Fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen könnten von Streitkräften stammen, doch genaue Zahlen gibt es nicht

josef

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VERSCHLEIERTER FAKTOR
Die größte Emissionsquelle, die in den Klimabilanzen fehlt: Das Militär
Fünf Prozent aller Treibhausgasemissionen könnten von Streitkräften stammen, doch genaue Zahlen gibt es nicht. Das muss sich dringend ändern, sagen Forschende
Landwirtschaft, Industrie, Energieproduktion, Verkehr: Aus diesen Sektoren stammt der Löwenanteil der vom Menschen verantworteten Treibhausgasemissionen. Eine genauere Aufschlüsselung der größten CO2-Emittenten ermöglichen die Klimaabkommen der Vereinten Nationen. Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention und des Kyoto-Protokolls müssen regelmäßig nationale Treibhausgasbilanzen veröffentlichen. Doch eine gewichtige Emissionsquelle wird in diesen Inventarberichten praktisch nicht ausgewiesen: das Militär.


Das US-Militär ist der größte institutionelle Treibhausgasemittent der Welt. Kürzlich wurde eine Strategie zur Reduktion vorgelegt, an genauen Zahlen mangelt es aber.
Foto: AP/Giuseppe Distefano


Schon lange kritisieren Klimaforscherinnen und Umweltaktivisten diese militärische "Blackbox". Schätzungen zufolge gehen bis zu fünf Prozent aller weltweiten Emissionen auf das Konto von Streitkräften, doch genaue Zahlen gibt es nicht. Militärische Supermächte wie die USA haben sich auch lange darum bemüht, dass das so bleibt: Aus Gründen der nationalen Sicherheit, so das Argument, sollten Emissionen durch das Militär von der Berichtspflicht ausgenommen bleiben – zu viel würde diese Information über die Kapazitäten der Armee preisgeben. Eine Gruppe von Forschenden ruft nun im Fachblatt "Nature" dazu auf, diese Praxis endlich zu beenden.

Unabhängige Analysen gefordert
Das Fehlen von Klimadaten über den militärischen Sektor verhindere die Entwicklung und Umsetzung dringender Maßnahmen zur CO2-Reduktion. "Es gibt längst Methoden zur Ermittlung von Emissionen, ohne die Rechte an geistigem Eigentum zu verletzen oder sensible Informationen offenzulegen", schreiben Oliver Belcher (Durham University), Kristi Ashworth (Royal Society, London) und Kollegen. Unabhängige wissenschaftliche Analysen seien nicht nur nötig, um Einsparungspotenziale im Militär zu erkennen, sondern auch um zu eruieren, welche ökologischen Kosten bewaffnete Konflikte mit sich bringen und wie sich effektiv gegensteuern ließe.


Chinas militärische Emissionen steigen rasant – Details liegen aber im Dunkeln.
Foto: APA/AFP/ANTHONY WALLACE

Tatsächlich fehlt es gerade bei den größten Streitkräften des Planeten an Daten. So steht zwar fest, dass das US-amerikanische Verteidigungsministerium mehr fossile Brennstoffe verbraucht als jede andere Institution der Welt – und jährlich mehr Treibhausgasmengen freisetzen dürfte als Österreich und die Schweiz zusammen. Allein der Treibstoffverbrauch für US-Militärflugzeuge dürfte Belcher und Kollegen zufolge pro Jahr dem von sechs Millionen Autos entsprechen. Aber trotz jüngster Bekenntnisse zum Klimaschutz im Pentagon dürften offiziell kommunizierte Zahlen nur rund die Hälfte der tatsächlichen Emissionen ausmachen. Zu diesem Schluss kommt etwa die Politikwissenschafterin Neta Crawford (Oxford University) in ihrem neuen Buch "The Pentagon, Climate Change, and War" (MIT Press, 2022).

Bundesheer-Emissionen nicht beziffert
Auch die britischen Streitkräfte stoßen pro Kopf ähnlich große Mengen CO2 aus wie viele Industrieländer, halten sich mit genauen Angaben aber ebenfalls bedeckt. Die deutsche Bundeswehr weist ihre jährlichen Gesamtemissionen dagegen sehr genau aus, für 2021 würden sich diese auf 1,71 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente belaufen, berichtet "Zeit Online". Zum Vergleich: Insgesamt lagen Deutschlands Emissionen 2021 bei rund 762 Millionen Tonnen.

In Österreich kann man so genaue Angaben nicht machen. Die CO2-Bilanz des Bundesheers werde zwar in Teilbereichen erhoben, heißt es auf STANDARD-Anfrage an das Verteidigungsministerium. Eine konkrete Festlegung des gesamten CO2-Ausstoßes könne aber aufgrund der unterschiedlichen Bereiche nicht beziffert werden. "Der derzeit vermutete CO2-Fußabdruck des Bundesheers ist nicht hoch", sagte Ottokar Jindrich vom Referat für Umweltschutz, Nachhaltigkeit und Ökologie im Verteidigungsministerium kürzlich zum STANDARD. "Im Bereich von Betriebsmitteln und Heizung haben wir einen Ausstoß, der im Gesamtsystem Österreichs kaum Relevanz hat."

Russlands fossiler Krieg
Bei vielen Nationen mit großen Streitkräften wie China, Indien und Russland ist die Datenlage noch undurchsichtiger. Expertinnen und Experten gehen aber in etlichen Nationen von einem starken Emissionsanstieg im Militärkomplex aus: Chinas Militärausgaben etwa wachsen schneller als sein Gesamthaushalt, während Russland mit dem Überfall auf die Ukraine im Februar den größten Krieg in Europa seit 1945 entfacht hat.


Militärparade in Moskau im vergangenen Mai, während der Überfall auf die Ukraine längst im Gange war.
Foto: APA/AFP/ALEXANDER NEMENOV

Das Ausmaß der ökologischen Folgen des russischen Angriffskriegs, der immer stärker auch gegen die ukrainische Zivilbevölkerung geführt wird, ist neben dem gigantischen Leid und der unmittelbaren Zerstörung im Land noch längst nicht abzusehen. Die ukrainische Regierung will bei der bevorstehenden UN-Klimakonferenz in Ägypten ab 7. November aber erste Berechnungen über Umwelt- und Klimafolgen des Krieges vorlegen, in dem fossile Energieträger nicht nur militärisch eine entscheidende Rolle spielen, sondern auch als Finanzierungs- und Druckmittel für Russland.

Die Verflechtungen zwischen Militär, Wirtschaft und der fossilen Industrie seien seit dem 19. Jahrhundert immer enger geworden und bis heute weitgehend ungebrochen, schreibt Politikwissenschafterin Crawford. Dabei habe gerade das US-Militär – im Gegensatz zu vielen Politikern – den Klimawandel schon früh anerkannt und als ernsthafte Gefahr eingestuft. Im Pentagon habe man sich allerdings lange ausschließlich mit militärischen Anpassungen an extreme Klimaszenarien befasst und nicht mit der Frage, ob man selbst Beiträge zur Lösung des Problem liefern könnte.

Militärische Klimastrategien
Immerhin hat die Aufmerksamkeit für die enormen Emissionen in einigen Streitkräften in jüngster Vergangenheit zugenommen. So legte die US-Armee im Februar erstmals eine Klimastrategie vor, in der eine Halbierung der Emissionen bis 2030 und vorgesehen ist und bis 2050 "Net Zero Emissions" erreicht werden sollen. Auch das britische Verteidigungsministerium hat ein Klima-Strategiepapier vorgelegt, im Juni zog das Militärbündnis Nato nach und kündigte eine Treibhausgasreduktion um 45 Prozent bis zum Ende des Jahrzehnts an, CO2-Neutralität bis 2050. Wie genau diese Ziele erreicht werden und wie transparent ihre Umsetzung vonstattengehen soll, blieb allerdings recht vage.

Belcher und Kollegen begrüßen diese jüngsten Bekenntnisse zu einer Reduktion. Ohne internationale Vereinbarungen sehen sie aber schwarz: Es brauche mehr als einen "grünen" Anstrich bei militärischer Ausrüstung und Infrastruktur, nämlich vor allem Transparenz in den nationalen Treibhausgasbilanzen. Nur dann könnten Streitkräfte auch für ihre Beiträge zum Klimawandel zur Rechenschaft gezogen werden.
(David Rennert, 3.11.2022)

Kommentar in "Nature"
Decarbonize the military — mandate emissions reporting

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