Israel: Scherbe aus der Bronzezeit gefunden, die neues Licht auf die Anfänge des Buchstabensystems wirft

josef

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Auf den Spuren des frühen Alphabets
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Mit nur wenigen Zeichen lassen sich sämtliche Wörter zu Papier bringen. Die Entwicklung von Alphabeten hat die Schriftkultur revolutioniert. Forscherinnen und Forscher haben nun in Israel eine beschriftete Scherbe aus der Bronzezeit gefunden, die neues Licht auf die Anfänge des Buchstabensystems im Nahen Osten wirft.

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Nur 26 Buchstaben umfasst das lateinische Alphabet, das heute die Grundlage der allermeisten Schriften darstellt. Es orientiert sich an den Lauten der Sprache. Verglichen mit Systemen, die sich an Silben oder Bedeutungen orientieren, ist das unglaublich effizient. Um Wörter, Sätze und Texte zu Papier zu bringen, muss man nicht Tausende Schriftzeichen lernen – wie etwa für die chinesische Schrift. Das erklärt auch, warum die Buchstabenschrift heute so oft und seit Tausenden Jahren – mehr oder weniger unverändert – verwendet wird.

Die Ursprünge liegen im Nahen Osten. Direkter Vorläufer der griechischen und lateinischen ist die phönizische Schrift, die spätestens im 11. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung in der Levante, in der Gegend des heutigen Libanon, Israels und Syriens entstand. Der Weg bis zu diesem System aus 22 Buchstaben ist allerdings nicht restlos geklärt.

Wer brachte die Buchstaben?
Die Geschichte der Alphabetschrift beginnt im Alten Ägypten auf der Sinai-Halbinsel. „Das Ganze hat ungefähr im 19. Jahrhundert vor Christus stattgefunden“, erklärt Felix Höflmayer vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gegenüber science.ORF.at. Archäologische Funde legen nahe, dass semitische Arbeiter, die an ägyptischen Bergbauexpeditionen beteiligt waren, dort die ägyptischen Hieroglyphen zu einer Buchstabenschrift vereinfacht haben.

Einige hundert Jahre später tauchten die frühen Buchstabenreihen auch in der Südlevante, im Gebiet östlich des Mittelmeers zwischen der heutigen Türkei im Norden und Ägypten im Südwesten auf. „Alle bisherigen Beispiele von frühalphabetischen Inschriften in der Südlevante sind aus dem 13., 12. Jahrhundert vor Christus. Man ist daher davon ausgegangen, dass die Ausbreitung der Schrift in dieser Region mit der ägyptischen Vorherrschaft einhergegangen ist“, so Höflmayer.

Zufallsfund in Israel
Ein Zufallsfund bei Grabungen am israelischen Tel Lachisch stellt diese Lehrmeinung nun infrage. Eigentlich waren der Archäologe und sein Team dort, um nach Spuren für den Übergang von der Mittel- zur Spätbronzezeit zu suchen. Dabei stießen die Forscherinnen und Forscher auf eine knapp vier Zentimeter große beschriftete Keramikscherbe, dessen Fundschicht mittels C14-Methode auf 1450 v. Chr. datiert wurde – das ist laut Höflmayer ganze 200 Jahre vor der ägyptischen Vorherrschaft.
ÖAW
Die frühalphabetische Inschrift auf einer zypriotischen Scherbe

Auf der Innenseite finden sich eine Handvoll Zeichen, die Haggai Misgav von der Hebräischen Universität in Jerusalem, Schriftexperte und Koautor der nun in der Fachzeitschrift „Antiquity“ publizierten Studie, eindeutig als frühalphabetische Buchstaben identifiziert hat. Ein Wort auf dem Fragment könnte „Sklave“ bedeuten, aber auch Teil eines Namens sein. Ein weiteres Zeichen könnte für Honig oder Nektar stehen, aber auch Teil eines Verbs sein. Der tatsächliche Inhalt der Inschrift bleibe also weitgehend verschlossen, betont Höflmayer, aber der Fund liefert interessante neue Hinweise zur Ausbreitung des frühen Alphabets: „Die Übernahme der frühalphabetischen Schrift in der Südlevante muss deutlich früher stattgefunden haben als bisher angenommen.“

Zentrum der Schriftlichkeit
Wenn es nicht die Alten Ägypter waren, wer könnte dann das neue Schriftsystem importiert haben? Wie Höflmayer ausführt, gab es schon damals einen regen Austausch zwischen Ägypten und der Südlevante. Zu dieser Zeit regierten in Ägypten außerdem die Hyksos, eine Gruppe fremdländische Herrscher aus Westasien. Am Ende ihrer Herrschaft wurden sie vertrieben und bis in die Südlevante verfolgt. Auch ein früherer Import sei denkbar, jedoch nicht belegt.

Mit Funden zu belegen ist hingegen, dass neben der frühalphabetischen Schreibweise zur selben Zeit auch die hieratische Schrift verwendet wurde. „Das sind von Hand geschriebene ägyptische Hieroglyphen“, erklärt Höflmayer. „Offensichtlich war Lachisch ein Zentrum der frühen Schriftlichkeit.“ Außerdem habe man an keinem anderen Ort in der Südlevante insgesamt so viele frühalphabetische Belege gefunden.

Scherben als Notizzettel
Tatsächlich war Lachisch schon in der Zeit, aus der das neue Fundstück stammt, von überregionaler Bekanntheit und wurde bereits in ägyptischen Schriftstücken erwähnt, so Höflmayer. Auch archäologische Funde wie zum Beispiel Keramiken aus Zypern oder dem heutigen Saudi-Arabien belegen einen großräumigen Austausch. „Lachisch war wohl auch ein Handelszentrum“, so der Archäologe.

Das könnte ein Grund sein, warum schriftliche Aufzeichnungen hier besonders wichtig waren. Vermutlich wurden sie vor allem für administrative Zwecke genutzt, zumindest für die Hieroglyphenschrift sei das gesichert. Tonscherben von kaputten Gefäßen waren genug vorhanden, und man nutzte sie, um schnell etwas zu notieren. „In gewisser Weise waren sie die Notizzettel von damals“, sagt Höflmayer.
15.04.2021, Eva Obermüller, science.ORF.at

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