Am 15. Mai 1955 wurde der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet...

josef

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#1
15. Mai 1955: Der Tag des Staatsvertrages

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Am Freitag jährt sich zum 65. Mal die Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages vom 15. Mai 1955 in Wien im Schloss Belvedere. Zwei Politiker aus Niederösterreich hatten damals eine wichtige Rolle: Leopold Figl und Julius Raab
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Der Weg zum Staatsvertrag musste erst mühsam verhandelt werden. Die Grundlage dafür bildete das Moskauer Memorandum. Die Verhandlungen im April 1955 in Moskau hatten den Durchbruch für Österreich gebracht: Eine Delegation mit Bundeskanzler Julius Raab, Vizekanzler Adolf Schärf, Außenminister Figl und Staatssekretär Bruno Kreisky an der Spitze erreichte die Zusage der Sowjets, dass Österreich einen Staatsvertrag und damit seine Unabhängigkeit erhalten solle.

Das Ergebnis der Gespräche war das Moskauer Memorandum, das am 15. April unterzeichnet wurde. Bereits am 14. April hatte Raab eine Botschaft nach Wien übermitteln lassen: „Österreich wird frei! Wir bekommen unseren Heimatboden in seiner Gänze zurück.“


APA/Renate Apostel
Bundeskanzler Raab (r.) trat am 15. Mai 1955 in die zweite Reihe und ließ Außenminister Figl (l.) den Vortritt und den Jubel auf dem Balkon des Belvedere

Warum die Sowjets plötzlich Ja sagten
Raab bezeichnete bei der Rückkehr aus Moskau die Verhandlungen als „von größter Bedeutung, sie sind auch sicherlich ein wertvoller Beitrag für den Frieden der Welt!“ Warum war im April 1955 plötzlich etwas möglich, das es vorher nicht war?

Als Hintergründe für den Schwenk der Sowjetunion sieht der Historiker Peter Fritz folgende Umstände: „Man wollte einen möglichen Anschluss der westlichen Teile Österreichs an die Bundesrepublik Deutschland verhindern. Mit einem neutralen Österreich konnte man einen geografischen Keil zwischen die NATO-Länder treiben, und bei einem Abzug der eigenen Truppen müssten auch die westlichen Truppen aus Österreich abziehen.“

Unter Umständen wollte man nach außen ein Zeichen der Entspannung geben, dass der Staatsvertrag als Übergang zu einer „friedlichen Koexistenz“ diene, ohne dass damit strategische Nachteile in Kauf zu nehmen waren. Auch wirtschaftliche Gründe spielten eine Rolle, denn die USIA-Betriebe waren nach zehn Jahren Bewirtschaftung und Ausbeutung bereits stark marode, „hohe Investitionen standen an, welche aber die Sowjetunion nicht zu leisten bereit war“, so Fritz.

Außenminister Figl: „Österreich ist frei“
Vor der endgültigen Unterzeichnung des Staatsvertrages folgte dann noch eine Botschafterkonferenz in Wien, um den Staatsvertrag in seine endgültige Form zu bringen. Am 14. Mai 1955 trafen einander die Außenminister der UdSSR, USA, Großbritanniens und Frankreichs. Figl gelang es dabei noch, den sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow zu überzeugen, aus der Präambel den Hinweis auf die Mitverantwortung Österreichs am Zweiten Weltkrieg zu streichen.

APA/Robert Jäger
In der Ausstellung „Österreich ist frei“ im Jahr 2005 auf der Schallaburg war das Original des Österreichischen Staatsvertrages, das in Moskau aufbewahrt wird, zu sehen

Am 15. Mai 1955 schließlich war es so weit. Die Außenminister Molotow für die Sowjetunion, John Foster Dulles für die USA, Harold Macmillan für Großbritannien, Antoine Pinay für Frankreich und Figl für Österreich unterzeichneten im Oberen Belvedere in Wien den Staatsvertrag. „Mit dem Dank an den Allmächtigen wollen wir die Unterschrift setzen und mit Freude rufen wir aus: Österreich ist frei!“, sagte Figl noch im Marmorsaal, bevor er und die Außenminister der vier Alliierten sich auf dem Balkon des Schlosses den im Park des Belvedere wartenden Menschen zeigen wollten.

Am 7. Juni 1955 folgte die Ratifizierung des Staatsvertrags durch den Nationalrat. Nachdem bis zur gesetzten Frist am 25. Oktober offiziell die letzten Besatzungssoldaten abgezogen waren, verabschiedete am 26. Oktober der Nationalrat des Neutralitätsgesetz und erklärte gemäß der Vorgabe des Moskauer Memorandums „aus freien Stücken seine immerwährende Neutralität“.

„Ich habe Figl den Staatsvertrag in die Hand gegeben“
Ludwig Steiner (1922 bis 2015) war Widerstandskämpfer, Sekretär von Karl Gruber und Julius Raab, Zeitzeuge der Staatsvertragsgespräche, Staatssekretär im Außenministerium, Botschafter, Nationalratsabgeordneter und Vorsitzender des Versöhnungsfonds. Er war 1945 dabei, als eine kleine Gruppe von Widerstandskämpfern Innsbruck von den Nazis befreite. Den 15. Mai 1955 bezeichnete er als „den wichtigsten Tag meines politischen Lebens“. Steiner war von 1953 bis 1958 Kabinettschef von Bundeskanzler Julius Raab.

APA/Roland Schlager
Ludwig Steiner über Leopold Figl: „Ein österreichischer Patriot durch und durch. Das Land war für ihn sein Dasein.“

Vor fünf Jahren erinnerte sich Steiner in einem Interview mit Robert Ziegler, dem Chefredakteur des ORF Niederösterreich, an diesen historischen Moment. Der Staatsvertrag war im Festsaal des Belvedere unterschrieben worden, dann sei Figl mit den vier Außenministern spontan auf den Balkon gegangen, unzählige Menschen im Park jubelten. Ludwig Steiner: „Die Leute haben ‚Staatsvertrag, Staatsvertrag‘ geschrien. Und ich habe dem Figl den Staatsvertrag in die Hand gegeben. Da hat ein Beamter vom Bundeskanzleramt gesagt ‚Bist du wahnsinnig, wenn er den fallen lässt!‘ Ich habe darauf geantwortet ‚Den hat er so hart erworben, den lässt er nicht fallen.‘ Aber es war natürlich ein Risiko!“

Auch wenn die wenigsten Menschen damals wussten, was im Staatsvertrag genau geregelt wurde, so sei dieser Tag für die Republik Österreich ein sehr wichtiger gewesen, so Ludwig Steiner, damals 33-jähriger Kabinettschef von Bundeskanzler Raab: „‘Staatsvertrag‘ war ja das Wort des Jahrzehnts. Und endlich zeigt jemand diesen Staatsvertrag.“

Legenden und Geschichten um den Staatsvertrag
Leopold Figls berühmter Ausspruch „Österreich ist frei!“ fiel am 15. Mai 1955. Diesen Satz kennen wohl die meisten Österreicher. Dass der Außenminister diese Worte am Balkon des Belvedere mit dem Staatsvertrag in Händen gesprochen haben soll, „ist zwar nett, aber eine Legende“, so der Sozialhistoriker Ernst Bruckmüller.

APA/Günter R. Artinger
Die Unterzeichnung des Staatsvertrages, wie sie der Maler Robert Fuchs sah – nicht ganz der Wirklichkeit an diesem 15. Mai 1955 entsprechend

Am Balkon hätte es „auch nicht viel Sinn gehabt“: „Dort war kein Mikrofon. Bei der Riesenmasse vor dem Belvedere hätte das kein Mensch gehört“, sagt Bruckmüller, der die sich hartnäckig haltende Legende des Balkon-Ausspruchs seit Jahren gerne ausräumen würde. Doch die Ton-Bild-Kombination von Balkon-Aufnahme und Figl-Worten ist im österreichischen Bewusstsein fest verankert.

Nicht ganz geschichtsgetreu ist auch das offizielle Staatsvertragsgemälde von Robert Fuchs, das im Bundeskanzleramt in Wien hängt. Fuchs nahm sich die „künstlerische Freiheit“, einige Personen zu diesem Staatsakt „hinzuzufügen“, die zwar mit dem Staatsakt etwas zu tun hatten, aber nicht anwesend waren.

So ließ etwa der damalige Präsidialchef im Bundeskanzleramt zwei seiner Freunde hinzumalen. Auf der linken Seite des Gemäldes konnte Fuchs überhaupt freihändig die Anwesenden verteilen: Ursprünglich waren an diesem Platz Journalisten gestanden. „Alle, die dort zu sehen sind, sind nicht wirklich dort gestanden“, so Verena Traeger, die sich für die Ausstellung „Das Neue Österreich“, die 2005 im Belvedere in Wien zu sehen war, ausführlich mit der Geschichte des Staatsvertragsbildes auseinandergesetzt hatte.
15.05.2020, Reinhard Linke, noe.ORF.at

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15. Mai 1955: Der Tag des Staatsvertrages
 

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#3
Besonders bei uns in Niederösterreich kursieren viele Mythen, wir hätten den Staatsvertrag der Trinkfestigkeit des damaligen Außenministers Leopold Figl zu verdanken, der bei den vielen Verhandlungen, sowohl in Moskau als auch in diversen NÖ. Weinkellern, mit den hohen russischen Militärs und Politikern "mithalten" konnte...

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Die bekannte Karikatur von E. Köhler: Figl flüstert bei einem Gelage während der Moskauer Verhandlungen den Spielmann Raab ins Ohr...
Quelle: ÖNB

Dazu ein Artikel aus der "Wiener Zeitung" vom 14.05.2015: Jetzt noch d'Reblaus...

...und einer ORF-Kolumne vom 08.04.2017: So war es wirklich...
 
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#4
Bei der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages kam Mobiliar des ehemaligen Kaiserhauses zum Einsatz, danach fanden die Möbel als Requisite in den Sisi-Filmen Verwendung...

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Staatsvertragsmöbel in den Sisi-Filmen
Bis heute wird bei offiziellen Staatsbesuchen das Mobiliar des ehemaligen Kaiserhauses verwendet. Und so geschah es auch 1955 bei der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages. Die Möbel waren danach sogar als Requisite in den Sisi-Filmen im Einsatz.
Online seit heute, 10.15 Uhr
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Vor 65 Jahren haben die vier damaligen Besatzungsmächte USA, UdSSR, Großbritannien und Frankreich den „Staatsvertrag über die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich“ geschlossen. Er stellte nach dem Zweiten Weltkrieg und zehn Jahren der Besatzung die Souveränität Österreichs wieder her.

Historische Möbel für Film heute „undenkbar“
Unterzeichnet wurde der Staatsvertrag am 15. Mai im Schloss Belvedere. Im Hofmobiliendepot, das unter Maria Theresia gegründet wurde, befinden sich heute der Teppich, wie auch die Schreibtische und Stühle, die damals bei der Staatsvertragsunterzeichnung im Belvedere verwendet wurden.

„Wir haben eine traditionelle Institution, die auf das kaiserliche Mobiliar achtet. Dort wird es restauriert, dort wird es gelagert. Und vor den Tagen der Vertragsunterzeichnung sind hier auch Restaurierungsarbeiten gelaufen, und zwar unter sehr hohem Zeitdruck“, sagt Eva Ottillinger, Kuratorin im Hofmobiliendepot gegenüber „ORF III“.

Das Möbel-Ensemble, ursprünglich für ein ehemaliges Appartement Feldmarschall Radetzkys in der Hofburg angefertigt, stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nach der Staatsvertragsunterzeichnung verwendete man es auch als Requisite für die Sisi-Filme mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm. „Das ist schon seit mehreren Jahrzehnten undenkbar. Das war damals ein Spargedanke sicherlich und vielleicht auch wirklich: Möbel als Imageträger“, sagt Ottillinger.

Staatsdinner im Schloss Schönbrunn
Ein Image transportieren – darum ging es den Österreichern 1955 bei der Auswahl der kaiserlichen Möbel für das Belvedere. Bis heute hält sich dazu ein hartnäckiges Gerücht. „Nämlich, man hätte ganz verbissen einen riesigen Teppich gesucht und keinen gefunden und hätte ihn dann in der türkischen Botschaft ausleihen müssen. Das ist aber nicht wahr, es war immer unser Teppich“, sagt Ottillinger.

Essen nach der Unterzeichnung
Nach der Unterzeichnung im Belvedere trafen sich die Delegationen am Abend in Schloss Schönbrunn zu einem festlichen Essen auf Einladung der Bundesregierung. Das Catering übernahm die Traditionsgastronomie Gerstner. Pünktlich um 19 Uhr sollte für 80 geladene Gäste ein mehrgängiges Menü aufgetischt werden. Auf dem Menüplan standen poschierter Zander, eine klare Rindsuppe, gebratenen Ente mit glaciertem Gemüse und Petersilienerdäpfel und als Nachspeise gab es Erdbeercreme.

Nicht alle Speisen waren noch warm
Aber die Speisen mussten zuerst einmal von der Gerstner-Zentrale nach Schönbrunn gebracht werden. „Die Hauptspeise wurde in der Kärtner Straße in den Backöfen gewärmt mit einer Cloche darüber, dann in Backpapier eingewickelt und dann noch in Tischtücher eingewickelt, um es warm zu halten. Um halb sieben ist unser Chauffeur rausgefahren nach Schönbrunn“, erinnerte sich Wilhelm Steuer, der als Jungkoch am Staatsdinner mitkochte.

Doch das war gar nicht so einfach. Regenwetter und viele Schaulustige verursachten Staus. Zusätzlich erschwert wurde die Auffahrt von etlichen Autos, die versuchten sich auf den Parkplätzen im Schlosspark gleichzeitig einzuordnen. „Was die Qualität der Speisen betrifft, gibt es unterschiedliche Berichte. Es dürfte offenbar Probleme gegeben haben, die Speisen warm auf die Tafel zu bekommen“, sagt Martin Mutschlechner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Schloss Schönbrunn.

Die Staatsvertragsmöbel gibt es übrigens in der Dauerausstellung des Hofmobiliendepots zu sehen.
16.05.2020, red, wien.ORF.at

Link:
Staatsvertragsmöbel in den Sisi-Filmen
 

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#5
Wie die österreichische Neutralität der Schlüssel zum Staatsvertrag wurde
Am 15. Mai 1955 wurde der österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Der Historiker Gerald Stourzh hat die lange Vorgeschichte akribisch rekonstruiert
Die Erwartungshaltung war von Vorsicht geprägt, als eine österreichische Regierungsdelegation am 11. April 1955 ein Flugzeug auf dem sowjetischen Militärflugplatz Bad Vöslau bestieg. Zehn Jahre lagen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zurück, in denen die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der staatlichen Souveränität Österreichs viele Höhen und Tiefen erlebt hatte. Mehrmals war ein Abschluss der Verhandlungen über den Abzug der alliierten Besatzungsmächte greifbar erschienen, nur um dann doch wieder blockiert zu werden – mal von den Westmächten, mal von der Sowjetunion. Ob die Einladung nach Moskau nun ein gutes Zeichen war, dahingehend konnten sich die österreichischen Passagiere keineswegs in Sicherheit wiegen.

Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) hatte noch kurz vor der Reise gemeint, er selbst verspreche sich nicht viel davon, und Außenminister Leopold Figl, sein Parteikollege, wolle erst gar nicht nach Moskau. Bruno Kreisky (SPÖ) wiederum, als Staatssekretär im Außenministerium mit an Bord, warnte: "Ein vollkommenes Scheitern der Besprechungen mit den Russen könnte Folgen haben, gegen die uns der Westen nicht schützen kann." Nur Monate vor der Einladung nach Moskau hatten die Westmächte die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die Nato beschlossen – und damit eine latente Sorge in Österreich genährt: dass es zu einer weiteren Einzementierung der Ost-West-Besetzung des Landes kommen könnte, im schlimmsten Fall sogar zu einer Teilung.


Am 15. Mai 1955 wurde der "Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich" unterzeichnet, am 27. Juli 1955 trat er in Kraft.
Foto: Picturedesk/Barbara Gindl

Falsche Darstellung
Doch stattdessen brachte der Besuch im Kreml den endgültigen Durchbruch in den Verhandlungen über einen österreichischen Staatsvertrag: Die Sowjetunion zeigte sich bereit, die "österreichische Frage" unabhängig von Deutschland zu lösen. "Der Preis dafür war die Neutralität", sagt Gerald Stourzh. Und dieser Preis wurde energisch eingefordert. "Das ist in Österreich immer wieder auch von offiziellen Personen falsch dargestellt worden, aber es waren nicht die Österreicher, die in Moskau die Neutralität vorgeschlagen haben."

Stourzh, geboren 1929, kennt die Geschichte des österreichischen Staatsvertrags wie kein anderer. Der emeritierte Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Wien beschäftigt sich seit Ende der 1950er-Jahre intensiv mit der Entstehungsgeschichte des Dokuments und hat über die Jahrzehnte immer neue Details dazu aus Archiven in aller Welt zusammengetragen.

Moskauer Ablehnung
Im vergangenen Herbst ist die sechste Auflage seines monumentalen Standardwerks "Der Kampf um den Staatsvertrag" (Böhlau-Verlag) erschienen, auch sie ist um zahlreiche neue Entdeckungen und erstmals auch um einen Mitautor reicher: Wolfgang Mueller, Professor für russische Geschichte an der Universität Wien, hat neues Archivmaterial aus Russland ausgewertet, darunter die Korrespondenz der Kommunistischen Partei Österreichs mit der sowjetischen Regierung über die Errichtung eines kommunistischen Staats in Ostösterreich. Doch Moskau lehnte den 1948 von der KPÖ eingebrachten Vorschlag einer Teilung des Landes klar ab, wie Mueller zeigen konnte. Denn sie hätte unweigerlich zu einer stärkeren Anbindung Westösterreichs an Westdeutschland geführt, was keinesfalls im sowjetischen Interesse liegen konnte.

Wie aber nahm die Idee der Neutralität Fahrt auf, die letztlich allen Seiten als akzeptable Lösung erscheinen sollte? Für Stourzh gibt es drei Schlüsselmomente im langen Ringen um die österreichische Souveränität – und alle drei haben mit der Neutralität zu tun. Die erste Weichenstellung datiert auf den Jänner 1954, wenige Wochen vor der Berliner Konferenz, bei der sich die Außenminister der Siegermächte treffen sollten, um die Zukunft Deutschlands und Österreichs zu besprechen.


Jubelnde Menschenmassen auf den Straßen....
Foto: Picturedesk/Erich Lessing

Stille Post
In Vorbereitung darauf bestellte US-Präsident Dwight D. Eisenhower seinen Außenminister John Foster Dulles zu einem Arbeitsfrühstück ein und ließ ihn wissen: Er hätte keine Einwände, wenn sich Österreich zu einer Neutralität nach dem Vorbild der Schweiz verpflichten würde. "Diese Aussage ist zentral, weil zuvor aus den diplomatischen Akten der Amerikaner und der Engländer immer wieder herauszulesen war, man hätte Österreich offiziell oder inoffiziell als Mitglied der Nato gesehen", sagt Stourzh.


...und winkende Signatare auf dem Balkon im Wiener Schloss Belvedere nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags. Von links: Pinay, Molotow, Figl, Dulles und MacMillian.
Foto: Picturedesk

Schnell macht Eisenhowers Standpunkt die Runde. Auf der Konferenz in Berlin im Februar 1954 berichtet der US-Außenminister Dulles seinem sowjetischen Amtskollegen Wjatscheslaw Molotow unter vier Augen davon, das ist für Stourzh der zweite entscheidende Moment in der Geschichte. Denn für Moskau ist die Information von großer Bedeutung: Der Plan der Amerikaner, zumindest den Westteil Österreichs in die Nato zu integrieren, ist offenbar nicht in Stein gemeißelt. Eine Neutralität Österreichs würde eine stärkere Anbindung an den Westen verhindern – aus sowjetischer Sicht ein klarer Vorteil.

Die dritte Schlüsselszene spielt im April 1955 bei den Verhandlungen mit der österreichischen Delegation in Moskau. Die sowjetische Regierung macht die österreichische Neutralität zur Bedingung für den Abschluss des Staatsvertrags – und zwar in derselben Formulierung, die zuvor von Eisenhower über Dulles an Molotow gegangen war: nach dem Vorbild der Schweiz. Denn die Amerikaner, das hatte der US-Außenminister klargemacht, würden dieser Definition zustimmen.

Bedeutungsvoller Beigeschmack
Für Stourzh hat die dezidierte Erwähnung der Schweiz durch den US-Präsidenten aber noch einen anderen, unausgesprochenen Beigeschmack: Eisenhower kannte als ehemaliger Oberkommandierender der Nato in Europa die militärische Lage genau. "Er musste wissen, dass auch die Schweiz im Geheimen Gespräche mit der Nato für den Fall eines sowjetischen Angriffs führte. Da hätte sich die Schweiz sicher auf die Seite des Westens gestellt, auch militärisch." Vielleicht, spekuliert der Historiker, dachte Eisenhower diese Rolle für Österreich auch gleich mit.


Auf einem Gerüst vor dem Stephansdom läutete die neue Pummerin die österreichische Souveränität ein. Die alte Domglocke war im April 1945 zerstört worden.
Foto: Picturedesk

Dass die Neutralität schließlich auch zu einem wichtigen identitätsstiftenden Faktor für Österreich werden sollte, war noch nicht absehbar, als die Regierungsdelegation am 15. April 1955 wieder in Bad Vöslau landete und Bundeskanzler Raab verkündete: "Österreich wird frei sein." Genau einen Monat später wurde der Staatsvertrag unterzeichnet.
(David Rennert, 15.5.2021)
Wie die österreichische Neutralität der Schlüssel zum Staatsvertrag wurde
 
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