Brand in der Kirche Notre Dame

josef

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Notre-Dame-Brand
Das Ausmaß der Schäden in Bildern
Am Tag nach dem verheerenden Brand in der Kathedrale Notre-Dame de Paris wird zunehmend das Ausmaß der Schäden sichtbar. Der Dachstuhl brannte vollständig aus – die Struktur der gotischen Kirche konnte nach Angaben der Einsatzkräfte zwar „in ihrer Gesamtheit erhalten“ werden, das verheerende Feuer hinterließ dennoch am gesamten Gebäude Spuren.

https://orf.at/stories/3118995/
 

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#3
Die neue Notre-Dame als Macrons mögliches Erbe

Frankreichs Parlament debattiert am Freitag über die Restauration. Die Opposition wirft Präsident Macron vor, ein modernes Projekt realisieren zu wollen
Die nationale Eintracht nach dem Dachbrand der Notre-Dame hat weniger als einen Monat gewährt. Nicht ganz überraschend gehen die Meinungen über das zukünftige Antlitz des Pariser Wahrzeichens bereits weit auseinander. Die französische Urdebatte zwischen "Anciens" (Traditionalisten) und "Modernes" lebt wieder auf: Die Ersteren verlangen eine originalgetreue Restauration der zerstörten Bausubstanz. Letztere sind offen für Neues und wollen die Gelegenheit nutzen, den 800 Jahre alten Bau fortzuentwickeln.

Der Disput ist längst nicht nur kunsthistorischer oder ästhetischer Natur: Im Hintergrund geht es auch um die sehr politische Frage, ob Notre-Dame als Symbol der Christenheit zu bewahren und zu beschützen sei – oder ob sie selber mit der Zeit gehen soll. Entsprechend hoch wogt bereits die Debatte über ein Spezialgesetz, das am Freitag vor die Nationalversammlung kommt. Es erlässt zum einen 75 Prozent der Steuern auf Spenden bis zu 100 Euro.

"Ausnahmen" von den Normen
Zentraler sind zwei andere Gesetzesbestimmungen: Die in Staatsbesitz befindliche Kathedrale erhält ein öffentliches Gremium vorgestellt, ein "établissement publique", das finanzielle und andere Fragen klären soll. Dazu soll die Regierung das Recht erhalten, auf dem Ordonnanzweg – also ohne Parlamentsvotum – "Ausnahmen" von den geltenden urbanistischen und kunsthistorischen Normen zu erlassen.

Die Opposition wirft Präsident Emmanuel Macron vor, er wolle mit diesen zwei Bestimmungen das Zepter der Renovierung an sich reißen. Die kommunistische Abgeordnete Marie-George Buffet erklärte, die zwei bereits bestehenden Notre-Dame-Gremien – auf die der Staatschef weniger Einfluss hat – genügten vollauf.

Vorwurf des Größenwahns
Die konservativen Republikaner verdächtigen Macron megalomaner Absichten: So wie Georges Pompidou das gleichnamige Kulturzentrum, Valéry Giscard d'Estaing das Musée d'Orsay, François Mitterrand die Bastille-Oper und Jacques Chirac das Völkerkundemuseum Branly gebaut hätten, wolle der aktuelle Präsident der neuen Notre-Dame seine eigene Handschrift aufdrücken.

Will er ein modernes, progressives Zeichen setzen, wie es seinem politischen Credo gegen die "rückwärtsgewandten" Populisten entspricht? Macron hat bereits erklärt, er könnte sich beim Wiederaufbau des abgebrannten Dachreiters – des zentralen Objekts des Wiederaufbaus – gut eine "zeitgenössische Geste" vorstellen, also eine moderne Version der filigranen Turmspitze.

Diese Bemerkung ist nicht unbeachtet geblieben. Die Republikanerin Constance Le Grip versuchte deshalb in der vorberatenden Kommission, das Adjektiv "identisch" vor das Wort "Restauration" setzen. Die Macronisten lehnten dies aber ab.

In die gleiche Richtung zielt die Kritik, Macron handle übereilt, um sich mit der vollendeten Renovierung einen Platz in den Geschichtsbüchern zu sichern. Schon im April hatte er erklärt, der Wiederaufbau solle "binnen fünf Jahren", also rechtzeitig für die Olympischen Spiele von Paris 2024, beendet sein.

Die republikanische Abgeordnete Brigitte Kuster fragte darauf in der Kommission: "Kathedralenbauer arbeiten für die Ewigkeit. Wer sind wir, dass wir uns auf die Restauration stürzen und die Urbanismus-Regeln vernachlässigen?"

Petition an Macron
Ein Schuss vor den präsidialen Bug ist auch eine Petition von 1170 französischen und internationalen Konservatoren, Architekten und Kunstexperten. "Herr Präsident, lassen Sie nicht die Kulturerbeexperten beiseite" lautet ihr Titel, gefolgt vom Ratschlag: "Nehmen wir uns die Zeit, den richtigen Weg zu finden". Unverhohlen werfen die Spezialisten Macron vor, er opfere die "Komplexität des Denkens" der "zur Schau gestellten Effizienz".

Kulturminister Franck Riester beschwichtigt, Frankreich kenne strikte Regeln für den Schutz historischer Güter. Dass aber gerade die Möglichkeit vorgesehen ist, darüber hinwegzusehen, ließ er unbeantwortet. Dank seiner absoluten Mehrheit dürfte Macrons Regierungslager keine großen Probleme haben, die Sondervollmacht für die Regierung – das heißt den Präsidenten – in der Nationalversammlung durchzubringen. Schwieriger dürfte es sein, die öffentliche Meinung auf seine Seite zu ziehen.
(Stefan Brändle aus Paris, 10.5.2019)

WISSEN: Von Bäumen und goldenen Flammen

In Frankreich gibt es bereits zahlreiche Vorschläge für die Renovierung der Notre-Dame. Dem bekannten Architekten Jean-Michel Wilmotte schwebt zum Beispiel ein Dachreiter aus Glas vor. Als die Turmspitze im 19. Jahrhundert renoviert worden ist, habe man sich auch nicht an die Glocken-Vorgabe aus dem 13. Jahrhundert gehalten, argumentiert er. Jean Nouvel meint hingegen, die ins Mittelschiff gestürzte Turmspitze gehöre zu den "unberührbaren Aspekten" der Kathedrale und müsse unverändert wiederaufgebaut werden.


foto: vincent callebaut architectures
Der Dachreiter aus Glas?


foto: miysis
Bäume auf dem Kirchenschiff Notre-Dames?


foto: alexandre fantozzi
Das Dach aus Kirchenfenstern? Man wird sehen.

Ein brasilianisches Büro schlägt ein neues Dach einzig aus Kirchenfenstern vor, ein russischer Architekt ein durchsichtiges Glasdach. Ein Pariser Designer stellt sich eine riesige goldene Flamme auf dem restaurierten Dachrücken vor, ein slowakisches Büro eine weiße Turmspitze, die sich per Lichtstrahl "unendlich" in den Himmel verlängert.

Dass das eingestürzte Hochgebälk von Experten "la forêt" (Wald) genannt wurde, inspirierte mehrere Zeichner. Die einen siedeln Bäume über dem Kirchenschiff an, andere zumindest ein Biotop unter einem halb offenen, lichtdurchfluteten Dachstock – ein sogenannter "Hafen des Friedens".

Die Fantasie beschränkt sich nicht auf die Kathedrale selbst. Der Architekt Jacques Ferrier nimmt ein zwanzig Jahre altes Projekt auf, den vielbesuchten Vorplatz von Notre-Dame in einen Glasboden mit sichtbaren Untergeschoßen zu verwandeln.

Ein verärgerter Traditionalist fragte sarkastisch, ob man nicht gleich Sonnenkollektoren auf dem Dach installieren wolle, um im Innern mit künstlichen Kerzen ein Christus-Hologramm zu beleuchten. Der Architekt Alexandre Chassang antwortete, ein identischer Wiederaufaufbau sei so unmöglich wie die Erstellung einer Kopie nach der Beschädigung der Mona Lisa. Antwort aus dem Netz: "Vielleicht eine Mona Lisa mit Piercing und Haarbleiche?"
(brä) - derstandard.at
Die neue Notre-Dame als Macrons mögliches Erbe - derStandard.at
 

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#4
Mit Notre-Dame zurück ins Mittelalter
Zwei Jahre nach dem Brand der Kathedrale wählt Frankreich 2.000 Eichenstämme für einen neuen Dachstuhl aus. Der Wiederaufbau soll so originalgetreu wie möglich erfolgen

Am 15. April jährt sich zum zweiten Mal der Brand von Notre-Dame, der die ganze Welt erschütterte.
AFP

Geht es nach Präsident Emmanuel Macron, soll die Kathedrale bis zu den Olympischen Sommerspielen 2024 wieder frei von Baugerüsten sein.
Foto: AP

Dafür werden im ganzen Land 2.000 Eichen gefällt.
AFP

Auch Bäumen ist kein ewiges Leben beschieden. Pfarrer Amaury de la Motte Rouge segnet die hohe Eiche mit einem Kreuz, dann machen sich die Holzfäller ans Werk. In wenigen Minuten fällt der Stamm, der hundert Jahre lang gewachsen war, mit einem gewaltigen Rauschen und Krachen zu Boden. Als er aufschlägt, erzittert der ganze Wald von Vibraye, unweit der französischen Stadt Le Mans.

Der Eichenstamm ist einer von 2.000 Artgenossen, die ab 2024 das neue Dachgebälk der berühmtesten Kathedrale der Welt bilden sollen, die am Donnerstag vor zwei Jahren Opfer eines Großbrands geworden ist. Vertreter des Branchenverbandes France Bois Forêt bestimmen und nummerieren derzeit Bäume im ganzen Land. Von Korsika bis an den Ärmelkanal, vom Elsass bis in die Bretagne soll jede französische Region, jeder passende Großwald vertreten sein.

Im Wald von Vibraye herrscht das Hochgefühl, zu einer Mission von mindestens nationaler Bedeutung beigesteuert zu haben. Die gefällte Eiche sei eine der schönsten des ganzen Bestands – schnurgerade und genau zentriert, freute sich der Baumverwalter Bernard D’Harcourt in der Lokalzeitung L’Echo sarthois. Die Baumfällung, fügte er an, sei paradoxerweise ein Zeichen, dass "das Leben trotz des Dramas weitergeht und Notre-Dame wiederauferstehen wird".

"Ökozid und Absurdität"
Nicht alle sind so euphorisch. Eine nationale Petition hält sich darüber auf, dass so viele, teils jahrhundertealte Bäume dem Wiederaufbau eines noch so speziellen Gebäudes geopfert werden. "Im Zeitalter der nachhaltigen Entwicklung stellt das einen Ökozid und eine Absurdität dar", heißt es in dem Schreiben, das 42.000 Menschen unterzeichnet haben. "Ein hundert Jahre alter Baum ist Teil unseres Kulturerbes; er stellt ein Ökosystem für sich allein dar. Unser Planet ist in Gefahr, unser Wälder leiden unter dem Klimawandel, weshalb dieser Entscheid unverständlich ist."
Die Worte sind stark, der Erfolg der Petition hält sich allerdings in Grenzen. Der Wiederaufbau der Kathedrale geht in Frankreich vor. Und die gefällten Bäume bilden laut dem Nationalen Forstamt gerade mal 0,1 Prozent der jährlichen "Eichenernte" zu Gewerbezwecken. Überhaupt sei die Waldfläche in Frankreich wie in ganz Europa heute am Zunehmen, sagen Förster.
Die Petition verlangt den Einsatz von "verantwortungsvollen, weniger schädlichen Ingenieurtechniken" als eine Holzkonstruktion. Konkreter wird sie nicht – denn Alternativen gibt es kaum. Die Kathedralen von Reims und Nantes sind mit viel Beton restauriert worden. Im Fall von Notre-Dame bestand aber rasch ein Konsens, dass der Wiederaufbau "à l’identique" – also wie vor dem Brand – zu erfolgen habe.

Kein Schwimmbad auf dem Dach
Diese Vorgabe hat Emmanuel Macron im letzten Sommer offiziell bestätigt. Nachdem der Präsident anfangs einem zeitgenössischen Neuprojekt den Vorzug gegeben hat, schließt er sich nun der Meinung der Experten und der breiten Öffentlichkeit an. Das bedeutet zugleich das Aus für gewagte Restaurierungsideen wie ein Biotop oder ein Schwimmbad auf dem Kathedralendach.

Zwei "halbindustrielle" oder "betonunterstützte" Gegenvorschläge wurden in einer internen Abstimmung fallengelassen. Alberic de Montgolfier, Vorsteher der französischen Architekturkommission, freut sich über die Wahl der Option Holz. Das mittelalterliche Gebälk sei zudem bestens dokumentiert, erklärte er. "Man kann es exakt nachbauen."

Noch genauere Pläne bestehen vom Vierungsturm, den der Architekt Eugène Viollet-le-Duc im 19. Jahrhundert auf dem Dachfirst platziert hatte – und der bei dem Brand spektakulär in das Kirchenschiff gestürzt war. Dieser hohe, fein ziselierte Dachreiter ist viel dünner als die beiden wuchtigen Glockentürme aus Stein an der Kirchenfront, aber er sitzt auf einer sehr exponierten Stelle des steilen Dachs. Allein tausend Eichenstämme sind nötig, um ihn in das Dachgebälk einzubauen und eine Höhe von 93 Metern über der Seine zu erreichen.
Weitere tausend Eichen dienen dem Wiederaufbau des eigentlichen Dachstuhls. Da das Gebälk von Grund auf neu errichtet werden muss, wird es genau wie im 13. Jahrhundert aussehen. Später erfolgte Reparaturen können weggelassen werden. Die Zimmerleute werden die Holzarbeiten teils wie im Mittelalter ausführen. Die Baumstämme werden zwar mechanisch zersägt – im Giebel aber mit Äxten und Handsägen eingepasst, wie es die Kathedralenbauer vor 800 Jahren überlieferten.

Macron drückt aufs Tempo
Während sie sich beim Bau ihrer himmelsstrebenden Gotteshäuser noch Zeit gelassen hatten, eilt es nun: Präsident Emmanuel Macron will die einst vielbesuchte Basilika zu Beginn der Olympischen Sommerspiele im April 2024 wieder öffnen. Die Eichenstämme können deshalb nur zwölf bis 18 Monate trocknen. "Wie früher, als auch ‚grünes‘ Holz eingesetzt wurde, können sich die Balken und Sparren noch leicht verformen", erklärt Emmanuel Maurin vom Forschungslabor der historischen Monumente (LRMH). "Es ist wichtig, die besten Bäume auszuwählen und sie richtig zu bearbeiten", sagt der Wissenschafter, der nach dem Brand wochenlang als einziger Holzexperte Zugang zur Brandruine der Notre-Dame hatte. "Die Bäume müssen deshalb absolut gerade sein, und der Mittelpunkt der Balken muss dem Mittelpunkt des Stammes entsprechen."

Das genüge allerdings noch nicht, führt Maurin aus: Die Holzfachleute müssten parallel dazu die Verformung der trocknenden Balken antizipieren. Das sei schwierig, aber genauso möglich wie im Mittelalter, als die Schreiner keine Software mit zukunftsorientierten Algorithmen zur Seite gehabt hätten. "Das Holz trocknet als Faustregel jährlich einen Zentimeter in die Tiefe. Es ‚arbeitet‘ also noch sehr lange, bis ein neues Gleichgewicht entsteht. Es vorauszusehen, erfordert Erfahrung und ein Gefühl für das Material", meint Maurin.
Ob die Kathedralenbauer von heute so gut waren wie ihre Vorgänger vor 800 Jahren, wird sich also erst in vielen Jahren zeigen. Aber Notre-Dame hat Zeit: Sie wird für die Ewigkeit gebaut.
(Stefan Brändle aus Paris, 14.4.2021)

Nachlese:
Notre-Dame: Chor singt zu Weihnachten erstmals wieder
Notre-Dame wird originalgetreu wiederaufgebaut
Notre-Dame-Brand: Ein Jahr und eine Ewigkeit

Mit Notre-Dame zurück ins Mittelalter
 
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