Kelleranlagen in Retz - Niederösterreich

josef

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#1
Unter dem Stadtgebiet von Retz befindet sich das größte Kellersystem Österreichs

Hier ein kurzer Auszug aus der Stadt- bzw. Kellergeschichte:
Die Stadt wurde im ausgehenden 13. Jhdt. am Kreuzungspunkt zweier mittelalterlicher Handelswege, im Norden Niederösterreichs, nur drei Kilometer von der Grenze mit Mähren entfernt, gegründet.

Die Stadt wurde 1425 durch Hussiten (Taboriten) vollkommen eingeäschert. Die überbrachten Berichte sagen aus, dass die Hussiten die südliche Stadtmauer untergruben und so die Stadt eroberten. Das aber sagt uns, dass es zu diesem Zeitpunkt bereits so ausgedehnte Kelleranlagen unter der Stadt gab, die bis in die Nähe der Stadtbefestigung reichten. Es muss somit damals schon einen weitreichenden Weinhandel gegeben haben.

Von Kaiser Friedrich III. hat die Stadt 1458 ein Privileg erhalten (Archiv der Stadt Retz), in dem es auszugsweise heißt: "Also was von Salcz Getrayd wein oder anderlay kaufmannschaft ... hin gen Recz ... gefurt wirdet das sollen die kaufmannschaft da niederlegen und verkauffen den Burgern .... oder andern die dann weiterhanndeln und wanndeln mugen nach Ihren notdurften .... " Somit war für die Stadt eine rechtliche Grundlage, eine privilegierte Basis auch für den Weinhandel gegeben.

Die Stadt, sie ist heute noch in der ursprünglichen Größe mit Stadtmauern erhalten, könnte damals etwa 500 bis 800 Einwohner gehabt haben, aber sicher weniger als 100 Bürger (Hausbesitzer). Und die hatten nunmehr das privilegierte Recht mit Wein zu handeln, den Wein zu kaufen und wieder zu verkaufen.

Aus der Erfahrung wussten die Retzer Bürger, dass gleichbleibende Temperatur im Keller den Wein zu jener Güte reifen ließ, die es gestattete, den Wein in die damalige weite Welt zu führen. Die Stadt Retz steht auf einer frühtertiären Meeresablagerung. Die Mächtigkeit des Sandes (Quarzsand) reicht bis 30 Meter. Die Anschwemmung stammt aus dem "Eggenburger Meer", das in der Frühperiode des Miozän (vor 20 bis 25 Millionen Jahren) sich über das südliche Europa bis zum Schwarzen Meer und zur Kaspischen See erstreckte. Die Ablagerung ist so fest, dass die Keller nur aus der Sandschicht herausgekratzt werden mussten. Der Sand lässt sich mit dem Finger abheben. Die Keller erreichten eine Tiefe bis zu 20 Metern. Viele der Keller wurden, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, mit Ziegeln ausgekleidet, das aber keineswegs aus Gründen der Festigkeit, sondern nur als Renommiergehabe. Man wollte zeigen, wie reich man als Retzer Weinhändler lebte. Viele der Keller unter der Stadt stehen heute noch im Originalzustand, so wie sie vor Jahrhunderten aus dem Sand gegraben wurden.

Im Zweiten Weltkrieg wollte die deutsche Wehrindustrie in diesen ausgedehnten Kelleranlagen die Produktion von Flugzeugteilen unterbringen. Da die Luftfeuchtigkeit hier ca. 87 % beträgt und bei der über das ganze Jahr gleichbleibenden Temperatur von etwa 8° Celsius geheizt hätte werden müssen, wurde das Projekt der kriegsbedingten Fabrikation fallengelassen. Erhalten blieben aus dieser Zeit Pläne von Kellern.
Manches technische Rätsel lässt sich aus diesen Plänen lösen. Es zeigt sich, dass die Keller vielfach untereinander verbunden waren, oder so knapp an den Nachbarkeller herausgestochen worden sind, um im Falle eines Einsturzes einen Ausgang zu finden. Jedes Haus hat, trotz des Kellerverbundes, seinen eigenen Kellerabgang. Die Kellerausdehnungen stimmen mit den oberirdischen Parzellengrenzen nicht überein. Man verlängerte die Keller, wenn Bedarf war. War ein Bürger in der Lage viel Wein zu kaufen, so vergrößerte er seinen Keller der Länge nach, oder er grub in die Tiefe. Dann entstand eben eine 2. oder 3. Etage.

Es scheint wohl, dass sehr bald Erfahrungen über die Belüftung der Keller vorgelegen waren. Denn die Belüftungsschächte (Dampflöcher) zu den Straßen, Gassen, Höfen und Gärten waren die einzige Orientierungshilfe für den Kellerbau in der Horizontalen, als auch in die Tiefe. Durchwegs sind die Dampflöcher so gesetzt, dass sie vom höchsten Punkt der Kellerröhre zur Oberfläche hinaufgebohrt wurden. Die Dampflöcher waren für den Feuchtigkeitsgehalt der Kellerluft ungemein wichtig.

Um sich Vorstellungen über die Dimensionen der Keller machen zu können, zitiere ich zwei Beispiele: Der Kellerplan des "Liebl"-Hauses führt in der Planlegende "Gesamtlänge des Kellers: 816 Meter" an, am Plan eines Kellers in der Lehengasse wird die Kellerlänge mit 460 m angegeben.

In frühen Zeiten wurden Keller auch gemauert, vor allem die eher seicht liegenden Keller, deren Basen nur wenige Meter unter den Straßen liegen. Schon in der Zeit der Romanik (12. Jhdt.) war eine Gussbauweise entwickelt worden, wie sie bei dem Bau von Krypten (Unterkirchen) oder z.B. auch beim Bau des Dormitoriums im Stift Zwettl verwendet wurden. Im Zuge einer Kellerführung werden Sie, lieber Gast, durch einen gemauerten Keller geführt. Zwischen dessen First und dem Hauptplatz liegen nur 80 cm Erdreich. Der Keller ist 600 Jahre alt!

Da nur ein Teil der Keller 1943/44 vermessen wurde, sind die gesamten Längsdimensionen unbekannt. Schätzungen sprechen von 16 bis 25 km, die allerdings nicht nur die Keller der ehemals befestigten Stadt, sondern auch die der ehemaligen Gemeinden Altstadt Retz, Ober- und Unternalb einschließen. Nur die Keller der Weinbauern (Hauer) sind heute noch in Betrieb. Die Keller sind im Grundbuch nicht erfasst, daher sind Eigentumsverhältnisse äußerst schwierig zu klären.

Maria Theresia, Tochter Kaiser Karl VI., übernahm nach dessen Tod die Regierung in Österreich (1740). Sie hob nach einem Streit zwischen der Stadt und der Altstadt (alte Bauernsiedlung) alle Privilegien durch ein Patent auf. "Es wird verordnet, daß der fraye Handel mit allen gattungen ... Landesprodukten, denen Gütter Besitzern, Weinholden und dem Bauernstande auf das gantze Jahr verstattet, und das disfällige schädliche Privativum des Burges Standes in diesem Land, wo noch einiges besteht, gänzlich aufgehoben werden solle. "
Die Politik des Österreichischen Reformabsolutismus setzte ganz auf liberale Marktwirtschaft. Es entstanden Kellergassen in den Dörfern, die gerade für die weitere Umgebung von Retz, dem nördlichen Niederösterreich, so charakteristisch sind. So wurden zum Beispiel zwischen 1750 und 1800 alleine nur in Ober- und Mitterretzbach (3 km nördlich von Retz) 13 neue Keller gebaut und zwischen 1800 und 1840 nochmals 12 Keller. Besonders schöne, ausgedehnte Kellergassen in der Umgebung von Retz gibt es in Haugsdorf, Jetzelsdorf, Mailberg, Pillersdorf und Hadres.

Der Weinhandel konzentrierte sich in der späteren Folge auf konzessionierte Weinhändler, die nicht nur in der Stadt, sondern auch in den umliegenden Dörfern saßen.

Der Absatz des Weines bis zum Ersten Weltkrieg war nach dem Norden des Landes orientiert. In Mähren, Böhmen, Sachsen, Schlesien waren die Konsumenten daheim. Bis Galizien wurde regelmäßig Retzer Wein geliefert. Retz war durch Jahrhunderte eine Metropole für den Weinhandel. Die Retzer Kelleranlage ist weltweit wohl eine Einmaligkeit. Es sind nicht nur die Dimensionen die beeindrucken. Vor allem besticht der lose Sand, aus dem die Keller gegraben wurden. Stabilität ist den Sandkellern durch den Grundwasserfluss vom Waldviertel gegeben. Der Tourismusverein veranstaltet regelmäßig Führungen durch die Keller von Retz.
Quelle: http://www.erlebniskeller.at/geschichte.htm


Nachfolgend einige Impressionen aus der „Retzer Kellerwelt“, die wir am 28.09.2016 im Rahmen einer Führung besichtigten:

Teil 1:

1. Plan der während des Krieges vermessenen Kellergänge. Der dunkle Bereich wird bei der Führung durchgangen.
2. Eingangsbereich in der Znaimer Straße.
3. Stiegenabgang in die Kellerröhren bei der Znaimer Straße.
4. „Böhmisches Kappengewölbe“ über einen Kreuzungspunkt von 4 Gängen.
5. Alte Baumpresse als ausstellungsstück.
6. Fasskeller mit parallel zum Längsgang liegenden Holzfässern.
 

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josef

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#2
Kelleranlagen in Retz - Teil 2

Teil 2:

7. – 8. Lange schmale Gänge verbinden die größer dimensionierten Lagergewölbe. Über eine Kellerrollbahn wurden die verschiedensten Transporte abgewickelt.
9. Ein seitlich von einem Verbindungsgang abzweigender ehemaliger Lagerkeller.
10. Alte Hand- und Motorpumpen. Diese wurden zur Befüllung, Inhalts-Umlagerung und Entleerung der Fässer eingesetzt.
11. Weiterer Abschnitt eines Verbindungsganges mit Seitennischen.
12. Einige Abschnitte der Kellerröhren sind nicht mit Ziegel ausgemauert und noch im Ursprungszustand als „Sandkeller“ zu sehen.
 

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josef

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#3
Kelleranlagen in Retz - Teil 3

Teil 3:

13. Eine alte ungewölbte naturbelassene Sandröhre.
14. Viele Generationen haben ihre Spuren in der Seitenwand der Kellerröhre hinterlassen..
15. Historischer Fasstransportwagen der Retzer Weinhändler. Mit solchen Pferdefuhrwerken wurde der Wein einst bis St.Petersburg transportiert!
16. Weinarchiv: Die älteste befüllte Flasche stammt aus 1917 und soll zum 100-Jahr Jubiläum nächstes Jahr geöffnet werden! Die mit dem rot-weiß-roten Bändchen markierte Flasche enthält einen Wein, der 1955 bei der Unterzeichnung des Staatsvertrages im Schloss Belvedere in Wien gereicht wurde.
17. Der ca. 1,5h dauernde Rundgang neigt sich dem Ende zu…
18. …und im Bereich des Althofes führt eine Stiege wieder an die Oberfläche.
 

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josef

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#5
Theater in den Kellergängen

Nach bereits 2 erfolgreichen Theaterproduktionen in den unterirdischen Gängen von Retz ( Umberto Ecos - „Der Name der Rose“ und "Jack the Ripper“ ) ist heuer ein Stück über die letzten zehn Tagen Adolf Hitlers und seiner Entourage im Bunker unter der Reichskanzlei in Berlin zu sehen:
Retzer Erlebniskeller wird zum „Führerbunker“
Im Erlebniskeller Retz (Bezirk Hollabrunn) wird eine neue Stationentheater-Produktion vorbereitet: „Führerbunker. Berlin, April 1945“ von Christian Pfeiffer hat am 28. April Uraufführung.

In dem Stück geht es um die letzten zehn Tagen Adolf Hitlers und seiner Entourage im Bunker unter der Reichskanzlei als historisch unterlegte, aber fiktive Geschichte. Angelehnt ist das auf zwei zeitlichen Ebenen angesiedelte Stück laut Aussendung der Veranstalter an den Film „Der letzte Akt“, zu dem der von den Nationalsozialisten verfemte Autor Erich Maria Remarque 1955 einen Drehbuchentwurf verfasste, und an Bernd Eichingers „Der Untergang“.




anwora.com

Hitlers Sekretärin Traudl Junge wird in den Kelleranlagen von zwei Schauspielerinnen dargestellt: einerseits als zielstrebige, aber durchaus naive 21-Jährige im April 1945, andererseits als alte Frau, die Besuchergruppen durch das Bunkermuseum führt, in dem die braunen Gespenster von damals immer wieder auftauchen.

Stück will nicht mit erhobenem Zeigefinger mahnen
„Das Stück will nicht mit erhobenem Zeigefinger mahnen. Es soll vielmehr am eigenen Leib erlebbar machen, wie schnell man in dem Wahnsinn, den Menschen Krieg nennen, auf der falschen Seite steht - und dem nichts mehr entgegenzusetzen hat“, heißt es in der Aussendung.

„Führerbunker. Berlin, April 1945“
Vorstellungen sind im Veranstaltungsprogramm des Viertelfestivals, das unter dem Motto „Metamorphose“ 66 Projekte ins Weinviertel bringt, bis zum 3. Juni angesetzt. Besucher sollten sich mit warmer Kleidung und festen Schuhen ausrüsten. Empfohlen wird ein Mindestalter von 16 Jahren.

Die labyrinthartigen Kellergänge, teilweise 30 Meter unter den Straßen von Retz, wurden 2013 erstmals zur unterirdischen Bühne für das Wandertheater: Der Regisseur Christian Pfeiffer inszenierte Umberto Ecos Klosterkrimi „Der Name der Rose“ und spürte danach in „Jack the Ripper“ anhand von Originaltexten einer ungeklärt gebliebenen Mordserie an Frauen in London Ende des 19. Jahrhunderts nach.

Publiziert am 11.02.2017
http://noe.orf.at/news/stories/2825034/

Hier gibt es weitere Infos...
 
#6
Vielen lieben Dank für die Aufbereitung! Wir spielen bereits das fünfte Jahr im Erlebniskeller und ich muss wirklich sagen die Location ist für Theatermacher echt eine Herausforderung! Gleichbeibende Temperatur von 9-12°C und eine sehr hohe Luftfeuchtigkeit geballt mit langen Auftrittswegen für die Schauspieler, Publikum ohne Ahnung was Sie bei dieser Theaterwanderung erwartet und ständig das Thema Technik... Ich liebe es als Produktionsleiter :)

Für alle Technik Interessierten: Wir wurden schon oft gefragt wie wir das mit der Licht und Tonsteuerung im Keller hinbekommen. Da es unmöglich ist da unten Funkverbindungen oder gar Mobilfunknetze hinzubekommen standen wir wirklich vor einer Herausforderung. Wir haben den riesigen Retzer Erlebniskeller mit Gel-gefüllten (Kondensatschutz) Netzwerkkabeln ausgestattet und flächendeckend mit WLAN Hotspots ausgestattet. Oberirdisch haben wir einen Internetzugang und können nun überall im Keller kommunizieren. Sogar ein modernes Smartphone mit IP Telefonie App kann einfach anrufen!!!. Da wir die ersten zwei Jahre im Keller sogar mit einem Fahrrad hin und her gefahren sind um einander zu finden war es wichtig diesen Schritt zu machen. Aber es wird noch besser: mit ArtNet wurde es möglich DMX Signale über ein Netzwerk zu übertragen. DMX ist der Standard für Theaterscheinwerfer und Tonübertragung. ArtNet ist die hardwaremässige Schnittstelle zwischen LAN und klassischer Steuerung von professioneller Theatertechnik. Es gibt auch eine App die das Mischpult ersetzt. Ein Publikumsführer geht mit dem Pblikum mit und steuert via Handyapp (unsichtbar fürs Publikum) die Licht- und Tontechnik in der jeweiligen Szene. Einfach genial, bei der Abnahme waren Rettung und Feuerwehr total neidisch auf unsere Technik, weil sie mit ihren Profi-Funkgeräten im Keller einfach keine Chance haben :) und wir einfach Internet haben unten und jederzeit auch ins normale Telefonnetz telefonieren können. Die österreichische Innenministerin war in einer Vorstellung und ihr Stab war sehr besorgt über ihre Sicherheit, mit unserer Technuk kein Problem :)

Wer von euch die Zeit und Möglichkeit hat sollte es sich wirklich mal anschauen, denn es ist eine sehr aussergewöhnliche Art Theater zu erleben, dieses Mal überhaupt aufgrund der sehr ernsten Theamtik - zugegeben auch "Der Name der Rose" und "Jack the Ripper" waren auch keine Schenkelklopfer aber diesmal wird es noch eine Stufe heftiger fürs Publikum.

Liebe Grüße aus Retz, der Perle des Weinviertels
Manfred Weigel
Produktionsleitung

PS: exklusiv für dieses Forum das zweite Foto (im Keller mit unseren Hauptdarstellern) aufgenommen, ist noch nicht veröffentlicht.
 

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#8
Wow!!
Sehr interessant!! Vielen Dank für die lässigen Fotos! Hoffe ich komm mal wieder in eure Gegend, hab mal mit der Band Mr.Nice bei euch am Hauptplatz vor der Kirche bei einer Art Weinfest gespielt, eure Stadt ist mir in bester Erinnerung, war sehr cool!! Lg aus Tirol, R.
 

josef

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#9
Tief unter der Erde wird dem Publikum beklemmende Bunkerstimmung vermittelt...

Die letzten Tage im Führerbunker
Die letzte zehn Tage im Führerbunker Adolf Hitlers sind Thema eines Theaterstücks, das im Retzer Erlebniskeller (Bezirk Hollabrunn) aufgeführt wird. Tief unter der Erde wird dem Publikum beklemmende Bunkerstimmung vemittelt.

Hitler tobt über die Unfähigkeit seines Generalstabes, träumt von der architektonischen Neugestaltung Berlins und ärgert sich über ein Volk, das ihn nicht verdient hat, für das er so viele Opfer gebracht habe, und hat keine Ahnung von den brutalen, wie chaotischen Verhältnissen außerhalb seiner Welt dutzende Meter unter Erde.

Beklemmendes Kellertheater
Das Ambiente stimmt für die beklemmenden Szenen im Führerbunker. Die Schauspieler meistern die filmhaften kurzen Szenen gekonnt.


Die letzten vierzehn Tage des Diktators, gespielt im ebenfalls tiefen und verwirrend komplexen System der Retzer Erlebniskeller, rufen beim Publikum beklemmende Gefühle hervor. Während der dreistündigen Wanderung verliert man als Zuschauer von Station zu Station mehr und mehr den Bezug zur Außenwelt und taucht beinahe hautnah ein in die absurde Welt der letzten Tage des NS-Regimes. „Man ist dem Geschehen schon sehr nahe. Gerade am Anfang war das schon fast unangenehm, aber sehr, sehr spannend und aufregend“, sagte etwa ein Besucher, der extra zur Generalprobe mit Publikum aus Wien angereist war.

Hitler-Darsteller mit Rückenschmerzen
Eine ungeheure Leistung wird dabei Andreas Hajdusic, dem Darsteller des Führers, abverlangt: „Vom Schreien bis hin zu weinerlichen Momenten ist alles drin, da muss man schon richtig gut gestützt aus dem Bauch schreien, damit man das durchhält. Hitler selbst hat das ja alles aus dem Hals gepresst.“


ORF
Schauspieler Andreas Hajdusic bekommt den signifikanten Bart verpasst


Die stark gebückte Haltung, das Schütteln in der linken Hand, die Bewegungsmuster hat sich Hajdaric aus dem Studium erhaltener Privataufnahmen aus Hitlers Umfeld erarbeitet. „Ich schlafe generell sehr schlecht zur Zeit. Ich träume nicht von Hitler selbst, sondern von mir, wie ich bei den Proben als Schauspieler einen Tobsuchtsanfall bekomme. Dann wache ich mit großen Rückenschmerzen auf“, erzählt der junge Schauspieler, der dennoch froh ist, diese Rolle angeboten bekommen zu haben. „Zuerst habe ich eine Nacht darüber geschlafen, dann habe ich zugesagt.“

Mythos Führerbunker mit Spielraum für Gestaltung
Das Stück, das vom Verein „Theater in Arbeit“ realisiert wird, lehnt sich an die Filme „Der letzte Akt“ von Georg Wilhelm Pabst und Bernd Eichingers „Der Untergang“ an. Das Theaterstück erhält eine eigene Dramaturgie, durch den Kunstgriff, dass Traudl Junge, Hitlers Sekretärin, als Rahmenhandlung das Publikum als Besucher durch den zu einem Museum gewordenen Führerbunker durchführt.


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Szene „Hitler und Goebbels im Bunker“


„Es herrscht ein großes Mysterium um diesen Führerbunker. Es gibt gerade zum letzten Teil des Dritten Reichs im Verhältnis zur übrigen Geschichte nur eine sehr spärliche authentische Dokumentation oder Material. Das macht das Ganze sehr theatertauglich oder gut geeignet für den Film“, erklärt Regisseur und Koproduzent Michael Pfeiffer vom „Theater in Arbeit“.

Unterhaltung mit Schauergarantie?
Das abgrundtief Böse als Unterhaltung mit Schauergarantie: Die Reaktionen waren im Vorfeld differenziert. „Die Meinungen sind gespalten gewesen. Wir hatten bereits den ‚Namen der Rose‘ nach Umberto Ecco gemacht und ‚Jack the Ripper‘, da war, sagen wir es einmal so, der Ansturm einhelliger“, so Pfeiffer.

Soviel kann gesagt werden, die Ankündigung der beiden Produzenten Martin Weigel und Michael Pfeiffer - „Die Aufführung wird auch das Publikum nicht unverändert zurücklassen“ - stimmt. Nachdem man keine zwei Meter von so zynischen wie brutalen Figuren wie Magda Goebbels entfernt gestanden hat, verlässt man nach dem dreistündigen, intensiven NS-Untergang den Erlebniskeller Retz einerseits mit einem bedrückten Gefühl, aber auch mit der Erleichterung, dass diese finstersten Zeiten vorbei sind.

Links:
Publiziert am 28.04.2017
http://noe.orf.at/news/stories/2839901/
 
S

Senator74

Nicht mehr aktiv
#11
Ist lange her, dass ich die Kelleranlagen dort mit Gruppe besichtigen konnte.Das Glas von der Verkostung durfte man zur Erinnerung behalten.
 
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