Belgien: Mahnmal an der Frontlinie des 1. Weltkrieges in Ypern

josef

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Eindringliche Botschaft auf Weltkriegsfront

Heuer jährt sich zum 100. Mal die Unterzeichnung des Abkommens von Compiegne, das auch rund um Ypern, einem der blutigsten Schauplätze des Ersten Weltkrieges, die Waffen zum Schweigen gebracht hat. Bis zum Jahrestag am 11. November ist auf einem als „Niemandsland“ bezeichneten ehemaligen Frontabschnitt nahe der belgischen Stadt nun ein eindringliches Mahnmal zu sehen. Dieses umfasst 600.000 in den vergangenen vier Jahren in mühevoller Kleinarbeit hergestellte Tonfiguren. Jede einzelne steht für einen Menschen, der in den Wirren des Ersten Weltkrieges in Belgien ums Leben gekommen ist.

Schutzsuche und starkes Rückgrat
In den vergangenen zwei Monaten hat auf einem an sich unscheinbar anmutenden Feld nahe der belgischen Stadt Ypern ungewohnte Betriebsamkeit geherrscht. Ungeachtet der hier oft unwirtlichen Witterungsverhältnisse wurde dort ein penibel durchgerechneter Zeitplan abgespult und Tag für Tag wurden Tausende Tonfiguren aufgestellt.

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Jede steht für ein Menschenleben, das der Erste Weltkrieg in Belgien forderte. Deren Zahl wird auf 600.000 geschätzt, und genauso viele Tonfiguren stehen nun bis 11. November im Zentrum einer gegen die Sinnlosigkeit von Krieg gerichteten Friedensbotschaft.


ORF.at/Peter Prantner
Jede der 600.000 Tonfiguren steht für einen im Ersten Weltkrieg getöteten Menschen

An diesem Tag jährt sich zum 100. Mal das Waffenstillstandsabkommen, mit dem in einem Zugswagon im französischen Compiegne das Ende der Kampfhandlungen zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich besiegelt wurde. Nach rund vier Jahren eines erbarmungslosen Stellungskrieges schwiegen 1918 ab diesem Tag auch rund um Ypern die Waffen.

Der Name der Stadt ist bis heute Synonym für die Schrecken eines Krieges, in dem Menschenleben keine Rolle mehr gespielt haben. Hinter dieser traurigen Berühmtheit steht nicht nur der erstmalige Einsatz von Giftgas als Waffe im September 1915. Vielmehr wurden die letzten Kriegsmonate rund um Ypern zu den blutigsten des ganzen Krieges, so das In Flanders Fields Museum von Ypern, vom dem auch die Namensliste der Weltkriegstoten stammt.



„Gestern, heute und morgen“
Das bereits 2017 angelaufene Projekt „ComingWorldRememberMe“ („CWRM“) markiert mit der jetzt seiner Bestimmung übergebenen Freiluftinstallation das Finale eines unter dem Namen „GoneWest“ laufenden Gedenkmarathons. Mit diesem erinnert die Provinz Westflandern seit vier Jahren an den vor 100 Jahren wütenden Ersten Weltkrieg.


ORF.at/Peter Prantner
Der Standort von „CWRM“ befindet sich mitten auf der einstigen Frontlinie

Der hinter dem Projekt stehende Künstler Koen Vanmechelen setzte von Anfang an auf die hohe Symbolkraft des Unterfangens. Das betrifft auch den Standort im nur wenige Kilometer von Ypern entfernten Naturschutzgebiet De Palingbeek. Durch dieses verläuft ein hier weitgehend als „Niemandsland“ bezeichneter und mitten zwischen den Stellungen der damaligen Kriegsgegner gelegener Landstrich, auf dem besonders viele Opfer zu beklagen waren.

In Form von eiförmigen, gebückten Kreaturen gleichenden Skulpturen brachte Vanmechelen nun jeden Menschen, der vom In Flanders Fields Museum als Todesopfer des Ersten Weltkrieges gelistet wird, in die einstige Todeszone. Erinnert werden soll damit an „die Sinnlosigkeit von Krieg: gestern, heute und morgen“.


ORF.at/Peter Prantner
Immer wieder haben sich die am Projekt Beteiligten in den Tonfiguren verewigt

Brücke zwischen den Generationen
Die einzelnen Figuren seien aber nicht bloß Schutzsuchende und Verlorene. Das vorgehobene Rückgrat soll auch Lebenskraft unterstreichen, „die Entschlossenheit, weiterzumachen, das Verlangen nach bauen und nicht zerstören“. Und diese Botschaft vermittelte Vanmechelen bereits in den vergangenen vier Jahren, in denen die Figuren von Menschen verschiedenster Nationalitäten in gemeinschaftlicher Arbeit hergestellt wurden.


ORF.at/Peter Prantner
Tausende Freiwillige waren in den vergangenen Wochen am Aufbau beteiligt

Rund 200.000, so die grobe Schätzung der Organisatoren, waren in zwei Werkstätten und drei mobilen Workshops in Summe an der Herstellung der Figuren beteiligt. Jede einzelne Figur trägt die Handschrift ihres Erschaffers. Verewigt wurden diese zusammen mit dem Namen des Kriegsopfers, für den die jeweilige Figur Pate steht, in Erkennungsmarken, die jenen nachempfunden sind, die Soldaten im Ersten Weltkrieg trugen.

Die Rede ist von der Vereinigung von Generationen und Nationalitäten. Im Gegensatz zur restlichen Installation sollen die bisher in einem transparenten Schaukasten vereinten 600.000 Plaketten auch weiterhin im „Niemandsland“ bleiben – in einem von Hühnerkrallen „beschützten“ Ei der Bronzeskulptur „Remember Me“, die Vanmechelen als Teil der Installation bereits aufbauen ließ.


ORF.at/Peter Prantner
Vanmechelens Projekt ist mit reichlich Symbolik beladen

Spiel mit Symbol des Lebens
Ein aufplatzendes Ei, aus dem von Kindern geschaffene kleinere Tonfiguren strömen, findet sich - in Form einer rund zehn mal vier Meter großen Tonskulptur - dann unübersehbar auch auf einem im Zentrum der „CWRM“-Installation angelegten Podest. Vanmechelen spielte in seiner künstlerischen Laufbahn immer wieder mit diesem Symbol des Lebens. Bei „CWRM“ stehe das Ei nun für die kommende Welt und die „Geburt einer neuen Menschheit“.

Notwendig sei dafür auch die Konfrontation mit der Vergangenheit. In diese mussten auch alle Beteiligten am „CWRM“-Projekt „tief eintauchen“. Die vergangenen vier Jahre hat man sich Vanmechelen zufolge nun intensiv mit dem Gedenken an die Toten des Ersten Weltkrieges beschäftigt, und „600.000 sagen uns jetzt“, Krieg könne niemals eine Lösung sein.


Harold Naeye
Vanmechelen (rechts) zusammen mit dem „CWRM“-Kurator Jan Moeyaert von der Nonprofit-Organisation vzw Kunst

Neben der respektvollen Erinnerung und der Schaffung eines Friedenssymbols geht es bei „CWRM“ aber auch um konkrete Hilfe: Den Organisatoren zufolge werden mit den Einnahmen durch die Figurenpatenschaften Hilfsprojekte für derzeit von Krieg betroffenen Kindern unterstützt.

Links:
Peter Prantner, ORF.at, aus Ypern

Publiziert am 01.04.2018
http://orf.at/stories/2431979/2431978/
 
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