Gedenken an Novemberpogrome

josef

Administrator
Mitarbeiter
#1
75. Jahrestag: Gedenken an Novemberpogrome

Zum 75. Mal jährten sich die Novemberpogrome von 1938. In Wien wurden tausende Juden vertrieben oder verschleppt, ihre Geschäfte geplündert und Synagogen angezündet. Zahlreiche Veranstaltungen erinnerten dieses Wochenende daran.

Die Pogrome werden heute noch oft mit dem Nazi-Ausdruck „Reichskristallnacht“ bezeichnet. Für viele Historiker markieren sie den Beginn der Shoa, der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung. In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 1938 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. „Es wurden tausende Juden in den Sofiensälen inhaftiert, unter entsetzlichen Bedingungen“, sagt der Historiker

Die gezielten Ausschreitungen nach der Aktivierung der SS-Ortsgruppen beschränkten sich allerdings nicht auf eine Nacht, sondern dauerten mehrere Tage an. Allein im „Kreis Wien I“ wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt und 42 Synagogen in Brand gesteckt und verwüstet. Hunderte Juden begingen Suizid. In Wien begann die Gewalt am 9. November 1938 bereits in der Früh, sagt Rathkolb: „Nicht nur in Wien, sondern auch in Graz und Innsbruck wurde schon in der Früh versucht, durch das Zünden von Handgranaten Synagogen zu zerstören.“

Anlässlich des Gedenktages fanden am Wochenende in Wien zahlreiche Veranstaltungen statt. Der Bogen reicht von Ausstellungen über Lesungen, Vorträge oder Filmpräsentationen bis hin zu neuen Ansätzen. Schon am Donnerstag hielt Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg eine Gedenkrede im Parlament, am Freitag legte Bundespräsident Heinz Fischer einen Kranz beim Mahnmal für die jüdischen Opfer der Shoa nieder.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer nahm am Samstag an einer Gedenkveranstaltung im 13.Bezirk teil. Im Volkstheater fanden Lesungen unter dem Titel „Lebendiges Gedenken“ statt. Beim Gedenkstein vor dem ehemaligen Aspangbahnhof im dritten Bezirk wurde eine Mahnwache abgehalten.

Gedenken in Bundesländern
Auch in den anderen Bundesländern wird den Opfern der Novemberpogrome gedacht. In Tirol wurde durch einen kürzlich entdeckten Briefverkehr die Brutalität der Nationalsozialisten deutlich - mehr dazu in Judenhatz: Innsbruck war brutalste Stadt (tirol.ORF.at). In Salzburg hatte das Novemberpogrom den tiefsten Einschnitt in der Geschichte der Israelitischen Kultusgemeinde bedeutete. Am 12. November 1938 wurde Salzburg für „judenrein“ erklärt - mehr dazu in Das Novemberpogrom in Salzburg (salzburg.ORF.at).

Der Eisenstädter Diözesanbischof Ägidius Zsifkovics und Superintendent Manfred Koch finden klare Worte zu der Pogromnacht vor 75 Jahren. Die Botschaft eines gemeinsamen Briefes an ihre Pfarrgemeinden: Die Kirchen tragen Mitschuld an der Verfolgung der Juden - mehr dazu in Novemberpogrome: 75 Jahre danach (burgenland.ORF.at). In Amstetten fand anlässlich der Pogrome vor 75 Jahren eine „Lange Nacht des Erinnerns“ mit einem Zeitzeugen statt, mit dabei war der Zeitzeuge George Wozasek - mehr dazu in Pogrome 1938: Lange Nacht des Erinnerns (noe.ORF.at).
http://wien.orf.at/news/stories/2613789/
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
Fassadenbild der ehemaligen Synagoge für 14 Tage sichtbar

Leopoldstadt: Tempel 14 Tage sichtbar

Als Fassadenbild wiederauferstanden ist die Synagoge in der Tempelgasse in Wien-Leopoldstadt. Zum Gedenken an das Novemberpogrom vor 75 Jahren ist die Synagoge auf einer Leinwand zu sehen.

Die Synagoge in der Tempelgasse 3-5 entstand in den Jahren 1854 bis 1858 nach den Plänen des Architekten Ludwig Förster. Der Innenraum fasste 2.200 Sitzplätze und 1.500 Stehplätze. Während des Novemberpogroms wurde das Gebäude fast völlig zerstört. Nur der nördliche Seitentrakt blieb erhalten.

Jetzt ist der Tempel als Fassadenbild neu errichtet worden. Eine Leinwand wurde vor das Haus gespannt, das an der Stelle des Tempels errichtet wurde. Das originalgetreue Bild wird darauf projiziert.

Bis zum 25. November sichtbar
Am Montag fand am Ort des ehemaligen Tempels eine Gedenkveranstaltung statt. Teilgenommen haben daran unter anderem Brigitte Bailer, die wissenschaftliche Leiterin des DÖW, sowie Oskar Deutsch, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde. Die Veranstaltung organisierten das Psychosoziale Zentrum ESRA und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW). Den ganzen Tag über wurden zudem die Namen von österreichischen Opfern der Shoah verlesen.

Weiters wurde im ESRA-Zentrum eine Ausstellung zum Thema „Die Verfolgung von Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit“ eingerichtet. Zu sehen ist sie so wie die Tempelrekonstruktion bis zum 25. November.

„Schande für die Zivilgesellschaft“
Mit einer Matinee im Wiener Stadttempel hat die Israelitische Kultusgemeinde am Sonntag dem Novemberpogrom vor 75 Jahren gedacht. Bundespräsident Heinz Fischer bezeichnete die Ereignisse als „Schande“ für die Zivilgesellschaft
Text- u. Bildquelle: http://wien.orf.at/news/stories/2614189/
 

Anhänge

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3
Auch heuer wieder Gedenkveranstaltungen zum 76. Jahrestag...

Licht erinnert an brennende Synagogen

Lichtinstallationen und Mahnwachen werden heute in der Leopoldstadt daran erinnern, dass dort vor 76 Jahren Synagogen und Bethäuser brannten. Der Opfer der Novemberpogrome wird auch andernorts in der Stadt gedacht.

Jeweils dort, wo in der Leopoldstadt, Synagogen oder Bethäuser gestanden sind, wird am Abend ein Lichtstrahl in den Himmel gerichtet. Sie sollen an die brennenden Synagogen vor 76 Jahren erinnern. An 16 Standorten werden zudem Mahnwachen abgehalten. Die „Nacht der erhellten Synagogen“ wird von der Israelitischen Kultusgemeinde veranstaltet.

In der Ruprechtskirche wird um 18.00 Uhr mit einer Messe der Opfer gedacht. Im Anschluss ist ein Schweigegang zum Mahnmal auf dem Judenplatz geplant. Und auf dem ehemaligen Aspangbahnhof im dritten Bezirk, von dem aus tausende Juden in die NS-Vernichtungslager deportiert wurden, findet am Nachmittag eine Mahnwache statt - unter dem Motto „Niemals vergessen! Nie wieder Faschismus!“

In Wien 42 Synagogen und Bethäuser zerstört
In der Nacht auf den 10. November 1938 wurden im gesamten Machtbereich der Nationalsozialisten Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte sowie Wohnungen zerstört und verwüstet - und dabei zahlreiche Juden getötet oder verletzt.

In Wien gab es bis zum 9. November 1938 sechs jüdische Tempel, 18 von Tempelvereinen gegründete Vereinssynagogen und 78 Bethäuser. Im Zuge der mehrtägigen Pogrome wurden 42 der Synagogen und Bethäuser zerstört. 6.547 Wiener Juden kamen in Haft, fast 4.000 davon wurden in das Konzentrationslager Dachau verschleppt.

„1938 darf nie wieder passieren! Wir können und dürfen die Vergangenheit nicht ruhen lassen, wenn in Europa wieder moralische Grenzen überschritten werden und das Wort ‚Saujud‘ auf Auslagen jüdischer Geschäfte geschmiert wird“, warnte die Kultusgemeinde, die einen neuen antisemitischen Schub in Europa seit dem Sommer 2014 konstatiert.
http://wien.orf.at/news/stories/2678169/
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#4
Zum 77. Mal jähren sich die November-Pogrome von 1938

Gedenken an November-Pogrome

Zum 77. Mal jähren sich die November-Pogrome von 1938. In Wien wurden Tausende Juden vertrieben oder verschleppt, ihre Geschäfte geplündert und Synagogen angezündet. Zahlreiche Veranstaltungen erinnern daran.

Die Pogrome werden heute noch oft mit dem Nazi-Ausdruck „Reichskristallnacht“ bezeichnet. Für viele Historiker markieren sie den Beginn der Shoa, der gezielten Auslöschung der jüdischen Bevölkerung. In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 1938 insgesamt 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. „Es wurden Tausende Juden in den Sofiensälen inhaftiert, unter entsetzlichen Bedingungen“, sagte der Historiker Oliver Rathkolb.

Allein in Wien 42 Synagogen in Brand gesteckt
Die gezielten Ausschreitungen nach der Aktivierung der SS-Ortsgruppen beschränkten sich allerdings nicht auf eine Nacht, sondern dauerten mehrere Tage an. Allein im „Kreis Wien I“ wurden 1.950 Wohnungen zwangsgeräumt und 42 Synagogen in Brand gesteckt und verwüstet. Hunderte Juden begingen Suizid. In Wien begann die Gewalt am 9. November 1938 bereits in der Früh, sagt Rathkolb: „Nicht nur in Wien, sondern auch in Graz und Innsbruck wurde schon in der Früh versucht, durch das Zünden von Handgranaten Synagogen zu zerstören.“

Dass der 1826 eingeweihte Stadttempel in Wien im November 1938 nicht niedergebrannt wurde, liegt an dessen enger Verbauung mit den umgebenden Häusern in der Wiener Innenstadt. Der Innenraum wurde zwar verwüstet und entweiht, das Gebäude selbst blieb aber erhalten.

Bundespräsident legte Kranz nieder
Anlässlich des Gedenktages finden in Wien zahlreiche Veranstaltungen statt. Bundespräsident Heinz Fischer legte am Vormittag am Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Shoa auf dem Judenplatz einen Kranz nieder. Im Rahmen der Gedenkreihe „Mechaye Hametim“ stand um 19.00 Uhr ein ökumenischer Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche im Zentrum der Erinnerung an die Ereignisse vor 77 Jahren. Anschließend war ein Schweigemarsch zum Mahnmal für die jüdischen Opfer auf dem Judenplatz vorgesehen.

Am ehemaligen Aspangbahnhof im dritten Bezirk fand ebenfalls am Abend eine Mahnwache statt. „Niemals vergessen, nie wieder Faschismus“ - unter diesem Motto gedachte die Initiative Aspangbahnhof der Opfer, die von hier aus in Konzentrationslager deportiert wurden.

Bilder und Geschichten von Zeitzeugen
Am Dienstag laden das Theater Nestroyhof hamakom und der Jewish Welcome Service zu einer Buchpräsentation und einer Vernissage ein. Im Buch „witness - Realities of Forced Emigration 1938 – 1945“ und der gleichnamigen Ausstellung porträtiert der Fotograf Meinrad Hofer emigrierte Zeitzeugen - unter anderen die Wiener Fotografin Liesl Steiner, die am Dienstagabend anwesend sein wird.

„Hofer erkundet in seiner Arbeit Witness die Lebensumstände und Erlebnisse österreichischer Juden, die zwischen 1938 und 1945 unter dem Druck der Nazis ihre Heimat verließen und in die USA auswanderten“, heißt es dazu in der Einladung.

Am Mittwoch gibt es einen Vortrag und ein Gespräch zur „Vertreibung von jüdischen Studierenden der Wiener Hochschule für Welthandel nach 1938“. Präsentiert werden die Forschungsergebnisse von Johannes Koll, Leiter des Archivs der Wirtschaftsuniversität Wien. Otto Friedrich von der Wochenzeitung „Die Furche“ interviewt im Anschluss den Zeitzeugen und Absolventen der Wiener Hochschule, Heinz Kienzl. Beginn ist um 19.00 Uhr im Otto-Mauer-Zentrum.
http://wien.orf.at/news/stories/2741345/
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#5
St.Pölten: Erinnerungen an die Zerstörung der Synagoge

St. Pölten: Erinnerung an die Reichspogromnacht

In der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 haben Nationalsozialisten und ihre Anhänger Synagogen und Geschäfte im jüdischen Eigentum zerstört. Auch die Sankt Pöltner Synagoge wurde zerstört.

Die Synagoge in St. Pölten war einst religiöser Mittelpunkt einer großen jüdischen Gemeinde. „Der Schwerpunkt war in der Stadt mit an die 400 Personen, im Umland von St. Pölten lebten 400 bis 500 Menschen“, schildert der Historiker Christoph Lind vom Institut für jüdische Geschichte Österreichs, das seinen Sitz in der ehemaligen Synagoge von St. Pölten hat.

In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 wurde in der Synagoge ein Feuer gelegt, das zunächst gelöscht werden konnte. Am Tag darauf wurde die Synagoge von Anhängern des Nationalsozialismus zerstört. Von den früheren Jugendstilfenstern sind nur noch zerstörte Fragmente erhalten.

Die Reichpogromnacht war gleichzeitig auch das Ende der jüdischen Gemeinde in St. Pölten. „Wir können davon ausgehen, dass ein Drittel der Menschen umgekommen ist. Es deutet einiges darauf hin, dass am Land mehr Menschen umgekommen sind als in der Stadt“, so Lind.

Nur wenigen gelang rechtzeitig die Flucht ins Ausland. Der Sankt Pöltner Hans Morgenstern flüchtete damals mit seiner Familie nach Palästina und kam nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück.

„Wir sind 1947 zurückgekommen, da war ich zehn Jahre alt, da habe ich noch nicht viel gewusst. Dann hab ich die zerstörte Synagoge gesehen, und meine Eltern haben mir von der ‚Kristallnacht‘ erzählt, und dadurch habe ich mit der Zeit alles erfahren“, schildert Hans Morgenstern.

Niemand wurde wegen der Zerstörung verurteilt
Im Jahr 1952 kam es im Landesgericht Sankt Pölten wegen der Reichpogromnacht zum Prozess. „Es waren bis zu 20 Personen namentlich bekannt, die laut Zeugenaussagen an den Zerstörungen der Synagoge beteiligt waren. Es ist aber nicht weiter ermittelt worden, und es gab nur eine einzige Hausdurchsuchung“, sagt Philipp Mettauer vom Institut für jüdische Geschichte.

Eine Person musste sich schließlich vor Gericht verantworten - sie wurde freigesprochen. Die ehemalige Synagoge wurde in den 1980er Jahren renoviert und wird seitdem als Veranstaltungszentrum und Gedenkstätte genutzt.


Robert Friess, noe.ORF.at
Text u. Fotos: http://noe.orf.at/news/stories/2741819/
 

Anhänge

josef

Administrator
Mitarbeiter
#7
Novemberpogrome 1938 - spontane Aktionen wurden schon lange vorher geplant

Lüge der Nazis wirkt bis heute nach

Auch 78 Jahre nach den November-Pogromen der Nazis, während derer Hunderte Juden den Tod fanden, Tausende gefangen genommen und in einer einzigen Nacht ihrer letzten Rechte beraubt wurden, wirkt die Propaganda nach: Die Lüge von „spontanen“ Morden und Brandschatzungen, am Morgen des 10. November 1938 in die Welt gesetzt, ist immer noch in Umlauf. Dabei ist längst erwiesen, dass die Planung dafür zwei Jahre zuvor begonnen hatte. Nicht gerechnet hatten die Nazis aber mit der Reaktion in der Bevölkerung - gerade in Österreich. Danach glaubte das Regime, sogar mit Massenmord davonkommen zu können.

Als „Empörung“ getarnte Raubzüge
Zum 78. Mal jähren sich die November-Pogrome von 1938 gegen die jüdische Bevölkerung. Heute oft immer noch mit dem verharmlosenden Wort „Reichskristallnacht“ bezeichnet, waren sie mit Hunderten Toten der Wasserscheidemoment, in dem aus der Diskriminierung von Juden die komplette Entrechtung und tödliche Verfolgung wurde. Entsprechend sorgfältig war die Nacht vom 9. auf den 10. November geplant.

Belegtermaßen hatten die Nazis seit 1936 auf eine beliebige Gelegenheit für die Inszenierung von „Volkszorn“ und „spontanen (...) judenfeindlichen Kundgebungen“ gewartet. In jenem Jahr verhinderte das nur die Abhaltung der Olympischen Spiele in Deutschland und die Selbstdarstellung als friedliches „Kraft durch Freude“-Land. Zwei Jahre später konnte die Nazis niemand mehr aufhalten. Und vor allem in Österreich wollte auch fast niemand.

Warnungen schon ab Jahresbeginn
Das Pariser Attentat des 17-jährigen Herschel Grynszpan auf den deutschen Botschaftsmitarbeiter Ernst Eduard vom Rath am 7. November war die von den Nazis gesuchte Gelegenheit. Bezeichnend deren erste Reaktion auf die Schüsse: Vom Rath wurde sofort dreifach befördert und so offiziell zum Spitzendiplomaten: Aus dem Legationssekretär - so heißen Diplomatenlehrlinge - war ein Gesandtschaftsrat Erster Klasse geworden.

Organisiert war der Terror gegen die jüdische Bevölkerung da schon lange: Schon ab Jahresbeginn 1938 gab es dokumentierte Warnungen vor unmittelbar bevorstehenden Pogromen. Im Februar wurden Kultusgemeinden zu Vereinen umgewandelt, womit etwa deren Gebäude nicht mehr von den Behörden zu schützen waren, und ab Sommer waren Betriebe mit jüdischen Eigentümern nach außen hin als solche kenntlich zu machen: Die „Vorarbeit“ dafür, dass sie am 9. November abgebrannt werden konnten.

Nur der Wiener Stadttempel blieb erhalten
In Österreich wurden in der Nacht auf den 10. November 30 Juden getötet, 7.800 verhaftet und aus Wien rund 4.000 sofort ins Konzentrationslager Dachau deportiert. 24 der 25 Wiener Synagogen und mindestens 18 weitere Beträume wurden in dieser Nacht zerstört, einzig der Stadttempel verdankte dem Zufall der engen Verbauung an dieser Stelle der Wiener Innenstadt und der damit einhergehenden Gefahr eines Großbrandes seine Erhaltung.

In Österreich kam es auch in den Bundesländern zu zahlreichen Übergriffen. Die Synagogen in Eisenstadt, Berndorf, Vöslau, Baden, Klagenfurt, Linz und Graz fielen dem Pogrom zum Opfer. In Baden wurden alle Juden verhaftet, in St. Pölten 137, in ganz Salzburg 70, in Klagenfurt 40. Ein Zehntel der rund 650 bis dahin in Oberösterreich lebenden Juden wurde bereits am 8. November festgenommen.

Propaganda und Wahrheit
Im gesamten „Deutschen Reich“ wurden Tausende Synagogen und Geschäfte niedergebrannt, 91 Personen getötet, 20.000 verhaftet. Das ist jedoch nur die Opferbilanz der ersten Nacht. Der organisierte Teil der Pogrome dauerte bis zum 13. November. Am Ende waren 400 Menschen tot und 30.000 für den Transport in Konzentrationslager bestimmt. Eine unbestimmte Anzahl von Menschen sah den einzigen Ausweg im Freitod.

Auch die österreichischen Medien druckten nach der Pogromnacht lediglich den Propagandaerlass ab, wonach „die berechtigte und verständliche Empörung des deutschen Volkes“ enden solle, weil das Regime „dem Judentum die endgültige Antwort erteilen“ werde. Das deutschsprachige „Prager Tagblatt“ war damals aber in Österreich erhältlich und berichtete zutreffend, dass sich die Ereignisse der Nacht „mit gleichgerichteten Unternehmungen irgendeines Vorjahres nicht mehr verglichen werden“ könnten.

In Gier vereint
Es brauchte aber nicht einmal das „Prager Tagblatt“: Auch wenn die SA- und SS-Leute, die die Synagogen und Geschäfte anzündeten, auf Befehl Zivilkleidung trugen - man kannte sie. Die Menge sah in den meisten Fällen unbeteiligt zu. Fast nur in Österreich - und in Wien sogar mehr, als dem Regime zusagte - beteiligten sich Zivilisten aktiv an Verfolgungen. Neben Antisemitismus war dabei vor allem Gier die Triebkraft: 1.950 Wohnungen wurden allein in Wien während des November-Pogroms zwangsgeräumt.

Gier war auch das Motiv des Regimes. Seit Anbeginn war der NS-Antisemitismus vor allem als Vehikel für Raub und Diebstahl gedacht, vom privaten „Ariseur“ bis hin zum Staatshaushalt. Die im Propagandaerlass angekündigte „Antwort“ der Nazis bestand aus der Aneignung jüdischen Vermögens - bis hin zu den Zahlungen von Versicherungen für die Zerstörungen - sowie einer „Sühneabgabe“ von 1,25 Milliarden Reichsmark (entspricht heutigen 8,9 Mrd. Euro), die die Basisfinanzierung für den Zweiten Weltkrieg wurde.

Vom „Volkszorn“ zum industriellen Massenmord
Die Passivität der Bevölkerung und noch mehr die aktive Beteiligung in Österreich überraschte sogar die Nazis selbst - und daran vor allem, dass selbst jene mittaten, die sich gar nicht selbst bereichern konnten. Das Ausland ließ es vor allem bei diplomatischen Protestnoten bewenden. Drei Jahre später war aus dem erfundenen „Volkszorn“ der industrielle Massenmord an Juden, Roma, Sinti, Homosexuellen, „Asozialen“, Regimegegnern und anderen geworden.
http://orf.at/stories/2365401/
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#8
Novemberpogrome: "Der Exzess war etwas Besonderes"
Zerstörte Synagogen, demolierte Wohnungen und gezielte Morde: Die Novemberpogrome markieren den Beginn der Shoah – eine Collage des braunen Terrors
Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gilt als der Auftakt zum Massenmord. Die Novemberpogrome, das gewaltsame Ausschreiten gegen die jüdische Minderheit, ging durch das gesamte Deutsche Reich: Morde, Plünderungen, Verhaftungen.

Doch es war nicht nur diese eine Nacht, ausgelöst durch den Anschlag auf den ersten deutschen Botschaftssekretär Erich Rath in Paris, es gab eine Vorgeschichte. Die Übergriffe, die Zerstörung durch das NS-Regime und seine Handlanger waren bereits einen Monat lang im Alltag präsent. "Das Ausmaß der Gewalt war aber eruptiv. Der Exzess war etwas Besonderes", sagt Dieter J. Hecht, Historiker am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Akademie der Wissenschaften. Gemeinsam mit Eleonore Lappin-Eppel und Michaela Raggam-Blesch stellt er gerade eine Quellenedition – auch zu den Novemberpogromen – zusammen.


foto: döw
Löscharbeiten bei der in Brand gesteckten Synagoge in Klosterneuburg, aufgenommen von einem SA-Bildberichterstatter

Kommendes Jahr soll das Kompendium fertiggestellt sein und auf diese Weise ein "möglichst umfassendes Geschichtsbild" erlauben. Bisher seien noch nicht alle Aspekte aufgearbeitet, erklärt der Historiker das Vorhaben. Der Ansatz soll eine integrierte Geschichtsschreibung ermöglichen, in der nationalsozialistische wie auch jüdische Quellen zusammengefasst werden.

Vor allem in Wien und Innsbruck waren die Ausschreitungen besonders brutal (siehe Berichte unten). "SA und SS wurden gezielt eingesetzt, um die Zerstörungen voranzutreiben – dadurch war das Ausmaß auch kontrollierbar", sagt Hecht. Es wurde gesteuert, welche Synagogen brennen dürfen, und abgewogen, wo die Gefahr für die umliegenden Häuser zu groß war.


foto: döw
Abbruch der Grazer Synagoge

Teile der Bevölkerung hätten "begeistert mitgemacht", viele andere einfach zugesehen. Juden waren plötzlich vogelfrei, ohne jeden Schutz. "Es war nichts, was man nicht bemerkt hätte. Natürlich wurde das allerorts wahrgenommen", resümiert Hecht, der das Erinnern an diese Ereignisse für "äußerst relevant" hält, denn: "Nur so erreicht man eine breite Öffentlichkeit und auch vor allem die Jungen."


foto: döw
Brennende Synagoge in der Großen Schiffgasse in Wien

Die Bilanz des braunen Terrors: Allein in der Nacht auf den 10. November 1938 wurden 30 Juden ermordet, 7800 verhaftet und zirka 4000 von Wien ins Konzentrationslager Dachau deportiert. Synagogen etwa in Wien, Klosterneuburg, Berndorf, Klagenfurt, Linz oder Graz wurden zerstört. In Baden wurden alle Juden verhaftet, in St. Pölten 137. Viele Juden begingen Selbstmord. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 9.11.2017)

WIEN

"Sprengung des Tempels, umliegende Häuser untersucht"
Auszüge aus dem Brandbuch der Wiener Feuerwehr:

"10.12 Uhr, Feuer, VI., Stumpergasse 40: 29 Feuerwehrmänner (...) Brannte ein Teil der Einrichtung des Tempels, Übergreifen auf das Dach (...) verhindert.

10.20 Uhr, Lockeres Mauerwerk, X., Humboldtgasse 27, 6 Feuerwehrmänner (...) Sprengung des Tempels, umliegende Häuser untersucht, keine Bauschäden.

10.28 Uhr, Feuer, III., Untere Viaduktstraße 11: 21 Feuerwehrmänner (...) Das Bethaus untersucht, keine Brandnester vorgefunden.

10.30, Feuer, VI., Schmalzhofgasse 1,, 26 Feuerwehrmänner (...) Im Tempel brannte (...) teilweise die Einrichtung."

Brandbuch der Wiener Feuerwehr Am 10. 11. 1938 um 9.15 Uhr wird der erste Brand einer Synagoge eingetragen. In Wien wurden 42 Synagogen und Bethäuser angezündet und zerstört. Die restlichen wurden geplündert und demoliert.

STEIERMARK

"Was sage ich Leute, vertierte Bestien"
In seinen Aufzeichnungen Meine Lebenswege berichtet der steirische Landesrabbiner David Herzog über das Novemberpogrom in Graz. Er schreibt:

"Gegen halb drei Uhr nachts stürmte es an der Tür. Meine Frau war totenbleich vor Schrecken geworden, fiel zusammen und sagte mir: ,Geh hinaus. SS-Leute stehen draußen und verlangen Einlass, widrigenfalls sie die Tür einbrechen werden.' (...) Als ich öffnete, stürmten 12 SS-Leute, was sage ich Leute, vertierte Bestien, herein und schrien mich an: ,Mache dich fertig, kleide dich rasch an, denn jetzt soll Rache an dir, du Mörder, du Verbrecher, du Vampir, genommen werden! Rasch, rasch.' Da ich als alter Mann nicht so rasch mich ankleiden konnte (...) – später wusste ich, warum sie es so eilig hatten -, ging ein Lausbub von etwa 18 Jahren her und schlug mich mit seiner Faust so stark ins Gesicht, dass mir das Nasenbein schwer wurde. Inzwischen zündeten sie alle Lampen in der Wohnung an und schrien: ,Da schaut, wie die Juden wohnen!'"

Meine Lebenswege – Persönliche Aufzeichnungen des Grazer Rabbiners David Herzog, Clio-Verlag, Graz 2013

WIEN

"In Wien wurden ungefähr 4038 Geschäfte gesperrt"
Josef Trittner war SS-Hauptsturmführer und beim Sicherheitsdienst (SD) tätig. Als Führer des sogenannten SD-Unterabschnitts Wien berichtete er:

"Die Gauleitung Wien gab an die Kreisleitungen bezügl. der Judenaktionen einen Befehl, dessen wichtigste Punkte waren: 1. Uniformverbot, 2. Strengstes Verbot bezügl. Plünderungen, 3. Brandstiftungen sind verboten. (...) Die Aktionen gegen Wohnungen und Geschäfte wären disziplinierter durchzuführen gewesen, in vielen Fällen wurde sinnlos zerstört und auch geplündert bzw. bei den Transporten gestohlen. (...) In Wien wurden ungefähr 4038 Geschäfte gesperrt. Im Kreis I allein wurden 1950 Judenwohnungen ausgeräumt."

Josef Trittner, Führer des SD-Unterabschnitts Wien, berichtet Auszug aus der dokumentarischen Sammlung "Die Kristall-Nacht" von Tuviah Friedman (Hg.)


TIROL

"Man versprach mir die Urne. Ich habe sie nie bekommen"
Der Auftrag von Gauleiter Franz Hofer war eindeutig: Die SS solle wohlhabende Innsbrucker Juden ermorden und deren Villen übernehmen. Eines ihrer Opfer war Richard Graubart, Besitzer eines Schuhgeschäftes. Graubart wurde erstochen, sein Haus kaufte im Jahr 1939 Gauhauptstellenleiter Otto Wurmhöringer. Graubarts Frau Margarete, der die Flucht gelungen war, bekam das Haus 1954 restituiert. 1996 wurde die Villa verkauft, Margarete Graubart zog zu ihrer Tochter nach England. Auszug aus ihrem Bericht:

"Es war 3 Uhr früh. Wir schliefen bereits. Gepolter und Lärm weckten uns. (...) Es waren junge Leute, und nicht alle trugen die SA-Uniform. Sie verlangten meinen Mann. (..) Als uns später der Hausmeister aus dem Zimmer befreite, fanden wir meinen Mann erstochen auf. (...) Die Leiche meines Mannes wurde auf Befehl der Behörden nach München überführt und dort eingeäschert. (...) Man versprach mir die Urne. Ich habe sie nie bekommen."

Margarete Graubart berichtet über die Ermordung ihres Mannes In "Jüdisches Leben im historischen Tirol" – Thomas Albrich (Hg.), Haymon-Verlag

WIEN

"Das Küchenpersonal wurde gezwungen, das Lokal zu verlassen"
Schon im Oktober gibt es Angriffe auf jüdische Einrichtungen. Besorgt wendet sich Josef Löwenherz, Amtsdirektor der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), an den Wiener Polizeipräsidenten. Er zählt darin die Übergriffe und Zerstörungen auf (Auszug):

"In den frühen Morgenstunden des 7. Oktober wurden im Ausspeisungslokal der Kultusgemeinde Wien XX. Kluckygasse 7 mehrere Scheiben eingeschlagen und das Küchenpersonal durch Drohungen gezwungen, das Lokal zu verlassen. (...) In der Nacht zum 14. Oktober wurden in mehreren Wiener Synagogen die Fensterscheiben eingeschlagen. (...) In der Nacht zum 15. Oktober drangen Männer in Zivilkleidung in das Bethaus Wien II ein ...

Schreiben an die Polizei Am 19. 10. 1938 schreibt IKG-Amtsdirektor Josef Löwenherz an den Wiener Polizeichef; Central Archives History of the Jewish People

VORARLBERG

"Inventar über die Inneneinrichtung der Synagoge Hohenems"
Die Synagoge in Hohenems blieb während der Pogrome unbeschädigt, weil die Marktgemeinde den Besitz einfach übernommen hatte, um ihn anderwertig nutzen zu können. Auch das Inventar war für den Bürgermeister interessant. Er ließ eine Liste über das "Inventar über die Inneneinrichtung der Synagoge Hohenems" erstellen und beschlagnahmen – vieles blieb für immer verschwunden: "12 Stück Bibelrollen, 1 Vorhang, 2 Kandelaber, 10 Wandleuchten, 8 Hängelampen, 1 Bodenteppich vor dem hl. Schrein, 21 Betbänke, 1 Schirmständer, 2 Stück alte Vorhänge, ca. 400 Stück Wickel für Bibelrollen, 8 Wandtafeln, 1 Aufruftafel, 1 Halter für Seelenlicht, 1 Wandschrank mit alten Büchern und Schriften, 1 alte Altardecke, verschiedene Kultusakten (...)."

Inventarliste der Synagoge Hohenems vom 17. 11. 1938 Aus Hanno Löwy (Hg) "Heimat Diaspora" (2008)

KÄRNTEN

"Bei den anderen Wohnungen war auch alles auf der Straße"
Eine damals neunjährige Nachbarin berichtet über die Zerstörung der Wohnung der Familie Weissberger in Villach. Sie wurde mit ihren Mitschülern aus dem Unterricht geholt und musste auf den Hauptplatz marschieren. Viele Schaulustige hatten dem Mob beim Wüten zugesehen: "Als ich heimkam, sind die Mutter und die Tante weinend in der Küche gesessen. Sie haben vor Aufregung gezittert, weil im Nachbarhaus die Möbel aus dem Fenster geflogen sind. (...) Sie erzählte, dass Arbeiter in blauer Arbeitermontur mit Lastautos hergeführt wurden. (...) Dort haben sie alles kaputtgemacht. Sie haben die Gläser mit Eingekochtem gegen die Wand geschmissen und auch die Eier. (...) Die Arbeiter sind noch zu uns hergekommen, um eine Hacke zu holen, damit sie das Klavier zerhacken können, weil es für das Fenster zu groß war. (...) Am Abend sind die Eltern nachschauen gegangen, ob sie das überall gemacht haben – so viele Juden waren nicht in Villach -, und bei den anderen Wohnungen war auch alles auf der Straße."

Ein Kind berichtet Ein Mädchen erzählt von den Zerstörungen von Wohnungen: www.erinnern-villach.at/interviews

WIEN

"Der Judentempel war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen"
Noch in der Nacht des 10. November wurde eine Radioreportage von Eldon Walli über den völlig zerstörten Tempel in der Tempelgasse in Wien-Leopoldstadt ausgestrahlt. Seine Arbeit ist Teil der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten. Walli selbst war Mitglied von SS und NSDAP. "Wir stehen mit unserem Mikrophon in dem großen Leopoldstädter Judentempel. Ihn heute noch so zu bezeichnen ist eigentlich schon etwas geschmeichelt, denn die erbitterten Einwohner, arischen Einwohner dieses Bezirks haben nach dieser ruchlosen Tat von Paris es sich nicht nehmen lassen, um auch hier ihren abgrundtiefen Hass gegen das Judentum zu bezeugen. Der Judentempel war in wenigen Minuten ein Raub der Flammen (...) Und dieses Gerüst ist schon so baufällig, dass das Wahrzeichen des Judentums, auf das sie besonders in Wien so stolz waren, hoffentlich in wenigen Tagen zur Gänze dem Erdboden gleichgemacht wird und zur Gänze hier in Wien verschwinden wird."
Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 9. November 2017

http://derstandard.at/2000067450227/NovemberpogromeDer-Exzess-war-etwas-Besonderes
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#9


Novemberpogrom
Medien als willfährige Helfer des Terrors
Auf Facebook teilenAuf Twitter teilen
Vor 80 Jahren ist die Diskriminierung der Juden in offene Verfolgung, Terror und Entrechtung gemündet. In einer als „spontaner Volkszorn“ verbrämten Terroraktion rief das NS-Regime zur Menschenjagd auf. Das Pogrom war von langer Hand geplant. Maßgeblich beteiligt an Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung des Terrors waren die Medien.
Falls jemand noch an der Gewaltbereitschaft des Nationalsozialismus gezweifelt hatte, mussten diese Zweifel am Vormittag des 10. November endgültig ausgeräumt sein. In den späten Nacht- und frühen Morgenstunden hatten Nazi-Trupps im gesamten „Deutschen Reich“ damit begonnen, Synagogen und Bethäuser in Brand zu stecken. Sie demolierten jüdische Geschäfte und überfielen Jüdinnen und Juden in deren Wohnungen. Es war der Anfang einer tagelangen Welle von Gewalt und Terror – und Vorzeichen einer Verfolgung, die mit der Ermordung von Millionen endete.

„Reichskristallnacht“ nannte der Volksmund den Gewaltausbruch in den November-Tagen 1938. Als Sarkasmus der Betroffenen erklären den Begriff die einen, als Verharmlosung kritisieren ihn andere. Faktisch falsch ist er auf jeden Fall. Denn mit Tagesbeginn endete der Terror nicht, seine Intensität nahm sogar noch zu. „Entscheidend losgegangen“ sei die Gewalt erst nach dem Ende der Nacht, sagt der Wiener Historiker Gerhard Botz im Gespräch mit ORF.at. „Die Pogromzustände haben am Tag stattgefunden. Das war alles sichtbar.“

Willkommener Anlass für geplante Gewalt
Seit Monaten hatte das Nazi-Regime im Herbst 1938 auf eine Gelegenheit für ein gewaltsames Vorgehen gegen die Juden in Deutschland gewartet. Am 7. November lieferte der 17-jährige Herschel Grynszpan schließlich den willkommenen Anlass. Er schoss in der deutschen Botschaft in Paris auf den Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. Grynszpan wollte damit gegen die gewaltsame Abschiebung seiner Eltern und Tausender weiterer staatenlos gewordener polnischstämmiger Juden nach Polen protestieren. Die meisten von ihnen waren im Niemandsland zwischen den beiden Staaten gestrandet.


AP
Der Gewaltausbruch war vom NS-Regime lange geplant worden

Die NS-Führung nutzte das Attentant umgehend für die eigenen Pläne: Noch am Krankenbett wurde Vom Rath zum Gesandtschaftsrat Erster Klasse befördert. Das Regime machte aus dem Beamten auf Probezeit einen Spitzendiplomat. Am Abend des 9. Novembers – und damit genau 15 Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch der Nationalsozialisten – erlag er seinen Verletzungen. Nur Stunden später kam aus Berlin der Befehl zum Gewalteinsatz.

Attentat auf allen Titelseiten
Zu diesem Zeitpunkt war der mediale Erregungspegel bereits sukzessive nach oben gefahren worden. Der Kommunikationshistoriker Fritz Hausjell spricht gegenüber ORF.at von einer „Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung des Novemberpogroms“ durch die Medien.

Am 8. November dominierte die Nachricht über das Attentat in der deutschen Botschaft die Titelseiten im „Deutschen Reich“. Das gilt auch für die in Wien erscheinenden Zeitungen: „Feiger Mordanschlag eines Juden“ stand auf der ersten Seite des „Kleinen Volksblatts“. Die „Kronen Zeitung“ schrieb auf ihrem Titelblatt von einem „Meuchelmordversuch“ eines „polnischen Juden“. „Hinterlistiger jüdischer Mordanschlag“ titelte die Wiener Ausgabe des „Völkischen Beobachters“.
Zufall war das keiner. Die Medien waren bereits im gesamten Nazi-Reich gleichgeschaltet. In täglichen „Pressekonferenzen“ instruierte das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda einen ausgewählten Kreis. Darüber hinaus ergingen an die Redaktionen schriftliche Anweisungen. Journalisten, im „Dritten Reich“ Schriftfleiter genannt, die als besonders verlässlich galten, bekamen noch „vertrauliche Informationen“. Die „mussten nach Gebrauch auch vernichtet werden“, sagt Hausjell.

Soll übererfüllt
Die Kontrolle betraf nicht nur Berichte. Auch Inhalt und Linie der Kommentare wurde vorgegeben. Einer Übererfüllung des Solls stand freilich niemand um Weg. Sogar Zeitungen, „wo man es vom sonstigen Duktus her nicht erwartet hätte“, seien in ihren Kommentaren „besonders aggressiv“ gewesen, sagt Hausjell.

So brachte etwa die „Wiener Zeitung“ am 8. November auf der Titelseite nicht nur das Attentat auf Vom Rath, sondern auch gleich einen mit „Jüdische Unterwelt“ übertitelten Kommentar. „Das Maß ist jetzt voll. Und die Juden werden das entsprechend zu spüren bekommen. Wir sind überzeugt, dass wir bei unserem Abwehrkampf gegen die Pest der jüdischen Unterwelt einer wahren Kulturmission gerecht werden“, ist darin unter anderem zu lesen.
Das entsprach ganz der Anweisung, die am 7. November in allen Zeitungsredaktionen eingelangt war: „In eigenen Kommentaren ist darauf hinzuweisen, dass das Attentat des Juden schwerste Folgen für die Juden in Deutschland haben muss“, war eine der darin aufgezählten Forderungen. Die Verwendung von Wörtern wie „Pest“ und „Abwehrkampf“ schrieb die Order nicht dezidiert vor.

„Besonders garstig und entsetzlich“
Warum Journalisten in Österreich teils „besonders garstig und entsetzlich“ schrieben, lasse sich in der Rückschau nur schwer beantworten, sagt Hausjell. Mit Sicherheit habe es bereits vor dem Machtergreifung der Nazis in Österreich einen ausgeprägten Antisemitismus gegeben. Nach dem März 1938 hätten sich dann einige „Leute schlicht ausgetobt“. Manche hätten womöglich auch versucht zu beweisen, dass sie hundertprozentig vom Regime überzeugt sind, vermutet der Medienhistoriker. Im November 1938 lief bei vielen Journalisten noch die Überprüfungen der Reichspressekammer auf ihre politische Zuverlässigkeit.
Dazu kommt, dass die Wiener Zeitungslandschaft bis zum Herbst 1938 stark dezimiert worden war. Das Subventionsverbot für die Presse habe zu einem Kahlschlag geführt, so Hausjell. „Da verschwinden dann viele Zeitungen von der Bildfläche.“ Das sollte auch Platz für die neu gegründeten Gauzeitungen und jene Blätter schaffen, die sich inzwischen ganz im Besitz der NSDAP befinden. Die „Wiener Zeitung“ stand noch einmal besonders unter Druck. Der Wiener Ableger des „Völkischen Beobachters“ hatte ein Auge auf die amtlichen Verlautbarungen der „Wiener Zeitung“ geworfen.

Kriminalisierung als Ziel
Nicht erst in den Tagen vor dem Pogrom schrieben die Zeitungen flächendeckend gegen die Juden in Deutschland an. Auf deren angebliche Kriminalität, wurde verwiesen, wo es nur möglich war. Jede kleine Straftat, die sich mit jüdischen Bürgern in Verbindung bringen ließ, wurde medial breit ausgewälzt. In der letzten Oktober-Woche berichteten die Zeitungen blattübergreifend und groß über einen Überfall auf eine deutsche Reisegruppe in Antwerpen. Die mutmaßlichen Täter sollen passenderweise Juden gewesen sein.
Am 9. November hob die „Wiener Zeitung“ noch einen Bericht über „umfangreiche Waffenfunde bei Berliner Juden“ auf das Titelblatt. Direkt darüber war in einer kurzen Meldung von „spontanen Demonstrationen der Bevölkerung in Kurhessen gegen Juden“ zu lesen. Laut Hausjell kam auch hier aus Berlin die Order, die Meldung auf die Titelseite zu heben.

Opfer und Gewalt verschwiegen
So sehr die Zeitungen den Gewaltausbruch eingetrommelt hatten, so marginal fiel die Berichterstattung über die eigentlichen Gräueltaten aus. Im gesamten „Deutschen Reich“ wurden Tausende jüdische Geschäfte demoliert und geplündert. Jüdinnen und Juden wurden aus ihren Wohnungen geschleppt, gedemütigt und misshandelt. An die 30.000 Menschen verhaftete der NS-Terror-Apparat, die meisten wurden in Konzentrationslager verschleppt. Für Wien allein ist die Deportation von 4.000 Juden ins KZ Dachau belegt. Offiziell kamen 91 Menschen ums Leben – tatsächlich dürfte die Zahl der Ermordeten deutlich höher liegen. Nur für Österreich geht Historiker Botz nach der Durchsicht der Wiener Totenverzeichnissen von 20 bis 30 ermordeten Juden aus.


AP
Fotos von den Gewaltexzessen gibt es praktisch keine. Auf den wenigen Bildern sind vor allem Löscheinsätze zu sehen.

Davon war in den Zeitungen nichts zu lesen. In den überregionalen Medien fand sich laut Hausjell überhaupt nichts zu konkreten Ausschreitungen. Hier hatte das Regime die Weltpolitik im Auge. In den regionalen Zeitungen sei schon ein bisschen berichtet worden, um das „Bedürfnis der Bevölkerung zufriedenzustellen“, sagt Hausjell. Der „Völkische Beobachter“ habe „schon geschönte Berichte gebracht. Die haben das unübersehbare Zerstörungswerk benennen, beschreiben müssen“, stellt auch Botz fest.

Propaganda gegen das Mitleid
Traurige Berühmtheit erlangte die Radioreportage von Eldon Wali, aufgenommen am 10. November vor den Trümmern der Synagoge in der Wiener Leopoldstadt. Der Reporter freut sich über die Zerstörung, verhöhnt die Juden und gibt ihnen selbst die Schuld an der Gewalt. In seinem Zynismus mag der Radiobeitrag noch einmal hervorstechen. In seiner Argumentation ist er für Hausjell aber „nichts Außergewöhnliches“.
Zum einen sei es der Propagandastrategie darum gegangen, nur ja kein Mitleid mit den Juden aufkommen zu lassen. Zum anderen hätten die Medien erklärt, „den Juden geschieht ja nichts, sie werden eh ordentlich behandelt“, sagt der Medienhistoriker. Schnell waren auch Verweise auf Vorfälle anderswo in der Welt bei der Hand. Staaten, die Kritik an der Gewalt im „Deutschen Reich“ übten, wurden als Heuchler gebrandmarkt. In „Sammelmeldungen“ stellten die Zeitungen per Presseanweisung antisemitische Vorfälle aus der ganzen Welt zusammen.
Hausjell spricht von einer „Phase der Nachbearbeitung, die erstaunlich lange, mehrere Wochen lang anhält und fließend übergeht in die weiteren Schritte der systematischen Entrechtung“. Bereits am 11. November hatten alle Zeitungen den Erlass von Joseph Goebbels abgedruckt. Darin rief der Propagandminister zu einem Ende der Ausschreitungen auf und kündigte an: „Die endgültige Antwort auf das Attentat in Paris wird auf dem Wege der Gesetzgebung bzw. der Verordnung dem Judentum erteilt werden.“ Drei Jahre später begann der systematische Massenmord an Europas Juden.
09.11.2018 Martin Steinmüller-Schwarz, ORF.at

Links:
 
S

Senator74

Nicht mehr aktiv
#10
Wenn sich der Antisemitismus der Gegenwart weiter ausbreitet, ist zu befürchten, dass sich die Geschichte wiederholt, weil der Mensch noch NIE aus der Geschichte gelernt hat.
Es ist noch nicht lange her, da war die Grazer Synagoge rund um die Uhr bewacht. Fährt man jetzt an ihr vorbei, ist davon nichts mehr zu bemerken.
(Übrigens...300m Luftlinie von meiner Wohnung entfernt, hat man eine radikalmuslimische Terrorzelle ausgehoben.) Graz gilt als Schaltzentrale des IS-Terrors in Europa.
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#11
SCHOAH-NAMENSMAUER
Gedenken an 64.440 ermordete Juden
1636530620979.png

Zum 83. Jahrestag der Novemberpogrome wurde am Dienstagnachmittag die Schoah-Namensmauer in Wien eröffnet. 20 Jahre lang kämpfte der austrokanadische Holocaust-Überlebende Kurt Yakov Tutter für die Realisierung. Nun sei den fast 65.000 jüdischen Kindern, Frauen und Männern deren Namen und deren Würde zurückgegeben worden, sagte er am Mittwoch: „Möge es Frieden bringen in den Herzen.“
Online seit gestern, 20.52 Uhr
Teilen
Der Initiator hob in seiner Rede bei der Eröffnung hervor, dass inzwischen viele Menschen in Österreich an einer Aufarbeitung der Vergangenheit interessiert seien. Das sei lange Zeit nicht so gewesen, betonte er. Auch hätten viele in diesem Land die jüdischen Mitbürger ausgeliefert – gut bezahlt mit Wohnungen, Möbeln und Kunstwerken. „Was man von seinem Nächsten begehrt hatte, wurde zum Rauben verfügbar.“

Nach dem Krieg hätten viele Juden in der einst geliebten Heimat keine Einsicht erlebt. „Anstatt Reue fanden wir eher Groll, dass der Raubzug zu Ende war.“ Man sei in Österreich lange Zeit damit beschäftigt gewesen, die Gräueltaten zu verschleiern.

APA/Herbert Neubauer
Tutter bei seiner Rede

Schallenberg: „Sichtbares Zeichen“
Bundeskanzler Alexander Schallenberg erinnerte daran, dass einst 210.000 Jüdinnen und Juden in Österreich lebten. Nach 1945 seien es nur mehr wenige tausend gewesen. „Blinder Hass, Neid, Herrenmenschendünkel und ein jahrhundertelang tradierter Antisemitismus brachen ab März 1938 über unsere jüdische Mitmenschen herein.“ Vielen sei die Flucht nicht gelungen.

„Sie wurden deportiert, verhungerten in Ghettos, wurden in Wäldern erschossen oder in Vernichtungslagern bestialisch ermordet und zugrunde gerichtet“, sagte Schallenberg. Hinter jedem der Namen auf der Mauer stehe ein Mensch, der Träume und Lebenspläne gehabt habe, „der geliebt hat und der geliebt wurde“.



Auch der Kanzler verhehlte nicht, dass sich Österreich zu lange als Opfer gesehen habe. Man sei sich erst spät der historischen Verantwortung bewusst geworden. Mit der Namensmauer werde ein sichtbares Zeichen auch für nachfolgende Generationen gesetzt, dass man sich zum dunkelsten Kapitel der Geschichte bekenne. Aus einem „niemals vergessen“ müsse ein „niemals wieder“ werden.

„Opfern und Angehörigen die Hand reichen“
Man müsse Opfern und Angehörigen die Hand reichen – was etwa mit der Möglichkeit getan wurde, Nachkommen die österreichische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Diese sei schon von 6.000 Menschen genutzt worden. Es gebe die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich die Geschichte nicht wiederhole. Die Verantwortung umfasse auch Verantwortung für Israel und dessen Sicherheit, fügte der Regierungschef hinzu.
Schallenberg erinnerte daran, dass sein Vorgänger Sebastian Kurz (ÖVP) 2018 den „klaren Beschluss“ gefasst hatte, die Idee in die Tat umzusetzen – und dass damals festgelegt worden sei, dass der Bund den Großteil der Kosten übernehmen werde. Die Entscheidung sei seither von allen Parteien und auch den Ländern mitgetragen worden.

Antisemitismus zurückzudrängen als Verantwortung aller
Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka erinnerte an die kürzlich erfolgte Eröffnung der österreichischen Ausstellung in Auschwitz. Man sei dort gewesen, wo das Morden begonnen habe. Nun gedenke man an dem Ort, „von dem das Morden ausging“. Auch er hob hervor, dass Tutter viele Jahre lang die Gedenkstätte eingefordert habe. „Als Enkel eines Nationalsozialisten danke ich Ihnen ganz besonders.“

ORF.at/Patrick Bauer
Eingravierte Namen auf den Steintafeln

Nachman Shai, der israelische Minister für Diaspora-Angelegenheiten, berichtete davon, dass auch er Vorfahren im Holocaust verloren habe. Und er verwies auf Theodor Herzl, der sich für die Schaffung eines jüdischen Staates eingesetzt habe. Seine Hoffnung, dass damit der Antisemitismus Geschichte sei, habe sich jedoch nicht bestätigt. Es sei darum, so zeigte er sich überzeugt, die Verantwortung aller, weltweit den Antisemitismus zurückzudrängen.

Wiens Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler hob hervor, dass die Zeitzeugen zusehends abhandenkommen würden. Die Mauer diene dazu, jenen Gedächtnismord zuverhindern, den die Nationalsozialisten zum Ziel gehabt hätten. Sie würdigte den Ideengeber mit einem Zitat der Schriftstellerin Ilse Aichinger, deren Angehörige ebenfalls ermordet wurden: „Alles, woran man glaubt, beginnt zu existieren.“

ORF.at/Patrick Bauer
Die Namensmauer aus einiger Entfernung

Deutsch: „Gedenkstätte ist ein Meilenstein“
Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, Oskar Deutsch, kritisierte ebenfalls die „Lebenslüge“ vieler, wonach Österreich das erste Opfer gewesen sei. „Das hörten unsere Eltern und Großeltern beinahe täglich.“ Dabei habe es hier viele Opfer gegeben, nicht nur jüdische Mitbürger, auch behinderte Menschen, Homosexuelle oder Roma und Sintis seien verfolgt worden. „Unfassbar“ viele hätten in Österreich ihre Nachbarn der Mordmaschinerie ausgeliefert.

Nun habe sich das Land jedoch auf den „Pfad der Aufrichtigkeit“ begeben. „Diese Gedenkstätte ist ein Meilenstein.“ Die Dimension des „größten Menschheitsverbrechens“ verdeutlichte Deutsch auch mit einem Rechenbeispiel. Würde für jedes Opfer eine Gedenkminute eingelegt, „dann würde bis Jahresende absolute Stille herrschen“.



Konkrete Errichtung in 15 Monaten
15 Monate brauchte man für die Errichtung des Denkmals. Jetzt fügen sich 160 helle, zwei Meter hohe Granittafeln auf einer Grünfläche vor der Nationalbank, dem Ostarrichipark im 9. Bezirk nahe dem Alten AKH, zu einem Oval. Auf den Steinen eingraviert sind die Namen der beinahe 65.000 jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich, die im Holocaust ermordet wurden.

Fotostrecke
ORF.at/Patrick Bauer
Eingang in die Gedenkstätte der Schoah-Namensmauer vor dem Alten AKH im Ostarrichipark
ORF.at/Patrick Bauer
Blick in das Oval der Gedenkstätte

ORF.at/Patrick Bauer
Auf 160 hellen Granittafeln sind die Namen der 65.000 jüdischen Kinder, Frauen und Männer aus Österreich, die im Holocaust ermordet wurden

ORF.at/Patrick Bauer
Im Hintergrund des Denkmals: das Hauptgebäude der Österreichischen Nationalbank, die im Dritten Reich „Reichsbankhauptstelle Wien“ hieß. Deren Rolle und Personalgeschichte wurde in einem Geschichtsprojekt unter Oliver Rathkolb und Theodor Venus aufgearbeitet

Das Verzeichnis beruht auf der Opferdatenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW), das die Namen und Geburtsdaten in jahrzehntelanger Arbeit zusammentrug. Der letzte der Steine wurde freigehalten für Namensergänzungen oder -änderungen.

Überleben bei belgischer Familie
Tutter, ein pensionierter Informatiker, hatte 20 Jahre dafür gekämpft, dass jener Wiener Jüdinnen und Juden öffentlich gedacht wird, die der NS-Herrschaft nicht entfliehen konnten. Seine einzigartige Geschichte kann man aktuell in einer Freiluftausstellung des Hauses der Geschichte Österreich auf dem Wiener Heldenplatz nachlesen: Tutters Familie war 1939 nach Belgien geflohen; drei Jahre später wurde sie dort von einer Razzia der deutschen Wehrmacht überrascht.

Kurzerhand auf dem Dachboden versteckt, überlebten der zwölfjährige Yakuv und seine kleine Schwester schließlich bei einer Familie in Belgien. Die Eltern wurden in Auschwitz ermordet. Die Idee zu einer Gedenkmauer kam Tutter, der später nach Kanada emigrierte, als er bei einem Belgien-Besuch an der Nationalen Gedenkstätte in Anderlecht auf die Namen seiner Eltern stieß.

Den Ermordeten einen Namen geben
Jenen einen Namen zu geben, die die Nationalsozialisten zur Nummer degradieren und vergessen wollten – Tutter fand diese Idee überzeugend. Dem gleichen Gedanken sind etwa auch das Vietnam Memorial in Washington – „die Namensmauer schlechthin“, wie Historikerin Heidemarie Uhl meint –, das Memorial de la Shoah in Paris und das Holocaust-Namenmonument in Amsterdam verpflichtet.



Digitale Synagogen erinnern an Pogromnacht


Viele Jahre sei er mit seiner Namensmauer nur auf Desinteresse gestoßen, schrieb Tutter im Juli in einer E-Mail an ORF.at: „Amtsführende Leute in Stadt und Bund hatten schöne Worte für das Projekt, wollten es aber keineswegs realisieren.“ Erst im Gedenkjahr 2018 stieß sein Vorhaben auf offene Ohren. Die Regierung übernahm fast die kompletten Kosten von rund 5,3 Millionen Euro, den Rest bezahlten Bundesländer (600.000 Euro) und Industriellenvereinigung (230.000 Euro).

Kritik an Ästhetik und fehlender Ausschreibung
Was – so viel scheint sicher – bei der Gedenkmauer jedenfalls versäumt wurde, ist, die Grundpfeiler und Spezifitäten des Projekts hinreichend zu vermitteln. Schon vor Baubeginn 2020 wurde Kritik an dem Mahnmal laut. Der Historiker und Schriftsteller Doron Rabinovici sagte gegenüber ORF.at, es sei „auffällig", dass es im Vorfeld der Errichtung der Namenstafeln der jüdischen NS-Opfer weder eine Ausschreibung noch eine gesellschaftliche Debatte gegeben habe – anders als etwa beim Mahnmal von Rachel Whiteread auf dem Wiener Judenplatz.
"Der Ort ist falsch, die Schreibweise der Opfernamen womöglich fehlerhaft, die Architektur einfallslos“, fasste die „Süddeutsche Zeitung“ am Montag weitere Punkte zusammen. Vor allem die Ästhetik gilt in Fachkreisen als überholt. Eine konkrete Verschriftlichung der Opfernamen, so heißt es, kann das Unvorstellbare und Monströse der Nazi-Gräuel nur bedingt fassen.

„Kein Spitzenreiter auf Kunst-Richter-Skala“
„Auf der Richter-Skala der Kunstwerke wird es kein Spitzenreiter werden, das ist klar“, meinte die Historikerin Uhl angesprochen auf die Gedenkästhetik einer Namensmauer. Das Denkmal sei in ihren Augen jedoch vor allem als „besonderes Projekt“ eines Mannes zu verstehen, der sich „mit unglaublicher Zielstrebigkeit, manche würden sagen: Sturheit“ für seine Realisierung eingesetzt habe, würdigte Uhl Tutters Beharrlichkeit.
Trotz altmodischer Gedenkform treffe die Namensmauer mitten ins Herz: „Wenn man sich die Bilder von Herrn Tutter vor seinem Denkmal anschaut, dann sieht man: Das ist ein symbolischer Grabstein für jene, die Angehörige verloren haben; für jene, die niemand haben, und ein Memento für alle anderen“, so Uhl anerkennend.

Auslassung anderer Opfergruppen
Auch Rabinovici und die jüdische Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat meinten, die Idee für das Mahnmal sei grundsätzlich gut und die Motivation Tutters sehr verständlich. Rabinovici wiederholte aber seine – bereits zuvor geäußerte – Kritik, dass das Mahnmal nicht auch die Namen der ebenfalls aus rassistischen Gründen verfolgten und ermordeten Roma und Sinti enthält.

Das Fehlen weiterer Opfergruppen, beklagte auch Hammer-Tugendhat, nicht zuletzt „jener, die immer bewusst verdrängt werden, die Linken und Linkskatholiken, die Kommunisten, die aktiv gegen den Faschismus gekämpft haben. Das waren die Ersten, die in den KZs gelandet sind.“ Angesprochen darauf hielt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler gegenüber dem „Standard“ fest, dass weitere Holocaust-Gedenkstätten nicht ausgeschlossen seien. Edtstadler begleitet das Namensmauer-Projekt seit Jahren für die Bundesregierung.

Klarstellungen zu einem ORF.at-Artikel aus dem Sommer
Zu einem Artikel von ORF.at im Sommer dieses Jahres („Stein des Anstoßes“) hatte DÖW-Leiter Gerhard Baumgartner ebenso wie der Präsident und Obmann des Vereins zur Errichtung einer Namensmauer, der frühere Botschafter Walter Lichem, Stellung bezogen.
Grund für die Kritik waren die in dem Artikel erhobenen anonymen Vorwürfe gegen das Projekt. Man solle „diese großartige, für alle Österreicherinnen und Österreicher hochpertinente Initiative des 91-jährigen Holocaust-Überlebenden Kurt Yakov Tutter aus Wien unter dem Schutz der Anonymität und mit falschen Behauptungen“ nicht schlechtreden, so die Kritik Lichems in einem Schreiben an den ORF.
In anschließenden Gesprächen mit dem DÖW hielt ORF.at-Chefredakteur Gerald Heidegger fest, dass es nie darum gegangen sei, die Unternehmung von Tutter infrage zu stellen, wohl aber darum, eine kritische Auseinandersetzung mit der Errichtung des Denkmals zu ermöglichen. Dass anonyme Stimmen nicht Grundlage einer Kritik sein könnten, räumte Heidegger für künftige Auseinandersetzungen selbstkritisch ein.
Der Leiter des Instituts für Zeitgeschichte der Universität Wien, Oliver Rathkolb, erinnerte überdies in einem Schreiben gegenüber ORF.at an die breite Unterstützung seiner Kolleginnen und Kollegen für das Projekt – und verwies auch darauf, dass die Wahl des Ortes auf seine Initiative zurückgegangen sei.
„Mit emotionaler Gedenkstimmung nicht getan“
Im Vorfeld war in manchen Kreisen zudem der Vorwurf einer Instrumentalisierung durch die damalige türkis-blaue Regierung laut geworden. „Erinnerung hat immer eine geschichtspolitische Agenda“, so Uhl, „das liegt in ihrer DNA.“ "Ich empfinde den Vorwurf als billige Verachtung, die ich zurückweise“, sagte Tutter dazu im ORF.at-Interview im Sommer.
Klar ist jedenfalls, dass es „mit dem Gedenken, mit einer emotionalen Gedenkstimmung, nicht getan ist“, so Hammer-Tugendhat, die gegenüber ORF.at zu Wachsamkeit gegenüber dem grassierenden Antisemitismus und Rassismus aufrief.

Van der Bellen fehlte
Bundespräsident Alexander Van der Bellen konnte bei der Zeremonie nicht wie geplant dabei sein. Er befindet sind im Homeoffice, da eine Mitarbeiterin positiv auf das Coronavirus getestet wurde. Via Twitter hob er jedoch hervor, dass mit der Namensmauer ein wichtiger Ort der Erinnerung seiner Bestimmung übergeben werde. Den Ermordeten werde ihre Identität zurückgegeben, die ihnen von den Nationalsozialisten geraubt worden sei. „Und sie erinnern uns daran, wo immer wir Antisemitismus begegnen, unsere Stimme zu erheben.“
Bei der Zeremonie – durch die Hannah Lessing, die Generalsekretärin des Nationalfonds, führte – wurden auch Gedichte, Gebete und religiöse Texte vorgetragen. Erinnert wurde auch an einzelne Opfer wie etwa den Librettisten und Schriftsteller Fritz Löhner-Beda. Zum Abschluss der feierlichen Eröffnung entzündeten Kinder Kerzen an den Mauerteilen.
10.11.2021, red, ORF.at/Agenturen

Links:
Schoah-Namensmauer: Gedenken an 64.440 ermordete Juden
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#12
Als Kinder alleine aus Wien flüchteten
1636570026912.png

Das Zeitfenster war kurz: Von Dezember 1938 bis Kriegsausbruch im Herbst 1939 konnten jüdische Kinder ins Ausland flüchten – auch aus Wien. Das Jüdische Museum Wien widmet ihnen nun eine Ausstellung. Einige dieser Wiener Kinder wurden später bekannt: als Schauspieler, Künstlerinnen und Cartoonisten etwa. Die Ausstellung ist aber auch jenen Kindern gewidmet, die keinen der begehrten Plätze in den Kindertransporten bekamen.
Online seit heute, 16.48 Uhr
Teilen
Novemberpogrom als auslösendes Moment
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich und dem „Anschluss“ im März 1938 begannen für die jüdische Bevölkerung die brutale Ausgrenzung und Verfolgung. Viele versuchten zu emigrieren, doch innerhalb kurzer Zeit schlossen die meisten Länder ihre Grenzen. Erst nach dem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung in der Nacht auf den 10. November 1938, bei dem sich der antisemitische Hass zu brutaler Gewalt verdichtete, erklärten sich einige Länder dazu bereit, zumindest Kinder aufzunehmen.

„Ich bin ganz alleine, 1000 & aber1000 Kilometer liegen zwischen uns & ich bin ohne Eltern & habe doch Eltern“: Betritt man das Foyer des Jüdischen Museums am Wiener Judenplatz fällt der erste Blick auf diesen Satz, der in Kinderschrift groß an der Wand prangt. Direkt gegenüber ein weiterer Satz aus einem Brief: die verzweifelten Worte einer Mutter, die darum bittet, dass ihr Kind in einem Kindertransport nach Großbritannien gebracht werde.

Die zwei Wände symbolisieren die zwei Seiten der Geschichte der Kindertransporte, erzählt Sabine Apostolo, Kuratorin der Ausstellung „Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“, die seit Mittwoch im Jüdischen Museum Wien gezeigt wird. „Es gab sehr viel Leid und es gab viele Kinder, die keinen Platz bekommen haben. Es gibt aber auch das Überleben und es gibt viele Kinder, die viel aus ihrem Leben machen konnten. Auch wenn es sicher kein leichtes Leben war“, so Apostolo im Gespräch mit ORF.at.

USHMM
Ein erschöpftes Mädchen auf der Reise mit einem Kindertransport

Deren Eltern mussten die schwere Entscheidung treffen, ihre Kinder, viele davon noch Kleinkinder, alleine in einen Zug zu setzen. Der Plan, so bald wie möglich zu folgen, gelang vielen nicht – sie wurden deportiert und ermordet. Die Kindertransporte retteten viele Leben, doch sie brachten auch eine Kindheit und Jugend ohne Heimat und ohne Familie mit sich. Den Großteil der Kinder nahm Großbritannien auf, gefolgt von den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Schweden, den USA und der Schweiz.

Strenge Auswahlkriterien
Verlässt man das Foyer und betritt den ersten von zwei Ausstellungsräumen, steht man als Erstes direkt vor einer Wand – voll mit Faksimiles verschiedener Formulare, die ein Gefühl dafür geben, wie schwierig es war, einen Platz in einem Kindertransport zu bekommen. Die Eltern mussten etwa bestätigen, dass ihre Kinder geistig und körperlich gesund und keine „Bettnässer“ seien. Es wurden Recherchen über den Hintergrund der Familien durchgeführt, etwa ob der Vater Alkoholiker sei. Und: Vor der Ausreise musste für jedes Kind erst ein Bürge gefunden werden.

USHMM
Ein Schiff mit Wiener Kindern bei der Ankunft in Harwich, England. Viele hatten ein kleines Deutsch-Englisch-Wörterbuch im Gepäck.

„Die Auswahlkriterien waren sehr streng, und es war nicht sehr wahrscheinlich, dass man einen Platz bekommt“, sagt Apostolo. Noch bevor der erste Kindertransport im Dezember 1939 Wien verließ, habe es bereits 10.000 Anmeldungen gegeben. Etwas mehr als 3.000 Kinder konnten in den wenigen Monaten bis Kriegsbeginn aus Wien weggebracht werden.

Beim ersten Kindertransport habe die Jüdische Gemeinde Wien noch darauf achten können, dass jene Kinder einen Platz bekamen, die am gefährdetsten waren: Waisen und ältere Burschen. Bald lautete aber die Vorgabe aus Großbritannien, jenem Land, das die meisten Kinder aufnahm: Es sollten Kinder geschickt werden, die leicht in Pflegefamilien unterzubringen seien. „Das bedeutete meist: kleine Mädchen, blond mit blauen Augen. Es entstand dann ein ziemliches Ungleichgewicht“, so Apostolo.

Mehrheit der Kinder bekam keinen Platz
Ein Bub, der alle Kriterien erfüllte und dennoch keinen Platz bekam, war der 1923 geborene Leo Steiner, an dessen Schicksal in der Ausstellung stellvertretend für die vielen Daheimgebliebenen erinnert wird. Seine Ausreise scheiterte letztlich daran, dass sein möglicher Bürge im August 1939 auf Urlaub war. Trotz der Bestätigung der Dringlichkeit des Falles durch die Israelische Kultusgemeinde (IKG) wurde der 16-Jährige auf keine Liste gesetzt. 1941 wurde er mit seinen Eltern nach Litauen verschleppt und bei einer Massenerschießung ermordet.

Jüdisches Museum Wien
Einer der beiden Räume der Ausstellung „Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“ im Jüdischen Museum Wien

Der spätere Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor Otto Tausig bekam zwar einen Platz und wurde 1939 mit einem der letzten Kindertransport nach England gebracht – eine liebevolle Pflegefamilie erwartete ihn dort aber nicht. Tausigs Mutter hatte zuvor eine Annonce für ihn in „The Times“ geschaltet, um einen privaten Sponsor in Großbritannien zu finden. Dieser entpuppte sich als Pädophiler. „Was weiter mit dem Mann passierte, weiß ich nicht. Es war dann Krieg, und ich hatte andere Sorgen“, sagte Tausig später.

Vom geretteten Kind zum „feindlichen Ausländer“
Denn der Kriegsausbruch bedeutete nicht nur das Ende der Transporte – die Kinder wurden nun als Deutsche und somit „feindliche Ausländer“ gesehen. Burschen ab 16 Jahren, wie Tausig, die zuvor vor den Nationalsozialisten gerettet worden waren, wurden in britischen Internierungslager gebracht. 1946 kehrte Tausig zurück nach Wien und begann ein Studium am Max-Reinhardt-Seminar. Neben Engagements als Schauspieler und Regisseur am Wiener Burgtheater und anderen Bühnen war er bis kurz vor seinem Tod im Jahr 2011 in zahlreichen Fernsehproduktionen, etwa aus der „Tatort“-Reihe, zu sehen.

Privatbesitz
Helga und Ilse Aichinger in einem Zug vor 1938

Auch Helga Aichinger, die Zwillingsschwester der Autorin Ilse Aichinger, wurde im Juli 1939 mit einem Kindertransport nach Großbritannien gebracht. Ilse Aichinger blieb bei ihrer Mutter in Wien zurück, denn es gab nur Platz für eine der Schwestern. Der Plan, einander bald in England wiederzusehen, wurde vom Krieg zerstört. Erst über acht Jahre später sahen sich die Schwestern wieder.

Zweite Flucht aus Frankreich
„ich bin ganz alleine, 1000 & aber1000 Kilometer liegen zwischen uns & ich bin ohne Eltern & habe doch Eltern“: Dieser Satz aus dem Brief eines Kindes, der auch beim Verlassen der Ausstellungsräume wieder ins Auge springt, stammt von Paul Peter Porges. Der später erfolgreiche Cartoonist wurde 1927 in Wien geboren und war eines von 103 Wiener Kindern, die im Frühjahr 1939 in einem Kindertransport in Paris ankamen.
Jüdisches Museum Wien
Zeichnung des Kindertransports von Paul Peter Porges, 1939

Im Gegensatz zu den Kindern, die nach Großbritannien gebracht wurden, mussten jene, die in Frankreich untergekommen waren, ein zweites Mal vor den Nazis flüchten. Nach einer Zwischenstation in der Schweiz wanderte Porges in die USA aus, wo er über 25 Jahre für das Satiremagazin „MAD“ arbeitete und auch auch als Zeichner für den „New Yorker“ bekannt wurde. In Porges’ Werk ist immer wieder seine Faszination für Wiener Figuren wie Alma Mahler-Werfel und Sigmund Freud zu erkennen.

„Es ist mir ja nichts passiert“
„Viele der Wiener Kinder entwickelten ein sehr starkes Zeitzeugenbewusstsein“, erzählt Apostolo: „Jahrzehntelang haben sie gedacht, sie sind alleine mit ihrem Schicksal. Ende der 1980er Jahre begannen sie, einander zu treffen, auszutauschen und ihre Geschichten zu erforschen.“ So entstand auch im nicht deutschsprachigen Raum der Begriff „Wiener Kinder“ als Selbstbezeichnung jener, deren Lebensrettung zugleich das Ende ihrer Kindheit bedeutete.
Für die Aufarbeitung sei auch die zweite Generation wichtig gewesen, die Kinder der Kindertransportkinder, so die Kuratorin: „Sie bestärkten ihre Eltern darin, dass das, was sie erlebt haben, erzählenswert ist. Und dass es nicht im Schatten der Schicksale jener Menschen steht, die das Konzentrationslager überlebt haben.“ Denn lange sei das Trauma der Kinder im Vergleich mit KZ-Überlebenden relativiert worden. Und auch die Wiener Kinder selbst hätten sich viel zu lange gesagt: „Es ist mir ja nichts passiert.“
10.11.2021, Romana Beer, für ORF.at
Kindertransporte: Als Kinder alleine aus Wien flüchteten
Hinweis
Von 10. November 2021 bis 15. Mai 2022 wird die Ausstellung „Jugend ohne Heimat. Kindertransporte aus Wien“ im Jüdischen Museum Wien gezeigt.

Link:
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#13
GEDENKEN AN NOVEMBERPOGROME
„Niemals wieder“ aktueller denn je
Zum 85. Mal jährt sich am Donnerstag die Nacht auf den 10. November 1938, als Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Geschäfte geplündert und Juden und Jüdinnen misshandelt wurden. Die vorangegangene Diskriminierung der NS-Zeit gegen die jüdische Bevölkerung schlug in offenen Terror, systematische Verfolgung und Vertreibung um. „Niemals wieder“ sei aktueller denn je, mahnte die heimische Politik zum Jahrestag der Novemberpogrome.
Online seit gestern, 20.13 Uhr
Teilen
Zum Auftakt des Gedenktags legten Bundespräsident Alexander Van der Bellen, Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) und Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) am Vormittag an der Schoah-Namensmauerngedenkstätte in Wien-Alsergrund einen Kranz nieder. Die vergangenen Tage und Wochen hätten gezeigt, der Grundsatz „Niemals wieder“ sei aktueller denn je, schrieb Van der Bellen auf Twitter (X). „Wir sind alle gefordert, ihn mit Inhalt zu füllen. (…) Wenn Österreich das ‚Niemals wieder‘ ernst meint, muss es das zeigen. Nicht irgendwann, sondern jetzt.“

Nehammer bezeichnete auf Twitter den Kampf gegen Antisemitismus als „gemeinsame Aufgabe und Verantwortung“: „‚Nie wieder‘" ist jetzt.“ Kogler mahnte, das „dunkelste Kapitel unserer Geschichte“ dürfe nie vergessen werden.

Auch andere Regierungsmitglieder, darunter Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (beide ÖVP), waren dabei, ebenso Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und SPÖ-Chef Andreas Babler. Babler hielt in einer Aussendung fest: „Wir stehen gemeinsam und solidarisch mit Israel und mit allen Jüdinnen und Juden gegen den Terror und gegen jeden Antisemitismus.“ Die Zunahme antisemitischer Vorfälle sei alarmierend.

ORF
Die Staatsspitze legte bei der Schoah-Namensmauerngedenkstätte Kränze nieder

Schönborn erschüttert
„Wir müssen wehrhaft sein“, forderte NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger, „entschlossen und geschlossen überall dort, wo unsere Art und Weise zu leben angegriffen wird.“ Die eigene Vergangenheit lehre eine „fundamentale Verantwortung, für die Sicherheit, Freiheit und Unversehrtheit von Jüdinnen und Juden weltweit einzustehen“, so Meinl-Reisinger.

Erschüttert vom vorhandenen antisemitischen Potenzial zeigte sich auch Kardinal Christoph Schönborn: „Als Christen können wir dazu nicht schweigen. Wir stehen ganz klar auf der Seite unserer jüdischen Mitmenschen. Die Achtung der Menschenwürde ist unteilbar“ – mehr dazu in religion.ORF.at.

Sobotka: Einst Hitler, nun Hamas
Das Gedenken wurde am Abend im Parlament fortgesetzt. „In diesen Tagen ist das ‚Nie wieder‘ jetzt“, sagte Gastgeber Sobotka, der den Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel Anfang Oktober in seiner Begrüßungsrede verurteilte. Der 9. November 1938 und der 7. Oktober 2023 hätten eines gemeinsam – die Präsenz eines Aggressors, der die Juden weltweit vernichten wolle, sagte Sobotka. Habe es sich damals um Hitler und seine Schergen gehandelt, so sei es nun die Hamas.

APA/Roland Schlager
IKG-Präsident Deutsch erinnerte daran, dass Israel die „Lebensversicherung“ für Juden sei

Das Versprechen „Nie wieder“ sei vor 33 Tagen erneut gebrochen worden, sagte auch der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) Wien, Oskar Deutsch. Es handle sich dabei um das schlimmste Verbrechen an den Juden seit 1945. Mit der Schoah könne man den Angriff nicht gleichsetzen, eine Schoah sei aber das Ziel der Hamas, warnte er und betonte Israels Rolle als „Lebensversicherung“ für Juden.
Amir Ohana, Präsident der israelischen Knesset, nannte den 7. Oktober eine weitere Kristallnacht. In einer Videogrußbotschaft bedankte er sich für die Veranstaltung und den österreichischen Kampf gegen den Antisemitismus.

Auschwitz-Überlebender berichtet
Mit Standing Ovations wurde der 95-jährige Zeitzeuge Benno Kern begrüßt. Eindrücklich aus erster Hand erzählte der Auschwitz-Überlebende von den Novemberpogromen. So seien am 10. November 1938 etwa Direktor und Lehrkräfte der jüdischen Talmud-Thora-Schule in Wien blutig geschlagen, Thorarollen auf der Straße aufgerollt und ein Scheiterhaufen im Hof angezündet worden.

Durch virtuelle Rekonstruktionen konnten sich die Anwesenden ein Bild der 1938 zerstörten Synagogen in Österreich machen. Die Jugend der IKG veranstaltet am Abend einen Gedenkmarsch „Light of Hope“ („Licht der Hoffnung“). Das Gedenken und Einstehen gegen Antisemitismus sei nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel notwendiger denn je – mehr dazu in wien.ORF.at.
09.11.2023, red., ORF.at/Agenturen

Gedenken an Novemberpogrome: „Niemals wieder“ aktueller denn je

Links zu Gedenkveranstaltungen in den Bundesländern:
Burgenland
Kärnten
Niederösterreich
Oberösterreich
Salzburg
Steiermark
Tirol
Vorarlberg
Wien
 

Anhänge

Zuletzt bearbeitet:
Oben