Ist das langsame Sterben von Dörfern abseits der "Speckgürtel" von Städten und entlang der "Boomzonen" von Hauptverkehrsachsen noch aufzuhalten?

josef

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#1
Neuer Film haucht Dörfern Leben ein

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Mehr als 40 Prozent aller Kleingemeinden in Österreich haben mit Abwanderung zu kämpfen. „Rettet das Dorf“ heißt der aktuelle Dokumentarfilm von Teresa Distelberger aus Herzogenburg (Bezirk St. Pölten), der ab Freitag in den Kinos gezeigt wird. Er zeigt Initiativen und Ideen, wie Dörfer wieder mit neuem Leben erfüllt werden können.
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Sehr viele kleine Gemeinden verfügen weder über Postämter noch über Polizeiposten, Kaufhaus, Schulen, Arztpraxen oder Apotheken. Selbst Wirtshäuser, Tankstellen oder einfach nur Bankomaten sind oft schwer in bestimmten Regionen zu finden. Im Film „Rettet das Dorf“ spricht eine Salzburger Lebensmittelhändlerin aus, was durchaus für das Waldviertel oder Teile des Weinviertels die gleiche Gültigkeit besitzt. „Vor 35 Jahren, als ich begonnen habe, gab es im Lungau noch 26 kleine Nahversorger im Lungau. Mittlerweile sind wir auf zwei Nahversorger geschrumpft. Wenn einmal zugesperrt ist, dann ist das Geschäft für das Dorf zumeist verloren.“

Dass sich immer mehr Niederösterreicher und Niederösterreicherinnen im Umkreis von Ballungsräumen ansiedeln, hat erst kürzlich die Arbeiterkammer in ihrer aktuellen Pendleranalyse verdeutlicht. Landflucht, heißt es dazu im Film, sei alles andere als ein neues Phänomen: „Und doch scheint es in einigen Regionen fünf vor zwölf zu sein, Geisterdörfer wie im Friaul in Oberitalien gibt es in Österreich zwar noch nicht. Doch die Tendenzen gehen in diese Richtung“. Der Film hätte nicht diesen Titel, wenn nicht Distelberger bald auf die positiven Ansätze eingehen würde, die für attraktivere Gemeinden sorgen würden, wie dies beispielsweise in Gutenstein (Bezirk Wiener Neustadt) der Fall ist.

Einer Initiative folgt oft die nächste umgesetzte Idee
Die Jungunternehmerin Theresa Steininger ist mit ihrer Firma „Wohnwagon“ von Wien nach Gutenstein übersiedelt, nachdem sie 90 Gemeinden angeschrieben hat. Gutenstein habe sie mit offenen Armen empfangen und so habe man Gutenstein „entdeckt“, sagt sie im Film. Aus dieser Initiative sind weitere Projekte entstanden. So wird derzeit das leerstehende Wirtshaus wiederbelebt und Platz geschaffen für weitere Start-Up-Unternehmen.
Solche „Mutmach-Initiativen“ können viel bewegen in einem Ort, erklärte die Regisseurin des Films „Rettet das Dorf“, Teresa Distelberger bei der Vorpremiere in Krems an der Donau gegenüber dem ORF Niederösterreich: „Man glaubt immer, es müssen alle mitmachen und mithelfen. Das stimmt gar nicht. Es braucht zwei oder drei Personen, die wirklich brennen für eine Sache und die bereit sind, mehr zu geben als sie geben müssten und die dann andere auch mit anstecken. Das ist der Punkt, der Mut macht, weil sich jeder fragen kann: Bin ich vielleicht einer dieser zwei, drei Menschen, die in meinem Ort etwas bewegen wollen, die eine Idee im Kopf brodeln haben, die für neuen Schwung im Ort sorgen könnte.“

NGF
Verlassene Orte könnten durch Ideen mit neuem Leben erfüllt werden

Forstner: Schwer ist es, das Feuer am Brennen zu halten
Bei der Vorpremiere im Kino im Kesselhaus in Krems stellten sich vor der Präsentation des Filmes weitere regionale Initiativen vor, die im Film nicht vorkommen. So wird es auch bei den folgenden Premieren in Österreich gehandhabt. In Krems stellte Manuela Hirzberger die Foodcoop Langenlois vor, ein Verein der regionale Bio-Lebensmittelerzeuger und Konsumenten auf kürzestem Weg zusammenführt. Johann Müllner ist der Obmann der Initiative „Mit euch – für euch“ im Kamptal (Bezirk Krems). Sie bietet kostenlose Fahrdienste an für Wege ins Krankenhaus, zum Arzt, zur Apotheke, zum Supermarkt oder einfach nur zur Parkbank am Waldrand. Die zweite Schiene ist nämlich ein Besuchsdienst, den die ehrenamtlichen Vereinsmitglieder aufgebaut haben. Gefördert wird das Projekt aus EU-Mitteln.

Viele Ideen sind schnell geboren, vielleicht mühsam in der Umsetzung, aber das Schwierigste, sagt Maria Forstner, die Obfrau der niederösterreichischen Dorf- und Stadterneuerung, sei es, die Idee über viele Jahre zu erhalten: „Wir wissen aus Studien, dass viele gerne an Projekten mitwirken möchten, die sich über ein bis zwei Jahre erstrecken, wo es einen klaren Zeithorizont gibt. Am Schwierigsten ist es Mitarbeiter zu bekommen, die über einen langen Zeitraum mitmachen wollen“.

Gerade da setzt der Film am richtigen Hebel an. Er präsentiert Ideen, die auf lange Dauer angelegt sind und nachhaltig wirken, wie beispielsweise der Umbau einer alten Dorfschule zu einem Ärztezentrum in St. Leonhard am Hornerwald (Bezirk Krems). Den Anstoß dazu gab die Jungärztin Heidelinde Schuberth, die hier eine Landarztpraxis eröffnen wollte. Der Film „Rettet das Dorf“ macht Mut. Er zeigt innovative Ansätze aus ganz Österreich und erzählt von Menschen, die sich für ihr Dorf einsetzen. Ab kommenden Freitag ist der Film in den Kinos.
28.02.2020, Hannes Steindl, noe.ORF.at

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#2
Landflucht: Ist das Dorf noch zu retten?
Die Landflucht macht Dörfern zu schaffen. Auch Entwicklungen auf der grünen Wiese tragen ihren Teil dazu bei, sagt die Filmemacherin Teresa Distelberger
Für ihren neuen Kinofilm "Rettet das Dorf" hat Teresa Distelberger Menschen in ganz Österreich besucht, die das Dorf noch nicht aufgegeben haben. Im Interview erzählt sie von ihren Erkenntnissen.
STANDARD: Was macht ein Dorf aus?
Distelberger: Menschen, die es mitgestalten wollen und können – etwa eine Landärztin, die eine Praxis aufrechterhalten will, oder Menschen, die im Dorf unternehmerisch tätig sind. Außerdem braucht es eine Schule, Nahversorgung, ein Wirtshaus und eine Politik, die einen guten Bezug hat zu dem Raum, für den sie Entscheidungen trifft.
STANDARD: Warum wollen die Leute weg?
Distelberger: Der häufigste Grund ist das Fehlen von beruflichen Möglichkeiten oder einer Ausbildung. Gerade junge Leute gehen nach der Schule deshalb oft in die Stadt, das ist ja auch gut und wichtig so. Danach stellt sich die Frage, ob es in ihrem Heimatort Möglichkeiten für sie gibt, ihr Leben zu gestalten.

Der Film "Rettet das Dorf" von Teresa Distelberger ist ab 28. Februar im Kino zu sehen. Darin werden zentrale Personen gezeigt, die in einem Dorf "zur Lebendigkeit beitragen", sagt Distelberger – etwa eine Lehrerin, eine Nahversorgerin, eine Ärztin und ein Unternehmer.
Foto: NGF

STANDARD: Was macht ein Dorf attraktiv?
Distelberger: Oft ist es die Natur, dass es auf dem Land mehr Raum gibt, sich zu entwickeln.
STANDARD: Wie fühlen sich die, die zurückbleiben?
Distelberger: Das ist ganz unterschiedlich und kommt ganz auf die Lebenshaltung an. Manche resignieren, fühlen sich machtlos und zurückgelassen. Andere antworten mit Kreativität und neuen Ideen. In der Stanz im Mürztal, die auch im Film vorkommt, wurde ein Elektrotaxiverein gegründet. 40 Leute wechseln sich ab, jeder fährt einen Tag lang mit dem Auto durch das Tal. Dadurch können ältere Menschen zum Arzt fahren oder ins Kaffeehaus.
STANDARD: Gibt es überall dieselben Probleme?
Distelberger: Nein, jedes Dorf ist individuell. Orte in der Nähe einer Stadt haben meist starken Zuzug. Dennoch sind sie tagsüber oft wie ausgestorben, weil die Menschen woanders arbeiten. Das sind sogenannte Schlafdörfer. Tourismusdörfer haben hingegen das Problem, dass die Jungen nicht im Ort bleiben können, weil die Immobilienpreise durch internationale Spekulationen und Zweitwohnsitze so hoch sind. Und dann gibt es jene Dörfer ohne Tourismus, die weiter weg von der nächsten größeren Stadt liegen, etwa im Waldviertel oder im Südburgenland. Da gibt es größere Probleme in Bezug auf Abwanderung, Überalterung, niedrige Geburtenraten und mangelnde Arbeitsplätze.


"Blinde Auslagen und bröckelnde Fassaden machen einen trostlosen Eindruck, das wirkt sich auf das Selbstbewusstsein der Menschen im Ort aus."
Foto: NGF

STANDARD: Wie tragen der Leerstand im Zentrum und die Verlagerungen auf die grüne Wiese zum Dorfsterben bei?
Distelberger: Sehr. Blinde Auslagen und bröckelnde Fassaden machen einen trostlosen Eindruck, das wirkt sich auch auf das Selbstbewusstsein der Menschen im Ort aus.
STANDARD: Welche Rolle spielt Wohnraum?
Distelberger: Auf dem Land gibt es oft das Problem, dass junge Menschen bei den Eltern ausziehen wollen, aber keinen passenden Wohnraum finden. Dann fällt es gleich noch leichter, in die Stadt zu gehen.
STANDARD: In Ihrem Film ist die Rede von einem Wettbewerb um jene, die aus der Stadt zurück aufs Land ziehen. Sind sie überall willkommen?

Regisseurin Teresa Distelberger hat für ihren Film zahlreiche Dörfer besucht.
Foto: NGF

Distelberger: Nein, das glaube ich nicht. Es ist ein ziemlich neuer Zugang, das so als Wettbewerb zu denken. Viele Gemeinden haben noch nicht erkannt, dass es wichtig ist, sich für die zu öffnen, die aus der Stadt kommen. Es gibt immer noch den Glauben, dass diejenigen das Dorf erhalten können, die dort aufgewachsen sind. Zuzügler werden dorthin ziehen, wo es Initiativen gibt, Nahversorgung ebenso wie Lösungsansätze für Probleme. Und natürlich dorthin, wo sie sich willkommen fühlen. Also wo es Neuen gegenüber ein Wohlwollen gibt. Diese Offenheit ist eine Sache, die jeder mitgestalten kann.
STANDARD: Gibt es neue Chancen durch die Digitalisierung?
Distelberger: Ja, aber ich glaube, da stehen wir noch am Beginn. Im Zuge des Films hat sich der Chef einer Wiener IT-Firma bei mir gemeldet und mir erzählt, dass ein Programmierer für ihn arbeitet, der aber im Waldviertel sitzt. So kann er weiter bei der freiwilligen Feuerwehr sein und Teil seines Dorflebens bleiben. Fernarbeitsplätze machen so etwas möglich. Generell ist wichtig, es nicht als Entweder-oder zu denken. Denn es wird immer häufiger vorkommen, dass Menschen in der Stadt und auf dem Land gleichzeitig leben.
(Bernadette Redl, 29.2.2020)

Teresa Distelberger ist Filmemacherin, Regisseurin und Kunstschaffende.

Weiterlesen
Dokumentarfilm "Rettet das Dorf": Lösungen für die Landflucht
Mit "Ausheimischen" gegen die Landflucht
Der Donut-Effekt frisst die Ortskerne leer

Das Globalkolorit der toten Orte

Landflucht: Ist das Dorf noch zu retten? - derStandard.at
 

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#3
Landflucht: Kreative Ideen für Dörfer gesucht
Die Dörfer sterben aus. Um das zu verhindern, braucht es engagierte Menschen und kreative Ideen. Das flexible Arbeiten könnte helfen

Das Problem der Landflucht gibt es nicht nur in Österreich, auch Deutschland ist betroffen.
Foto: Getty Images/iStockphoto
Es ist ein Phänomen, das es nicht nur in Österreich gibt: Die Jungen gehen zum Studieren oder für erste Jobs in die Stadt – und bleiben dort. Zumindest bis sie eine Familie gründen. Dann zieht es sie wieder hinaus ins Grüne. Allerdings eher ins Einfamilienhaus im Speckgürtel als in die nicht nur geografisch oft weit entfernte Heimatgemeinde.

So sterben Dörfer aus. Viele ländliche Gegenden – das Waldviertel zum Beispiel – haben mit Schrumpfung zu kämpfen. Die, die zurückbleiben, fühlen sich alleingelassen. Dabei müssten sie kreativ werden. Das könnte sich auszahlen, wie die Filmemacherin Teresa Distelberger in ihrem neuen Kinofilm "Rettet das Dorf" zeigt. Das Ermutigende: Einige wenige, die sich im Dorf engagieren, können einen echten Unterschied für alle machen.

Die grüßen ja nicht einmal
Dafür ist es aber notwendig, oftmals hausgemachte Probleme zu erkennen – und zu benennen: Einkaufs- und Fachmarktzentren haben das Leben aus dem Ortskern abgesaugt. Die Identität ist vielen Gemeinden angesichts der immer gleichen Geschäfte an der Ortseinfahrt abhandengekommen. Neuankömmlinge, die frischen Wind bringen könnten, werden mancherorts kritisch beäugt. "Die grüßen ja nicht einmal", heißt es dann. Dass sich "die Neuen" nicht unbedingt im Dorf- und Vereinsleben engagieren wollen, ist dann auch verständlich. Und innovative Wohnprojekte abseits der in Österreich verbreiteten Einfamilienhausnorm sind vonseiten mancher Bürgermeister einfach nicht erwünscht.

Vielleicht ändert sich all das, wenn der Trend zum "flexiblen Arbeiten" auf dem Land aufschlägt. Dann können Menschen vom Eigenheim im Waldviertel aus arbeiten und müssen nicht mehr in die Stadt. Vielleicht wird es so irgendwann eine Bewegung zurück in die Dörfer geben. Noch ist das Internet auf dem Land dafür aber viel zu langsam. (Franziska Zoidl, 29.02.2020)
Realitäten ist die wöchentliche Kolumne der Immobilien-Redaktion des STANDARD. Auch wir Immo-Redakteure wohnen irgendwo, sind hin und wieder auf Immobilien-Suche oder bauen mal um. Aber vor allem: Wir sprechen mit Branchenvertretern, besichtigen Bauprojekte und gehen meist mit offenen Augen durch Stadt und Land. Was wir dabei sehen und lernen, selbst erleben oder was uns von Kollegen, Nachbarn oder Freunden berichtet wird, erzählen wir hier.

Zum Weiterlesen
Dorfsterben: Eine Bestandsaufnahme
Mit "Ausheimischen" gegen die Landflucht

Landflucht: Kreative Ideen für Dörfer gesucht - derStandard.at
 

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#4
Profitieren in Zukunft die kleinen "Greißler" vom Klimaschutz und kehren in die Orts- und Stadtkerne zurück?

EINKAUFSZUKUNFT
Ortskerne profitieren vom Klimaschutz: "Die Greißler kehren zurück"
Wie wird künftig eingekauft? Experten rechnen mit einer Renaissance kleiner Nahversorger
Der Wachstumskaiser im Handel ist der Leerstand. Vor sechs Jahren lag der Anteil an aufgelassenen Flächen im Schnitt bei 4,5 Prozent. Mittlerweile sind bereits mehr als sieben Prozent der Geschäftsflächen in Österreich verwaist, erhob der Berater Standort+Markt. Auch in Toplagen stehen gut fünf Prozent der Shops leer. In viele werden auch künftig keine neuen Filialen mehr einziehen. Eingekauft wird zusehends im Internet. Stationäre Einzelhändler müssen sich darauf einstellen, dass die Frequenz an Kunden weiter sinkt.

Wie sehen Einkaufsgewohnheiten der Konsumenten in zehn Jahren aus? Welche Shops erhalten Aufwind, welche geraten unter die Räder? Silvio Kirchmairs Job ist es, darauf Antworten zu finden. Der Chef der Umdasch Store Makers Management entwickelt und baut Verkaufsläden für nationale und internationale Händler, richtet Lebensmittelmärkte, Drogerieketten und Textilkonzerne ein.

Viele Shops stehen leer.
Foto: Robert Newald

Das Bild, das er vom Handel der Zukunft malt, ist ein Mosaik aus mehr Nahversorgern und Dienstleistern. Standorte an den Stadträndern sieht er leiden, Geschäfte auf der Fläche an Größe verlieren.

Kirchmair geht davon aus, dass 75 Prozent des Volumens des Einzelhandels den stationären Anbietern vorbehalten bleiben – Branchen wie Elektro- und Buchhändlern weniger, anderen wie Lebensmittelketten mehr. "Wo genau die Grenzen des Onlinehandels verlaufen, weiß keiner."

Goldschatz Kundendaten
Den größten Schutz gegen Konkurrenz der Internetriesen sieht er in schwer kopierbaren Dienstleistungen, wie auch eine kostspielige letzte Meile hin zum Kunden ihren Vormarsch bremse. Supermärkte dürften Rivalen wie Amazon dennoch nicht unterschätzen: Noch verdiene zwar keiner weltweit mit Lebensmitteln über das Internet Geld. Goldes wert seien diese Geschäfte aber bereits durch den Gewinn von Kundendaten.

Kirchmair erwartet in den kommenden zehn Jahren in Österreich eine Renaissance der Nahversorger in den Ballungsräumen. "Die Greißler kehren zurück. Einkaufen wird wieder regionaler."

Große Ketten suchten zugleich vermehrt den Weg zurück von der Peripherie in die Stadtzentren. Denn Autofahren und Transporte verteuerten sich, die Klimaziele gehörten ernster genommen. Für viele bestehende kleine Händler komme diese Entwicklung hin zu umweltverträglicherem Kaufverhalten dennoch zu spät.

Bezirksstädte in den Bundesländern veröden ebenso wie einst florierende Wiener Einkaufsstraßen. Kirchmair erinnert daran, dass städtische Infrastruktur vielfach vom Handel finanziert werde. "Internetkonzerne tragen dazu nichts bei." Es sei nun Aufgabe der öffentlichen Hand, dezentrale Ballungsräume zu schützen und für Chancengleichheit zu sorgen. An einer Besteuerung des Onlinehandels führt für den Ladenbau-Experten in Europa kein Weg vorbei.


Einkaufen wird wieder regionaler, davon gehen Experten aus.
Foto: Maria von Usslar

Welche Wandlung erfahren die einzelnen Shops an sich? Kirchmair ist davon überzeugt, dass sie sich verkleinern. Ein Supermarkt auf 10.000 Quadratmetern lasse sich heute kaum noch bespielen. Für wirtschaftlich sinnvoller hält er Flächen zwischen 800 bis 1200 Quadratmetern.

Den Stein der Weisen nicht gefunden hat die Branche bei der Vernetzung von stationärem Einkauf mit digitalen Technologien. Letztere brauche es aber, um Prozesskosten zu reduzieren und Daten zu generieren, sagt Kirchmair.

Macht der Bilder
Bewegte Bilder und geschickte Inszenierung des Umfelds in den Shops erhöhten zudem die Einkaufsbereitschaft. Spielen Supermärkte vor dem Obstregal die idyllische Szenerie einer Apfelernte ein, hebe das die Kauflaune gleich einmal um ein Drittel, zeigten empirische Studien. In Modegeschäften, die auf Bildschirmen Kleider offerieren, die zum aktuellen Wetter passen, sei die Flächenproduktivität um zwei bis drei Prozent gestiegen. Pro Quadratmeter gehe es hier um rund 40 Euro.

Elektronische Preisschilder haben sich in Österreich anders als in Frankreich oder Dänemark bis auf rare Ausnahmen nach wie vor nicht durchgesetzt. Sie seien derzeit schlicht zu teuer, sagt Kirchmair. Darauf verzichten könne der Handel dennoch nicht – der große Rollout zeichne sich 2021 ab.

Bisher seien aufgrund der zeitverzögerten Anpassungen fünf bis zehn Prozent der auf Papier ausgeschilderten Preise in den Regalen falsch. Digitale Anzeigen ersparen dem Handel Arbeit und erlauben zusätzliche Produktinfos. Konsumentenschützer warnen allerdings vor Preisschwankungen wie an der Tankstelle: Denn der neue Spielraum ließe sich bei großem Kundenandrang für spontane schnelle Aufschläge nutzen.
(Verena Kainrath 7.3.2020)

Siehe dazu auch:
Können Zwangsgebühren die Paketflut stoppen?

Handelsexperte: "Ganz Wien hat kein Warenangebot wie das Internet"

Ortskerne profitieren vom Klimaschutz: "Die Greißler kehren zurück" - derStandard.at
 

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#5
Bringt der verstärkte und nachhaltige Ausbau von "Homeoffice" zumindest eine Teillösung des Problems "Landflucht"...?

NACH CORONA
Kommt jetzt die große Flucht aufs Land?
Homeoffice geht von überall. In der Krise sind viele daher ins Ferienhaus oder zu den Eltern gezogen. Die Zukunft könnte ein Mix aus Stadt- und Landleben sein


Endlich raus aus der Stadt: Auch in Dörfern gibt es immer öfter Co-Working-Plätze. Im Ort arbeiten, aber dennoch nicht daheim – das könnte ein Modell der Zukunft sein.
Foto: istock

Viele haben das Homeoffice in der Corona-Krise dorthin verlegt, wo sie ihren Lebensmittelpunkt sowieso lieber hätten: aufs Land. Dort gibt es mehr Grün, frischere Luft, mehr Platz, weniger Menschen und damit weniger potenzielle Virusüberträger. Oft ist hier auch die Familie, mit der man ansonsten zu wenig Zeit verbringen kann.

Job oder Studium sind für viele der Hauptgrund, in der Stadt zu leben. Fällt er weg, weil Homeoffice von überall geht, ist man örtlich flexibel, kann also statt in der engen Stadtwohnung wieder im alten Kinderzimmer bei den Eltern oder im Ferienhaus arbeiten – vorausgesetzt, die Internetverbindung ist gut genug.

Nichts verpassen
Eine, die das gemacht hat, ist Julia Laister (Name geändert). Sie hat vor einigen Jahren ein Haus in der Steiermark geerbt, in das sie vor Corona hin und wieder an den Wochenenden gefahren ist. "Man ist ja sonst an die Arbeit gefesselt", sagt sie. Nun lebt sie seit mehreren Wochen im Wochenenddomizil. "Ich wundere mich selbst, wie sehr es mir taugt", sagt sie. Während der Ausgangssperren habe sie zudem nicht das Gefühl gehabt, in Wien etwas zu verpassen, weil Lokale oder Theater sowieso geschlossen waren.

Aktuell ist viel die Rede davon, dass das Image des Arbeitens im Homeoffice sich nach Corona stark verändern wird. Arbeitgeber machen Pläne, nach Corona Büroflächen einzusparen, weil mehr Mitarbeiter im Homeoffice arbeiten wollen oder dazu verpflichtet werden. Einzelne Beispiele dafür gab es schon vor der Krise: der Programmierer, der auf dem Land wohnt, aber von zu Hause aus für eine Firma in der Stadt arbeitet, oder das junge Online-Start-up, das beschlossen hat, zurück in die Heimat zu ziehen.

Bella ciao
Auch in Italien gibt es ähnliche Überlegungen, die vor allem mit der Angst vor dem Virus zu tun haben. Architekten, Stadtplaner, Soziologen und Anthropologen fordern von der italienischen Politik nun, das Leben auf dem Land attraktiver zu machen sowie die Menschen zu ermutigen, die Städte zu verlassen und in Dörfer ziehen. Auf diese Weise sollen künftige Pandemien verhindert werden.

Der Architekt Massimiliano Fuksas prognostiziert bereits, dass die Zahl der Menschen, die nach Corona aufs Land ziehen, sprunghaft ansteigen wird. In Italien gibt es tausende Dörfer mit weniger als 5000 Einwohnern. Mehr als 2300 dieser Orte sind laut dem Architekten Stefano Boeri so gut wie verlassen.

Gemeinsam denken
Überdenken auch die Österreicherinnen und Österreicher derzeit ihren Wohnort? "Es wird bestimmt ein paar mehr Menschen geben, die nun aufs Land ziehen wollen", sagt Roland Gruber vom Architekturbüro Nonconform. Er hofft und glaubt jedoch, dass sich ein Zusammenspiel von Stadt- und Landleben durchsetzen wird: "Wir müssen das zusammendenken und dürfen das nicht immer gegeneinander ausspielen", sagt er und glaubt, dass es viele geben wird, die sowohl in der Stadt als auch auf dem Land leben.

Durch die Klimadebatte gibt es etwa in Bayern immer mehr Gemeinden, auch kleinere Dörfer, die Co-Working-Plätze einrichten, berichtet Gruber. "Man arbeitet dann nicht daheim im Pyjama, muss aber auch nicht im Stau stehen, es ist ein Mittelweg – direkt im eigenen Wohnort", sagt er und prognostiziert für die Zukunft Zwischenlösungen wie einen Tag Homeoffice, zwei Tage Co-Working, zwei Tage im Unternehmen. Auch Julia Laister kann sich vorstellen, nach Corona ein paar Tage pro Woche oder wochenweise abwechselnd von der Steiermark aus zu arbeiten.

Mehr Regionalität
Neben dem Aufschwung für ländliche Regionen durch die Zuzügler und weniger Pendlerverkehr könnten lokale Strukturen an sich gewinnen. Denn die Krise hat dafür gesorgt, dass Regionalität, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land, wieder eine größere Rolle spielt. Gruber nennt ein Beispiel: "Man kauft dann nicht am Heimweg vom Büro in der Stadt ein, sondern im Geschäft um die Ecke."

Und was heißt das für die Städte? Für viele Menschen gibt es wohl weit mehr Gründe dafür, in der Stadt zu leben, als nur den Arbeitsplatz. Doch wer weiß, vielleicht leben in Zukunft nur mehr jene in der Stadt, die auch wirklich gerade an keinem anderen Ort lieber wären.
(Bernadette Redl, 16.5.2020)

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Mit "Ausheimischen" gegen die Landflucht
Dorfsterben: Wenn dem Land die Kraft ausgeht


Kommt jetzt die große Flucht aufs Land? - derStandard.at
 

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#6
Das Land ist nicht das Abfallprodukt der Stadt
In der Corona-Krise wirkte die Stadt bedrohlich, das Land versprach Sicherheit. Diese Aufwertung wird nicht anhalten
Städter glauben, sie brauchen das Land nicht. Im Gastkommentar erklärt Kulturgeograf Werner Bätzing, warum sie irren.

Karikatur: Michael Murschetz

Zu Beginn der Corona-Krise wurde die Stadt als Dreh- und Angelpunkt globaler Vernetzungen plötzlich als bedrohlich erlebt, während das Land als Rückzugs- und Selbstversorgungsort aufgewertet wurde. Mit der aktuellen Abschwächung dieser Pandemie verblasst diese Wahrnehmung wieder, und die übliche Sichtweise – in der Stadt findet das wahre Leben statt, das Land ist von Dumpfheit geprägt – gewinnt erneut die Oberhand.

Diese Sichtweise geht davon aus, dass sich in der spezialisierten und weltweit vernetzten Stadt das innovative Wirtschaften und alle kulturellen und sozialen Fortschritte konzentrieren, während das wenig arbeitsteilige und global kaum vernetzte Land große wirtschaftliche Probleme besitzt und das Leben nur eine mangelhafte Variante des städtischen Lebens darstellt.

"Teillebensraum" Dorf
Deshalb wurde das Land in ganz Europa von der Politik seit den 1960er-Jahren nach dem Vorbild der Stadt tiefgreifend umgestaltet: Die kleinbetrieblich-bäuerliche Landwirtschaft wurde von agro-industriellen Großbetrieben verdrängt, die monotone Agrarwüsten hervorbringen. Dank des Straßenbaus sind große Teile des Landes inzwischen gut erreichbar, sodass direkt an den Schnellstraßen viele Gewerbegebiete entstehen, die große Flächen verbrauchen und Betriebe in den Ortskernen in den Ruin treiben. Zahlreiche dezentrale Infrastrukturen und Wirtschaftstätigkeiten wie Dorfladen, Bäcker, Fleischer, Gasthof, Handwerker, Schule, Verwaltung oder Arzt sind verschwunden und konzentrieren sich nun in Mittelpunktsiedlungen und Städten. Und sehr viele Dörfer besitzen am Rand größere Neubaugebiete, in denen man heute ähnlich wie am Stadtrand wohnt.

Alle diese Veränderungen haben dazu geführt, dass aus dem multifunktionalen Mikrokosmos Dorf ein "Teillebensraum" geworden ist: Man wohnt im Neubaugebiet am Dorfrand, arbeitet in der Stadt, die Kinder fahren mit dem Schulbus zum Schulzentrum, man kauft mit dem Pkw im Gewerbegebiet ein, man fährt am Wochenende mit dem Pkw "ins Grüne", und die Freunde wohnen verstreut im weiten Umkreis. Alle Lebensfunktionen finden an unterschiedlichen Orten statt und erfordern eine hohe Mobilität. Wenn das Land zum "Teillebensraum" wird, dann verliert es seine Lebendigkeit und wird steril und "unwirtlich" (Schriftsteller und Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich).

Ausgelagert und entsorgt
Diese Entwicklung wird noch zusätzlich dadurch verschärft, dass die Stadt alle Funktionen, für die sie keinen Platz mehr hat, auf das Land verlagert. Das betrifft Lagerhallen, Flugplätze, Mülldeponien, Trinkwassergebiete, großflächige Anlagen zur Energiegewinnung und als neueste Entwicklung riesige Serverfarmen. Dadurch wird das Land zum Abfallprodukt der Stadt. Die heutige Gesellschaft legt zwar großen Wert darauf, die Zentren der Metropolen repräsentativ zu gestalten; und was jedoch jenseits davon geschieht, interessiert nicht und wird übersehen.

Das ist genau das Kernproblem: Die Städter glauben, dass die Stadt aus sich heraus existieren könne und das Land gar nicht brauche. Das ist jedoch falsch: Die Stadt braucht saubere Luft, sauberes Wasser und eine vielfältig-intakte Umwelt, um existieren zu können; sie braucht große Flächen, auf denen die Lebensmittel, Rohstoffe und Energien gewonnen werden, die sie in riesigen Mengen verbraucht; und sie braucht eine attraktive ländliche Umgebung, in der sich die Städter erholen können. Wenn die Stadt glaubt, das Land nicht zu brauchen, dann unterminiert sie ihre eigene Existenzgrundlage.
"Das Land am effektivsten dadurch gefördert, dass ein dezentrales, multifunktionales Wirtschaften und Leben gestärkt wird."​
Deshalb muss das Land aufgewertet werden, aber nicht als spezialisierter Teillebensraum: Ländliches Wirtschaften und Leben besitzt aufgrund der geringen Bevölkerungsdichte den großen Vorteil, ökonomische, ökologische, soziale und kulturelle Aspekte sehr viel enger miteinander verbinden zu können, als es in der Stadt möglich ist, was den Menschen Befriedigung verschafft; und der starke Bezug auf regionale Ressourcen erlaubt es, die unvermeidlichen globalen Krisen ein Stück weit zu dämpfen, was die Resilienz der gesamten Gesellschaft erhöht. Deshalb wird das Land am effektivsten dadurch gefördert, dass ein dezentrales, multifunktionales Wirtschaften und Leben gestärkt wird.

Neue Perspektiven
Früher gab es häufig Kontroversen zwischen konservativen Parteien, die ihren Rückhalt auf dem Land hatten und die das Land nach dem Vorbild der Stadt modernisieren wollten, und fortschrittlichen, städtischen Parteien, bei denen nur die Stadt zählte. Der politische Streit, der daraus entstand, war oft kontraproduktiv, weil Stadt und Land gegeneinander ausgespielt wurden. Heute entwickelt sich in Teilen Europas ein neuer Gegensatz: Immer mehr Menschen auf dem Land fühlen sich von den "etablierten" Parteien im Stich gelassen, verlieren ihr Vertrauen in die Demokratie und wenden sich rechtsextremen Parteien zu, wobei erneut Land und Stadt gegeneinander ausgespielt werden.

Dagegen ist festzuhalten: Stadt und Land sind wechselseitig aufeinander angewiesen, und wenn man sie gegeneinander ausspielt – egal ob auf traditionelle oder auf neue Weise –, dann zerstört man eine Grundlage unserer Gesellschaft. Aber Stadt und Land sind zugleich auch sehr unterschiedlich, und wenn man diese Unterschiede nivelliert, dann entstehen in Stadt und Land sterile "Teillebensräume" und anonyme "Zwischenstädte", in denen sich die Menschen nicht mehr zu Hause fühlen. Die Politik ist zusammen mit den Betroffenen aufgefordert, hier neue Perspektiven zu entwickeln, die quer zu den traditionellen Fronten verlaufen.
(Werner Bätzing, 30.5.2020)

Werner Bätzing war von 1995 bis 2014 Professor für Kulturgeographie am Institut für Geographie der Universität Erlangen. Heute leitet er das Archiv für integrative Alpenforschung. 2020 ist sein Buch "Das Landleben – Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform" im C.-H.-Beck-Verlag erschienen.

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#7
LANDFLUCHT
Regionalmanager: "Wir müssen endlich in den ländlichen Raum investieren"
Gerald Mathis warnt vor einer immer größer werdenden Kluft zwischen Stadt und Land. Die Lösungen für die Probleme der Stadt liegen auf dem Land, glaubt er
INTERVIEW
In der Corona-Krise wurde es vielen in der Stadt zu eng. Was sind Lösungen für dieses Problem?
Mathis: Die Stadt hat einen Dichtestress, es gibt zu wenig Platz, eine zunehmende Überteuerung von Wohnraum, Verkehrsprobleme, und alles ist vollgestopft mit Autos. Das wird sich in Zukunft weiter zuspitzen, vor allem wenn die Ausdünnung des Landes so weitergeht. In den Städten wird es bis 2050 Einwohnerzuwächse um bis zu 30 Prozent geben. Die Lösungen dafür liegen am Land.
STANDARD: Wie könnten sie aussehen?
Mathis: Das monopolistische Arbeitsmarktangebot in den Städten kann nicht die Zukunft sein. Arbeitsplätze sind der springende Punkt, denn wieso bleiben die Menschen nicht auf dem Land, obwohl ein Großteil gerne dort leben würde? Weil sie dort bildlich gesprochen nichts zu essen haben – also keine Arbeitsplätze. Diese müssen besser auf das ganze Land verteilt werden. Wir brauchen nicht das 130. Start-up-Center in Wien, wir brauchen solche Projekte im ländlichen Raum. Es ist Zeit, sich dieses Problems anzunehmen und in den ländlichen Raum zu investieren. Doch wichtig ist, Stadt und Land nicht gegeneinander auszuspielen – beide haben Vorteile.


Arbeitsplätze müssen über das ganze Land verteilt werden und nicht nur in Städten verfügbar sein, fordert Gerald Mathis.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Gibt es bei Entscheidungsträgern und in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür?
Mathis: Leider nein. Denn der ländliche Raum hat keine Lobby. Den meisten ist nicht klar, dass Stadt und Land voneinander abhängig sind.
STANDARD: Wie groß ist der Frust auf dem Land?
Mathis: Der britische Ökonom Paul Collier hat sich ausführlich mit diesem Thema beschäftigt und meint, die Landbevölkerung ist frustriert, weil sie wenig Bildungschancen und Karrieremöglichkeiten hat. Er spricht vom "Hochmut der gebildeten Eliten und Entscheidungsträger in der Stadt" und sieht die Gesellschaft nicht mehr geteilt in Arm und Reich, sondern in Stadt- und Landbevölkerung. Letztendlich macht er diesen Umstand auch für den Brexit verantwortlich.
STANDARD: Und wie sehen Sie das?
Mathis: In Großbritannien ist es sicher so, wie Collier sagt. Das Land hat völlig versagt, wenn es um die Förderung des ländlichen Raumes geht, es gibt keine Infrastruktur und keine Bildungsmöglichkeiten, man hat das Land richtiggehend sterben lassen. In Großbritannien gibt es diese Eliten, von denen Collier spricht, auch in Frankreich gibt es einen zentralisierten Staat mit einer Elite in Paris. Unzufriedenheit zeigt sich dann in Wahlergebnissen, etwa auch in den USA. Bei uns ist das weniger ausgeprägt – deshalb lassen sich Colliers Thesen nicht eins zu eins auf Österreich übertragen. Wir sollten jedoch aus diesen Extrembeispielen lernen, ansonsten kommt es auch bei uns zu sozialen Verwerfungen.
STANDARD: Gibt es auch positive Beispiele?
Mathis: Ja. In Vorarlberg hat man es etwa durch gute Strukturpolitik geschafft, nach dem Niedergang der Textilindustrie neue Strukturen aufzubauen.
STANDARD: Wie kann so etwas gelingen?
Mathis: Wir müssen auch am Land vernünftige Rahmenbedingungen schaffen, produktive Beschäftigungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze initiieren sowie Wohnraum zur Verfügung stellen. In unserer Arbeit mit den Gemeinden fragen wir die Menschen: Wo wollt ihr in fünf bis zehn Jahren stehen? Die Bürger wissen meist genau, was sie wollen. So haben wir es etwa in der Gemeinde Sulzberg im Bregenzerwald durch die Entwicklung einer Flächensicherungsgenossenschaft geschafft, die Einwohnerzahl von 1.700 vor zehn Jahren auf aktuell 2.000 zu erhöhen.
STANDARD: Welche Rolle spielt Mobilität?
Mathis: Knapp zwei Millionen Österreicher pendeln täglich in die Städte, über 50 Prozent der Menschen leben am Land. Vielerorts fehlen auspendelqualitative Arbeitsplätze. Das bedeutet, dass für viele der tägliche Weg in die Arbeit nicht zumutbar ist. Eine halbe Stunde morgens, eine halbe Stunde abends – das ist akzeptabel, auch wenn in der Zeit 150 Kilometer mit einem Hochgeschwindigkeitszug zurückgelegt werden. Wenn man allerdings jeden Morgen zwei Stunden für 17 Kilometer aus einem Tiroler Tal heraus braucht, hat das keine Qualität mehr. Auch in Wien gibt es Arbeitswege, die nicht mehr auspendelqualitativ sind – wenn man etwa quer durch die ganze Stadt fahren muss.
STANDARD: Hilft die Corona-Krise dem ländlichen Raum?
Mathis: Sie macht jedenfalls Dinge sichtbar. Etwa dass Gemeinden weg von Anlasspolitik und besser planen müssen. Vor allem in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung müssen sie sich untereinander vernetzen. Auch hier gibt es positive Beispiele. So entsteht etwa in Leibnitz in der Südsteiermark derzeit ein neues Industriegebiet, für dessen Umsetzung sich drei Gemeinden zu einer Kleinregion mit wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten zusammengeschlossen haben. Dort entstehen neue Arbeitsplätze für die ganze Südsteiermark, die das Pendeln nach Graz ersparen könnten. Und in Bad Radkersburg entsteht Coworking – für jene Menschen, die von dort täglich eineinhalb Stunden zu ihren Arbeitsplätzen pendeln. Es gibt mittlerweile Firmen, die nur noch über Videokonferenzen arbeiten. Corona hat gezeigt, dass das möglich ist.
STANDARD: Sie kritisieren auch bestehende Förderungen für den ländlichen Raum. Warum?
Mathis: Derzeit werden Projekte geplant, die sich nach den ausgeschriebenen EU-Fördermitteln richten. Doch es müsste umgekehrt sein: Projekte sollten sich eines tatsächlichen Bedarfs annehmen und dann gefördert werden.
STANDARD: Was sollte der Staat konkret für den ländlichen Raum tun?
Mathis: Arbeitsplätze besser auf das Land verteilen, den Breitbandausbau vorantreiben und die Mobilität verbessern. Besonders wesentlich sind aber Hilfestellungen für die Wirtschaft. Überall gibt es Tourismusverbände – auch in strukturschwachen Regionen wie dem Waldviertel oder der Südsteiermark –, aber eine aktive Wirtschaftsentwicklung fehlt. Man müsste auch auf dem Land in eine professionelle Wirtschaftsentwicklung und entsprechende Servicestellen investieren.
STANDARD: Sind Gemeinden offen für Veränderung?
Mathis: Ja, doch wichtig ist, nicht nur das Problem aufzuzeigen, sondern auch zu vermitteln, wie es gelöst werden kann. Ansonsten sind wir wieder bei der Arroganz der Eliten. Kommen Berater von außen, muss man sich zusammensetzen und gemeinsam überlegen. Denn die Prozesse müssen von den Gemeinden und Regionen selbst getragen werden und gewollt sein.
(Bernadette Redl, 12.7.2020)

Gerald Mathis ist Vorstand des Instituts für Standort-, Regional- und Kommunalentwicklung (ISK) in Dornbirn und Leiter des Studiengangs Standort- und Regionalmanagement an der Fachhochschule Vorarlberg.

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#8
Mobilität am Land: Wie geht die Zukunft ohne Auto?
Verkehrsplanung auf dem Land ist kreative Schwerstarbeit, Busse und Züge oft nicht die beste Lösung

Bahnhöfe und Bushaltestellen auf dem Land sind oft verwaist. Jahrzehntelange Zersiedlung hat die Entfernungen zu stark anwachsen lassen.
Foto: iStockPhoto/mrdoomits

Manchmal scheint es, als würde die Zukunft der Mobilität am Land vorüberziehen. In Wien werden neue U-Bahn-Linien gebaut, Pop-up-Radwege und Begegnungszonen eröffnet. Carsharing-Anbieter, Scooter- und Fahrradverleiher kommen und verschwinden wieder.

Und auf dem Land? Dort hat der Autoverkehr weiter zugenommen.
In den vergangenen Jahren ist der Motorisierungsgrad, also die Anzahl von Pkws pro Einwohner, stetig gestiegen. Die Schere zwischen Stadt und Land geht immer weiter auseinander: Während in Wien immer weniger Autos auf 1000 Einwohner kommen und der Motorisierungsgrad in anderen großen Städten fast konstant bleibt, gibt es in allen anderen Gebieten immer mehr Autos pro Kopf. Je peripherer der Bezirk, desto mehr Zuwächse gab es in den vergangenen Jahren.

Auch in der Forschung konzentrieren sich viele lieber auf die Mobilität in der Stadt, wie Fabian Sandholzer vom Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik bestätigt. Die Ausgangssituation sei auf dem Land anders – und viel komplizierter. Weil die Wege weiter sind, ist Förderung von aktiver Mobilität, also Gehen und Radfahren, herausfordernder.

Der Raumordnungspolitik bittere Früchte
Was den öffentlichen Verkehr angeht, so "erntet man die Früchte jahrzehntelanger Verkehrs- und Raumordnungspolitik", so Sandholzer – und diese sind bitter. Ortskerne sind vielfach ausgestorben. Im Burgenland waren 1997 etwa nur drei Gemeinden ohne Nahversorger, 2018 waren es schon 70. Parallel dazu wurde in vielen ländlichen Gebieten der öffentliche Verkehr ausgedünnt.

Im Westen Österreichs sei die Lage noch besser, da sich die Einwohner in den Tälern konzentrieren, wo man sie einfacher mit einer einzelnen Bahnstrecke abholen kann. Der flache Osten hingegen ist zersiedelter, was die Verkehrsplanung zu einem komplexen Unterfangen macht. Das 1-2-3-Ticket, das schon 2021 kommen soll, würde vielen Regionen wohl nicht viel bringen. Denn selbst drei Euro pro Tag sind zu viel für einen Zug, der zuletzt vor zehn Jahren gefahren ist.

Sind mehr Zug- und Buslinien die Lösung für das Mobilitätsdilemma auf dem Land? Nur bedingt, sagen viele Experten. Die Hauptachsen müssen zwar gut ausgebaut sein, dort, wo sich Linienbusse nicht rentieren, soll die öffentliche Mikromobilität einsetzen. Anstatt fast leere Busse verkehren zu lassen, fahren Kleinfahrzeuge Menschen nach Bedarf und bringen sie zu Knotenpunkten.

Einmal zum Mitnehmen, bitte
Mobility as a Service geht noch einen Schritt weiter. Anstatt einzelne Tickets zu buchen, kauft man Mobilität als Dienstleistung. In der Regel passiert das über eine App, nach Eingabe von Start- und Zielort berechnet ein Algorithmus den schnellsten, günstigsten oder umweltschonendsten Weg mit mehreren Verkehrsmitteln – von Bus und Zug bis Leihrad und Taxi.

Das kann bis zu einer Mobilitäts-Flatrate gehen, bei der für einen fixen monatlichen Betrag die gesamte persönliche Mobilität abgedeckt wird. Der Anbieter Whim bietet für den Großraum Helsinki etwa ein Abo für knapp 500 Euro pro Monat an, bei dem nicht nur Öffi-Tickets, sondern auch alle Fahrten mit Taxi, Mietwagen und E-Scooter inkludiert sind. Billig ist das nicht. Für den ländlichen Raum gibt es solche All-inclusive-Lösungen zudem noch nicht flächendeckend.

Günstiger könnten solche Angebote in Zukunft mithilfe von autonomen Fahrzeugen werden. Diese tun sich im dichten Stadtverkehr noch schwer und könnten sich zuerst auf dem Land etablieren. Spätestens dann müsse man aufpassen, dass sich bedarfsorientierter und Linienverkehr nicht kannibalisieren. Dann würde erst recht wieder jeder alleine im Auto sitzen – nur eben auf der Rückbank.

Abholdienst: Alles in einer App
Flexibler als ein Linienbus und günstiger als ein Taxi ist der Service Istmobil. In einer App oder per Telefon kann man aus tausenden Bedarfshaltestellen auswählen, die nur wenige Hunderte Meter voneinander entfernt, also in der Regel in Gehweite sind. Ein Algorithmus berechnet aus allen Anfragen die ideale Route, sucht ein Fahrzeug in der richtigen Größe und schlägt den Passagieren eine Abholzeit sowie Fahrpreis vor. Bezahlt wird bequem mittels Kundenkarte. Gedacht ist der Service vor allem als Zubringer für den öffentlichen Linienverkehr. Neben etlichen Haltestellen in ländlichen Wohngebieten gibt es deshalb auch Haltepunkte an wichtigen Knoten wie Bahnhöfen oder Endstationen der Wiener U-Bahn. Etwa ein Drittel der Fahrten beginnt oder endet dort. Bisher gibt es das System in Teilen Niederösterreichs und der Steiermark.

Bürgerbusse: Mein Freund, der Fahrer
Bewohner in den niederösterreichischen Gemeinden Pressbaum und Tullnerbach haben ihr eigenes Uber gegründet. Wer dort zum Arzt, Einkaufen oder zum Bahnhof muss, ruft beim Verein E-Mobil Pressbaum an. Der Clou: Fahrer der Elektroautos sind Freiwillige aus dem Ort. Sie zahlen einen geringeren Mitgliedsbeitrag als Passagiere und dürfen das Auto am Sonn- und Feiertagen dafür privat nutzen. Vor allem Senioren sollen so mobiler werden. 2019 wurden mit den beiden E-Autos 12.304 Fahrten durchgeführt.

Mitfahrbänke: Tramp 2020
Daumen raus war gestern: Apps und Plattformen haben die Organisation von Mitfahrgelegenheiten institutionalisiert. In manchen ländlichen Gebieten gibt es einen Trend zurück zum Lowtech-Trampen. Dort werden Mitfahrbänke an Hauptverkehrsstraßen aufgestellt, vorbeifahrende Autofahrer können die wartenden Menschen abholen. Manchmal gibt es auch eine Auswahl an Schildern von Zielorten. In Österreich gibt es etwa in Innsbruck, St. Leonhard und Oberperfuss in Tirol Mitfahrbänke.
(Philip Pramer, 16.8.2020)
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#9
ABWANDERUNG
Wie das Land Zuzügler anlockt
Raus aus der Stadt? In der Oststeiermark können Paare und Familien aktuell das Landleben testen, im Waldviertel bekommen Neuankömmlinge einen persönlichen Berater

Ein Leben auf dem Land? Wie sich das anfühlt, hat ein Paar aus Wien unlängst in der Oststeiermark ausprobiert.
Foto: Sarah Raiser

Genau 613 Einwohner hat die Gemeinde Reingers im nördlichen Waldviertel, und bald sind es um zwei mehr. Was zunächst nicht nach viel klingt, ist für die Abwanderungsregion ein großer Erfolg. Denn der Ort kämpft um Bevölkerungszuwachs, zuletzt gemeinsam mit der Initiative zuHaus im Waldviertel. Sie bewirbt die Gemeinde auf allen möglichen Kanälen, im Gegenzug erhält das zur Initiative gehörende Maklerunternehmen den Auftrag, leerstehende Häuser im Ort zu vermitteln.

"Die zwei neuen Bewohner kommen aus Oberösterreich und wollten ins Waldviertel ziehen, durch unsere Werbung haben sie Reingers gefunden", erzählt Bürgermeister Andreas Kozar (ÖVP) erfreut. Zuzügler unterstützt die Initiative zuHaus im Waldviertel, in Absprache mit der Gemeinde, mit einem sogenannten Start-Guide, also einer einheimischen Person, die den Neuankömmlingen in den ersten Monaten mit Rat und Tat zur Seite steht, ihnen das Ortsleben und die Bräuche zeigt, erklärt Peter Keller von der Initiative und fügt hinzu, dass auf diese Weise in den vergangenen Jahren schon einige Zuzüge ins Waldviertel erfolgreich begleitet wurden.

Landleben testen
Mit 4414 Einwohnern hat die Gemeinde Passail in der Oststeiermark zwar weit mehr Einwohnerinnen und Einwohner als Reingers, aber auch sie kämpft mit Abwanderung. Um neue Bürgerinnen und Bürger anzulocken, hat das Regionalmarketing Oststeiermark sich daher eine Aktion einfallen lassen. Per Gewinnspiel konnten sich potenzielle Zuzügler für ein kostenloses Probewohnen in fünf steirischen Orten bewerben, neun Paare und Familien verbringen dort jeweils drei Nächte.

Zwei von ihnen waren Carmen Lässig und ihr Mann, die aktuell noch in Wien leben. "Wir überlegen schon länger, in die Steiermark zu ziehen. Uns fehlt einfach das Grün in der Stadt, und ein eigener Garten. Jetzt, wo wir beide mit dem Studium fertig sind, wollen wir raus aufs Land", erzählt Lässig und sieht die Vorteile in der Region darin, dass sie "nicht so weit weg von Graz liegt – was beruflich hilfreich sein könnte –, aber dennoch die Vorteile des Landlebens bietet."

Zur Probe wohnen
Die besten Voraussetzungen also, sich die Gegend einmal genauer anzuschauen, und zwar nicht nur im Urlaub. Und so haben Lässig und ihr Mann über ein langes Wochenende in der Gemeinde Passail in der Oststeiermark zur Probe gewohnt. Von einer Ortsführung mit der Bürgermeisterin über eine Tour mit dem gemeindeeigenen E-Auto bis zu einer Wanderung auf die Sommeralm war alles dabei. "Wir hatten das Gefühl, dass man sehr offen ist für neue Bewohnerinnen und Bewohner, alle haben sich furchtbar bemüht", erzählt Lässig.

Kein Wunder. "Aktuell können wir den Bevölkerungsstand gerade so halten, aber in Zukunft wollen wir Zuzug", sagt Bürgermeisterin Eva Karrer (SPÖ). Auch in der Gemeinde Passail gibt es für Neuankömmlinge einen Ansprechpartner, der individuell weiterhilft, etwa bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Grundstück, nach Jobs, einer Kinderkrippe, einer Tagesmutter oder einer Schule. Im November kommt die nächste Familie nach Passail und testet, ob das Landleben etwas für sie ist.

Ob Lässig und ihr Mann sich schon entschieden haben? "Ich bin neugierig", so Bürgermeisterin Karrer, und Carmen Lässig sagt: "Passail kommt definitiv infrage, es hängt aber davon ab, wo wir ein Grundstück finden, das uns gut gefällt. In die Steiermark kommen wir aber so bald wie möglich."
(Bernadette Redl, 17.10.2020)

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Mit "Ausheimischen" gegen die Landflucht
Der Donut-Effekt frisst die Ortskerne leer

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#10
Wiener Umland: Kaum zu bremsender Zuzug
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Ein Trend, der schon länger offensichtlich ist, wird jetzt durch Zahlen der Statistik Austria untermauert: Der enorme Zuwachs an Einwohnern im Bereich rund um Wien und die Abwanderung vor allem aus dem Waldviertel. Für beide Seiten birgt das Probleme.
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Die Statistik Austria veröffentlichte die Bevölkerungsentwicklung der vergangenen zehn Jahre in Niederösterreich. Danach ergibt sich ein Bevölkerungszuwachs im gesamten Bundesland von 1,61 Millionen zu Jahresende 2010 auf fast 1,7 Millionen am Ende des Jahres 2020. Das entspricht einem Plus von mehr als fünf Prozent.

Bezirk Bruck mit plus 15 Prozent
Den größten Zuwachs verzeichnete der Bezirk Bruck an der Leitha mit fast 15 Prozent, auch Gänserndorf und Wiener Neustadt (Stadt) kommen auf mehr als zehn Prozent Zuwachs. Zu den Bezirken mit mehr als fünf Prozent plus zählen St. Pölten (Stadt) St. Pölten (Land), Baden, Korneuburg, Tulln, Wiener Neustadt (Land) und Mödling.

Auf ein Plus von bis zu fünf Prozent kommen Krems (Stadt) und Krems (Land), Amstetten, Hollabrunn, Melk, Mistelbach, Scheibbs und Neunkirchen. Ein leichtes Minus von bis zu drei Prozent weisen Waidhofen an der Ybbs und der Bezirk Horn aus, auf ein Minus von mehr als drei Prozent kommen der Bezirk Lilienfeld sowie die Waldviertler Bezirke Zwettl, Gmünd und Waidhofen an der Thaya. Letzterer ist mit 5,1 Prozent negativer Spitzenreiter.

Weniger Einwohner wegen Überalterung
Der Waidhofener Bezirkshauptmann Günther Stöger erklärt das mit der Überalterung. Diese bedinge hohe Sterbe- und geringere Geburtenraten, was eine Spirale nach unten erzeuge, so Stöger. Der zweite Grund sei die Abwanderung Richtung Wien: „Viele kommen zwar zurück, weil die Lebensqualität einfach deutlich höher ist. Aber die Frage ist: Erst in der Pension oder schon früher?“

Eine Voraussetzung, um auch Junge anzulocken, sei eine für eine so ländliche Region wie das Waldviertel außergewöhnlich hohe Abdeckung mit Breitband-Internet. Bezirkshauptmann Stöger erhofft sich dadurch ein Einbremsen der Abwanderung.

Strasshof bremst Zuwanderung ein
Ein Einbremsen der Zuwanderung – und damit das Gegenteil – erhofft sich Ludwig Deltl (SPÖ), der Bürgermeister von Strasshof an der Nordbahn (Bezirk Gänserndorf). Strasshof wuchs in den vergangenen zehn Jahren um fast 30 Prozent. Was Folgen hat, denn ein Mehr an Einwohnern bedingt auch ein Mehr an entsprechender Infrastruktur. Neben Wohnraum sind das auch Schulen und Kindergärten, die schnell gebaut werden müssen. Deshalb wurde im Vorjahr eine Bausperre eingelegt. Zumal der unkontrollierte Zustrom auch die Grundstückspreise in den vergangenen zehn Jahren verdreifacht habe, wie Deltl betonte.

Die Wissenschaftlerin Gerlind Weber – sie ist Expertin für Soziologie und Raumplanung – erforscht diese Entwicklung seit Jahrzehnten: „Es ist eine Wanderbewegung von Wien hinaus in das Umland, aber auch von einigen Regionen Niederösterreichs, die weiter von Wien entfernt sind, in Richtung der Bundeshauptstadt. Dadurch steigen in dieser Region rund um Wien die Bodenpreise. Der Kreis wird weiter, um wieder leistbaren Wohnraum zu finden, aber trotzdem die Wien-Nähe aus beruflichen Gründen zu haben.“

Ein regionaler Ausgleich wird gefordert
Sie fordert mehr politische Einflussnahme: „Es wäre ein Grundauftrag, hier einen regionalen Ausgleich zu schaffen. Weil sonst nämlich die sogenannten Disperitäten immer größer werden. Die, die wuchern, die wuchern weiter, während die, die schrumpfen, ebenfalls weiter schrumpfen.“
Aber vielleicht leitete die Coronavirus-Pandemie auch eine Trendwende ein, wieder hin zum Leben auf dem Land. Die Anfragen bei den Immobilienträgern seien zuletzt sprunghaft gestiegen, sagte der Zwettler Bürgermeister Franz Mold (ÖVP): „Einerseits bin ich froh, wenn Corona endlich vorbei ist, aber andererseits würde ich mich freuen, wenn dieser Trend zum Wohnen auf dem Land anhält.“ Aber zur landschaftlichen Attraktivität braucht es wohl ein Konzept für alle Altersschichten, um die Abwanderung zu stoppen.
19.02.2021, Robert Salzer, noe.orf.at

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Wiener Umland: Kaum zu bremsender Zuzug
 

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#11
STADT, SPECKGÜRTEL, LAND

Wo man wirklich „öko“ leben kann
Experten teilen den Lebensraum der Menschen ein in Stadt, Suburbia – also Vorstadt und Speckgürtel – und Land. Sogar für den Klimabonus der Regierung sind die drei Kategorien entscheidend. Angesichts der drohenden Klimakatastrophe stellt sich die Frage, wo ein nachhaltiges Leben am ehesten möglich ist.
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Gernot Wagner stammt aus Amstetten und ist Klimaökonom an der New York University. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern auf 70 Quadratmetern in Manhattan – aus Überzeugung. Anna Heringer ist Architektin mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Dorf in Bayern an der Grenze zu Salzburg in einem Mehrfamilienhaus – ebenfalls aus Überzeugung. Stadtleben und Landleben sind nach Meinung der beiden mit einem klimaschonenden Lebensstil vereinbar. Bei Suburbia haben sie ihre Zweifel.

Wagner blickt vom Balkon im sechsten Stock des ORF-Zentrums auf Wien. Die wichtigste Entscheidung im Leben junger Menschen sei, wo man leben wolle, sagt er im Interview mit ORF.at. Ob man etwa Fleisch esse oder nicht, das könne täglich revidiert werden. Die Entscheidung, sich in der Stadt, auf dem Land oder in Suburbia niederzulassen, würden die meisten jedoch fürs ganze Leben treffen. Und diese Entscheidung beeinflusse unseren CO2-Abdruck maßgeblich, für Jahrzehnte.


ORF
Klimaökonom Gernot Wagner und Architektin Anna Heringer

Verzicht oder Freiheit
Mit der Stadt verbindet Wagner vor allem ein Wort: Effizienz. Wer auf kleinem Raum lebt, verursacht weniger CO2-Ausstoß als jemand, der über viel Wohnraum verfügt. Und wenn alles, was man braucht, in unmittelbarer Umgebung ist, braucht man kein Auto: „Möchte ich die Freiheit, mich ohne Auto bewegen zu können und überall hinzukommen, wo man in einer Stadt leicht hinkommt? Oder möchte ich ans Auto gebunden sein mit 200 Quadratmetern in Suburbia?“
Für ihn ist die Antwort klar. Einen eigenen Garten mit Plastikklettergerüst habe man in der Stadt nicht, dafür mehrere Spielplätze im Umkreis weniger Gehminuten. Dass das ein Verzicht ist, lässt er nicht gelten, im Gegenteil, er empfindet es als Freiheit, am Sonntagnachmittag nicht den eigenen Rasen mähen zu müssen, sondern eine ganze Stadt vor sich zu haben, mit all ihren Möglichkeiten.

Doppelter CO2-Abdruck im „Vorortefleckerlteppich“
Und wenn man Sehnsucht nach Natur habe, nach richtiger Natur, dann könne man am Wochenende mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad noch immer aufs Land fahren. In Wagners idealer Welt beginnt das Landleben nämlich direkt an der Stadtgrenze. Ginge es nach ihm, gebe es das Dazwischen nicht, die Vorstadt und den Speckgürtel. Nur dicht verbaute Stadt auf der einen Seite und Dorfleben auf der anderen Seite, aber keinen „Vorortefleckerlteppich“.

Wagner hat erst unlängst mit seinem Buch „Stadt Land Klima“ einen Bestseller gelandet, Untertitel „Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten“. Konzis rechnet er darin vor, gespickt mit zahlreichen Anekdoten aus seinem eigenen Leben, dass das Leben in der Stadt und das Leben auf dem Land einen gleich großen ökologischen Fußabdruck bedeuten, das Leben in Suburbia jedoch einen doppelt so hohen, nicht nur wegen des Pendelns.

„Einfamilienhaus wirklich passe“
Das hat auch damit zu tun, dass Menschen auf dem Land tendenziell über geringere finanzielle Mittel verfügen als im Speckgürtel. Wer weniger konsumiert, verbraucht weniger CO2. Wer mehr Geld hat, mehr konsumiert und nur für sich und seine Familie ein großes Haus baut, viel mehr. Das soll aber keine grundsätzliche Kritik am Landleben sein – auf das Wie kommt es an. „Am Land leben, vom Land leben ist super“, so Wagner. „Mein Buch ist eine Liebeserklärung an die Stadt, eine ans Klima, aber auch eine ans Land.“
Ins selbe Horn stößt Architektin Heringer: „Leben am Land, das muss ja nicht heißen, das Einfamilienhaus auf der grünen Wiese. Das ist wirklich passe. Das ist einfach nicht nachhaltig.“ Das beginnt schon mit den Materialien, die verbaut werden. Es sei ein Fehler im System, so Heringer, dass wenig nachhaltige Baumaterialien billiger seien als ökologische: „Wenn wir in einen Neubau hineingehen und sagen: ‚Mmm, da riecht es neu‘, das nehmen wir als gegeben hin. De facto ist das toxisch.“

Lehmbau aus eigener Hand
Im Gegensatz dazu sei Lehm als Baustoff sowohl gesünder als auch nachhaltiger, weil er ohne Rückstände abbaubar sei – und noch dazu überall auf der Welt im Überfluss vorhanden. Lehm ist Heringers Leidenschaft. Das Interview mit ORF.at findet im Architekturzentrum Wien statt, in der Ausstellung ihrer Freundin Tatiana Bilbao, einer mexikanischen Architektin. Dort werden verschiedene Wohnformen und Materialien greifbar, im Wortsinn. Heringer streicht mit ihrer Hand über eine eigens aufgestellte Lehmwand.


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In einem preisgekrönten Schulbauprojekt im ländlichen Bangladesch hat Heringer bewiesen, dass das geht: gemeinsam mit der Community an Ort und Stelle, sogar mit Kindern, ein Lehmhaus bauen – mit den eigenen Händen. Heringer strahlt, wenn sie davon erzählt. Ihre Erfahrungen, sagt sie, sind auf Länder wie Deutschland und Österreich übertragbar, auch was den Community-Aspekt betrifft.

Klimabonus ab 1. Juli 2022
Kompensation für höhere Spritpreise in Regionen mit wenig öffentlichem Verkehr: 100 Euro für Wien (pro Jahr und Person), 133 Euro für größere Städte wie Linz, 167 Euro für kleinere Städte wie Amstetten und 200 Euro für kleinere Gemeinden.

Aus der Traum vom Eigenheim?
Ähnlich wie Wagner seine 70-Quadratmeter-Wohnung in der Stadt empfindet sie es nicht als Verzicht, zwar auf dem Land, aber in einem Mehrfamilienhaus zu leben. Anstatt mit ihrer Tochter alleine im eigenen Garten zu sitzen oder auf einen Spielplatz gehen zu müssen, besuchen die beiden das gemeinsame Spielzimmer im Haus, wo immer auch schon andere Kinder warten. Und es brauche auch nicht jeder einen eigenen Hobbykeller oder Gästezimmer. Das könne man teilen. Zudem stemmt man gemeinsam die Kosten für nachhaltiges Bauen und Wohnen leichter.
Zusammengefasst könnte man mit Wagner und Heringer sagen: Wer nachhaltig leben will, lebt entweder in einer kleinen Wohnung in der Stadt oder in einem Ökomehrfamilienhaus auf dem Land – und jedenfalls ohne eigenes Auto. Was vielen immer noch als der große Traum vom gelungenen Leben erscheint, sollte demnach möglichst bald der Vergangenheit angehören: das neue, große Einfamilienhaus mit eigenem Garten und zwei Autos, mit denen in die Stadt gependelt wird.
18.10.2021, Simon Hadler (Gestaltung, Text), ORF.at
Links:
Ausstellungshinweis
Tatiana Bilbao Estudio, noch bis 17. Jänner, täglich von 10.00 bis 19.00 Uhr, im Architekturzentrum Wien im Wiener MuseumsQuartier
Buchhinweis
Gernot Wagner: Stadt Land Klima. Warum wir nur mit einem urbanen Leben die Erde retten. Brandstätter, 200 Seiten, 22 Euro.
Stadt, Speckgürtel, Land: Wo man wirklich „öko“ leben kann
 

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#12
Was sich Bürgermeister für ihre Gemeinden wünschen
Wie umgehen mit Kinderbetreuung, Wohnbau oder der Aufnahme von Asylwerbern? Eine Studie in Oberösterreich befragte Ortschefs

Moderner als gedacht: Oberösterreichs Bürgermeister über die Bedürfnisse in ihren Gemeinden. Im Bild: Wartberg im Mühlviertel.
Foto: Getty Images / iStock / Bruno il Segretario

Von Kinder- und Altenbetreuung bis Verkehr und Wohnbau: Viele Entscheidungen in diesen gesellschaftlichen Bereichen werden auf Gemeindeebene getroffen. Hier sind es die Bürgermeister, die alles unter einen Hut bringen und besonders nah an den Bedürfnissen ihrer Bürger dran sein sollen.

Diesen Gedanken folgend, hat das Institut für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (ISW) in Linz in Kooperation mit der Arbeiterkammer Oberösterreich und dem Städte- und Gemeindebund eine Studie durchgeführt, bei der die Ortschefs in Oberösterreich nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen befragt wurden.

Neben Kinder- und Altenbetreuung waren dabei auch der Zustand von Gemeindeinfrastrukturen, der Arbeitsmarkt, Wohnen sowie der Investitionsspielraum Themen. 21 Prozent der 438 Ortschefs aus unterschiedlich großen Gemeinden in Oberösterreich folgten dem Aufruf zu einer ausführlichen Onlineumfrage. Ihr gingen explorative Interviews mit Bürgermeistern ausgewählter Gemeinden voraus, um das Feld für die Studieninhalte thematisch abzustecken.

Eine Conclusio, die Matthias Specht-Prebanda vom ISW, der die Studie mit seinem Kollegen Heinz Stöger umsetzte, daraus zieht, ist, dass man alte Vorurteile über ländliche Gebiete abbauen sollte: "Ich war durchaus überrascht davon, wie stark auch durchwegs moderne Bedürfnisse – etwa bezüglich Kinder- und Altenbetreuung oder im Wohnbau auf dem flachen Land – spürbar werden", sagt Specht-Prebanda.

Frühkindliche Betreuung und Senioren-WGs
"46 Prozent der befragten Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sehen hohen oder sehr hohen Bedarf an Kleinkindbetreuung. Aber nur 22 Prozent geben an, dass die finanziellen Ressourcen ausreichend seien", sagt Matthias Specht-Prebanda über eines der Ergebnisse. Gleichzeitig wird aber auch ein hoher Personalbedarf betont, der – selbst wenn die Mittel verfügbar sind – nicht immer gedeckt werden kann. "Man kann die Ergebnisse durchaus so interpretieren, dass frühkindliche Betreuung im ländlichen Raum heute besser akzeptiert ist als in früheren Zeiten", resümiert der Studienautor.

Eine ähnliche Entwicklung gibt es auch in der Altenbetreuung. "Hier ist etwa interessant, dass von 62 Prozent der Bürgermeister eine hohe Notwendigkeit für alternative Formen wie Senioren-WGs oder andere Varianten eines betreuten Wohnens gesehen wird", erklärt der Sozialforscher. "Ebenso viele streichen aber auch den Bedarf an einer starken finanziellen Förderung in diesem Bereich hervor."

Sozialengagement und Ausbau der Radwege
Auch am Arbeitsmarkt ist soziales Engagement zu verzeichnen. Hier kann sich immerhin die Hälfte der Bürgermeister vorstellen, dass sie Asylwerber oder subsidiär Schutzberechtigte beschäftigen. 34 Prozent geben an, dass das bei ihnen bereits gängige Praxis ist. Auch Bereitschaft für die Aufnahme zusätzlicher Asylwerberfamilien in der Gemeinde ist gegeben. "Nur ein Fünftel der Befragten ist nicht bereit, hier in irgendeiner Form Hilfe zu leisten", erklärt der Studienautor.

Nächstes Thema: kommunale Infrastruktur. Den höchsten Sanierungs- und Neuerrichtungsbedarf – auch das mag überraschend anmuten – sehen die Ortschefs nicht nur bei Autostraßen und Gemeindebauten, sondern auch im Geh- und Radwegnetz.
"Bereits in den explorativen Interviews wurde klar, dass die Gemeinden beim Verkehrswegebau keine Entweder-oder-Strategie verfolgen. Einerseits investiert man in den Straßenverkehr, andererseits werden aber auch Radwege, öffentlicher Verkehr und Angebote wie Sammeltaxis gefördert", sagt Specht-Prebanda.

Leerstände im Ortskern
Im Bereich Wohnen wird besonders der Mangel an bebaubaren Flächen hervorgehoben. "Für drei Viertel der Befragten ist die Ressource Bauland in ihrer Gemeinde nur knapp oder sehr knapp bemessen", sagt der Studienautor. "Gleichzeitig sehen aber – auch ein überraschender Aspekt – 60 Prozent die Möglichkeit, bestehende Leerstände im Ortskern zu verwenden. Gerade die Senioren-WGs sind hier eine Option."
Mittlerweile werden auch in kleinen Gemeinden vermehrt Mehrparteienhäuser gebaut. "Selbst in einem Drittel jener Gemeinden, die höchstens 1500 Einwohner aufweisen, werden Projekte im Bereich des gemeinnützigen Wohnbaus geplant", sagt Specht-Prebanda.

Im Bereich kommunaler Investitionen ist schließlich die Corona-Krise Sorgenkind Nummer eins – knapp 90 Prozent der Ortschefs sehen durch sie starke Auswirkungen auf Gemeindefinanzen. Neben Ausfällen in der Kommunalsteuer hinterlassen vor allem die verringerten Ertragsanteile an den Bundessteuern eine Lücke im Budget, sagt Specht-Prebanda zusammenfassend. "Das kommunale Rettungspaket, das diesen Ausfällen entgegenwirken soll, ist durchaus angekommen in den Gemeinden. 70 Prozent geben an, dass dadurch Investitionen ausgelöst wurden, die sonst nicht getätigt worden wären", erklärt der Studienautor.

Dennoch blicken die Bürgermeister nicht optimistisch in die Zukunft: "Für die nächsten drei Jahre geben die Befragten an, dass sie mit einem sinkenden oder stark sinkenden Investitionsspielraum rechnen. Ein Grund dafür ist, dass die Förderpakete zum Teil lediglich Vorschüsse für künftige Steuereinnahmen sind", sagt Specht-Prebanda.
(Alois Pumhösel, 5.1.2022)

Link:
Forschungsbericht "Kommunale Zukunftsinvestitionen – Ergebnisse einer Erhebung unter oberösterreichischen Bürgermeister/-innen"

Was sich Bürgermeister für ihre Gemeinden wünschen
 

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#13
Können autonome Busse die Mobilität auf dem Land revolutionieren?
Selbstfahrende Kleinbusse sind schon jetzt auf vielen Teststrecken im Einsatz. Künftig könnten sie, per App bestellt, auch eine flexible Alternative zum Auto auf dem Land bieten

Oft nur mit maximal 25 km/h, auf einigen wenigen Kilometern: Autonome Busse werden derzeit meist noch auf Teststrecken eingesetzt. Dort stoßen sie aber zumindest bereits oftmals auf große Akzeptanz bei den Fahrgästen.
Foto: imago images / Günther Ortmann

Sie sehen aus wie Busse im Kleinformat, sind ausgestattet mit einer Reihe an Kameras und Sensoren, aber meist ohne Fahrerkabine, Lenkrad oder Pedale. Denn bei autonomen Bussen übernehmen Algorithmen statt eines menschlichen Fahrers die Steuerung. Was noch vor einigen Jahren wie Zukunftsmusik klang, nimmt in vielen Ländern und Regionen immer konkretere Ausmaße an.

Kein Wunder, denn die Idee klingt äußerst attraktiv: Autonome Busse kommen auf Bestellung, sind rund um die Uhr im Einsatz, vernetzen Menschen in der Stadt sowie in ländlichen und weniger dicht besiedelten Gebieten und sind günstiger als Taxis oder ein eigenes Auto. Auch die CO2-Emissionen sollen sich mit elektrisch betriebenen autonomen Kleinbussen reduzieren lassen.

Solarzellen am Dach
In Frankreich etwa haben Behörden kürzlich den ersten autonomen Bus für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen. Der Bus des Herstellers Easymile kann bis zu zwölf Passagiere mitnehmen und wurde zuvor auf einem Universitätsgelände in Toulouse getestet. Solarzellen am Dach sollen zudem die Reichweite des Busses erhöhen.

Voraussichtlich ab September dieses Jahres darf der Bus dann ohne menschlichen Fahrer auf einer festgelegten (allerdings wahrscheinlich noch relativ kurzen) Strecke auf öffentlichen Straßen unterwegs sein. Über eine gemeinsame Zentrale könnten mehrere der Busse überwacht und bei Bedarf gesteuert werden, heißt es von Easymile.

Auch in Sitten in der Schweiz sind bereits seit einigen Jahren autonome Busse in der Innenstadt unterwegs. In Málaga in Spanien wird seit kurzem sogar mit normal großen selbstfahrenden Bussen experimentiert, in denen allerdings aus Sicherheitsgründen nach wie vor ein menschlicher Fahrer mitfährt, der bei Bedarf eingreifen kann. Die Stadt Berlin will ihre Flotte an elektrischen autonomen Bussen in den nächsten Jahren noch weiter ausweiten, und auch in Wien und Kärnten waren und sind bereits seit einiger Zeit autonome Busse auf Teststrecken unterwegs.

Einsatz auf dem Land
Laut einigen Herstellern bieten die autonomen Shuttles künftig die Chance, nicht nur Menschen in der Stadt, sondern auch auf dem Land besser zu verbinden. Denn umso schneller die Technologie des autonomen Fahrens voranschreite, desto günstiger werden die Fahrten. Laut Prognosen des US-amerikanischen Fahrtendienstes Uber könnten die Kosten von autonomen Fahrzeugen und Kleinbussen in den nächsten Jahren pro Kilometer und Person auf 50 Dollar-Cent sinken, was sie rund dreimal günstiger als herkömmliche Taxifahrten machen würde. Einige Experten bezweifeln derzeit aber noch, dass der Preis so stark und schnell fallen wird.

Die Busse würden bestimmte fixe Strecken abfahren oder könnten beispielsweise auch per App bestellt werden, so die Idee. Nützen könnten sie vor allem jenen Menschen, die kein Auto besitzen, etwa jüngere oder ältere Menschen, oder jene Menschen, die aus ökologischen oder finanziellen Gründen auf ein Auto verzichten.

Mehr Flexibilität
Wie das funktionieren kann, versucht etwa das deutsche Start-up Door2Door zu zeigen, das mit autonom fahrenden Kleinbussen Lücken im öffentlichen Verkehr schließen und kleinere Städte in Deutschland miteinander verbinden will. Die Busse wurden bisher vom US-amerikanischen Van-Hersteller Local Motors im 3D-Drucker produziert. Sie sollen sich von Bewohnern bei Bedarf bestellen lassen und damit die Flexibilität auf dem Land erhöhen.

Laut einer Studie können autonome Shuttlebusse vor allem dazu beitragen, das Erste- und Letzte-Meile-Problem auf dem Land zu lösen, also etwa den Weg vom Zugbahnhof bis zur Haustür zu überbrücken. Auch die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber den selbstfahrenden Bussen scheint in den meisten Fällen relativ hoch zu sein. Jene Menschen, die die Busse bereits testeten, gaben an, sich generell sehr sicher zu fühlen, heißt es in einer anderen Studie. Viele wünschten sich jedoch, dass die Busse – die in vielen Fällen noch eher gemächlich unterwegs sind – künftig schneller fahren, manche sehen diese gar durch ihre niedrige Geschwindigkeit als Verkehrsbehinderung.

Noch viele Hürden
Doch aus rein technologischer Sicht sind viele selbstfahrenden Busse laut Experten noch nicht so weit, im regulären Verkehr zwischen Fußgängern, Fahrrädern und anderen Autos souverän navigieren zu können. Zu wenig erprobt ist die Technologie derzeit noch, zu ungenau und schlecht abgestimmt sind die eingebauten Sensoren, die bereits an vielen einfachen Herausforderungen scheitern können.

Das zeigte etwa auch der Test mit E-autonomen Bussen in der Seestadt Aspern in Wien. In den drei Jahren Testzeit kam es immer wieder zu Problemen. Vor allem mit starkem Wind, Starkregen, Schneefall oder Nebel waren die Busse überfordert und mussten infolgedessen manuell gesteuert werden. Auch deshalb ist derzeit wohl kein weiterer Einsatz der Busse geplant.


So sahen die Busse aus, die die Wiener Linien in der Seestadt Aspern testeten.
Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Hoffen auf 5G
Auch andere Beispiele waren nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Viele Versuche mit den autonomen Bussen wurden nach einiger Zeit wieder eingestellt, als Fördermittel wegfielen oder die Kosten höher als erwartet ausfielen. Auch Local Motors, jenes Unternehmen, das die Busse im 3D-Drucker produzierte, musste vor kurzem den Betrieb einstellen.

Trotzdem gibt es nach wie vor genügend Start-ups, die sich mit der Weiterentwicklung der autonomen Shuttles beschäftigen. Sie hoffen darauf, dass in den nächsten Jahren die 5G-Technologie ausgeweitet wird, die auch den Betrieb der Shuttles verbessern dürfte, und auf eine Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz der Fahrzeuge. Bis die autonomen Busse aber wirklich in größerer Zahl über die Straßen rollen und damit auch die Mobilität auf dem Land verändern, dürfte es allerdings noch einige Jahre dauern.
(Jakob Pallinger, 4.2.2022)
Können autonome Busse die Mobilität auf dem Land revolutionieren?
 

Geist

Worte im Dunkel
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#15
Ich bin immer wieder verblüfft, wieviel Aufwand betrieben wird, nur um Menschen arbeitslos zu machen.
Die Arbeitswelt wird sich in den nächsten 100 Jahren sowieso grundlegend ändern – so wie sie es auch in den letzten 100 Jahren getan hat. Der Kapitalismus schafft sich selbst ab und das ist gut so, denn die Leute werden immer mehr und es gibt immer weniger Jobs, was zu alternativen Lebensmodellen führen muss. Anders gesagt: Solche Erfindungen (selbstfahrende Fahrzeuge) sind nur die Fortsetzung der Erfindungen von früher. Die Arbeitswelt verliert dadurch Jobs und irgendwann kommt die Gesellschaft an den Punkt, an dem sie neue Bezahlungs-/Entlohnungsmodelle fordern und einführen muss.
 

josef

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#16
Entlegene Orte in NÖ.: Suche nach schnellem Internet
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Schnelles Breitbandinternet ist vor allem in entlegenen Gebieten für viele ein Wunschtraum. Kilometerlange Leitungen zu einzelnen Häusern rechnen sich für Konzerne nicht. Der kleine Mostviertler Ort Randegg nahm das erfolgreich selbst in die Hand.
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Die Mostviertler Landschaft mag optisch ein Genuss sein, schnelles Internet zu den weit verstreuten Gebäuden zu bringen, ist aber mühsam. So auch in Randegg (Bezirk Scheibbs) mit seinen 52 Quadratkilometern Fläche. Vor vier Jahren wurde hier begonnen, flächendeckend Breitbandrohre zu verlegen, auch zu den entlegensten Häusern. Bis zu zwei Kilometer lang waren diese Einzelleitungen. Insgesamt wurden 140 Kilometer Rohrleitungen mit 500 Kilometern Glasfaserkabel verlegt.

Matthias Repper ist Projektleiter und Geschäftsführer der Gesellschaft, die das Glasfasernetz in Randegg betreibt. Er berichtet von einer Anschlussquote kurz nach der Fertigstellung von fast 80 Prozent. Damit liegt diese überdurchschnittlich hoch, vergleicht man sie mit anderen Orten. Die Latte der Landesgesellschaft nöGIG liegt in der Regel bei einer Anschlussquote von 40 Prozent. Erst wenn diese Quote erreicht wird, baut die nöGIG das Glasfaserkabelnetz. Derzeit macht sie das niederösterreichweit in 44 Gemeinden.

In folgenden NÖ. Gemeinden findet derzeit der Glasfaserausbau durch die nöGIG statt: Aschbach-Markt, Oed-Oehling, Lanzenkirchen, Walpersbach, Kematen an der Ybbs, Sonntagberg, Paudorf, Absdorf, Hausleiten, Tattendorf, Stetteldorf am Wagram, Allhartsberg, Engelhartstetten, Heldenberg, Purgstall, Pyhra, Sierndorf, Eggenburg, Sigmundsherberg, Geras, St. Bernhard/Frauenhofen, Meiseldorf, Röschitz, Weitersfeld, Straning-Grafenberg, Großmugl, Biberbach, Wolfsbach, Weiden an der March, Bad Pirawarth, Leitzersdorf, Kirchberg am Wechsel, Raach, Trattenbach, Otterthal, Warth, Scheiblingkirchen-Thernberg, Hollenthon, Wiesmath, Edlitz, Thomasberg, Lichtenegg, Bromberg und Grimmenstein.

Je abgelegener, desto mehr ist Eigeninititive gefragt
In ländlichen Regionen ist der flächendeckende Ausbau besonders, für Telekommunikationskonzerne kommt die Rechnung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten oft zu teuer – mehr dazu in „Stotternder Glasfaserausbau läuft wieder“ (noe.ORF.at; 14.10.2021). So müssen Gemeinden oft selbst initiativ werden, um schnelles Breitbandinternet in die Haushalte zu bekommen. In Randegg gelang dieses Unterfangen, inzwischen wurden auch schon 70 Häuser in Nachbargemeinden angeschlossen.

Der Erfolg sei durchschlagend, sagt Randeggs Bürgermeisterin Claudia Fuchsluger: „Es war natürlich auch die richtige Zeit – durch Lockdowns, mitHomeoffice und Distance-Learning –, das alles war bei uns damit kein Problem. Ich habe das Gefühl, dass das wirklich niemand bereut. Im Gegenteil: Es kommen immer noch Bewerber dazu.“

ORF
Telekommunikationskonzerne entscheiden nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Den Glasfaserausbau müssen entlegene Gemeinden daher oft selbst in die Hand nehmen.

Immer mehr Gemeinden ziehen nach
Die Abschlussrechnung in Randegg habe Kosten von 2,8 Millionen Euro ergeben, bilanziert Matthias Repper. Die prognostizierten Kosten seien bei sechs Millionen gelegen, aber durch den Einsatz von Eigenleistungen von kleinen, regionalen Unternehmen sei der Preis weit gedrückt worden. 1,5 Millionen habe man als Fördergeld lukriert. Den Rest müsse die gemeindeeigene Gesellschaft stemmen, die allerdings durch die Gebühren der Provider, die sich in dem Netz einmieten, mitfinanziert werde.

Repper ist mit seinen Erfahrungen in Randegg jetzt auch ein gefragter Experte für andere derartige Projekte. „Man merkt durch die Fördercalls, die vor allem das Land ausgeschickt hat, dass ein Ruck durch die Gemeinden gegangen ist. Das Interesse ist sehr groß, es ähnlich zu machen und flächendeckende Glasfaseranbindung herzustellen“, so Repper.

Waldviertler Pioniere fanden Nachahmer
Pioniere in dieser Hinsicht waren zu Beginn der 2000er-Jahre die Waldviertler Gemeinden Großschönau, St. Martin und Bad Großpertholz (alle Bezirk Gmünd), die einen solchen Ausbau als erste in Eigenregie in Angriff nahmen. Vor einigen Jahren wurde dann von mehreren Gemeinden unabhängig voneinander auf diese Weise mit Glasfaserinternet begonnen, darunter Laab im Walde (Bezirk Mödling), Allentsteig (Bezirk Zwettl), Neustadtl an der Donau und Ardagger (beide Bezirk Amstetten) und Obritzberg-Rust (Bezirk St. Pölten). Dort war der Ausbau etwas ins Stocken geraten, auch in diesem Fall half Matthias Repper mit seiner Expertise aus, und so wurde im Herbst auch Obritzberg flächendeckend versorgt, die Anschlussquote der 1.000 Haushalte liegt derzeit bei etwa 45 Prozent.

Mit dem neuen Netz wurden unter anderem eine interne Telefonleitung sowie eine zentrale Steuerung öffentlicher Einrichtungen aufgebaut, wie etwa der Abwasserentsorgungsanlage. Vizebürgermeister Franz Hirschböck spricht von einer kommunalen Daseinsvorsorge – vergleichbar mit Trinkwasser oder Abwasserentsorgung: „Künftige Generationen werden uns dankbar sein, dass wir das gemacht haben.“
10.04.2022, Robert Salzer, noe.ORF.at

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#17
LANDFLUCHT
Abwanderung: Wenn Gemeinden langsam aussterben
An den Rändern von Bundesländern wie Niederösterreich kämpfen viele Gemeinden mit Abwanderung. Was braucht es, damit wieder mehr Menschen zuziehen?
Mit lautem Rattern setzt sich die alte Lokomotive in Bewegung. Je weiter sich der Zug von St. Pölten in Richtung Süden entfernt, desto weniger Fahrgäste steigen zu. Ein paar Menschen steigen schließlich in Lilienfeld aus, darunter auch Lucas Praschl. Er marschiert Richtung Busstation, um noch weiter nach St. Aegyd zu fahren. Rund eineinhalb Stunden pendelt der Schüler jeden Tag zwischen St. Pölten und seiner Heimatgemeinde. Aber nicht mehr lange, sagt er. Denn nach der Schule will er Medizin studieren und dann vielleicht in Wien oder St. Pölten leben. "Es gibt nichts, was mich hier hält."

Andere junge Menschen im Ort kennen diese Einstellung. "Die meisten meiner Freundinnen studieren gerade in Wien. Ich weiß nicht, wie viele von ihnen eines Tages hierher zurückkommen", sagt Annika Weiß, die an einer Mauer am Ortsanfang von Lilienfeld lehnt und sich eine Zigarette anzündet. Die 23-Jährige hat eine Arbeit in einer Fensterfirma im Ort gefunden. Viele Bekannte seien bereits woanders hingezogen.

Verlust an den Rändern
Kaum eine Region verliert ihre Einwohnerinnen und Einwohner so schnell wie Niederösterreichs Ränder, wie etwa das Wald- und Weinviertel im Norden und das Voralpengebiet im Süden. Im Durchschnitt wandern etwa jedes Jahr zwanzig Menschen aus der Bezirkshauptstadt Lilienfeld ab. In den vergangenen zwanzig Jahren ist die Bevölkerung der niederösterreichischen Gemeinde von 3000 auf 2600 Einwohner geschrumpft.
Viele Menschen zieht es in das 30 Autominuten entfernte St. Pölten, weiter nach Wien oder in die Großstadt-Umgebung wie Wiener Neustadt, Gänserndorf oder Bruck an der Leitha, die jedes Jahr um fast zwei Prozent wachsen. Viele junge Menschen kehren nach der Ausbildung oder dem Studium nicht wieder nach Hause zurück.

Es fehlt an Grundstücken
Wolfgang Labenbacher, der Bürgermeister von Lilienfeld, zeigt auf einen Zettel, den er vor sich auf den Tisch legt. Darauf zieht sich die Linie, die die Bevölkerungszahl der Gemeinde abbildet, steil nach unten. "Wir sind hier an der Grenze der Abwanderungsregion", sagt Labenbacher. Als Grund für den Bevölkerungsschwund nennt er auch die Babyboomer-Generation, die jetzt in Pension geht, und die geburtenschwächeren Generationen danach.

Es gebe heute zwar wesentlich mehr Eigenheime und Wohnungen in dem Ort als in den 1950er-Jahren. Diese würden aber von immer weniger Menschen bewohnt. Für den Bau weiterer Wohnungen oder Häuser im Ort fehle es an freien Grundstücken, sagt Labenbacher.

Wolfgang Labenbacher, Bürgermeister von Lilienfeld, sieht einen Grund im Bevölkerungsrückgang der Gemeinde darin, dass es weniger Nachwuchs gibt.
Foto: Jakob Pallinger

Komplexe Entscheidung
"Die Entscheidung, wohin Menschen ziehen, ist sehr unterschiedlich und komplex", sagt Tatjana Fischer, Wissenschafterin an der Universität für Bodenkultur in Wien, die sich seit vielen Jahren mit dem Thema Abwanderung beschäftigt. Sie hänge unter anderem vom Lebensalter, der Familie, dem Job-, Wohnungs- und Verkehrsangebot und dem Wohlbefinden vor Ort ab.

Was sich aktuell zeige, sei ein Trend zur sogenannten multilokalen Lebensführung: Der Hauptsitz werde etwa in die Nähe der Stadt und des Arbeitsplatzes verlegt, der Nebenwohnsitz befindet sich in der Heimatgemeinde. Für die Gemeinden bedeute das wiederum weniger Einnahmen aus dem Finanzausgleich, sagt Fischer.

Arbeitskräfte fehlen
"Die Hauptwohnsitzer werden weniger und die Zweitwohnsitzer mehr", bestätigt Claudia Kubelka, Bürgermeisterin der kleinen Gemeinde Annaberg diesen Trend. Das führe zu einem Missverhältnis: Mit geringeren Mitteln müssten die Gemeinden dieselbe Infrastruktur aufrechterhalten.

Annaberg zählt zu jenen kleinen Gemeinden im südlichen Niederösterreich, in denen die Bevölkerung allein in den vergangenen fünf Jahren um rund acht Prozent geschrumpft ist. "Die Abwanderung führt zu der Herausforderung, dass ältere Menschen womöglich nicht mehr so gut versorgt werden können, wenn die nächste Generation nicht mehr vor Ort ist", sagt sie. Zudem fehle es an Arbeitskräften: Tischler, Maler und Mitarbeiterinnen beim Betrieb der Bergbahn oder in der Gastronomie suche die Gemeinde seit Jahren.

Bevölkerung altert
Ähnliches hört man aus anderen kleinen Gemeinden. "Vor allem junge Menschen gehen aus der Region weg und es ist schwierig, sie zurückzuholen", sagt Thomas Teubenbacher, Bürgermeister von Mitterbach. Der Ort liegt eingebettet zwischen Ötscher und Erlaufsee, direkt an der Grenze zur Steiermark. Schon vor vier Jahren hat die Gemeinde die 500-Einwohner-Marke unterschritten, seit mehr als zwanzig Jahren geht die Einwohnerzahl zurück. Man habe es verabsäumt, eine höherbildende Schule in der Region zu etablieren, sagt Teubenbacher. Zudem altere die Bevölkerung schnell, die Sterberate liege deutlich über der Geburtenrate.

Viele Betriebe im Ort haben deshalb Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu finden. "Vor allem in der Baubranche oder in der Gastro fehlen uns die Leute, ebenso wie in der Holzverarbeitung", sagt Teubenbacher. Die umliegenden Wälder würden immer wieder vom Borkenkäfer zerfressen werden, weil Forstarbeiter fehlen, um die betroffenen Bäume rechtzeitig aus dem Wald zu holen. Ehemalige Tischler im Ort seien nicht mehr nachbesetzbar. Wenn die Nahversorgung wegfällt, ziehen wiederum weniger Menschen in den Ort. "Das ist ein Teufelskreis", sagt Teubenbacher.

Kein Patentrezept
Was braucht es, um Abwanderungsgemeinden wieder attraktiver zu machen? Ein Patentrezept dafür gibt es nicht, sagt Fischer. Was für eine Gemeinde gelte, müsse nicht für eine andere gelten. Zudem gebe es viel zu wenige Daten, um verlässliche Aussagen über einzelne Regionen zu machen.

Wichtig sei, wie gut vor allem junge Menschen und insbesondere Frauen in der Gemeinde und der Region gehalten werden können. "Da braucht es nicht nur eine gute Mobilität und Arbeitsplätze, die nicht zu weit entfernt sind, sondern auch eine gute Kinderbetreuung und ein Angebot an Freiwilligenarbeit und Vereinen, die nicht nur Männer, sondern auch Frauen ansprechen", sagt Fischer.

Wohnraum schaffen
In Lilienfeld setzt der Bürgermeister vor allem auf das Thema Wohnen. In den nächsten Jahren will Labenbacher alte Wohnungen und Häuser sanieren, um Platz für neue Einheiten zu schaffen. Die Wohnungen, die bisher gebaut wurden, seien allesamt schnell verkauft worden. Auch die Kinder- und Nachmittagsbetreuung an den Schulen habe man ausgebaut. Dafür ist die Kinderarztstelle im Ort schon seit fünf bis sechs Jahren unbesetzt. "Für unsere letzte Kinderärztin hat sich die Arbeit nicht mehr gerechnet", sagt er. Wie sehr die Maßnahmen den Bevölkerungsschwund der Gemeinde umkehren können, werden aber wohl erst die nächsten Jahre zeigen.


Unter der Woche geht es im Zentrum von Lilienfeld eher gemächlich zu.
Foto: Jakob Pallinger

Auch Mitterbachs Bürgermeister Teubenbacher glaubt, dass die Gemeinde einiges zu bieten hat, um Zuzügler anzulocken: etwa die Ötschergräben als Wandergebiet im Sommer und ein Skigebiet im Winter. In den vergangenen Jahren habe die Zahl der Tageswanderer und Touristen in den Ötschergräben zugenommen – so stark, dass es uns fast zu viel geworden ist mit den Touristen, sagt er. Um auch Zuzügler für ein Leben in Mitterbach zu begeistern, versuche er, die Vereine, die es im Ort gibt, zu unterstützen. Nicht zuletzt sei Mitterbach mit der Mariazellerbahn auch gut an die Umgebung angebunden.

Trendwende möglich
Kubelka ist zuversichtlich, dass in Annaberg eine Trendwende gelingen kann. "Die Abwanderung ist nicht mehr so gravierend, wie sie einmal war", sagt die Gemeindechefin. Sie glaubt, dass auch die Corona-Pandemie und die Klimaerwärmung dazu beitragen könnten, dass Annaberg eines Tages wieder wächst. "Die Menschen haben erkannt, dass es schön ist, wenn man jederzeit draußen in der Natur spazieren gehen kann – und auf dem Land im Homeoffice arbeitet", sagt sie. Wenn es durch den Klimawandel in den Städten zunehmend heißer wird, würden viele die kühleren Temperaturen in ländlichen Regionen suchen, glaubt sie.

Auch Fahrgemeinschaften, die per App organisiert werden, wolle sie in Zukunft voranbringen und zudem auf kleinere Handwerksbetriebe im Ort setzen. Ganz besonders wichtig sei, dass Nahversorgung, Volksschule, Kinderbetreuung und die Ärztin weiterhin in der Gemeinde erhalten bleiben, sagt sie. Das soll künftig vor allem junge Menschen und Familien anziehen. Zumindest die 500-Einwohner-Marke könnte die Gemeinde damit vielleicht halten. "Vergangenes Jahr hatten wir zehn Geburten, und zwei junge Familien sind zugezogen", sagt Kubelka. "Das war ein gutes Jahr." (Jakob Pallinger, 13.10.2022)

Zum Thema:
Landleben: "Es entsteht eine Abwärtsspirale, wenn Frauen abwandern"
Waldviertel: Idylle allein reicht nicht
Abwanderung: Wenn Gemeinden langsam aussterben
 

josef

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#18
Waldviertel: Neue Initiative vermittelt leere Häuser
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Viele Waldviertler Gemeinden verzeichnen seit Jahrzehnten einen Bevölkerungsrückgang, zahlreiche Häuser stehen leer. Eine neue Immobilieninitiative vermittelt jetzt alte Häuser erfolgreich an Käufer aus dem gesamten deutschsprachigen Raum.
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Während die Bevölkerung in allen Regionen Niederösterreichs kräftig wächst, werden es im Waldviertel immer weniger Menschen. 2002 waren hier noch 23.385 Bürgerinnen und Bürger beheimatet, heute sind es um 7.735 weniger.

Unter der negativen Bevölkerungsentwicklung leiden besonders die einzelnen Gemeinden. Häufig sterben Ortskerne aus, und das Leben verlagert sich an den Ortsrand. Zum Verkaufen sehen die Eigentümerinnen und Eigentümer aber oft keine Notwendigkeit. So verfallen viele zentral gelegene Häuser.

Mit Fingerspitzengefühl den Ortskern wiederbeleben
Gegen diesen Trend kämpft die Immobilieninitiative „zuHaus im Waldviertel“, die es seit 2016 in mittlerweile sechs Ortschaften gibt. Gemeinsam mit den Gemeinden ermittelt sie den Leerstand, anschließend werden die Eigentümer proaktiv kontaktiert.

„Die Eigentümer kommen nicht zu uns, sondern wir gehen zu ihnen“, erklärt der Immobilienunternehmer und Initiator von „zuHaus im Waldviertel“, Peter Keller. Dabei ist Fingerspitzengefühl gefragt: „Grundsätzlich ist das eine schwierige Situation, weil der Eigentümer eigentlich gar nicht verkaufen will.“

In vielen Gesprächen würden den Eigentümerinnen und Eigentümern die Perspektiven ihrer Liegenschaft aufgezeigt – welche Kosten sie sich durch einen Verkauf ersparen könnten, und wie sich dadurch der Ortskern wieder beleben lassen würde. Schließlich stelle sich für viele auch die Frage nach einer guten Nachbarschaft im Alter, bei der man sich gegenseitig im Krankheitsfall hilft. Häufig leben die Eigentümer in direkter Nachbarschaft zur leerstehenden Immobilie.

ORF / Tobias Mayr
Dieses Haus im Ortskern der Teilgemeinde Purk wurde vor Kurzem an einen Tiroler verkauft. Davor stand es 15 Jahre lang leer.

Leerstände bereits eklatant gesunken
Die Käuferinnen und Käufer findet Keller über das Internet. Dafür erstellte er gemeinsam mit den Gemeinden „Dorfvorstellvideos“. „Es geht darin darum, dass die Leute den Ort kennenlernen. Was wird mir geboten? Was ist das zukünftige Leben dort? Was erwartet mich dort?“ Über die Videos stoßen die potenziellen Kunden dann auf Kellers Immobilienunternehmen, so verdient die Initiative ihr Geld.

Dieses System scheint zu funktionieren. In den sechs Gemeinden, in denen „zuHaus im Waldviertel“ tätig ist, hat sich der Leerstand verringert. In Reingers (Bezirk Gmünd) liege er sogar bei fast null, berichtet Keller. Auch in Kottes-Purk (Bezirk Zwettl) arbeite man sehr erfolgreich: In nur zwei Jahren wurden neun Immobilien verkauft, die zuvor jahre- bis jahrzehntelang leergestanden sind.

Waldviertler Qualitäten sind international beliebt
Die Käufer kommen häufig von weit her: aus Westösterreich, der Schweiz oder aus Deutschland. Es seien Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt verändern möchten und die Qualitäten des Waldviertels schätzen. „Der Zusammenhalt, die Natur selber, die Hilfsbereitschaft untereinander, das sind die wesentlichen Eckpunkte“, sagt Keller.

In Kottes-Purk freut man sich über die neuen Entwicklungen. Für die Gemeinden ist die Zusammenarbeit mit „zuHaus im Waldviertel“ kostenlos – und wirtschaftlich, wie gesellschaftlich ein Gewinn. „Man sieht am Abend wieder ein Licht im Haus, es geht wieder wer ein und aus. Und natürlich belebt es die ganze Wirtschaft, weil umgebaut wird, weil renoviert wird – und auch die Gastronomie wird so belebt“, sagt Bürgermeister Josef Zottl.
29.10.2022, Tobias Mayr, noe.ORF.at
Waldviertel: Neue Initiative vermittelt leere Häuser
 

josef

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#19
Landgasthäuser im „Überlebenskampf“
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Die heimische Gastronomie kämpft mit den hohen Energiekosten, zusätzlich bleiben vermehrt die Gäste aus. Besonders betroffen sind die klassischen Landgasthäuser. In der Branche spricht man von einem „Überlebenskampf“.
Online seit heute, 5.57 Uhr
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Für viele Wirtshäuser wird die aktuelle Situation langsam zum Überlebenskampf, sagt Mario Pulker, Obmann der Sparte Gastronomie in der Wirtschaftskammer, gegenüber noe.ORF.at. „Dort kracht es ordentlich. Wenn es an Gästen fehlt, fehlt es an Geld – und das ist für unsere Betriebe, gerade im Bereich der mittleren Landgasthäuser, besonders schwierig", so Pulker.

Während in der hochpreisigen Gastronomie und der sogenannten „Take Away“ Gastro – also Betrieben, bei denen man das Essen abholt – der Gästeschwund überschaubar sei, bleiben die Gäste in den Landgasthäusern immer öfter aus. Nicht nur die Wirtshäuser, sondern auch die Gäste haben mit der Teuerung zu kämpfen und schränken sich deshalb bei den Wirtshausbesuchen ein.

Energie: Preissteigerung bis zu 900 Prozent
Neben den derzeitigen Schwierigkeiten droht den Wirtshäusern ein weiteres Ungemach in Form von neuen Energieverträgen, von denen viele mit Jahreswechsel schlagend werden. „Da gibt es Preissteigerungen in der Höhe von 300 bis 900 Prozent“, so Pulker.
„Das ist natürlich für die breite Landgastronomie, sozusagen für die Kommunikationszentren der Gemeinden, eine besonders tödliche Mischung“, so Pulker. Er befürchtet, dass im schlimmsten Fall 20 bis 25 Prozent der Betriebe diese Situation nicht mehr stemmen können und deshalb zusperren müssen.
25.11.2022, Kawus Nikou, noe.ORF.at
Landgasthäuser im „Überlebenskampf“
 
#20
Landgasthäuser im „Überlebenskampf“
In der Branche spricht man von einem „Überlebenskampf“.
Zuletzt habe ich nach der Durchsicht der Corona-Hilfen in der Transparenzdatenbank in meinem Umkreis auch eine andere Ursache ausgemacht:

Es gibt hier viele "Gasthäuser", welche aber keine Gasthäuser im wirklichen Leben sind.
Diese bezogen große Corona Hilfen und sperren jetzt zu.

Anderes Beispiel:
Ein wirkliches Landgasthaus sperrt auch zu, weil es sich "nicht mehr lohnt". Auch hier Corona-Förderung um die 100.000 und natürlich fast das gesamte Personal verloren da "Ausländer", diese nach Hause mussten oder wollten und nicht wieder kamen.
Jetzt natürlich die Küchen/Service Infrastruktur nicht vorhanden und händeringend findet man kein Personal.
In der eigenen Überlegung (wo man jetzt in der NOT vieles selbst gemacht hat) verdiente man 100TEUR relativ leicht und noch genug unterm Strich, da man die komplette Infrastruktur heruntergefahren hat inkl. Pacht, Verträgen etc. und klar überlegt man sich einen Neuanfang.

Bisher haben mich diese Förderungen nicht interessiert aber eine lokale Zeitung machte dies zum Thema. Ein Blick in die Datenbank bringt viele Erkenntnisse.
Schon klar, Corona war eine Ausnahmesituation, und die staatliche Hilfe nicht vorbereitet - aber immerhin interessant die Details zu kennen.

Noch skuriller ist die Situation, dass ein MC-Donald Franchisenehmer in meiner Umgebung 2 Mio. als Ersatz bekam. Soweit ich mich erinnern kann, waren die Fast Foods Restaurants zu dieser Zeit die Einzigen, welche mit Drive-In offen hatten und eine wahre Goldgrube waren.
 
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