Kupferdrucker

josef

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Handwerk: Besuch bei einem der letzten Kupferdrucker
Wolfgang Schöns Werkstatt liegt mitten in Wien. Dort fertigte er unter anderem Visitenkarten für Dagmar Koller und Bruno Kreisky

Alle wichtigen heimischen Persönlichkeiten gaben Wolfgang Schön die Hand – jene Hand, mit der er kurz vor dem Druck die Farbe von den Kupferplatten wischt, um daraus herrliche Kunstdrucke oder die schönsten Visitenkarten entstehen zu lassen.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Eine schwere Metalltür trennt Welten, in denen die Uhren ganz unterschiedlich laufen. Auf der einen Seite der Tür befindet sich der Graben in Wien, hektisches Treiben. Die Schönen und Neureichen aus aller Welt hängen wie Geckos an den Auslagen von Juwelieren und stehen vor den Tempeln der Modedesigner Schlange, in der Hoffnung, dass sie der finster blickende Security-Mann im dunklen Anzug bald vorlässt, zum Altar mit der Bankomatkasse, an dem sie ihr Opfer darbringen wollen. Auf der anderen Seite der Tür steht die Welt seit den 1930er-Jahren still.

"Mein Großonkel, Josef Lamser, damals ein berühmter Drucker, hat die Firma 1922 gegründet", erzählt Wolfgang Schön, der in der Werkstatt 1973 zu arbeiten begonnen hat und sie später von seinem Vater übernahm. Seit Mitte der 1930er-Jahre befindet sich die Druckerei in der Naglergasse, fast genau über dem "Schwarzen Kameel", neben der Wohnung von Dagmar Koller.


Wolfgang Schön, 61 Jahre alt, ist mit Leib und Seele Kupferdrucker. In der Werkstatt im Zentrum Wiens stellt seine Familie seit den 1920er-Jahren Visitenkarten her.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Seit damals hat sich hier nicht viel verändert. Die modernsten Gegenstände sind eine Telleruhr mit Quarzwerk aus den 1970er-Jahren, auf der die Ziffer Fünf fehlt. Am Boden: ein elektrischer Heizstrahler, der mindestens so alt ist wie die Uhr. Beides Erbstücke. Wie auch das Nokia 3310, das recht verloren neben Werkzeug auf einem Tisch liegt. Irgendwo muss auch noch ein Faxgerät stehen.

Wolfgang Schön ist ein höchst bescheidener Mann, auch privat. Ja, er hat zu Hause einen Fernseher, ein altes Röhrengerät, aber schon Farbe. Und einen Radio. Beides benutzt er so gut wie nie. Wenn, dann hört er Musik aus der Barockzeit.
Doch nicht in der Werkstatt. Hier ist es mucksmäuschenstill. Nicht einmal der Trubel der Innenstadt dringt durch die alten Fenster, die teilweise mit mattem Papier abgeklebt sind, damit Reflexionen des Tageslichts nicht die Arbeit erschweren.

Visitenkarten
Wolfgang Schön beginnt sein Tagwerk um halb sechs und verlässt die Werkstatt wieder am Nachmittag. Dann geht er raus nach Hernals, zum Friedhof, wo er die Gräber seiner Eltern besucht, besorgt Arbeitsutensilien oder liefert Pakete aus. Meist sind das Visitenkarten oder Kunstdrucke. Der Briefdruck ist kaum noch gefragt.

Visitenkarten führten auch Schön und mich zueinander. Meine Frau schenkte sie mir zum Hochzeitstag. Es ist ein Präsent, das gewisser Planung und Mitarbeit bedarf und wohl das genaue Gegenteil einer Designerhandtasche ist, die man sich aussucht und mitnimmt.
Je nach Auftragslage dauert es Wochen oder Monate, bis man das erste Mal seine Finger sinnlich und beeindruckt über die sanften Erhebungen des Druckes am Papier gleiten lassen kann.

Lange bevor die Fingerballen in diesen besonderen Genuss kommen, färbt sich die Haut über den Knöcheln des Zeigefingers weiß, um an die Metalltür klopfen zu können. Höflich bittet Wolfgang Schön, man möge eintreten, und begleitet einen an einen Tisch mit Resopalplatte. Man solle doch auf einem der Holzstühle Platz nehmen, während er die Musterbücher herholt.

Die historische Einrichtung, die Druckmaschinen aus den 1920er-Jahren, an deren Hebeln sich in einer Hektode der Nutzung dicke Farbklumpen angesammelt haben, sind beeindruckend. Mehr noch aber ist es Wolfgang Schön selbst. Er trägt einen Arbeitsmantel, die Ärmel aufgekrempelt, die Hände schwarz von der Arbeit, und er ist dabei so galant und zuvorkommend, dass ihm ein Frack auch nicht schlechter stehen würde. Er legt eines der Musterbücher geöffnet auf den Tisch.

Man blättert durch die Visitenkarten von Operndiven, Bundeskanzlern, Präsidenten, Künstlern, trifft auf Namen wie Bruno Kreisky und Dagmar Koller-Zilk. Dabei sind die Karten seiner berühmtesten Kunden im Moment gar nicht bei ihm, sondern auf der Schallaburg, wo sie in Der Hände Werk gemeinsam mit einer seiner Druckmaschinen ausgestellt waren.


Wolfgang Schön sticht die Platten für die Visitenkarten selbst.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Doch es geht Wolfgang Schön nicht darum, mit seinen Kunden zu protzen, sondern er will zeigen, aus welchen Schriften man wählen kann, und vielleicht findet man ja ein Design, das einem besonders gut gefällt.

Es ist nicht leicht, aus ihm rauszubekommen, dass auf der stilvollsten Visitenkarte lediglich der Name zu stehen habe, wobei dessen Grundlinie genau die Mitte der Karte ist. Alle weiteren Informationen, die man mit dem Namen weitergeben möchte, schreibt man dann mit Feder auf die Rückseite.
Es ist dies auch eine Aufmerksamkeit, mit der man den Menschen bedenkt, dem man die Karte gibt. Ich habe bis zu meinem zweiten Besuch bei Wolfgang Schön – wir haben uns inzwischen auch Briefkuverts drucken lassen – nur eine Visitenkarte ausgegeben, weil ich sie hüte wie einen Schatz. Doch dieses Geständnis nahm Wolfgang Schön nicht so gerührt auf wie erwartet. "Tun Sie das nicht", sagte er, "bringen Sie besser ein wenig Kultur unter die Leute."

Glaubensfragen
Es ist ihm wichtig, dass alte Handwerke weiterbestehen. Er schätzt seine Kolleginnen und Kollegen, die Traditionen in der Arbeit pflegen. Und er lässt sich über die Schulter schauen. Schließlich ist er stolz auf sein Handwerk. "Man macht sich dreckig, es ist eine schöne Arbeit." Inzwischen ist Wolfgang Schön 61 Jahre alt, "ein alter Hund", wie er sagt und wie es sein Vater seinerzeit auch tat.
Ans Aufhören denkt er nicht. Er will weitermachen, "solange mir Gott das Leben lässt und es noch Leute mit Kulturbewusstsein gibt. Ich mach es gern, ich freu mich, wenn ich hier arbeiten darf."


"Man macht sich dreckig, es ist eine schöne Arbeit", sagt Wolfgang Schön.
Foto: Wolf-Dieter Grabner

Gott gibt ihm Kraft, die Religion ist in der Werkstatt allgegenwärtig. "Ich bemühe mich, christlich zu sein", erklärt er, "der Glauben gibt mir viel Halt und Kraft. Er ist eine große Stütze im Leben, vor allem in schlechten Zeiten." Selbst wenn man ihm das nicht ansieht, harte Zeiten hatte er, auch wenn er nicht darüber spricht.

Allein dass ihn die viele Arbeit einmal gesundheitlich zurückwarf, erzählt er. Erst als er beim Arzt endete, mit einem Blutdruck, der aus einer seiner Pressen stammen könnte, verstand er, dass der Stress nicht zu seinem Handwerk passt. Und auch nicht zu der Art, wie er selbst sein Leben versteht. "Ich brauch nicht viel", sagt er, "ich bin ja nur ein kleiner Handwerker, ein Kupferdrucker. Was zu essen und trinken, ein Gwand, meine Arbeit und ein Dach überm Kopf."

Wer einmal einen seiner Drucke in der Hand hatte oder, noch besser, ihn ein wenig bei der Arbeit beobachten konnte, weiß aber, dass dieser Mann ein Künstler ist. "Nein", wiegelt er energisch ab, "Kupferstecher sind echte Künstler." Dass er die Platten für die Visitenkarten selbst sticht, ist für ihn keine Kunst. Da ist er streng. Wie auch beim Trinkgeld.

Ein solches nimmt er nicht, und allein auf das Angebot reagiert er beleidigt. "Schließen Sie mich in Ihr Abendgebet ein. Damit ist mir mehr geholfen", sagt er, als er mich wieder zur Tür begleitet. Draußen gehe ich einmal ums Haus, schau noch einmal zu seinen Fenstern rauf, bevor mich das Klingeln des Smartphones endgültig wieder ins Jetzt holt.
(Guido Gluschitsch, RONDO, 8.12.2019)
Handwerk: Besuch bei einem der letzten Kupferdrucker - derStandard.at
 
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