90 Prozent der ehemaligen Wasserfläche des Aralsees sind verschwunden...

josef

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#1
EIN SEE VERSCHWINDET
Ökologische Katastrophe am Aralsee nimmt kein Ende
Einst war der Aralsee der größte See in Zentralasien. Rettungsmaßnahmen kommen laut Experten nur "teelöffelweise" an, Hilfsprojekte seien nicht koordiniert

Der Rückgang des Sees zeichnet traurige Bilder in Usbekistan, nahe der Stadt Moʻynoq.
Foto: imago/imagebroker

"Man kann zuschauen, wie das Meer verschwindet" – so lauten die drastischen Worte von Wadim Sokolow. Er leitet den Internationalen Fonds zur Rettung des Aralsees. Nun kritisierte er in der Hauptstadt Taschkent in der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Usbekistan die Maßnahmen, die das einst größte Gewässer Zentralasiens retten sollen. Es gebe international viele "schöne Projekte auf dem Papier", aber kaum Geld, obwohl dies versprochen sei. "Das Geld kommt teelöffelweise", sagte Sokolow der Deutschen Presseagentur.

Zwei Millionen US-Dollar (1,77 Millionen Euro) erhalte der staatliche Fonds pro Jahr. 400 Millionen US-Dollar aber seien allein erforderlich, um die nötige Infrastruktur zu bauen, damit der Status quo des Sees erhalten bleiben könne. Übrig seien heute noch zehn Prozent der ursprünglichen Fläche des Aralsees, der einmal zu den vier größten Binnenseen der Erde gehörte. Der Aralsee ist ein Salzwassergewässer, das auch als Binnenmeer bezeichnet wird.

90 Prozent verschwunden
Es gebe Dutzende Organisationen, darunter die Weltbank, die Vereinten Nationen, die US-Entwicklungshilfe USAID und die Europäische Investitionsbank sowie unzählige Projekte und Hilfsprogramme für den Aralsee, sagte Sokolow. Aber es fehle an Koordination, die Arbeit müsse aufeinander abgestimmt werden. Es gebe viel Aktionismus, aber kaum echte Hilfe, meinte er.


Wo früher der Hafen war, stehen nun verrostete Boote in der Wüste Aralkum – bezeichnet nach dem Rückgang des Aralsees. 1950 lag dessen Oberfläche noch bei 65.600 Quadratkilometern, Mitte der 2010er-Jahre war der stark fragmentierte See bei etwa 8.000 Quadratkilometern.
Foto: Michael Runkel/ imago / robertharding

Einst hatte der See eine Fläche von rund 69.000 Quadratkilometern – fast so groß wie Bayern. Mit seinen rund 1080 Kubikkilometern Wasser habe das Binnenmeer eine klimaregulierende Funktion gehabt. 90 Prozent des Gewässers seien heute verschwunden. Um den aktuellen Stand zu erhalten, sagte Sokolow, müssten sieben bis elf Kubikkilometer Wasser pro Jahr in das Becken fließen. "Wir haben gerade einmal zwei Kubikkilometer, also nicht einmal ein Drittel." Ein Kubikkilometer sind 1.000 Milliarden (oder eine Billion) Liter Wasser.

"Größte ökologische Katastrophe"
2017 meinte UN-Generalsekretär António Guterres bei einem Besuch in der Region zum Sterben des Aralsees: "Das ist wahrscheinlich die größte ökologische Katastrophe unserer Zeit." Mit Blick auf den weltweiten Klimawandel warnte er damals, dass sich das Phänomen an anderen Orten der Erde wiederholen könne.
Guterres sagte auch, dass die Lage um den Aralsee nicht zuletzt Mahnung sei, die Vereinbarungen des Pariser Klimagipfels umzusetzen. Die diesjährige Klimakonferenz von Glasgow (COP 26) steht in der Kritik, nur kleine Schritte in diese Richtung unternommen zu haben. Im Jahr 2022 steht die COP 27 im ägyptischen Scharm el-Scheich an.
(APA, red, 31.12.2021)
Ökologische Katastrophe am Aralsee nimmt kein Ende
 
#3
In Kasachstan wurde ein Damm gebaut um den wieder zu füllen, auf der Usbekischen Seite will man das nicht, weil es Bohrfelder für Gas im ausgetrockneten Teil gibt.

ist skuril wenn man dort fährt und die vielen Fischerboote im weißen versalzten Sand liegen sieht

 

josef

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#4
KATASTROPHEN-TOURISMUS
Eine Dark-Tourism-Tour zum traurigen Rest des Aralsees
Der Aralsee war eines der größten Binnengewässer der Erde, heute ist er weitgehend ausgetrocknet. Touristen kommen, um die ökologische Katastrophe zu begutachten
Mohammed umklammert mit seinen Händen das Lenkrad des Jeeps und brettert zur Italo-Pop-Playlist über staubigen usbekischen Steppenboden. Wo jeder andere verloren wäre, erkennt der Fahrer im Immergleichen vage Pfade. Nur manchmal schaut er in den Rückspiegel, erzählt etwas, und wenn er dabei lacht, blitzt sein Goldzahn auf. Sonst läuft nur seine Playlist als Begleitsoundtrack zur Wüste. Das Ziel: der Aralsee, der inzwischen durch einen Damm zweigeteilt in Usbekistan und Kasachstan liegt.


In der Wüste vor dem ehemaligen Hafen von Moynaq rosten Fischerboote aus dem Aralsee pittoresk vor sich hin.
Foto: Getty Images/Laszlo Mates

Einst zählte der See zu den größten Binnengewässern der Welt. Heute ist er eines der bekanntesten Ziele für Dark Tourism, also Katastrophentourismus. Zu begutachten gibt es hier eine ökologische Katastrophe, weil Ende der 1950er-Jahre der zentralasiatische Vielvölkerstaat Teil der Sowjetunion war. Damals kamen die Sowjets auf die Idee, in Usbekistan in großem Stil Baumwolle anzubauen. Dafür wurde Wasser gebraucht. Zu viel Wasser. Und weil über die beiden großen Flüsse Amudarja und Syrdarja nicht mehr genug zufließen konnte, begann der große Aralsee zu schrumpfen. Er wird bis heute – anders als der wiederbelebte Aral-Rest auf kasachischer Seite – immer noch von Jahr zu Jahr kleiner. War er einst so groß wie Irland, sind heute gerade einmal zehn Prozent davon übrig. Weil sich das Ufer weit zurückgezogen hat, dauert es im Jeep fast einen Tag, dorthin zu gelangen. Es ist ein knapp 400 Kilometer langer Trip – ein wilder Rüttelritt.

Hinter Nukus, der Hauptstadt der autonomen Republik Karakalpakistan in Usbekistan, ist noch alles asphaltiert. Schon bald gibt es allerdings keine Straßen mehr. Dann geht es einfach offroad weiter. Quersteppenein. Die Fenster bleiben zu, weil es staubt. Immer wieder hält Mohammed für kurze Pausen, einmal am Sudochie-See. Idyllisch wiegt sich das Schilf in der Brise unter der knallenden Sommersonne. Vögel gleiten durch die Luft. Entfernt brummt ein Motorboot in der Stille. Früher war hier das Fischerdorf Urga. Das ist längst verlassen. Auf einer Ruine steht "Herzlich willkommen" auf Russisch. An diesem Tag sind nur ein paar Soldaten hier, die in diese Abgeschiedenheit rausfahren, um zu fischen, zu jagen und zu trinken.

Touristen-Jurten im Nirgendwo
Vom Sudochie-See dauert es noch einmal drei Stunden bis zum Ziel. Erst am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, trifft der Jeep in Ufernähe ein. Aktuell lebt dort niemand mehr. Nur hin und wieder suchen Touristen, die abenteuerfreudig genug sind, diese abgelegene Gegend auf. Für sie wurde ein komfortables Jurten-Camp errichtet – inklusive Toiletten, Duschen und Gemeinschaftszelt, in dem abends das usbekische Nationalgericht auf den Tisch kommt: Plov, eine Art Reisfleisch.

Der Sonnenaufgang am nächsten Morgen ist traumhaft. Wie das Dunkelblau des Himmels auf das wellige Blau des Aralsees darunter trifft; wie die aufgehende Sonne präzise einen rot-goldenen Streifen über den Horizont zieht. Ganz so, als würde vom See ein geheimnisvolles Glimmen ausgehen. Doch die Optik ist trügerisch. Auch in diesem Moment setzt sich eine bereits Jahrzehnte andauernde Umweltkatastrophe fort: ein Öko-Albtraum, der sich schleichend, aber mit weitreichenden Auswirkungen entwickelt.


Am ausgetrockneten Boden des Aralsees haben sich Canyons gebildet, die Wanderer anziehen.
Foto: Sascha Rettig

Aus der Distanz des Touristencamps betrachtet, wirkt der See wegen der sommerlichen Hitze einladend. Aus nächster Nähe betrachtet hingegen, sieht das direkt am Ufer allerdings schon wieder ganz anders aus. Wer kühn genug ist, geht trotzdem rein zum Baden. Schon der Weg ist beschwerlich. Zunächst muss man durch dicken, stinkenden, schwarzen Schlamm stapfen, bis man tief genug im Wasser steht. Wenn man sich dann rücklings ins nasse Ungewisse gleiten lässt, merkt man: Untergehen ist kaum möglich. Wie im Toten Meer treibt man an der Oberfläche. Denn durch die Austrocknung ist die Salzkonzentration des Aralsees um ein Vielfaches gestiegen – was unter anderem für massives Fischsterben sorgte. Auch durch chemische Rückstände aus der Landwirtschaft ist das Wasser belastet.

Baden mit Unbehagen
Die "Insel der Wiedergeburt" ist ein besonders düsterer Platz an diesem traurigen Ort. Hier haben die Sowjets einst ein Labor eingerichtet und Experimente mit chemischen und bakteriologischen Waffen machten. Bis heute soll die Umgebung mit Krankheitserregern wie Milzbrand verseucht sein. Die inzwischen verlandete Insel ist zwar weit genug weg von den Touristen entfernt. Trotzdem erzeugt das Kopfkino beim Baden Unbehagen. Zurück an Land wird man unter den Blicken eines alten Mannes, der auf einem rostigen Bettgestell hockt, mit Wasser abgespritzt, um den hartnäckigen, stinkenden Schlamm von der Haut zu bekommen.

Nur eine Nacht verbringt die Gruppe im Camp, dann geht die Fahrt auf einer anderen Route zurück – mit einem Schlenker über ein Plateau entlang des Ufers und einer Wanderung durch eine canyonartige Landschaft mit Blick aufs Wasser. Danach muss Fahrer Mohammed den Jeep hochkonzentriert, weil offroad in die ehemalige Hafenstadt Moynaq manövrieren. Stunden über Stunden geht es wild rumpelnd über den früheren Grund des Sees.


Ein altes Ortsschild von Moynaq mit Wellen unter dem Schriftzug unterstreicht die ehemalige Lage am Seeufer.
Foto: Getty Images/Laszlo Mates

Da wo früher Wasser war, ist es jetzt staubtrocken, die einzige optische Abwechslung in der Sandwüste sind Sträucher und Büsche, manchmal sieht man auch Erdgasförderanlagen. Salz und chemische Rückstände von Pestiziden und Herbiziden, die einst aus den Baumwollfeldern im Wasser landeten, werden vom Wind aufgewirbelt. Messungen in der Arktis haben gezeigt, wie weit die Partikel manchmal getragen werden.

Die Austrocknung des Aralsees und die ökologischen Schäden durch belasteten Salzstaub werden in dem kleinen Museum in Moynaq ganz offen thematisiert, was manchen Besucher durchaus überrascht. So wird etwa angesprochen, dass der Anteil an Atemwegsleiden und Krankheiten wie Speiseröhrenkrebs in der Bevölkerung dieser Gegend in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist.

Äußerlich herausgeputzt
Die Stadt selbst, einst auf einer Halbinsel im Aralsee, war lange in einem desolaten Zustand. Erst nachdem der usbekische Präsident 2018 zu Besuch kam, wurden Veränderungen angeschoben. Seitdem wirkt Moynaq äußerlich herausgeputzt: Häuser und Wohnblocks werden gebaut oder renoviert, Straßen asphaltiert. Es gibt ein neues Rathaus, ein Amphitheater, neue Museumsgebäude. "Die Stadt ist jetzt viel moderner – wer sie vor vier, fünf Jahren noch gesehen hat, wird sie kaum wiedererkennen", berichtet die Inhaberin der kleinen Pension Dilbar, die ihre Gäste in Zimmern mit grell gemusterten Dekors beherbergt.


Langsam rosten die Fischerboote vor sich hin in diesem morbiden Mahnmal für die Zerstörung eines Ökosystems.
Foto: Getty Images/Laszlo Mates

Auch die Seepromenade von einst existiert noch. Kaum vorstellbar, dass an dieser Stelle bis in die 1970er-Jahre Seewasser an die Kaimauer schwappte. In der Fischfabrik der Stadt, deren Bevölkerung von rund 30.000 auf 11.000 Bewohner schrumpfte, wurden Millionen Konservendosen abgefüllt, Hunderte Familien lebten von der Fischerei. Als der Wasserspiegel bereits zurückging, wurde Fisch noch hierher transportiert, um ihn zu verarbeiten. Irgendwann wurde die Fabrik trotzdem geschlossen.

Mittlerweile ist die usbekische Kleinstadt, die früher ein beliebtes Ziel von Urlaubern war, von Sand umgeben. Bis zum Horizont ist nichts anderes zu sehen. Eine Wüstenstadt. Überall in der Landschaft verstreut liegen ehemalige Fischerboote, auch im staubigen Boden vor der Promenade. Langsam rosten sie vor sich hin in diesem morbiden Mahnmal für die Zerstörung eines Ökosystems. Nur hie und da kommt eine Gruppe ausländischer Touristen vorbei, um den Verfall mit ihren Kameras festzuhalten.
(Sascha Rettig, RONDO, 14.5.2023)

Infos
Touren zum See: Der Anbieter BesQala aus Nukus hat zwei- und dreitägige Touren zum Aralsee im Programm – mit Übernachtung im Jurten-Camp am Ufer und Aufenthalt in Mynaq.
Reisen nach Usbekistan: Nomad Reisen bietet ab 1.680 Euro unterschiedliche Reisen in kleinen Gruppen nach Usbekistan an oder organisiert individuelle Aufenthalte sowie Fahrten zum Aralsee.
Weitere Informationen über Usbekistan:
www.uzbekistan.travel

Eine Dark-Tourism-Tour zum traurigen Rest des Aralsees
 
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