"Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung" unter neuer Führung

josef

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"Hofübergabe" beim "L.Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung in Graz
1991 gründete der Historiker Stefan Karner, Mitbegründer des Hauses der Geschichte in St. Pölten, das Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz. Jetzt übergab er es an seine Nachfolgerin:

Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx hat die Leitung über das Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung in Graz übernommen. 2018 feiert das Institut 25-jähriges Bestehen - immer bietet es Hilfe für Menschen.

Das Ludwig-Boltzmann-Institut ist 25 Jahre nach seiner Gründung immer noch wichtige Anlaufstelle für Menschen, die ihre Vorfahren suchen - oft verlieren sich ihre Spuren im Zweiten Weltkrieg.

Dass die Archive des Instituts weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben, ist Barbara Stelzl-Marx besonders wichtig: So können zum Beispiel die Nachfahren ehemaliger Besatzungskinder nach ihren Wurzeln suchen.

Weites Forschungsgebiet
Die Österreicher in russischer Kriegsgefangenschaft, Russen, die als Zwangsarbeiter in Österreich arbeiteten, oder auch 20.000 Besatzungskinder, die ohne Vater aufwuchsen - all diese Themen sind Gegenstand der Forschung im Grazer Boltzmann-Institut. In diesen Bereichen konnte auch einiges erreicht werden: 1991 gelang es Stefan Karner - dem Gründer des Instituts - als erstem westlichen Historiker Geheimakten aus Moskauer Archiven zu besorgen.

Unzählige Publikationen
Die 15 Institutsmitarbeiter haben in den letzten Jahren 100 Bücher und unzählige wissenschaftliche Artikel veröffentlicht. Vernetzt ist das Ludwig Bolztmann-Institut mit 30 internationalen Kooperationspartnern.

Für eine Ausstellung in Niederösterreich hatte man etwa auf das Orignal des Staatsvertrags Zugriff: „Das war natürlich eine große Sensation, dass wir wirklich das Original des Staatsvertrages das erste Mal seit 1955 aus Moskau nach Österreich bringen und im Rahmen dieser Ausstellung zeigen konnten“, zeigte sich Barbara Stelzl-Marx begeistert.

Nächste Ausstellung im November
Das Lager Liebenau wird das Thema der nächsten Ausstellung des Grazer Kriegsforschungs-Instituts - sie findet im November im Stadtmuseum Graz statt.

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Publiziert am 03.03.2018
 

josef

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#2
Historikerin Barbara Stelzl-Marx ist Wissenschaftlerin des Jahres

Das Leben von Besatzungskindern und Rotarmisten in Österreich sowie die Geschichte eines NS-Lagers in Graz: Die Historikerin Barbara Stelzl-Marx forscht zu einer Reihe gesellschaftsrelevanter Themen, nun wurde sie zur Wissenschaftlerin des Jahres gewählt.

Mit dieser Auszeichnung würdigt der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten Forscher, die ihre Arbeit leicht verständlich und spannend vermitteln können - und damit zum guten Image von Forschung und Wissenschaft in der Öffentlichkeit beitragen.

„Kriege hören nicht auf, wenn die Waffen schweigen. Sie haben eine Vorgeschichte und Folgen, die sich auch auf die nächsten Generationen auswirken – vielfach auf den ersten Blick unsichtbar, aber dennoch subkutan eingeschrieben sowohl in die Biografien als auch in die Landschaften“, sagt Stelzl-Marx gegenüber Ö1. „Im Sinne des ‚Nie mehr wieder!‘ ist es wichtig, diese Forschungen zu betreiben und zu vermitteln.“

In Moskau, als gegen Gorbatschow geputscht wurde
Ihr ursprüngliches Interesse galt primär den Sprachen und so studierte die am 10. April 1971 in Graz geborene Stelzl-Marx Anglistik, Russisch und Geschichte in ihrer Heimatstadt, in der Folge auch in Oxford, Stanford, Wolgograd und Moskau. Diese Auslandsaufenthalte waren prägend für ihre wissenschaftlichen Interessen. 1991 etwa war sie in Moskau, als gegen Michail Gorbatschow geputscht wurde.

Ein Jahr später kam es am Flughafen von Wolgograd zu einer folgenschweren Begegnung: Die Studentin traf dort den Grazer Historiker Stefan Karner, der kurz davor Zutritt zu ehemals sowjetischen Archiven bekommen hatte: „Er sagte: Wenn Sie zurück sind, schauen Sie doch einmal auf der Uni vorbei“, erinnerte sich Stelzl-Marx im Gespräch mit der APA an das Treffen und die damit verbundene Hoffnung auf einen Sommerjob in Moskau.


APA - Herbert Neubauer
Stelzl-Marx bei der Preisverleihung in Wien

Aus dem vermeintlichen Ferialjob sollte eine Lebensstellung werden: Sie begann am neugegründeten Ludwig Boltzmann-Institut (LBI) für Kriegsfolgenforschung als wissenschaftliche Mitarbeiterin, arbeitet dort später als Postdoc und wurde 2002 Karners Stellvertreterin. Im Frühjahr 2018 folgte sie dem in Ruhestand getretenen Gründer an der Spitze des Instituts und übernahm Anfang 2019 an der Universität Graz eine Professur für europäische Zeitgeschichte mit dem Schwerpunkt Konflikt- und Migrationsforschung.

Stalins Soldaten in Österreich
Bereits in ihrer Dissertation (Promotion 1998 an der Uni Graz) hatte sich Stelzl-Marx, die auch Vizepräsidentin der Österreichischen UNESCO-Kommission ist, „Amerikanischen und sowjetischen Kriegsgefangenen in deutscher Hand“ gewidmet. Für ihre Habilitation (2010) wechselte sie die Perspektive und beleuchtete erstmals die „Innensicht der sowjetischen Besatzung in Österreich 1945-1955“.

„Die österreichische Seite der Besatzungszeit war ja bekannt, ich wollte mich aber dem Alltag der Rotarmisten in Österreich widmen, was es für sie bedeutete, in ein gerade noch feindliches, westliches, kapitalistisches Land zu kommen und über den kommunistischen Tellerrand hinauszuschauen“, so die Historikerin, die ihre Habil 2012 auch als preisgekröntes Buch („Stalins Soldaten in Österreich“) veröffentlichte.

Kinder des Kriegs
Aus dieser Arbeit ergaben sich weitere Forschungsprojekte, etwa zu den Besatzungs- bzw. Befreiungskindern. Stelzl-Marx erinnert sich an die erste internationale Konferenz dazu im Jahr 2012 in Wien, als Betroffene erkannten, dass sie nicht alleine seien. „Da ist eine Frau zu mir gekommen und hat gesagt, sie habe zum ersten Mal in ihrem Leben andere Besatzungskinder getroffen und bisher immer gedacht, sie sei das einzige Kind eines alliierten Soldaten weit und breit.“ Als Folge dieser Enttabuisierung hätten sich Netzwerke von Menschen mit einer ähnlichen Herkunft entwickelt, die sich nun austauschen und gegenseitig stärken können.

Auszeichnung seit 1994
Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten vergibt seit 1994 jährlich den Titel des Wissenschaftlers des Jahres. Er zeichnet damit nicht die wissenschaftliche Qualität der Preisträger aus, sondern ihre Fähigkeit, ihre Arbeit einer breiten Öffentlichkeit verständlich vermitteln zu können.

Zwangsarbeiterlager Graz-Liebenau
Stelzl-Marx findet es spannend, Themen zu bearbeiten, „die nicht nur wissenschaftlich interessant sind, sondern auch gesellschaftliche Relevanz haben“. In diesem Zusammenhang nennt sie ihre Forschungen zum Lager Graz-Liebenau, einer Zwischenstation ungarischer Juden auf dem Weg ins Konzentrationslager Mauthausen im April 1945. 2018 gestaltete sie im GrazMuseum eine Ausstellung zu dem früher praktisch unbekannten Lager, das mittlerweile „Teil des kollektiven Gedächtnisses“ der Stadt geworden sei.


Peter Purgar
Barbara Stelzl-Marx 2019 bei einer Buchpräsentation

Abgesehen vom Lager Liebenau läuft an ihrem Institut eine Fülle an Forschungsprojekten zu den vier Programmlinien Weltkriege, Kalter Krieg, Kinder des Krieges und Migration. Die Themen reichen von den Grazer Straßennamen über den Umgang mit unsichtbaren Teilen der Vergangenheit wie lagerähnlichen Einrichtungen bis zu Spionage, dem Zerfall des Ostblocks 1989 oder der Ost-Politik in der Breschnew-Ära. Im Zusammenhang mit 75 Jahre Kriegsende im Jahr 2020 wird u. a. das Buch „The Red Army in Austria“ in Harvard erscheinen.

Nicht an die Gläserne Decke gestoßen
Privat verbringt die Mutter eines Volksschulkindes gerne Zeit mit ihrer Familie und Freunden, mit Reisen, Lesen und Wandern, Schwimmen, Radfahren und Yoga. Auf ihrem Karriereweg scheint sie nie an die berüchtigten „Gläsernen Decken“ gestoßen zu sein. Sie habe aber das große Glück gehabt, am Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung auf optimale Rahmenbedingungen gestoßen zu sein: „Am Institut hatte ich von Anfang an die Möglichkeit, innovative Forschungsthemen in einer offenen und flexiblen Umgebung aufgreifen und bearbeiten zu können. Das Besondere dabei war, dass ich mich vorwiegend auf die Forschung konzentrieren konnte.“

Sie sei auch für die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren dankbar, sagte Stelzl-Marx und nannte konkret den Abschluss der Partnerschaft mit der Universität Graz und der Stadt Graz, die Übergabe der Institutsleitung und die Professur an der Uni Graz - „das bietet viel Potential für weitere relevante Forschungen“.

Links

Mehr zu Arbeiten von Stelzl-Marx:
Publiziert am 07.01.2020, Historikerin Barbara Stelzl-Marx - science.ORF.at
 
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