Die Mauer...

josef

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Als Schwerpunkt in den deutschsprachigen Medien in den letzten Tagen ausführlich behandelt, auch soll auch hier an den "Mauerfall" vor 25 Jahren gedacht werden:
Schwerpunkt Zeitgeschichte: Die Mauer

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten,“ so Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrates der DDR, am 15. Juni 1961. Knapp zwei Monate später wurde Berlin geteilt.

Eine Glastür im Palais Lobkowitz in der tschechischen Hauptstadt Prag führt auf ein paar Quadratmeter Weltgeschichte. Hier tritt man auf den Balkon, von dem der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher am Abend des 30. September 1989 um 18.59 Uhr tausenden DDR-Flüchtlingen den Weg in die Freiheit versprach. Es war vielleicht der berühmteste Halbsatz der Geschichte. Halbsatz deswegen, weil man das Ende des Satzes nicht mehr hört. Nach dem Wort „Ausreise“ versinkt die Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in grenzenlosem Jubel.

In den Monaten zuvor war der Zustrom von DDR-Flüchtlingen in die westdeutsche Enklave kontinuierlich angeschwollen. Sie war nur die Vorhut, bis am 9. November schließlich die Berliner Mauer fiel. Die Rede Genschers war der erste Schritt zur Zerstörung des Eisernen Vorhangs, der Jahrzehnte Europa in zwei Teile getrennt hatte.

„Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten,“ so Walter Ulbricht, Vorsitzender des Staatsrates und somit Staatsoberhaupt der DDR, am 15. Juni 1961. Knapp zwei Monate später am Sonntag, den 13. August, morgens um 3 Uhr 37 meldet Associated Press: „Das Brandenburger Tor ist geschlossen“. Und um 3 Uhr 53 wusste die „Deutsche Presse-Agentur“: „Ostzonale Volkspolizisten spannen Stacheldraht an den Sektorenübergängen“. Der Deutschlandsender spielt seit Tagen heitere Marschmusik, in der Zone breitet sich aber Nervosität aus. „Wer fliehen will, fliehe sofort. Ulbricht wird die Klappe zumachen“. Bis dahin sind über drei Millionen Menschen aus Ostberlin und der Zone abgewandert. Diese Massenflucht droht die DDR auszubluten.

Verschärfung der Grenzkontrollen
Westberlin ist das Ziel - wegen der Verschärfung der Grenzkontrollen und des Ausbaus der Sperranlagen an der innerdeutschen Grenze. Westberlin ist Sammel- und Treffpunkt der Flüchtenden. Der 13. August 1961 sollte dieses Ventil verstopfen. 53.000 Ostberliner verlieren auf einen Schlag ihre Arbeitsplätze in den Berliner Westsektoren.

In dieser Zeit liegt die Bundesrepublik Deutschland im Wahlkampf. Der Berliner Senat tritt zu einer Sondersitzung zusammen, um zu entscheiden, ob die Westmächte eingreifen sollen. Der Tag vergeht, der ostzonale Deutschlandsender strahlt noch immer Marschmusik aus und schickt Grußbotschaften an die Bevölkerung.

In der Nacht vom 12. auf den 13. August gibt Walter Ulbricht in seinen Funktionen als SED-Parteiführer und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates den Befehl zur Abriegelung der Sektorengrenze in Berlin. Er hat sich zuvor in Moskau das Einverständnis der Sowjetunion eingeholt. Am frühen Morgen des 13. August beginnen bewaffnete Grenzpolizisten mitten in Berlin das Straßenpflaster aufzureißen, Asphaltstücke und Pflastersteine werden zu Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle eingerammt und Stacheldrahtverhaue gezogen.

Der Bundeskanzler von Westdeutschland Konrad Adenauer sieht noch keine Veranlassung, etwas zu unternehmen. Noch gibt es genug Lücken im Zaun.

Am Abend des 14. August 1961 steht fest, die Westmächte sind zu Gegenmaßnahmen nicht bereit. Die westdeutschen Besucher, die sich in der Zone aufhalten, reisen schleunigst aus.

Begeisterung und Zuversicht zur Abriegelung
Von jetzt an gibt es nach außen nur noch Zustimmung, Begeisterung und Zuversicht zur Abriegelung. Der sowjetische Ministerpräsident Nikita Chruschtschow erklärt im Fernsehen, dass die Sowjetunion nicht die Absicht habe, irgendwelche legitime Interessen der Westmächte anzutasten. Und der amerikanische Präsident John F. Kennedy antwortet ebenfalls im Fernsehen: „Wenn sie eine echte Verständigung suchen, nicht Konzessionen in Bezug auf unsere Rechte, werden wir mit ihnen zusammenkommen“. In der Bundesrepublik kommt der bereits abgetretene dritte Bundestag zu einer Sondersitzung zusammen. Es werden Verhandlungen mit der Sowjetunion verlangt.

300.000 Berliner protestieren vor dem Schöneberger Rathaus. Der amtierende Bürgermeister Willy Brandt würde sich für Berlin mehr als Worte erwarten. Zwischen Berlin und den Alliierten herrscht eine Vertrauenskrise und leichte Enttäuschung greift um sich. Die Westmächte protestieren in Moskau gegen die Invasion der Volksarmee in Ostberlin. Das verstoße gegen das Potsdamer Abkommen. Die Mauer wird größer und größer, sie hat aber noch Lücken und die Flüchtlinge werden viel weniger als Tage zuvor. Die Schriftsteller Wolfdietrich Schnurre und Günter Grass tragen einen offenen Brief ins Büro des Schriftstellerverbandes nach Ostberlin, in dem steht: „Viele Bürger ihres Staates halten die DDR nicht mehr bewohnbar, haben ihren Staat verlassen und wollen ihren Staat verlassen. Diese Massenflucht, die von ihrer Regierung ohne jeden Beweis Menschenhandel genannt wird, kann und darf die Aktion vom 13. August weder erklären noch entschuldigen“. In der Zwischenzeit sind hunderte Volkspolizisten über den Stacheldraht desertiert und liefern den Grund, dass die Mauer wachsen muss. 1 Meter 70 hohe Betonwände mit Stacheldrahtaufsatz sind es, bewacht von der Vopo, die umgangssprachliche Bezeichnung für die Volkspolizei. Die Vopo bewacht die Mauer, um die Vopo von der Flucht aufzuhalten und die Bewacher bewachen die Bewacher, die von Bewachern bewacht werden.

Nahe dem Brandenburger Tor an der Straße des 17. Juni steht das Sowjetehrenmal im englischen Sektor in Westberlin, bewacht von Rotarmisten. Es wurde auf Vorschlag des Westberliner Senats eingezäunt und von einem britischen Soldaten symbolisch beschützt. Bewacher bewachen Bewacher. Westberlin schickt Schallkämpfer – offizielle Bezeichnung „Studio am Stacheldraht“ – an die Front. Sie fahren mit vier Lautsprecherwagen Tag und Nacht die Sektorengrenze entlang und überschütten eine fünf Kilometer breite Zone in Ostberlin mit ohrenbetäubendem Lärm. Leitmotiv der jeweils viertelstündigen Propagandasendung ist das Trompetensolo aus dem Film „Verdammt in alle Ewigkeit“. Der Osten kontert mit seinen hundert fest installierten Lautsprechern, die im Westberliner Polizeijargon „Rote Hugos“ genannt werden. Zwecklos, die „roten Hugos“ schaffen nur 95 bis 105 Phon. Zuwenig weil es die westlichen Studiowagen auf 120 Phon bringen.

Hundertmeter-Streifen als Sicherheitszone
DDR-Innenminister Karl Maron macht bekannt, dass beiderseits der Mauer ein Hundertmeter-Streifen zur Sicherheitszone erklärt wird, er verfügt also über Westberliner Gebiet. Daraufhin rollen Panzer der amerikanischen Streitkräfte gegen die Friedrichstraße zur Sektorengrenze vor, sie demonstrieren damit ihr Anwesenheitsrecht. Auf der anderen Seite müssen die Bewohner die unteren Stockwerke der Grenzhäuser räumen. Türen und Fenster werden zugemauert, aber die Mauer hat noch immer kleine Schlupflöcher. In der Nacht zum 23. August kleben die Kolonnen der Ostberliner Städtereklame Plakate an die Litfasssäulen. „Westberliner dürfen nur noch mit Passierscheinen die Hauptstadt der DDR betreten“ steht auf ihnen. Über die Errichtung von Passierscheinstellen wird man sich nicht einigen. Jetzt beginnen die Untergrundaktionen: Flucht durch Abwasserkanäle, Flucht durch selbstgegrabene Tunnels, Flucht mit gefälschten Papieren. Ein Volk wird zugemauert.

Die ersten Opfer der Mauer
Im Hafenbecken des Humboldthafens im Bezirk Berlin Mitte treibt tot das erste Opfer der Mauer, es ist ein Sonntag, 16.15 Uhr, der 24. August. Ein unbekannter Flüchtling, der in die Freiheit schwimmen wollte, wird von Grenzsoldaten entdeckt und erschossen. Die Mauer war erst 11 Tage alt. Erst später stellt sich heraus, dass es sich um den 24-jährigen Günter Litfin handelte, dem ersten Todesopfer, dem noch weitere 137 bis 1989 folgen sollten. In Westberlin und in der Bundesrepublik erscheint der Steckbrief des Volkspolizisten, der ihn erschoss. In Ostberlin wurden die tödlichen Schüsse zunächst nur in einem Bericht der Transportpolizei vermerkt. Um die offensichtliche Unmenschlichkeit der Tat zu vertuschen, versuchte die Staatssicherheit das Opfer zu verleumden und zu kriminalisieren. Bereits am 22. August, dem Tag des Adenauer-Besuches in Berlin, hatte sich die „Gruppe 47“, eine Vereinigung von Schriftstellern und Publizisten der mittleren und jüngeren Generation, in Westberlin getroffen, um zu überlegen, was getan werden könnte. Hans Werner Richter, einer ihrer Begründer und Sprecher, legt einen Brief an den russischen Regierungschef Nikita Chruschtschow vor, den er am 7. September der sowjetischen Botschaft übergibt.

„Wir klagen Walter Ulbricht und seine Gruppe folgender Verstöße an: 1. Verletzung der Menschenrechte. 2. Verstöße gegen die Grundsätze des Sozialismus. 3. Verstöße gegen die Idee des Friedens.“

„Zugemauert“

Die Versöhnungskirche „zugemauert“, die Fensterfronten „zugemauert“, die Trambahngleise „zugemauert“. Scheinwerfer, Gewehrläufe, Ferngläser, Wachtürme, Grenzposten. Ein Graben ist zwischen Ost und West entstanden. Man ist zuweit auseinandergerückt und versteht sich nicht mehr. Die Schwester den Bruder, die Mutter den Sohn, der Freund den Freund. Der 17. September kommt und mit ihm die Wahlen in der Bundesrepublik und die Wahlen in der Zone. Gleiches hier und dort, hüben wie drüben, doch ungleicher geht’s nicht mehr.

Am 4. Oktober 1961 springt ein Mensch in den Tod. Bernd Lünser, 22 Jahre alt. Die Mauer hat ihn von seinem Westberliner Studienplatz getrennt. Er versucht, über ein Dach zu flüchten, kommt unter Beschuss und wird tödlich verletzt. Der Ostberliner Wachtmeister und ein Westberliner Polizeibeamter berichten, unterschiedlicher könnten die Wahrnehmungen nicht sein.

Immer mehr Opfer
Die Zahl der Opfer, die die Freiheit nicht erreichen, wächst, gleichgültig ob sie sich als Ausländer tarnen, in ein Erdtunnel kriechen, mit dem LKW die noch nicht allzu stabile Mauer mit Volldampf durchbrechen oder aus dem Fenster springen. Ein Bild ging um die Welt und ist bis heute untrennbar mit dem Bau der Berliner Mauer verbunden. Am 15. August 1961 hatte der 19-jährige Grenzpolizist Conrad Schumann Dienst an der Bernauer Straße. Seine Aufgabe war es, die Sektorengrenze zu überwachen und Menschen von einer Flucht abzuhalten. Doch dann trat er selbst die Flucht an, mit einem Sprung über den Stacheldrahtzaun, und wurde dabei von einem Fotografen verewigt. Er war der erste Volksarmist, der die DDR auf diese Art und Weise verließ. Bei den Volksrichtern müssen Nachtschichten eingelegt werden.

Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer fliegt nach Washington und verhandelt mit John F. Kennedy über Berlin, über Deutschland. Kennedy will endlich wissen, welche Konzessionen Bonn zu machen bereit sei.

Die Mauer - „Antifaschistischer Schutzwall“ hieß sie bei den einen, „Denkmal der Unmenschlichkeit“ bei den anderen. Niemand konnte sich unmittelbar nach dem 13. August 1961 vorstellen, dass 28 Jahre, zwei Monate und 28 Tage vergehen würden bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989, heute auf den Tag genau vor 25 Jahren.


Michael Huemer
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