Chinas Bevölkerung schrumpft und das Wirtschaftswachstum im Vorjahr mit nur drei Prozent liegt deutlich unter der Zielmarke

josef

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#1
ZULETZT 1960
Chinas Bevölkerung schrumpft
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China ist mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen zwar das bevölkerungsreichste Land der Welt. Seit Jahren kämpft es aber mit niedrigen Geburtenraten. Nun schrumpft die chinesische Bevölkerung erstmals seit der Ära von Mao Zedong in den 1960ern. Zugleich schwächelt Chinas Wirtschaft.
17. Jänner 2023, 8.11 Uhr
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Ende Dezember habe das bevölkerungsreichste Land der Welt 1,411 Milliarden Einwohnerinnen und Einwohner gehabt und damit rund 850.000 weniger als ein Jahr zuvor, teilte das Statistikamt in Peking am Dienstag mit. Die Geburtenrate wurde nur noch mit 6,77 Neugeborenen auf 1.000 Menschen angegeben – das ist so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr und zählt zu den geringsten weltweit.

Die Sterberate habe bei 7,37 auf 1.000 Menschen gelegen. Damit ergebe sich ein Bevölkerungswachstumsminus von 0,6 auf 1.000 Menschen, berichtete das Statistikamt. Die stetig abnehmende Zahl war vor zwei Jahren erstmals in den einstelligen Bereich gefallen. Nun stehen laut Statistikamt 9,56 Millionen Geburten 10,41 Millionen Sterbefällen gegenüber.

AP/Andy Wong
Noch leben 1,4 Milliarden Menschen in China, doch es werden weniger

Letzter Rückgang unter Mao Zedong
Der unabhängige Forscher Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin, der seit Langem die chinesische Bevölkerungsentwicklung kritisch verfolgt, hält auch die jetzigen Zahlen unverändert für geschönt. Nach seinen Berechnungen schrumpft die chinesische Bevölkerung sogar schon seit vier Jahren. Immerhin sieht er ein offizielles Eingeständnis, dass der Rückgang rund zehn Jahre früher eingetreten ist als bisher von der Regierung vorhergesagt. Anders als bei den Hungersnöten 1960 und 1961 sei der Trend jetzt allerdings „unumkehrbar“, meint Yi.

Zuletzt war die Bevölkerung nach diesen Angaben 1960 und 1961 geschrumpft. Damals litt China unter der schlimmsten Hungersnot seiner modernen Geschichte. Diese war durch das von Staatsgründer Mao Zedong ausgerufene Industrialisierungs- und Kollektivierungsprogramm, dem „Großen Sprung“ nach vorn, verursacht worden. 2021 war die Einwohnerzahl noch um 450.000 Menschen angewachsen.

Männer in der Überzahl
Männer sind mit insgesamt 722 Millionen Einzelpersonen den Angaben zufolge weiterhin deutlich in der Überzahl. Ihnen standen rund 689,7 Millionen Frauen gegenüber. Das ist eine Folge der seit 1979 verfolgten und inzwischen abgeschafften Einkindpolitik und einer traditionellen Präferenz für männlichen Nachwuchs, der den Familiennamen weitertragen soll.

AP/Imaginechina/Pei qiang
2016 hob die Regierung in Peking die Einkindpolitik auf – ohne Erfolg

Die Aufhebung der umstrittenen Geburtenkontrolle führte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten. Nur ein Kind zu haben ist in China heute die soziale Norm. Zwei Generationen haben es nie anders erlebt, sodass es tief in der Gesellschaft verankert ist.

Daneben sehen Expertinnen und Experten die hohen Kosten für Wohnraum, Bildung und Gesundheitsversorgung in China sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als eigentliche Gründe für den starken Geburtenrückgang und die Überalterung der Bevölkerung. Die seit drei Jahren andauernde Coronavirus-Pandemie sorgte für weitere Unsicherheiten, die den Trend noch beschleunigt haben dürften. Knapp jeder fünfte junge Mensch zwischen 16 und 24 Jahren ist in Chinas Städten ohne Job.

Regierung will gegensteuern
Als Reaktion auf die rapide Überalterung will China die Geburtenrate ankurbeln. „Wir werden ein politisches System zur Steigerung der Geburtenraten einrichten“, sagte Staats- und Parteichef Xi Jinping in einer Rede auf dem 20. Kongresses der Kommunistischen Partei im Herbst. Seit Jahren versucht die Regierung, die Bürgerinnen und Bürger zu mehr Kindern zu ermuntern.

Reuters/Aly Song
Immer weniger Werktätige müssen immer mehr Alte versorgen

2021 wurden schließlich drei Kinder erlaubt. Außerdem bemüht sich die Regierung seither, es jungen Paaren leichter zu machen, für Kinder zu sorgen. Die Kosten für Bildung wurden gesenkt. Finanzhilfen wurden gewährt, Mutterschafts- und Elternurlaub erleichtert, da viele Frauen befürchten, dass sich eine Mutterschaft negativ auf ihre berufliche Karriere auswirkt.

Arbeitskräftemangel erwartet
Durch die Überalterung müssen zunehmend weniger Werktätige in der zweitgrößten Volkswirtschaft immer mehr alte Leute versorgen. Jede fünfte Chinesin bzw. jeder fünfte Chinese ist heute schon älter als 60 Jahre. Zugleich geht die Bevölkerungsgruppe im statistisch betrachtet arbeitsfähigen Alter zwischen 15 und 59 Jahren weiter zurück. Unterstützten 2020 fünf Beschäftigte zwischen 20 und 64 Jahren einen älteren Menschen über 65 Jahre, werden es 2050 nur noch 1,5 Arbeitnehmer sein.
„Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind düsterer als erwartet“, so Yi. China werde eine Schrumpfung durchlaufen müssen. „Ohne soziales Netz, ohne die Sicherheit der Familie wird sich eine Pensionskrise zu einer humanitären Katastrophe entwickeln“, warnt Yi. Auf den Überschuss an Werktätigen, der Chinas Wirtschaftswunder als „Werkbank der Welt“ angekurbelt hatte, folgt jetzt Arbeitskräftemangel: „Chinas Produktionssektor wird unterbesetzt und überaltern – und so schnell abnehmen wie der Japans“, so Yi.

Wirtschaft verfehlt vorgegebenes Ziel
Am Dienstag meldete China außerdem ein schwaches Wachstum zum Jahresende. Nach offiziellen Angaben wuchs die Wirtschaft im vierten Quartal 2022 nur um 2,9 Prozent. Im Gesamtjahr 2022 legte die zweitgrößte Volkswirtschaft um drei Prozent zu. Damit wurde das von der Regierung vorgegebene Wachstumsziel von rund 5,5 Prozent verfehlt.

Die chinesische Wirtschaft wurde im abgelaufenen Jahr stark durch die strikte Null-Covid-Politik und die damit einhergehenden Lockdowns belastet. Im Dezember vollzog die Führung in Peking eine abrupte Kehrtwende und schaffte nach gut drei Jahren die meisten CoV-Maßnahmen ab. Doch seitdem breitet sich das Virus rasant im Land aus, was sich nun ebenfalls negativ auf die Wirtschaftstätigkeit auswirkt.
19.01.2023, red, ORF.at/Agenturen

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Zuletzt 1960: Chinas Bevölkerung schrumpft
 

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#2
MOTOR STOTTERT
Große Stolpersteine für Chinas Wirtschaft
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Es ist ein herber Rückschlag für China: Am Dienstag verkündete das Nationale Statistikamt, dass das Wirtschaftswachstum im Vorjahr mit nur drei Prozent deutlich unter der Zielmarke der Regierung geblieben ist. Als Grund werden vor allem die strikten Coronavirus-Maßnahmen genannt. Mit den Lockerungen will die Regierung nun wieder auf die wirtschaftliche Überholspur. Doch gleich einige strukturelle Probleme stehen dem im Weg.
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Eigentlich wollte China ein Wachstum von 5,5 Prozent erreichen. Die 3,0 Prozent, die es wurden, sind der geringste Wert seit über vier Jahrzehnten – mit Ausnahme des Pandemiejahres 2020. Vizeministerpräsident Liu He kündigte am Dienstag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos konjunkturelle Fortschritte an.

Diese sollen insbesondere durch die Entfesselung der Binnennachfrage in dem Land mit seiner Milliardenbevölkerung zustande kommen. Die Regierung darf dabei auf Nachholeffekte hoffen: Nach fast drei Jahren striktem Coronavirus-Regime geht man davon aus, dass der Konsum der Haushalte sprunghaft ansteigt.

Zweifel an Rückkehr zu alter Stärke
Expertinnen und Experten sind insgesamt aber weniger optimistisch: Zwar werden wieder Wachstumsraten um die fünf Prozent erwartet, an Marken wie 8,4 Prozent wie noch im Jahr 2021 wird China aber nur schwer wieder anschließen können. Die einstige Wachstumslokomotive der Welt werde dauerhaft deutlich weniger Zugkraft entwickeln, heißt es.

Das aktuell größte Fragezeichen ist die Coronavirus-Lage im Land. Liu meinte in Davos, die Lage sei mittlerweile unter Kontrolle. „China hat den Höhepunkt der Infektionen überschritten“, sagte er in der Schweiz. Vom Höhepunkt der Infektionen zur Rückkehr zur Normalität sei es nur eine kurze Zeitspanne.

Coronavirus wirklich überstanden?
Die kommunistische Führungsriege hatte im Dezember unter dem Eindruck der lahmenden Wirtschaft und nach regierungskritischen Protesten eine abrupte Abkehr von ihrer strikten Null-Covid-Politik verkündet. Folge war eine enorme Infektionswelle, da die Bevölkerung – anders als in anderen Ländern durch Impfungen und vorangegangene Infektionen – kaum Immunität aufgebaut hat.

Nach Kritik hatte China erst am Wochenende die Todeszahlen seit den Lockerungen stark nach oben korrigiert, auf fast 60.000 Todesfälle alleine zwischen 8. Dezember 2022 und 12. Jänner 2023. Doch auch an diesen Zahlen gibt es Zweifel: Mediziner berichteten gegenüber Reuters, sie seien angehalten worden, als Todesursache nicht Atemversagen nach Covid-19-Erkrankung in die Sterbeurkunde zu schreiben.

Dass China das Problem mit einer Durchseuchung binnen weniger Wochen schon gelöst hat, scheint unwahrscheinlich. Zum Neujahrsfest am 22. Jänner reisen Millionen Chinesinnen und Chinesen durch das Land, eine erneute Verschärfung der Situation wird erwartet.

Immobilienkrise noch nicht ausgestanden
Ebenfalls noch nicht ausgestanden ist die Krise im Immobiliensektor, der zusammen mit der Baubranche über ein Viertel zur Wirtschaftskraft beiträgt. Die Branche steckt in der Krise, seit Peking 2020 Kreditvergaben und Spekulationen regulierte. Das brachte den Immobilienriesen Evergrande ins Wanken, der auf einem Berg von Schulden sitzt und seine Bauversprechen nicht einhalten kann.

Mehrere andere große Unternehmen drohten mitgerissen zu werden. Im November kündigte die chinesische Regierung große staatliche Geldspritzen für den Immobiliensektor an, seitdem herrscht – auch bei westlichen Investoren – die Hoffnung, dass der Bereich wieder lukrativ wird.

Kleinere Unternehmen in der Bredouille
Die „Financial Times“ wiederum wies darauf hin, dass Klein- und Mittelbetriebe, als Letztere gelten Unternehmen bis zu 1.000 Arbeitnehmerinnen und –nehmer, ein wesentlicher Faktor für den Aufschwung sind. Und dort gebe es derzeit auch Probleme, so die Zeitung. Die Unternehmen seien für mehr als 50 Prozent der Wirtschaftsleistung und der Steuerleistung verantwortlich.

Doch vor allem durch die Pandemiemaßnahmen seien viele Firmen in der Krise. Verschärft worden sei diese, weil viele Regionen und Städte die Lohnnebenkosten, insbesondere Sozialversicherungsbeiträge erhöht hätten. Auch die Löhne selbst seien zuletzt stärker gestiegen, ausgehend von Lohnerhöhungen im öffentlichen Sektor.
Doch auch die großen Unternehmen, allen voran Tech-Fabriken, haben zu kämpfen. Aufgrund der zunehmenden politischen Polarisierung zwischen China und dem Westen verlegen vor allem erste US-Firmen ihre Fertigung in andere Länder, besonders nach Vietnam.


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Schon jetzt fehlen Arbeitskräfte
Umgekehrt erleben einige Fabriken aber auch schon einen Vorgeschmack, was Chinas größte Herausforderung werden dürfte: Arbeitskräftemangel. Auf dem Papier habe China zwar noch Millionen derzeit erwerbslose junge Menschen, doch 80 Prozent aller Fabriken hätten im vergangenen Jahr bereits Probleme mit fehlenden Arbeitskräften gehabt, berichtete Reuters unter Berufung auf eine Umfrage von CIIC Consulting.

Ebenfalls am Dienstag gab das nationale Statistikbüro bekannt, dass Chinas Bevölkerung erstmals seit der großen Hungersnot vor 60 Jahren geschrumpft ist. Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger gab es Ende 2022 mit 1,41 Mrd. an, etwa 850.000 weniger als im Jahr zuvor. Das markiert auch eine Zeitenwende für die Wirtschaft: „Chinas demografische und wirtschaftliche Aussichten sind viel düsterer als erwartet“, bewertete der Experte für die Bevölkerungsentwicklung, Yi Fuxian, die neuen Daten.

„Demografische Zeitbombe“ tickt
Als Grund für die Entwicklung gilt insbesondere die Einkindpolitik von 1980 bis 2011. Doch mit steigendem Wohlstand wurden auch – wie überall auf der Welt – weniger Kinder geboren. Zudem schrecken hohe Kosten für die Bildung viele Chinesen davon ab, mehr als ein Kind oder überhaupt Kinder zu haben. Die strenge Null-Covid-Politik der Regierung verschärfte die Lage weiter.

Die „demografische Zeitbombe beginnt zu ticken“, schrieb die „Asia Times“. Und auch die „New York Times“ nannte gleich mehrere Gründe, wieso die Entwicklung für die Wirtschaft – und damit auch China – gefährlich ist. Mit vergleichsweise geburtenschwachen Jahrgängen der vergangenen Jahrzehnten droht eine rasche Überalterung der Bevölkerung. Das sei eine enorme Herausforderung für das staatliche Pensionssystem – bei einem sehr niedrigen Pensionsantrittsalter von zumeist rund 60 Jahren – und auch für das Gesundheitswesen.

Suche nach neuem Wirtschaftsmodell nötig?
Weniger Menschen bedeute auch weniger Inlandsnachfrage – und das gelte nicht nur für klassische Konsumgüter, sondern etwa auch für den Immobiliensektor. Doch das größte Problem sei wohl der Arbeitskräftemangel, wenn China seine Wirtschaftsstruktur beibehalte.
„Jahrelang trieb Chinas riesige Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter den globalen Wirtschaftsmotor an und lieferte die Fabrikarbeiter, deren billige Arbeitskraft Waren produzierte, die in die ganze Welt exportiert wurden“, schrieb die Zeitung. Für ein solches Wirtschaftsmodell könnten aber bald die Arbeitskräfte fehlen.

China müsste also versuchen, andere Wirtschaftsfelder aufzubauen, die weniger auf intensiven Personaleinsatz angewiesen sind. Ein solcher Totalumbau der Wirtschaft scheint aber schwierig – auch weil sich das Land eine völlig neue Rolle in der Weltwirtschaft suchen müsste.
19.01.2023, red, ORF.at/Agenturen

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Motor stottert: Große Stolpersteine für Chinas Wirtschaft
 
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