Auf der neuen archäologischen Plattform Thanados kann man 200 Bestattungsorte nach Fundort, Alter und Grabbeigaben abfragen

josef

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#1
Tausende Gräber zum Selbsterforschen
Auf der archäologischen Plattform Thanados kann man 200 Bestattungsorte nach Fundort, Alter und Grabbeigaben abfragen
Seit dem Sommer 2019 läuft das Projekt "Thanados – The Anthropological and Archaeological Database of Sepultures". Das Akronym ist angelehnt an den Namen des griechischen Gottes des sanften Todes – Thanatos. In diesem Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team von Wissenschafterinnen und Wissenschafter an einer App, um alle publizierten Daten zu frühmittelalterlichen Friedhöfen und Gräberfeldern (circa 6. bis 11. Jahrhundert n.Chr.) im heutigen Österreich zu sammeln und als Open-Data zugänglich zu machen. Dazu werden archäologische Kataloge, welche die Informationen zu Gräbern, Bestattungen und Funden strukturiert dokumentieren, inklusive geografischer Angaben, Plänen und zahlreichen Abbildungen digitalisiert. Die Datenaufnahme erfolgt über die Open-Source-Software OpenAtlas, die vom Team selbst entwickelt wird. Als "Endprodukt" entsteht ein Hybrid aus Google Maps, Pinterest und Wikipedia für mittelalterliche Friedhöfe, allerdings gänzlich basierend auf Open Source-Technologie und freien sowie wissenschaftlich publizierten Daten.


Grab 6 vom Oberleiserberg (NÖ).
Foto: thanados

Wie Online-Dating – nur archäologisch

Heute stehen bereits mehr als 200 Bestattungsplätze mit insgesamt 2486 Gräbern, 2560 Bestattungen und 5733 archäologischen Funden online zum Durchstöbern zur Verfügung. Laufend kommen neue Fundplätze hinzu. Die Datenbasis bilden dabei bereits publizierte Gräberfelder, die vom Thanados-Team digital aufbereitet, auf Englisch übersetzt und nach der Ontologie des CIDOC-CRM strukturiert werden.

Die online verfügbaren Fundorte in Thanados (Stand 1/2021):

Foto: thanados

Für Forschende werden so Recherchen erleichtert und weiterführende Analysen beschleunigt. Für die breite Öffentlichkeit bietet die Plattform einen einfachen Zugang zu archäologischen Daten des frühen Mittelalters mit verschiedensten Suchmöglichkeiten. Neben Kartenansichten stehen auch Visualisierungen, Bilder und Grafiken zu den Gräberfeldern, einzelnen Gräbern, Bestattungen und Funden zur Verfügung. Alle Daten sind georeferenziert und durch sogenannte "persistent identifier" zitierbar sowie mit den Literaturzitaten der ursprünglichen Urheberinnen und Urheber versehen. Ergänzt werden die archäologischen Daten durch Ergebnisse anthropologischer Auswertungen. Thanados vereint sozusagen 150 Jahre Forschungsgeschichte unter einem Dach.


Räumliche Visualisierung des Gräberfelds von Auhof (OÖ).
Foto: thanados

Wie man Frauen mit Goldschmuck und junge Männer mit langem Schwert finden kann
Die Web-App ermöglicht dabei nicht einfach nur das Durchstöbern der Daten. Suchparameter können angegeben werden, um die Suche zu verfeinern – mit einem Augenzwinkern ließen sich hier Vergleiche zu Tinder und Co ziehen. Neben Fundort, Alter und Geschlecht können auch Informationen zu Beigaben oder Details zum Grabbau abgefragt werden. Und wo vorhanden, werden natürlich auch Bilder zur Verfügung gestellt. So ist es etwa möglich, sich sämtliche Bestattungen weiblicher Individuen einer bestimmten Altersspanne mit Goldschmuck anzeigen zu lassen oder eben auch junge Männer mit langen Schwertern, die beispielsweise über Reitersporen im Grab als berittene Krieger klassifiziert werden können. Ebenso einfach kann eine Abfrage die häufig gestellte Frage beantworten, ob Archäologinnen und Archäologen auch oft Gold finden. Achtung Spoiler: Mit heutigem Stand sind 32 Objekte aus Gold und 87 vergoldete Funde aus 21 Gräberfeldern in der Datenbank abrufbar. Dies entspricht nur 2,1 Prozent aller erfassten Funde und verdeutlicht, wie selten und wertvoll diese Objekte waren und für die Forschung sind.

Und weil reiche Beigaben nicht alles sind: Anthropologische Daten
Sowohl beim Dating als auch in der Archäologie kommt es aber natürlich nicht (nur) auf materielle Dinge an. Wer sich mehr für Körpermaße, Alter oder "innere Werte" interessiert, kann Thanados nach anthropologischen Daten durchforsten. Neben Sterbealter und Geschlecht kann ebenso nach Körpergröße oder Krankheiten gesucht werden. Die Ergebnisse werden in einer Karte und als Tabelle angezeigt. So lässt sich mit einer Suche nach "Skorbut" etwa erkennen, wer schlecht mit Vitamin C versorgt wurde. Eine Suche nach der Altersgruppe "senil" – klingt gemein, ist aber die wissenschaftliche Bezeichnung für ein Alter über 60 Jahren – kann aufzeigen, wo die Menschen auch schon im frühen Mittelalter besonders alt wurden. Die Möglichkeit nach Krankheiten oder anderen Skelettmerkmalen zu suchen, erleichtert das Auffinden von Vergleichsmaterial für eigene Forschungen oder gibt Auskunft darüber wie, wann und wo eine Krankheit besonders verbreitet war. Aber auch, wenn man nur wissen möchte, ob die Menschen früher wirklich so viel kleiner waren als heute, kann dies nachgeprüft werden – zumindest für die Menschen, die in der Zeit vom 6. bis 11. Jahrhundert n.Chr.im heutigen Österreich lebten.


Anthropologische Einträge zu Grab 1 vom Oberleiserberg (NÖ).
Foto: thanados

Erleichterte Wissenschaftsarbeit
Die Wissenschaft verschreibt sich immer mehr der "Open Science" und Digitalisierung spielt auch in den Geisteswissenschaften, zu denen die Archäologie gezählt wird, eine große Rolle – Stichwort "Digital Humanities".

In Kombination geht es darum, Forschungsprozesse, Ergebnisse und die zugrundeliegenden Daten im Sinne einer nachhaltigen, transparenten und von der Öffentlichkeit finanzierten Forschung auch der Öffentlichkeit zurückzugeben. Gleichzeitig sollen die Forschungsdaten so strukturiert sein, dass sie in digitaler Form direkt für weitergehende Forschung verwendet werden können und ihr Lebenszyklus nicht mit der Veröffentlichung endet oder in einen Dornröschenschlaf fällt.
Thandos erleichtert einerseits das wissenschaftliche Arbeiten. Archäologische und anthropologische Forschungsergebnisse, die sonst für jede neue wissenschaftliche Arbeit mühsam aufbereitet werden müssen, stehen hier frei und strukturiert zur Verfügung. Andererseits wird auch der technologische Output, also die Software der App, als Open-Source-Software über GitHub zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig bietet die Webanwendung die Möglichkeit, direkt in ihr Daten kartografisch und statistisch wie auch in Form von Diagrammen und Netzwerken zu visualisieren – also einfach mit den Daten zu "spielen".

Dashboard mit Basisdaten und Visualisierungen zum Gräberfeld von Thunau – Obere Holzwiese (NÖ).
Foto: thanados

Damit liefert Thanados wichtige Informationen zu den Lebensumständen im frühen Mittelalter für die Wissenschaft und breite Öffentlichkeit. Langfristig verfolgen wir die Vision, das System auf andere Räume und Zeiten zu erweitern und in Zukunft eine europäische Forschungsdatenbank für Gräberfeldarchäologie zu schaffen.

Netzwerkvisualisierung des Gräberfelds von Hainbuch (NÖ).
stefan eichert

Und wer zahlt sowas?
Die strukturierten Daten werden auf thanados.net sowohl Wissenschafterinnen und Wissenschaftern als auch einer breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und sind direkt im Browser frei zugänglich – ohne sich anmelden zu müssen oder Software auf dem eigenen Rechner zu installieren.

Finanziert wird dies durch das Go!Digital Next Generation-Programm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Durchgeführt wird das Projekt am Naturhistorischen Museum Wien und dem Österreichischen Archäologischen Institut der ÖAW, mit Unterstützung des Austrian Center for Digital Humanities and Cultural Heritage, ebenfalls Teil der ÖAW. Beteiligt sind Archäologinnen und Archäologen, Historikerinnen und Historiker, Anthropologinnen und Anthropologen und IT-Fachleute. Zudem wurden wir von mehreren Praktikantinnen und Praktikanten bei der Datenaufnahme unterstützt.
(Nina Brundke, Stefan Eichert, 21.1.2021)

Nina Brundke studierte Archäologie und Biologie in Deutschland und Österreich. Heute arbeitet sie als Osteoarchäologin am ÖAI und dem ACDH-CH der Akademie der Wissenschaften in Wien. Sie ist zusammen mit Stefan Eichert Projektleiterin des Thanados-Projekts.
Stefan Eichert ist Archäologe und Spezialist im Bereich der Digital Humanities. Er arbeitet in der Prähistorischen Abteilung am Naturhistorischen Museum in Wien und ist, zusammen mit Nina Brundke, Projektleiter des Thanados-Projekts.


Links
Tausende Gräber zum Selbsterforschen - derStandard.at
 
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