London: Geheimtür im britischen Parlament zu 360 Jahre altem Gang entdeckt

josef

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Geheimtür im britischen Parlament führt zu 360 Jahre altem Gang
Der Durchgang zum ältesten Teil des Palace of Westminster wurde 1661 anlässlich der Krönungsfeier von König Charles II. angelegt

Von außen war der Durchgang zur Westminster Hall kaum erkennbar.
Foto: APA/AFP/JESSICA TAYLOR

Im britischen Parlamentsgebäude in London ist bei Renovierungsarbeiten hinter einer unscheinbaren hölzernen Tür ein lange vergessener Geheimgang zum Vorschein gekommen. Der kurze Korridor war 1661 anlässlich der Krönungsfeier von König Charles II. im Unterhaus angelegt worden und diente dem Monarchen und seinen Gästen als Zugang zum Festbankett. Die Passage zweigt von einem Bereich ab, in dem in der Vergangenheit Räumlichkeiten der Labour Party lagen.

Der Palace of Westminster, wie der Sitz des britischen Parlaments an der Themse heißt, war vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit die Residenz der englischen Könige gewesen. Nach einem Brand im Jahr 1529, dem ein Teil der mittelalterlichen Anlage zum Opfer fiel, zog der damalige König Heinrich VIII. aus und überließ den beiden Parlamentskammern und den hohen Gerichten, was von den Gebäuden übrig geblieben war.


Lindsay Hoyle, der Speaker des britischen Unterhauses, erkundet den wiederentdeckten Verbindungsgang.
Foto: APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

Brände und Bombenangriffe
Ein noch viel verheerenderes Feuer zerstörte schließlich am 16. Oktober 1834 weite Bereiche des Palastes. Der imposante neugotische Komplex von heute wurde in den Jahren 1840 bis 1870 errichtet, darunter auch der berühmte Uhrenturm – der Elisabeth Tower – mit der Glocke Big Ben. Von den mittelalterlichen Bauwerken überlebten nur der Jewel Tower aus dem Jahr 1365 und die Westminster Hall, die 1097 gebaut wurde und somit den ältesten noch existierenden Teil des Palastes repräsentiert.

Im Umfeld der Westminster Hall war es auch, wo man nun den 360 Jahre alten geheimen Zugang gefunden hat. Es ist allerdings nicht das erste Mal, dass jemand auf diesen Durchlass aufmerksam wurde: Wissenschafter nehmen nun an, dass das Portal 1950 während der Wiederaufbauarbeiten nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkriegs entdeckt, im Anschluss aber wieder verschlossen worden ist.


Der hinter Paneelen verborgene Tür, vom Inneren des Durchgangs aus gesehen.
Foto: APA/AFP/JESSICA TAYLOR

Verwechslung mit einem Stromkasten
"Wir haben 10.000 nicht katalogisierte Dokumente zum Palast in den Historic England Archives in Swindon durchsucht. Dabei fanden wir Pläne, auf denen eine Tür im Kreuzgang hinter der Westminster Hall eingezeichnet war", erklärte Liz Hallam Smith, Historikerin von der University of York. "Als wir uns die Holzverkleidung vor Ort genau anschauten, stellten wir fest, dass es an einem Paneel ein kleines Schlüsselloch mit Messingeinfassung gab, das offenbar noch niemandem wirklich aufgefallen war. Wir vermuten, alle haben bisher geglaubt, es handle sich hier um einen alten Stromkasten."
Die Forscher ließen sofort einen passenden Schlüssel für das Schloss anfertigen. "Mit dessen Hilfe öffneten wir die Holzverkleidung wie eine Tür und dieser geheime Zugang kam zum Vorschein", berichtet Hallam Smith. "Ich war vor Ehrfurcht erstarrt, denn dieser Fund zeigt, dass der Palast von Westminster noch viele Geheimnisse verbirgt." Anschließende dendrochronologische Tests zeigten, dass die Deckenbalken über dem kleinen Gang von Bäumen stammen, die 1659 gefällt wurden.


Analysen von Materialproben aus der Holzdecke des Verbindungsganges belegen: Der Korridor wurde im 17. Jahrhundert angelegt.
Foto: APA/AFP/JESSICA TAYLOR

Verbindung zum Thronsaal
Dies passt zu den historischen Dokumenten, in denen es heißt, die Passage wurde 1660 oder 1661 für das Krönungsbankett Charles II. geschaffen. In dem Durchgang entdeckten die Historiker unter anderem Scharniere für die ursprünglichen dreieinhalb Meter hohen Türen, die sich einst zur großen Westminster Hall öffneten. Die Nachforschungen ergaben, dass der Verbindungsweg von einem Teil der Prozession benutzt wurde, die vom alten House of Lords in die Halle führte, in der der König und die Königin thronten.

Danach wurde der Durchgang auch bei weiteren Krönungen verwendet, sowie von Abgeordneten auf ihrem Weg zum früheren Sitzungssaal des Unterhauses, der Sankt-Stephans-Kapelle. Unter den Personen, die diesen Durchgang benutzt haben, finden sich einige klingende Namen: So dürfte etwa auch Samuel Pepys durch den Korridor geeilt sein. Der Staatssekretär und Unterhaus-Abgeordnete (1679 – 1688) ist bekannt für sein Tagebuch, in dem er wertvolle Eindrücke vom Leben im London des 17. Jahrhunderts schilderte. Vermutlich waren auch Robert Walpole (1676 – 1745), der erste defacto Premierminister von Großbritannien und William Pitt der Jüngere (1759 – 1806), der jüngste Premier der englischen Geschichte, hier unterwegs gewesen.

Kuriose Graffiti
1807 ließ man den Zugang verschließen. Nur wenige Jahre später, nach dem großen Brand von 1834, wurde er von dem Architekten Sir Charles Barry wieder freigelegt. Zu dieser Zeit war er für die Abgeordneten eine willkommene Möglichkeit, zu ihren vorübergehenden Unterkünften zu gelangen, während ein Großteil des Palastes eine Baustelle war. 1851 vermauerte man den Durchgang erneut und er geriet schließlich in Vergessenheit. Kuriose Zeugnisse für dieses Ereignis vor 169 Jahren fanden die Forscher bei den aktuellen Untersuchungen: Einige Maurer, die an den Arbeiten beteiligt waren, hatten sich mit Bleistift neben der frisch vermauerten Türöffnung verewigt. Einer davon brachte seine Getränkevorliebe zum Ausdruck: "Dieser Raum wurde von Tom Porter verschlossen, der altes Ale ('Ould Ale') sehr liebte."


169 Jahre alte Bleistift-Graffiti.
Foto: APA/AFP/DANIEL LEAL-OLIVAS

Und wieder vergessen
Reparaturarbeiten an Gebäudeschäden, die bei Bombenangriffen im Jahr 1940 verursacht wurden, brachten die Passage 1950 für kurze Zeit nochmals ans Licht. Bei dieser Gelegenheit wurde eine kleine geheime Zugangstür mit einem Messingschloss daran in die Holzverkleidung des Westkreuzgangs eingesetzt. Aufgrund der subtilen Bauweise blieb die Tür weitgehend unsichtbar – und der Durchgang zur Westminster Hall verschwand ein weiteres Mal für 70 Jahre aus dem Bewusstsein der Menschen.
(tberg, 1.3.2020)

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