Geisterschiff mit Kannibalenratten nimmt Kurs auf England

josef

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Letztes Signal im Frühjahr

„Geisterschiff mit Kannibalenratten nimmt Kurs auf England“: Seit zwei Tagen sind solche Titel in der britischen Presse zu lesen. Vor rund einem Jahr hatte sich ein ehemaliges russisches Kreuzfahrtschiff vor der Küste Kanadas von einem Schlepper losgerissen. Seitdem treibt es im Ozean - oder auch nicht mehr: Denn das letzte Mal geortet wurde es vergangenes Frühjahr, seitdem ist es wie vom Erdboden verschluckt. Das Schiff könnte untergangen sein, hieß es. Doch nun wird plötzlich in der Presse spekuliert, dass das Geisterschiff mit Hunderten Ratten an Bord auf die englische oder irische Küste treffen könnte.

Ein Schiff wird kommen?
Es ist ein Geisterschiff im doppelten Sinn: Die „MW Ljubow Orlowa“, ein ehemaliges russisches Kreuzfahrtschiff, riss sich vor einem Jahr los und trieb von Kanada aus über den Atlantik. Letzte Signale wurden im April des Vorjahres empfangen, seitdem ist es verschwunden. Nun tauchte es wieder auf - allerdings bisher nur in Medienberichten.

Die britische Boulevardzeitung „The Sun“ zitierte am Donnerstag den belgischen Schrottsucher Pim de Rhoodes mit den Worten: „Irgendwo da draußen treibt sie herum.“ Beweise dafür, dass das Schiff nicht untergangen ist, hat er nicht. Dennoch machte die Meldung, dass das Schiff auf die Küste von Devon im Südwesten Englands treffen könnte, die Runde in der britischen Presse. Auch die BBC fragte bei der britischen und der irischen Küstenwache nach. Die Antwort: Man hat nicht die geringste Ahnung.

Angst vor Ratten
Für Furore sorgte vor allem ein weiteres Zitat des Belgiers in der „Sun“: „An Bord werden sehr viele Ratten sein, und die fressen sich gegenseitig.“ Wenn er an Bord gehe, werde er wohl alles mit Gift behandeln. Die offenbar vom letzten Bond-Film „Skyfall“ inspirierte Rattentheorie machte sich in andern Medien bald selbstständig: Von „Kannibalenratten“ war plötzlich die Rede, die auch eine Gefahr darstellen würden, wenn das Schiff tatsächlich an einer Küste angeschwemmt werden sollte. Das alles lässt eher Erinnerung an ein anderes Tier aufkommen: die Zeitungsente.

Sollte verschrottet werden
Die 1976 im damaligen Jugoslawien für die Sowjetunion gebaute „MW Ljubow Orlowa“ wurde zunächst als Linienschiff mit Heimathafen Wladiwostok eingesetzt. 1999 wurde das nach der Sowjetschauspielerin Ljubow Orlowa benannte Schiff umgebaut und für Kreuzfahrten in der Arktis und Antarktis genutzt.

Als die Reederei pleiteging, strandete das 100 Meter lange Schiff im Hafen von St. John im kanadischen Neufundland. Nach zwei Jahren dort sollte es zum Verschrotten in die Dominikanische Republik geschleppt werden. Als das Tau des Schleppers im Jänner 2013 zweimal riss, ließen die Seeleute das Schiff mit 4.251 Bruttoregistertonnen einfach treiben, weil die Wetterbedingungen laut Angaben des Eigners ein neues Vertäuen nicht zuließen.

Mysteriöse Signale
Die kanadischen Behörden versuchten zunächst, die Situation zu klären, stellten dann aber fest, das Schiff stelle weder für die kanadischen Küsten noch für Ölplattformen vor der Küste eine Gefahr dar. Es wurde alleine gelassen und trieb langsam Richtung Britische Inseln. Im Frühjahr des Vorjahres wurden dann zwei Signale empfangen und deren Ursprung 700 Seemeilen vor der Südwestküste Irlands lokalisiert.

Laut „Independent“ müssen diese von zwei Rettungsbooten stammen, die offensichtlich in Wasser gefallen seien: Nur dann werden nämlich die Signale gesendet. Die irischen Behörden versuchten daraufhin, mit Satellitenbildern das Schiff ausfindig zu machen, fanden aber nichts. Laut irischen Medien vermuteten die Behörden daher, dass das Schiff gesunken sei. Ein Woche später tauchte allerdings vor der Küste Schottlands ein unbekanntes Objekt, das der Größe des Schiffes entsprach, auf dem Radar auf. Losgeschickte Flugzeuge konnten es aber nicht orten.

Einfach Treibgut
Dann war es monatelang ruhig. Im Dezember widmete das Wissenschaftsmagazin „New Scientist“ der Frage, wie es in Zeiten von GPS und Co. sein kann, ein derart großes Schiff einfach zu verlieren, einen Artikel. Gewiss ist nur, dass das Schiff in internationalen Gewässern treibt und damit juristisch de facto inexistent ist.

Zwar gibt es völkerrechtliche Übereinkommen über Konflikt- und Problemfälle in internationalen Gewässern - diese sind jedoch immer an Besatzungen und Passagiere geknüpft. Ein Schiff ohne einen einzigen Menschen an Bord und damit ohne Flagge, unter der es fährt, ist damit quasi Treibgut. Der neue Medienrummel um das Schiff hat aber zumindest eine Folge: Auf dem zuletzt verwaisten Twitter-Account, den ein Scherzbold für das Schiff eingerichtet hat, ist wieder einiges an Verkehr.
Text- u. Bildquelle: http://orf.at/stories/2215437/2215457/
 

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