Hittisau Vorarlberg: Innehalten zum Nachdenken statt Heldenehrung am Kriegerdenkmal

josef

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Von der Heldenverehrung zum Ort des Nachdenkens

Die Bregenzerwälder Gemeinde Hittisau ersetzt ihr Kriegerdenkmal durch ein "Denk.Mal", einen Ort zum Nachdenken. Lange wurde diskutiert.
Hittisau – Stattliche Bregenzerwälder (Gast)Häuser, eine für ein kleines Dorf recht mächtig ausgefallene Kirche, ein Parkplatz mit einem zentralen Brunnen, das Kriegerdenkmal und die Verbindungsstraßen zu den Nachbargemeinden prägen den Dorfkern von Hittisau.

Umrahmt wird das Dorf von der Nagelfluhkette, die auch dem grenzüberschreitenden Naturpark ihren Namen gegeben hat. Bekannt ist Hittisau durch Spitzengastronomie und eine seit 19 Jahren andauernde ungewöhnliche Partnerschaft: Feuerwehr und Österreichs einziges Frauenmuseum teilen sich ein Gebäude. Ungewöhnlich ist auch wie man zur Entscheidung über einen Gedenkort kam.

Man lässt sich Zeit
Seit gut sechs Jahren macht man sich in der Gemeinde Gedanken, wie man das Dorf lebenswert für alle gestalten könnte. "Zentrumsentwicklung" ist das Schlagwort dafür. Kommunalpolitik und engagierte Bürgerinnen und Bürger bemühen sich um Lösungen, die den öffentlichen Raum attraktiver machen sollen. Dorfplatz, Kriegerdenkmal, Infrastruktur, Verkehr wurden in Bürgerbeteiligungsverfahren als veränderungsbedürftig benannt.

Ein "Platz der Begegnung" sollte geschaffen werden. 2015 wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Aufgabe war, eine zeitgemäße Erinnerungsstätte anstelle des Kriegerdenkmals und ein Info-Punkt für den Naturpark zu schaffen. Architekt Peter Muxel schlug in seinem Siegerprojekt eine Gedenkmauer neben der Kirche und ein Sichtfenster aus Beton als Infopoint für den Naturpark vor.

Nachdenken statt Heldenehrung
"Veränderungen sind immer mit Herausforderungen verbunden", weiß Bürgermeister Gerhard Beer (Bürgerliste). Deshalb können Prozesse dauern, manchmal über mehrere Legislaturperioden. Beer präsentierte am Mittwochabend, "nicht zufällig am 8. Mai, dem Tag des Kriegsendes" die Ergebnisse aus vier Jahren intensiver Diskussion. Anstelle des Kriegerdenkmals wird nun ein kleiner Park geschaffen, in dessen Zentrum eine 46 Meter lange Mauer, parallel zur Kirche verlaufend, steht.

Bronzetafeln in unterschiedlicher Größe werden an Freiheitskämpfer, an die Toten beider Weltkriege erinnern. Auch an Zivilisten, vor allem an jene vier Menschen aus Hittisau, die Opfer des NS-Tötungsprogrammes "Aktion T4" wurden. Die zwei Frauen und ein Mann wurden 1941 in den Tötungsanstalten Hartheim und Niedernhart ermordet, ein Mann in Hall.

Über den Namen für den Gedenkort wurde lange nachgedacht. Man einigte sich auf "Denk.Mal". Bürgermeister Beer: "Der Name soll Anregung sein nachzudenken, beispielsweise darüber, dass es nicht selbstverständlich ist, seit über 70 Jahren in Frieden leben zu dürfen."

Miteinander reden
"Lang, intensiv und komplex war die Planungsphase", sagt Architekt Peter Muxel. Es galt sehr unterschiedliche Nutzergruppe auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Behörden, Politik, Vereine, beispielsweise den Kameradschaftsbund.

Lagen zu Beginn die Standpunkte noch sehr weit auseinander, stehen heute die Leute hinter der Neugestaltung "oder können zumindest damit leben", sagt Muxel und betont: "Das Schöne an diesem Prozess war, dass wir immer miteinander reden konnten." Auch Landschaftsarchitekt Marek Langner möchte die Erfahrung der langen Entwicklungsphase nicht missen: "Es war unglaublich spannend zu sehen, wie viele unterschiedliche Meinungen es gibt und wie dann doch ein Konsens gefunden wurde."

Kameradschaftsbund kooperiert
In den Bürgerbeteiligungsprozess, "der manchmal anstrengend war", wurden alle Interessensgruppen einbezogen, auch der Kameradschaftsbund, sagt Prozessbegleiter Peter Swozilek. Was in anderen Dörfern undenkbar wäre, klappte in Hittisau. Der Kameradschaftsbund war mit der Entfernung des Kriegerdenkmals einverstanden.


foto: jutta berger
Das Kriegerdenkmal wird abgebaut.

Anfänglich hatte man Zweifel, sagte Vereinsvertreter Ernst Saltuari bei der Präsentation. Schließlich siegte aber der Pragmatismus: Das alte Denkmal aus zerbröselndem Sandstein hätte ohnehin erneuert werden müssen. Das neue Denk.Mal sei ehrwürdig und entspreche einer modernen Erinnerungskultur.


foto: gemeinde hittisau/muxel
Ein Denk.Mal als Denkanstoß wird errichtet.

Nun bereiten sich die Hittisauer auf einen weiteren langwierigen Entscheidungsprozess vor. Aus dem Dorfplatz, der noch ein Parkplatz ist, soll ein Platz um Verweilen werden. Dafür muss aber das Verkehrs- und Parkproblem gelöst werden. Beim Thema Auto gehen bekanntlich die Emotionen hoch. In Hittisau will man auch hier auf Konsenskurs bleiben.
(Jutta Berger, 9.5.2019)
Von der Heldenverehrung zum Ort des Nachdenkens - derStandard.at
 
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