Fliegerangriff auf Ranshofen am 6. September 1940

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#1
Schon vor einiger Zeit habe ich bei Recherchen in den Mikrofilmbeständen des Instituts für Zeitgeschichte der Uni Wien einen Eintrag im Kriegstagebuch der Rüstungsinspektion XVII gefunden, in dem von einem feindlichen Fliegereinflug in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1940 berichtet wird. Ein einzelnes Flugzeug flog drei Mal über die Baustelle des Aluminiumwerks und verursachte Schäden.

Ich frage mich nun, woher kam dieser einzelne Flieger? Und warum kam nur einer? Eigentlich konnte er zu diesem Zeitpunkt nur aus England gekommen sein, weil im Osten die Lage noch "ruhig" und im Westen Frankreich bereits besetzt war. Aus Vichy-Frankreich wird er ja wohl auch kaum gekommen sein.
Mir erscheint jedoch einfach die ganze Ausführung eigenartig. Warum sollte man ein einzelnes Flugzeug über eine seeehr weite Distanz losschicken, das ein paar Brandbomben und sieben Sprengbomben abwirft und ansonsten noch mit einem MG ausgestattet ist? Dass man damit kaum das ganze Bauprojekt zerstören würde, war ja vermutlich schon beim Abheben des Fliegers klar. Außerdem war ein Alu-Werk, das sich in Entstehung befand, wohl kaum Angriffsziel Nummer 1.

Warum hat man ein Flugzeug etwa 1000 km oder mehr in eine Richtung geschickt (sofern es tatsächlich aus England kam), nur um eine fast bedeutungslose Baustelle anzugreifen? Außerdem tobte zu diesem Zeitpunkt gerade die Luftschlacht um England, in der man sich seitens der Verteidiger mit der Abwehr der ständig einfliegenden deutschen Flieger beschäftigen musste und kaum Zeit oder Kapazität für einen belanglosen Einzelflug in die damalige Ostmark hatte.

Hier der Eintrag im Kriegstagebuch im Wortlaut:

Mikrofilmbestand T-77, Rolle 747/1980420
Kriegstagebuch Nr. 4 der Rüstungsinspektion XVII von 1. Juli bis 30. September 1940

"7.9.1940.
Feindeinflug
In der Nacht vom 5. auf den 6.9.1940 zwischen 1 und 2 Uhr nachts, wurde die Baustelle des Aluminiumwerkes in Ranshofen bei Braunau a/Inn, von einem feindlichen Flieger angegriffen.
Das Flugzeug flog im Gleitflug an und warf Brandbomben auf einen im Bau befindlichen Tonerdesilo, dessen Verschalung in Brand geriet; das dazwischen befindliche Eisen verglühte, das Feuer konnte auf den Brandherd beschränkt bleiben. Dann wurden weitere Brandbomben auf die Baustelle und das benachbarte Waldgelände geworfen (kleiner Waldbrand, der in einer Stunde gelöscht war).
Beim zweiten Anflug wurden aus einer Höhe von 50–100 m sieben Sprengbomben geworfen, wovon drei innerhalb der Baustelle auftrafen und Trichter von 4–5 m Durchmesser und 1–20 m Tiefe verursachten. Eine Wand und sämtliche Fenster wurden eingedrückt.
Beim dritten Anflug wurde die Baustelle aus niedriger Höhe mit MG-Feuer belegt. Dabei wurden 3 Gefolgschaftsmitglieder verletzt, davon einer schwer durch Brustschuss.
Der Gesamtschaden wird auf 80.000 bis 100.000 RM geschätzt. Die Fertigstellung des Baues ist dadurch um ca. 1 Monat verzögert."
 
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josef

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#3
Wirklich interessante Angelegenheit!
Beim zweiten Anflug wurden aus einer Höhe von 50–100 m sieben Sprengbomben geworfen, wovon drei innerhalb der Baustelle auftrafen und Trichter von 4–5 m Durchmesser und 1–20 m Tiefe verursachten.
Die Krater-(Trichter-)tiefe von bis zu 20 m dürfte nicht ganz stimmen!

Habe einen Textauszug über Kratergrößen von einigen deutschen und britischen Bomben abgespeichert, kann natürlich nicht sagen, wie genau die Angaben sind. Die Kraterbildung durch die Sprengkraft ist ja auch von der jeweiligen Bodenbeschaffung abhängig (Sand, Kies, Lehm, Moorboden, normaler Humusboden, Fels, Betonuntergrund, usw. ...):

1559834451967.png

Ich vermute, die Zahlen sollten 4 - 5 m Durchmesser und 1,2 m Tiefe lauten...
 

Geist

Worte im Dunkel
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#4
Wirklich interessante Angelegenheit!


Die Krater-(Trichter-)tiefe von bis zu 20 m dürfte nicht ganz stimmen!

Habe einen Textauszug über Kratergrößen von einigen deutschen und britischen Bomben abgespeichert, kann natürlich nicht sagen, wie genau die Angaben sind. Die Kraterbildung durch die Sprengkraft ist ja auch von der jeweiligen Bodenbeschaffung abhängig (Sand, Kies, Lehm, Moorboden, normaler Humusboden, Fels, Betonuntergrund, usw. ...):



Ich vermute, die Zahlen sollten 4 - 5 m Durchmesser und 1,2 m Tiefe lauten...
Ja, oder 1–2 m Tiefe.
 
#5
Schon vor einiger Zeit habe ich bei Recherchen in den Mikrofilmbeständen des Instituts für Zeitgeschichte der Uni Wien einen Eintrag im Kriegstagebuch der Rüstungsinspektion XVII gefunden, in dem von einem feindlichen Fliegereinflug in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1940 berichtet wird. Ein einzelnes Flugzeug flog drei Mal über die Baustelle des Aluminiumwerks und verursachte Schäden.

Ich frage mich nun, woher kam dieser einzelne Flieger? Und warum kam nur einer? Eigentlich konnte er zu diesem Zeitpunkt nur aus England gekommen sein, weil im Osten die Lage noch "ruhig" und im Westen Frankreich bereits besetzt war. Aus Vichy-Frankreich wird er ja wohl auch kaum gekommen sein.
Mir erscheint jedoch einfach die ganze Ausführung eigenartig. Warum sollte man ein einzelnes Flugzeug über eine seeehr weite Distanz losschicken, das ein paar Brandbomben und sieben Sprengbomben abwirft und ansonsten noch mit einem MG ausgestattet ist? Dass man damit kaum das ganze Bauprojekt zerstören würde, war ja vermutlich schon beim Abheben des Fliegers klar. Außerdem war ein Alu-Werk, das sich in Entstehung befand, wohl kaum Angriffsziel Nummer 1.

Warum hat man ein Flugzeug etwa 1000 km oder mehr in eine Richtung geschickt (sofern es tatsächlich aus England kam), nur um eine fast bedeutungslose Baustelle anzugreifen? Außerdem tobte zu diesem Zeitpunkt gerade die Luftschlacht um England, in der man sich seitens der Verteidiger mit der Abwehr der ständig einfliegenden deutschen Flieger beschäftigen musste und kaum Zeit oder Kapazität für einen belanglosen Einzelflug in die damalige Ostmark hatte.

Hier der Eintrag im Kriegstagebuch im Wortlaut:

Mikrofilmbestand T-77, Rolle 747/1980420
Kriegstagebuch Nr. 4 der Rüstungsinspektion XVII von 1. Juli bis 30. September 1940

Dazu möchte ich aus den Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Band 25 (2018) s. 259 bis 261 zitieren:

"Fast genau ein Jahr nach Kriegsbeginn kam es am 6. September 1940, um 1:40 Uhr, zu einem nächtlichen Störangriff auf das im Aufbau befindliche Aluminiumwerk in Ranshofen bei Braunau. Die Baustelle wurde von einem britischen Kampfflugzeug mit den Bordmaschinengewehren beschossen und es wurden auch Leucht- und Sprengbomben abgeworfen. Die Attacke forderte mehrere Leichtverletzte, welche von Projektilen der Maschinengewehre oder von Bombensplittern getroffen wurden. Dieser Vorfall führte dazu, dass noch vor Jahresende zwei Sperrfeuerbatterien, ausgestattet mit französischen Beutegeschützen, im Raum Braunau zur Aufstellung kamen. Schon vorher, in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober 1939, war es zu Flugblattabwürfen in der Umgebung von Schärding und Braunau gekommen, wobei man in einigen Ortschaften das Motorengeräusch des Flugzeuges wahrnahm. Der Grund für diese Häufung dürfte der Inn gewesen sein, welchen die damals nur bei Nacht eingesetzten britischen Störflugzeuge zu ihrer Orientierung nutzten. Dabei war für die Briten besonders vorteilhaft, dass damals in Bayern noch totale Verdunkelung angeordnet war, während man im Bereich der Ostmark die Verdunkelungsmaßnahmenbereits gelockert hatte."

Anm. Fußnoten sind hier wegelassen.

Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Band 25 (2018)

Seiten 255 bis 413
DER LUFTKRIEG ÜBER DEM INNVIERTEL IN DEN JAHREN 1939 BIS 1945. DAS LUFTKRIEGSGESCHEHEN IN DEN BEZIRKEN BRAUNAU, GRIESKIRCHEN, RIED UND SCHÄRDING,
mit 104 Abbildungen.
Schwerpunkte der Studie sind u. a. die Luftangriffe auf die Bahnstrecken und Züge sowie das Luftkriegsgeschehen im Rahmen des Vorrückens des XX. US-Corps im Mai 1945.
Neben den heimatkundlichen Aspekten könnte das grenzüberschreitende Thema "Die strategischen Angriffe zur Ausschaltung des Streckennetzes in Niederbayern und im Innviertel" (Seite 368 bis 413) von überregionalen Interesse sein. Hier werden die Luftangriffe des Jahres 1945 auf Wels, Attnang-Puchheim, Vöcklabruck, Lambach und in Niederbayern jene auf die Bahnknoten Passau, Landshut, Plattling und Mühldorf eingehend behandelt und dokumentiert.

Der Band 25 ist im Buchhandel und im oberösterreichischen Landesarchiv erhältlich!

Grüße aus dem Innviertel,
12axinger
 
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