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Untergrund und Kirchturmspitze: Evangelische im Salzkammergut
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Als Symbol für die Verwaisung des Tourismuslandes Österreich im Zuge der Pandemie wird derzeit gern das leere Hallstatt gezeigt. Die markante Kirche mit dem spitzen Turm am Seeufer ist weltberühmt – dass es eine evangelische Kirche ist, dürfte weniger bekannt sein. Sie steht für die bewegte Geschichte der Evangelischen im Salzkammergut.

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Hallstatt, Gosau, Ramsau und Schladming: Die sonst bei Touristinnen und Touristen so beliebte Gegend um den Dachstein im steirischen und oberösterreichischen Salzkammergut war einst ein Hort der Reformation – und Schauplatz von deren Unterdrückung durch den römisch-katholischen Hof.

Wie diese Entwicklung mit dem die Region dominierenden Bergbau zusammenhing, erklärt die Historikerin Astrid von Schlachta, die an der Universität Regenburg Neuere Geschichte lehrt, im Gespräch mit religion.ORF.at. Dass der neue Glaube gerade hier so gut angenommen wurde, führt von Schlachta auf den Salzbergbau zurück, der – wie auch in Tirol – als „Einfallstor“ gedient habe.

ORF.at/Roland Winkler
Hallstatt von der Seeseite gesehen mit der evangelischen Christuskirche (l.) und der katholischen Pfarrkirche Maria Himmelfahrt

Prediger kamen mit Bergknappen
Das habe mit Arbeitsmigration aus dem Norden Deutschlands, dem Geburtsort der Reformation, zu tun: „Mit den Bergknappen aus Deutschland kamen auch Prediger nach Österreich“ – in die Städte, aber auch in abgelegene ländliche Regionen. Zum Transfer von Arbeitskräften und Technologie gesellte sich ein Austausch von Ideen und Religion. Schon zuvor hatte es auch in Österreich Rufe nach Reformen der Kirche gegeben: „Es existierten bereits Frömmigkeitsbewegungen, und es gab offene Kritik an den Geistlichen wegen herrschender Missstände wie dem Ablasshandel.“

„Viele junge Oberösterreicher sind zum Studieren nach Deutschland gegangen“, so von Schlachta. Schon früh im 16. Jahrhundert schickten die wohlhabenden Familien der Region ihre Söhne zur Ausbildung auch nach Wittenberg, wo Martin Luther selbst einige von ihnen unterrichtete. Die Beamten des von der Hofkammer verwalteten Salzkammerguts bekannten sich schon bald zur reformierten Kirche.

Bruderzwist und Türkenkriege
Der römisch-katholischen Obrigkeit war das ein Dorn im Auge. Zu Anfang war den Evangelischen im Salzkammergut relativ gemäßigt begegnet worden: Die Türkenkriege und innerösterreichische Konflikte (in diese Zeit fiel der „Bruderzwist im Hause Habsburg“) hatten das „Problem“ überlagert. Auch war die Obrigkeit auf die Steuern der reichen Region angewiesen, sodass Konzessionen an die Landstände gemacht wurden.

Um 1600 herum habe die Gegenreformation an Fahrt aufgenommen, so die Expertin, das Vorgehen gegen die Evangelischen wurde „härter“. Unter Rudolph II. kam es zu konfessionsbedingten Unruhen, in Hallstatt wurde der katholische Salzamtmann Veit Spindler gefangen genommen und in einer „Spottprozession“ von Hallstatt nach Ischl von Bergknappen verhöhnt, katholische Priester verjagt. Soldaten des Erzbischofs von Salzburg schlugen den Aufstand gewaltsam nieder.

Härteres Vorgehen
Begleitend zum härteren Vorgehen gegen die Evangelischen seien „gute, katholische Schulen“ eingerichtet worden, in Konkurrenz zu den evangelischen Einrichtungen, so Historikerin von Schlachta. Junge Adelige wurden nun in die entstehenden Jesuitenschulen geschickt.
Zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 wurden Bekenner und Bekennerinnen des neuen Glaubens mit „Ausweisungsmandaten“ des Landes verwiesen; viele österreichische Evangelische zogen nach Süddeutschland oder Siebenbürgen. Einige Adelige seien in deutsche Reichsstädte gegangen, wo sich „Milieus österreichischer Migration“ gebildet hätten, sagte die Historikerin.

Ausweisungen und Untergrund
Im Zuge des oberösterreichischen Bauernkrieges 1626 wurden die Evangelischen weiter in den Untergrund gedrängt, sie waren zur heimlichen Ausübung ihrer Religion gezwungen und trafen fortan in geheimen Treffen zusammen. Dafür existiere der Ausdruck Nikodemitentum, erklärt von Schlachta: „Nach außen hin war man katholisch, am Samstagabend las man im Hinterzimmer Luther-Schriften.“

Dieser „Geheimprotestantismus“ wurde durch immer neue Wanderprediger aus Deutschland befeuert. Im Geheimen wurden Gottesdienste, Taufen und andere Zeremonien abgehalten – und manchmal auch gar nicht so geheim, so von Schlachta. Durch Denunziationen flogen sie immer wieder auf.
1731 wurden nach einem Ausweisungserlass Zehntausende Evangelische, bekannt als „Salzburger Exulanten“, ausgewiesen, viele von ihnen wurden von Preußen aufgenommen. Zu weiteren größeren Deportationen von Evangelischen etwa nach Siebenbürgen (Rumänien) kam es 1734 unter Kaiser Karl VI. und unter Maria Theresia zwischen 1752 und 1757.

Toleranzpatente brachten Wende
Die Wende brachten die Toleranzpatente unter dem aufgeklärten Kaiser Joseph II. 1781. Immer noch gab es Protestanten im Salzkammergut, in „zerklüfteten Bergregionen und angelegenen Dörfern“ hatten sich Evangelische halten können. Endlich erhielten sie auch die Erlaubnis, Bethäuser zu errichten – allerdings unter Auflagen: „Die Toleranzpatente waren nicht gleichbedeutund mit Gleichberechtigung“, sagt von Schlachta.


Public Domain/Wikipedia
„Die um des Evangeliums willen vertriebenen Salzburger“, Kupferstich von David Ulrich Boecklin, Leipzig (1732)

Die Bethäuser durften weder einen Turm noch besondere Kirchenfenster, eine auffällige Tür oder Glocken aufweisen. Mit einem Wort: Sie sollten von außen nicht als Kirchen erkennbar sein. Die Gemeinden durften Lehrer und Pfarrer auf eigene Kosten berufen, aber Stolgebühren (Abgabe an die Kirche etwa für eine Taufe etc.) sowie die Matrikelführung (Kirchenregister) verblieben beim katholischen Pfarrer. Erst 1849 durften protestantische Gemeinden selbst Kirchenbücher führen.

ORF.at/Johanna Grillmayer
Evangelische Kirche in Ramsau, Steiermark

„Toleranzgemeinden“ entstanden, neun davon in Oberösterreich, darunter Goisern, und drei in der Steiermark, die erste in der Ramsau. Einfache Bethäuser wurden errichtet, darunter eines schon 1785 an dem Ort, an dem heute die Christuskirche in Hallstatt steht.

Geld und Impulse durch Kurgäste
Das 19. Jahrhundert brachte durch zwei Faktoren eine Stärkung der Protestanten im Salzkammergut: mehr Arbeitsmigration und das Aufkommen des Tourismus. Kuraufenthalte deutscher Gäste brachten finanzielle Mittel ebenso wie Bestätigung, so die Historikerin. Die vielfach reichen, adeligen Kurgäste hatten ihre eigenen Prediger dabei, und sie halfen den österreichischen protestantischen Gemeinden auch mit Spenden.

Auch die markante Hallstätter Kirche, die von 1859 bis 1863 errichtet wurde, verdankt sich Zuwendungen deutscher Adeliger. Ihre Weihe fiel in eine Zeit, die die Gleichstellung für die Protestanten brachte: Das Protestantenpatent von 1861 erlaubte den Bau „richtiger“ Kirchen und sorgte für Gleichberechtigung in Sachen bürgerliche Rechte. Mit ihrer für die Region ungewöhnlichen Querhauslage direkt am Wasser und dem hohen, schlanken Turm ist die Christuskirche ein passendes Symbol für den steinigen Weg der Evangelischen im Salzkammergut.

27.12.2020, Johanna Grillmayer, religion.ORF.at

Links:
Literatur
  • Astrid von Schlachta: Die Emigration der Salzburger Kryptoprotestanten. In: Rudolf Leeb et al. (Hg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert). Wien/München 2009, Seiten 63–92.
  • Martin Scheutz: Bethäuser, Türme, Glocken und Kirchen: Das Erbe der Reformation rund um den Dachstein. Jahrbuch Geschichte 2019, Universität Wien

Untergrund und Kirchturmspitze: Evangelische im Salzkammergut
 
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