkeit und 800 mm Wattiefe einer gewissen Popularität, denn sein Einkauf wurde mit 4000 Kronen subventioniert. Bei Kriegsbeginn wurden sie inklusive Fahrer zur Armee eingezogen.

In Windeseile stellten alle auf Militärproduktion um, bei Austro Daimler stieg die Beschäftigungszahl von 780 auf 5500, 1250 Mitarbeiter hatte Gräf & Stift, doppelt so viele wie vor dem Krieg.

Die Katastrophe vom November 1918 bedeutete nicht nur Arbeitslosigkeit für unzählige Arbeiter, auch die traditionellen Märkte gingen mit einem Schlag verloren, denn die Siegermächte verboten Deutschösterreich im Vertrag von St. Germain den Export in die ehemaligen Kronländer. Für die Tschechoslowakei galt dies nicht, da sie nach Diktion der Entente als Siegernation galt – die Tschechische Legion, aus Deserteuren und Überläufern der K.-u.-k.-Armee rekrutiert, hatte ja auf russischer Seite gegen Österreich gekämpft.

"Jetzt erst recht"
In diesen heiklen Monaten nach Kriegsende kam in der heimischen Autoindustrie ein Geist nach dem Motto "Jetzt erst recht" zum Tragen. Die Generation danach baute mit identischer Motivation Österreich nach 1945 wieder auf.

Jedenfalls, die überflüssigen Militärfahrzeuge wurden 1919 im Stil eines Flohmarktes rund um die Wiener Rotunde verschleudert, freiwillige Feuerwehren, das Gewerbe und die Rettungsgesellschaften konnten sich billig mit erstklassigem Material eindecken. Wie schwer der Neustart war, soll dieses Beispiel dokumentieren. Vor 1918 lieferte die Monarchie neben Gesamtfahrzeugen alle Teile zur Fahrzeugproduktion: Laurin & Klement Rahmen, Kühler, Federn; Daimler Wiener Neustadt Motoren; Saurer Vorderachsen mit Rädern und Kotflügeln; Gräf & Stift Hinterachsen samt Rädern; Fiat Kupplungen und Getriebe; Johann Puch Armaturen.

Überlebenskampf
Das war jetzt alles vorbei, jeder einzelne Hersteller kämpfte mit unterschiedlichsten Ergebnissen ums Überleben. Gräf & Stift baute gesuchte Autobusse, der im Krieg entwickelte Sechszylinder fand seinen Weg in Luxusautos des neuen Geldadels der Kriegsgewinnler. Fünf Feuerlöschboote, für die Marine in Pola bestimmt, wurden zu eleganten Jachten umgebaut, Teststrecke: Donaukanal. Austro Fiat entwickelte die Zugmaschine Elefant, die sogar zwei Anhänger mit Holzstämmen ziehen konnte, dazu kam ein acht Meter langer Motorpflug mit Holzgasantrieb (!).

Austro Daimler, unter Leitung von Ferdinand Porsche, präsentierte Draisinen, z. B. für die Stubaitalbahn, auch die ersten Rennwagen standen bereit: Die Firma Perl in Auhof bediente mit einem leichten Sportzweisitzer (Holzrahmen) eine neue Klientel, nennenswert ist die Entwicklung eines Elektrotraktors. Aber auch Laurin & Klement spürte die schwierige wirtschaftliche Nachkriegslage, obwohl die Firma mit internationaler Präsenz keine Probleme hatte. Die Belegschaft von 1470 Menschen musste beschäftigt werden, die Landwirtschaft freute sich über die Excelsior-Pflüge, die auch andere Maschinen antreiben konnten. Zwei Pkw-Typenreihen setzten dann die Vorkriegstradition fort.

Das große Know-how der Firma Lohner im Bereich Flugzeugbau endete unter den Hämmern der Alliierten, die Österreich jeden Bau von Flugzeugen verboten. Aus den bestens ausgerüsteten Hallen wurden Servicewerkstätten für Fahrzeuge jeder Art.

Doch im Laufe der folgenden Jahrzehnte schrumpfte die Zahl der Automobilhersteller von 1918, bis ihre Namen Geschichte wurden. Steyr-Daimler-Puch heißt heute Magna, die Historie von Gräf & Stift wird bei MAN in Liesing gepflegt, Austro-Fiat, Austro-Daimler sind Vergangenheit, Perl verschwunden, und die Marke Lohner lebte nach 1945 zeitweilig als Motorroller.
(Peter Urbanek, 9.11.2018)

Foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Auto der Reichenberger Automobil Fabrik (RAF) 1909 (fusionierte 1912 mit Laurin & Klement, heute Skoda)


foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Erzherzog Friedrich 1902 auf Wr. Neustädter Daimler-Lkw


foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Erstes Nesselsdorfer Automobil Präsident 1898 (Tatra-Vorläufer)


foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
WAF-Portfolio (Wien) 1912 bis 1930


foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Perl-Cyclecars 1922 (Wien)


Foto: orac verlag (aus dem buch 'österreichische automobilgeschichte 1815 bis heute')
Achtzylinder-SP8-Gräf-&-Stift 1930.

Alle Räder stehen still - derStandard.at
 
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