Böhlerwerke Kapfenberg, Deuchendorf, St.Lorenzen-St.Marein und Stollenanlage "Syenit"

#1
Hat ein wenig gedauert aber hier kommt der Bericht über „SYENIT“ in Kapfenberg:

Das Gebiet KAPFENBERG galt als ein wesentliches Ziel der alliierten Bomberverbände, weil die Stadt mit den BÖHLER-WERKEN die zweitgrößte Waffenproduktionsstätte des österreichischen Raumes aufwies. Böhler war ein Rüstungsbetrieb erster Ordnung und produzierte für die Luftwaffe, das Heer und die Marine.
Im Jahre 1938 wurde mit dem Ausbau des Werkes DEUCHENDORF (Werk VI) begonnen. Es wurden ab ende 1939 in Deuchendorf 8,8 cm Flugabwehrgeschütze, 10,5 cm Gebirgshaubitzen sowie 4,7 cm und 7,5 cm Gebirgsgeschütze, Türme und Wannen für Panzer sowie Kurbelwellen für Panzer und Flugzeuge produziert.
Der rapide Anstieg an beschäftigten von 3.931 (März 38) auf 15.972 (Anfang 45) zeigt die enorme Bedeutung des Werkes für die Deutsche Rüstung.
Ab August 43 gab es immer wieder Luftschutzalarme und Warnungen für Kapfenberg. Am 6. November 1945 erlebte der Ort den ersten direkten Angriff. Bei diesem Angriff kamen 13 Menschen ums leben. Insgesamt wurde Kapfenberg von Dezember 1944 bis Kriegsende 1945 noch zwölf Mal angegriffen.
Die Luftschutzmaßnahmen im Werk Deuchendorf waren zu Beginn der ersten Luftangriffe sehr kursorisch, größere bauliche Maßnahmen durch ein generelles Bauverbot gar nicht möglich gewesen.
Im November 1943 hatte Göring den Luftgaubereich XVII, zu dem auch Kapfenberg gehört, „zum Schwerpunkt der Luftverteidigung und des Luftschutzes“ bestimmt, so dass nun umfangreiche Schutzmaßnahmen möglich geworden waren.
Anfangs wurden nur Luftschutzkeller angelegt die aber nach Änderung der Angriffstaktik der Bomberverbände nicht mehr genug Schutz vor Splittern boten.
Mit der Planung eines Luftschutzstollens wurde begonnen und bereits vor der offiziellen Freigabe für Stollenbauten zu Luftschutzzwecken hatte es im Werk Deuchendorf Planungen und Vorbereitungen für die errichtung eines „Gefolgschaftsstollens“ gegeben.
Am 1. Dezember 1943 wies die Technische Zentraldirektion von Böhler Kapfenberg die Werksdirektion Deuchendorf an, den Bau des Stollens im Bereich der Halle 17 unmittelbar nach fertig gestellter Planung in Angriff zu nehmen. Die Arbeit hatten Arbeitskräfte aus den Kontingenten, die beim Splitterschutzbau im Werk beschäftigt waren, zu leisten.
Das Stollenprojekt sollte in zwei Etappen realisiert werden. Die Stollenanlage A sollte aus insgesamt sieben Eingängen bestehen und direkt hinter der Halle 17 in den Berg getrieben und als erstes in Angriff genommen werden. Danach sollte die Stollenanlage B mit fünf Eingängen östlich des Objekts 35 gebaut werden. Geplant waren der Ausbau der Stollenanlage A für 2.700 Personen und die Anlage B für 1.700 Personen. Die Stollen sollten eine Breite von 2,32 Metern und eine Höhe von 2,1 Meter haben. Die einzelnen Stolleneingänge wiederum waren im Berg miteinander durch etwas breitere Querstollen verbunden.
Der genaue Baubeginn lässt sich nicht mehr genau feststellen, muss aber noch im Dezember 1943 erfolgt sein.
Anfang März 1944 waren bereits 617 Meter Stollen fertig gestellt. Davon standen 337 Meter für eine Bombensichere Unterbringung der Belegschaft zur Verfügung womit zwischen 2.000 und 2.350 Personen sicher untergebracht werden konnten. Zu dieser zeit waren 122 Mann mit dem Stollenbau beschäftigt.
Obwohl Stollenanlage A bei weitem noch nicht fertig war wurde im März 1944 mit den Arbeiten an der Anlage B begonnen, die Fertigstellung war für Anfang Juni 1944 geplant.
Anfang April wurde befohlen die Kurbelwellenproduktion untertage zu verlegen und somit trat der weitere Ausbau der „Gefolgschaftsstollen“ in den Hintergrund. Die Kurbelwellenfertigung sollte in Stollen erfolgen die direkt vom „Gefolgschaftsstollen A“ weiter in den Berg getrieben werden sollte.
Die Arbeiten am Stollen B wurden Ende Mai 44 vollkommen eingestellt. Bauleistung bis dort hin war: 5 Stollenmünder angeschlagen, 3 bis zu Querstollen vorangetrieben.
Kurz darauf wurde die Verlagerung der gesamten Produktion des Werkes in den Berg befohlen. Deckname: „SYENIT“ Zuerst wurde ein eigener Stolle geplant aber auf Grund eins geologischem Gutachtens wurde dieser Plan wieder verworfen und eine Verlängerung des „Gefolgschaftsstollen A“ ins Auge gefasst und geplant.. Geplante Bauzeit bei einem 3-Schichtbetrieb von 300 Arbeitern waren 7 Monate.
Das Stollensystem bestand auf vier Arbeits- und vier Transportstollen mit einer Gesamtlänge von 1,150 Metern und einer Grundfläche von 4,650m2.
Am 19. Mai 1944 wurde trotz Arbeitskräftemangels mit dem Ausbau begonnen.
Wie weit der Ausbau zu Kriegsende fortgeschritten war lässt sich nicht mehr nachvollziehen es ist jedoch auszuschließen das der Stollen im Höhenkogel jemals seine Produktion aufgenommen hat.


Nutzung des Stollens nach dem Zweiten Weltkrieg


Die Geschichte des Stollens unmittelbar nach Kriegsende liegt im Dunkeln. Das Gebiet um den Stollen wurde von der Roten Armee besetzt und alle maschinen abtransportiert. Dasselbe gilt auch für das Baugerät und Inventar der Stollenanlage „SYENIT“
Erst in den 60er bzw. 70er Jahren taucht das Projekt wieder in den Akten auf und seine Verwendungsmöglichkeit geprüft.
Über eine genauere Nutzung ist nichts bekannt.
1977 wurde die Trasse der S6 direkt über die Eingänge gelegt und die Eingänge bis auf 2 verbaut. Diese 2 sind als Unterführung unter der S6 verlängert worden und die Eingänge sind heute noch sichtbar aber gesichert und abgesperrt.

Soviel zur Geschichte von „Syenit“ Ich hoffe ich konnte ein wenig Licht in die Sache bringen.
Jetzt wird die Anlage von der Firma EARTH DATA SAFE verwendet.
Pläne der Anlage werden in kürze folgen. Vielleicht lassen sich auch Bilder aus dem Stollen finden.
 

josef

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#3
@murdoc: Danke für den informativen Beitrag. Stollenpläne wären natürlich super!

Vielleicht kann ich mit 2 Fotos auch ein wenig zur Bereicherung des Themas beitragen:

lg
josef

Die Aufnahme entstand oberhalb der S6, die wegen einer Geländekante nicht sichtbar ist, in Richtung Werk Deuchendorf. Im Vordergrund sind einige Hallen aus WKII erkennbar. Die Stollenanlage "Syenit" befindet sich ca. 300 m vom linken Bildrand entfernt im Hang des "Höhkogels" (Schreibweise lt. Historiker Dr. Karner ?). Leider konnte ich wegen des ungünstigen Sonnenstandes (volles Gegenlicht) zum Aufnahmezeitpunkt kein Bild vom Hang/Bergrücken
machen.
 

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josef

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#4
Böhler AG "Stammwerk" Kapfenberg

Teilansicht des "Böhler-Stammwerkes" in Kapfenberg. Im Hintergrund das Mürztal, angedeutet die S6 (links Richtung Mürzzuschlag, rechts Tunnel Richtung Bruck). Das zu Beginn des WKII errichtete Werk Deuchendorf ist durch einen Bergrücken verdeckt, die Stollenanlage Syenit führt in den Berghang hinter der angedeuteten S6. Für das Hauptwerk gab es LS-Stollen in den Hang rechts vorne und für die Zivilbevölkerung von Kapfenberg gab es Stollen in den Schloßberg.
 

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josef

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#5
Böhlerwerk Deuchendorf

Noch ein 3. Foto:

Ausschnitt aus Werk Deuchendorf. Links ein paar Hallen welche für die Rüstungsfertigung am Beginn WKII errichtet wurden. Die Fotos stammen v. 09.2004.
 

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#6
Fehler

Hab einen Fehler gemacht der richtige Namen des Berges ist natürlich HÖHKOGEL
sorry
Die Pläne dauern noch ein wenig weil sich mein Scanner verabschiedet hat :zicke
 
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H

Hasi

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#8
Hallo
Wenn ich mich nicht irre gibt es auch "Böhler-Werke" rund um Waidhofen an der Ybbs/NÖ?? Dort sieht es auch ziemlich "Kriegsmässig" aus.
Gruß Hasi
 

josef

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#9
Böhler-Ybbstalwerke

Flußabwärts von Waidhofen an der Ybbs bis zur Gemeinde Sonntagberg befinden sich die Werksteile der Böhler-Ybbstalwerke: Böhlerwerk, Bruckbacherhütte und Gerstlwerk.

Während des 2. Weltkrieges wurden hochwertige Edelstahlzulieferteile für die gesamte weiterverarbeitende Rüstungsindustrie erzeugt. So z.B. Ventilkegel für KFZ- und Flugmotore. Aber auch in die Munitionsfertigung waren die Betriebe eingebunden, z. B. 3,7 cm Pakgranaten.

lg
josef
 

josef

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#10
Böhler-Stahlwerk St. Marein

Hätte eine Frage an die Steiermark-Spezialisten:

Wo befand sich das durch die Sowjets demontierte E-Stahlwerk St. Marein? Konnte bisher noch keine genaue Standortangabe bekommen. War das am 3.7.44 als modernstes Elektrostahlwerk des damaligen Deutschen Reiches in Betrieb genommene Werk am Gelände von Deuchendorf situiert oder näher beim Ort St. Marein? Das Werksgelände Deuchendorf grenzt ja im NO an das Gemeindegebiet von St. Marein...

Danke für Hinweise,

lg
josef
 

josef

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#16
Ehemaliges Elektrostahlwerk St.Marein

In der 44 Jahre alten Firmenfestschrift

1870 - 1970
100 Jahre Böhler Edelstahl
Herausg. Gebr. Böhler & Co. AG, Wien 1970


fand ich nun 2 der raren Fotos vom nur kurzfristig existierenden damaligen modernsten Elektro-Stahlwerk des Deutschen Reiches in St. Marein im Mürztal!
Betriebsaufnahme Juli 1944 - Demontage während der kurzen Besatzungszeit der Sowjettruppen in der Steiermark zwischen 08.05. - 24.07.1945!

1. Übersicht der Werke im Raum Kapfenberg 1945:
- linke Seite: Stammwerk Kapfenberg
- Mitte: Werk Deuchendorf - zu Kriegsbeginn als Rüstungswerk neu errichtet
- rechter Kreis: Das E-Stahlwerk St. Marein. Am ehemaligen Werksgelände befindet sich heute die Firma "Minka Holz- und Metallverarbeitungs-Ges.m.b.H." (Dachbodentreppen usw.) und eine Wohnsiedlung...

2. Bereich des ehemaligen E-Stahlwerkes

3. u. 4. Fotos des Stahlwerkes...
 

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josef

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#17
Nochmals Stahlwerk St.Marein

In der vorgenannten Festschrift ist zu St. Marein folgendes zu lesen:
Auf recht tragische Art wurden die Erbauer des neuen Stahlwerkes St.Marein im Mürztal um die Anerkennung ihrer Arbeit gebracht. Dort entstand in Ausweitung der Kapfenberger Anlagen in den Jahren 1943/44 das modernste und größte Edelstahlwerk Europas, doch ist es im Zuge der Nachkriegsereignisse demontiert und dem Erdboden gleichgemacht worden. Seine Erbauer - vor allem F.Leitner - haben dabei eine Reihe völlig neuer Gedanken, die zum Teil von H.Müller aufgezeigt worden waren, im Stahlwerksbau erstmalig verwirklicht und zwar sogleich an einer Großanlage für je zwei 30 t und 50 t Elektrolichtbogenöfen und zwei 70 t Siemens-Martinöfen.
So war dieses Elektrostahlwerk z.B. das erste der Welt, bei dem die Öfen in einem eigenen Rauchschiff aufgestellt waren, in dessen Gerüst auch die Ofendeckel und die Elektrodenhalterung verankert waren. Die Ofengefäße standen deshalb völlig frei auf Hüttenflur und die Niederspannungsleitungen konnten von den ebenfalls hochgestellten Transformatoren äußerst kurz gehalten werden.

Ein "Glück auf" war dem neuen Stahlwerk nicht beschieden und heute zeugt nur noch die Fachliteratur von dieser damaligen fortschrittlichen Bauweise.
Von den projektierten Anlagen konnte nur ein kleiner Teil fertiggestellt werden und im Juli 1944 den Betrieb aufnehmen. In der nur wenige Monate dauernden Betriebszeit wurden noch 21.877 t Rohstahl erschmolzen...
 

josef

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#18
Kurzchronik 38-45 Werke Kapfenberg, Deuchendorf, St.Marein - Teil 1

Nachfolgend 9 Seiten Kurzchronik (Beschäftigte, Investitionen, Produktion...) betreffend die Jahre 1938 - 1945 der Böhlerwerke Kapfenberg, Deuchendorf und St.Marein:

Quelle: 1870 - 1970: 100 Jahre Böhler Edelstahl, Herausg. Gebr. Böhler & Co. AG, Wien 1970

Seiten 1 - 6 (von 9):
 

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josef

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#19
Kurzchronik 38-45 Werke Kapfenberg, Deuchendorf, St.Marein - Teil 2

Seiten 7 - 9 (Rest):

Quelle: 1870 - 1970: 100 Jahre Böhler Edelstahl, Herausg. Gebr. Böhler & Co. AG, Wien 1970
 

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josef

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#20
Projekt St.Marein

Interessant ist auch das ursprünglich angedachte Vorhaben, ein riesiges Elektrostahlwerk mit zwölf 30 t Elektrolichtbogenöfen inklusive Walzwerk auf einer Fläche von 2 Millionen m² zu errichten. Zur Verwirklichung des Vorhabens hätten die Orte Lesing und Gassing abgerissen werden müssen!

Die Dringlichkeit und Kriegssituation zwang dann zu einer Verkleinerung der Anlagenausstattung auf einem Werksareal von 500.000 m² Fläche...
 

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