Kaiser Joseph II. befahl, dass Juden ebenfalls wie alle anderen Untertanten in der Armee dienen müssen

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Religiöse Gleichstellung im habsburgischen Militär zur Zeit der napoleonischen Kriege
Kaiser Joseph II. befahl, dass Juden, genau wie alle anderen Untertanen, auch in der Armee dienen müssen. Dies brachte die Frage auf, wie jüdische Soldaten unter diesen neuen Umständen ihre religiösen Gebote einhalten können
Wir schreiben das Jahr 1806. Das Kaisertum Österreich erholt sich von einer schweren Niederlage durch das napoleonische Frankreich. Für den Wiederaufbau der Armee wird in den habsburgischen Ländern stark rekrutiert. Parallel dazu werden die Soldaten, die für den weiteren Kriegsdienst untauglich sind, aus den Kampfeinheiten abgezogen. Die Männer, die noch leichten Dienst leisten können, wurden als "Halb-Invaliden" an verschiedene Garnisonsabteilungen oder Militärämter übergeben. Sogenannte "Reale Invaliden" (auch "Voll-Invaliden genannt), die durch Verletzungen oder eine lange Dienstzeit völlig versehrt sind, dürfen entscheiden: Sie können ein einmaliges Geldgeschenk annehmen und die Armee endgültig verlassen. Die andere Möglichkeit ist, in ein Invalidenhaus mit lebenslanger Versorgung aufgenommen zu werden. In beiden Fällen wird dieser Beschluss durch einen Befehl vom regionalen Militärkommando formell bestätigt.

Am 5. September 1806 wurde vom Ober- und Innerösterreichischen Militärkommando in Graz verordnet, drei Reale Invaliden aus dem 43. Infanterie Regiment "Freiherr von Simbschen" ins Pettauer Invalidenhaus zu schicken. Nach der Ankunft des Befehls im Regimentshauptquartier in Laibach, wurde am 17. September für diese Soldaten eine förmliche Transferierungs-Liste vorbereitet. Als dieses behördliche Formular bereits fertig war, wurde der erste Mann – der zweimalige Kriegsveteran und gemeine Soldat Wolf Czermess – jedoch wieder von der Liste gestrichen. Der Grund dafür ist auf dem Rand des Dokuments notiert und sehr bemerkenswert:
"Ist zu Frist bey Lauben-fest der Juden und wird dessen Transferierungs-Lista nachgetragen werden". Mit anderen Worten: Die Versetzung des Soldaten Czermess nach Pettau wurde wegen eines jüdischen Feiertags verschoben.


Uniform und Ausrüstung aus der Zeit, in der der Soldat Wolf Czermess gedient hat. Rudolf Otto von Ottenfeld, Österreichische 'Deutsche' Linien Infanterie 1798–1805, (1895), Die österreichische Armee von 1700 bis 1867.
Foto: Wikimedia Commons/Gemeinfrei

Trotz Motiv – gleiche Rechte
Obwohl es heute kaum noch bekannt ist, war die Habsburgermonarchie der erste Staat der Neuzeit, der seine jüdischen Einwohner zum Wehrdienst verpflichtete. Dies geschah durch die persönliche Initiative Kaiser Joseph II., welche trotz des Widerstands der Armee und der jüdischen Gemeinden im Jahr 1788 durchgesetzt wurde. Durch diesen Schritt hoffte der Kaiser die Juden besser in die Gesellschaft zu integrieren, was letztlich zu einer stärkeren Assimilation der jüdischen Bevölkerung führen sollte. Trotz dieses tieferen Motivs, und obwohl er kein Freund der Befolgung religiöser Regeln war, sorgte Joseph II. dafür, dass jüdische Soldaten ihren Glauben ohne Einschränkungen ausüben durften.

Für jüdische Rekruten wurde zum Beispiel der militärische Eid eigens modifiziert. Jesus, die Heilige Dreifaltigkeit und die christlichen Märtyrer wurden durch den Allmächtigen Gott, die drei Erzväter und König David gemeinsam mit anderen biblischen Helden ersetzt. Während die anderen Soldaten direkt mit Essen versorgt wurden, wurde jüdischen Soldaten erlaubt, statt Lebensmitteln den gleichen Wert in Geld zu erhalten, um sich selbst mit koscheren Speisen zu versorgen. Schließlich wurden jüdische Soldaten am Samstag von Aufgaben und Pflichten befreit ähnlich, wie die christlichen Soldaten am Sonntag. Das war allerdings kein großes Zugeständnis für die Armee, da der Sonntag den Christen kaum Dienstbefreiungen brachte. Viel entscheidender war die symbolische Bedeutung, die durch diese offiziellen Regeln zum Ausdruck gebracht wurde: In ihren religiösen Angelegenheiten hatten die jüdischen Soldaten die gleichen Rechte und Pflichten wie ihre christlichen Kameraden.

Vorgabe und Umsetzung
Doch wurde diese Politik im Geiste der Aufklärung in der Armee tatsächlich gelebt? Der Kaiser und die zentralen Militärbehörden saßen alle in Wien. Tief in Galizien, Ungarn, Böhmen und in den anderen Provinzen, wo die meisten habsburgischen Truppen in Garnison lagen, lag die eigentliche Autorität bei deren Offizieren. Zusammen mit den Hauptleuten, die ihre individuellen Kompanien fast wie eine kleine Herrschaft befehligten, hatte letztlich der Regimentskommandant vor Ort über das tägliche Leben seiner Untergebenen zu entscheiden.

Und das ist der Grund warum die Anmerkung zur Transferierung des Soldaten Czermess aus historischer Sicht so wichtig ist. Wie in anderen Dokumenten dieser Art, wurden die Transferierungsbogen vom Kommandanten des 43. Infanterie-Regiments, des Oberst Vital von Kleimayrn (1747–1828), persönlich unterschrieben. Die Entscheidung, Soldat Czermess länger in seiner alten Einheit zu belassen, damit er die jüdischen Feste feiern kann, wurde somit auf höchster Ebene getroffen. Das liefert uns heute den unmittelbaren Nachweis, dass die habsburgische Militärverwaltung sich der religiösen Bedürfnisse ihrer jüdischen Soldaten bewusst und auch bereit war, diese bis zu einem gewissen Grad tatsächlich in der Praxis zu berücksichtigen.

Nicht ein, sondern drei Feiertage
Der Fall des Soldaten Czermess wird übrigens noch interessanter, wenn man den gregorianischen mit dem hebräischen Kalender vergleicht. Im Jahr 1806 begann das wochenlange Laubhüttenfest (auf Hebräisch Sukkot) erst am Abend des 27. September. Mit zehn Tagen wäre es theoretisch möglich die 140 Kilometer Reise zwischen Laibach und Pettau vor dem Beginn des Sukkot rechtzeitig zu schaffen. Aber genau in die Mitte dieser Zeitspanne, auf den 22. September, fiel Jom Kippur (Versöhnungstag). Dieser heiligste Tag des jüdischen Kalenders wird mit großer Feierlichkeit und einem strengen Fasten begangen. Wenn also Soldat Czermess wie geplant am 17. September nach Pettau geschickt worden wäre, hätte er einige Tage später irgendwo mitten im ländlichen Slowenien den wichtigsten Tag seines Glaubens allein feiern müssen. Die Verzögerung seiner Versetzung zum Invalidenhaus ermöglichte ihm stattdessen, bei seinem alten Regiment Jom Kippur, Sukkot sowie auch den unmittelbar darauffolgenden Feiertag Simchat Tora in Ruhe zu begehen.

Transferierungen zwischen verschiedenen Einheiten der Habsburger Armee wurden einmal pro Monat durchgeführt. Mit 17. Oktober 1806 wurde für den Gemeinen Wolf Czermess ein neuer Transferierungsbogen ausgestellt. Der Soldat bekam vom Regiment Verpflegung und Gehalt bis zum 31. Oktober, dem Tag seiner voraussichtlichen Ankunft in Pettau. Dann begann im dortigen Invaliden-Haus ein neuer Abschnitt in seinem Leben.
(Ilya Berkovich, 6.8.2021)

Ilya Berkovich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Er arbeitet derzeit an einer neuen Sozialgeschichte der Habsburger Armee während des "Langen achtzehnten Jahrhunderts".
Religiöse Gleichstellung im habsburgischen Militär zur Zeit der napoleonischen Kriege
 
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