Nazi-Menschenversuche
Wilhelm Beiglböck und die Meerwassertrinkversuche im KZ Dachau
Der Internist war der einzige Österreicher, der beim Nürnberger Ärzteprozess angeklagt war. Seine Experimente waren unmenschlich und unnötig.
Ein Gastbeitrag von Edzard Ernst
17. August 2024, 06:00
Wilhelm Beiglböck verteidigt sich beim Nürnberger Ärzteprozess. Dort wird er von einem seiner Opfer attackiert.
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Ein deutliches Raunen ging durch die Zuschauerreihen des Justizpalasts in Nürnberg, als der Zeuge plötzlich auf den Angeklagten zustürmte, ihm einen heftigen Faustschlag ins Gesicht versetzte und ausrief: "Dieser Lump hat mein Leben ruiniert!" Der Zeuge war Karl Höllenreiner, und bei dem Angeklagten handelte es sich um den österreichischen Arzt Wilhelm Beiglböck. Die dramatische Szene trug sich am 27. Juni 1947 während des Nürnberger Ärzteprozesses zu, dessen Verhandlungen seit Dezember 1946 liefen.
Bericht in der österreichischen Zeitung "Weltpresse" (vom 28. Juni 1947) über den Faustschlag, den Beiglböck erhielt.
ÖNB, Anno
Was war der Hintergrund für diesen Eklat? Und wer waren dessen Protagonisten? Wilhelm Beiglböck wurde am 10. Oktober 1905 in Hochneukirchen, Niederösterreich, geboren. Er ging in Melk zur Schule, studierte anschließend Medizin in Wien und Graz, wo er Burschenschafter der Moldavia in Wien (Wahlspruch "Einig und frei, deutsch und treu") und der Germania in Graz wurde. Aus dieser Zeit stammen auch die deutlich sichtbaren Schmisse in seinem Gesicht.
Nach Studienabschluss arbeitete Beiglböck zunächst unter Franz Chvostek an der III. Medizinischen Universitätsklinik und ab Mai 1934 als Assistent seines späteren Mentors, Hans Eppinger, an der I. Medizinischen Universitätsklinik in Wien. 1937 heiratete Beiglböck die Ärztin Margarethe Orthner (1911–1979), mit der er einen Sohn hatte. 1938 wurde Beiglböck zum Facharzt für Innere Medizin ernannt und habilitierte sich ein Jahr darauf. Auf ausdrücklichen Wunsch Eppingers wurde er 1943 zum außerordentlichen Professor ernannt.
Beiglböck war überzeugter Nationalsozialist. Schon vor dem "Anschluss" war er illegales Mitglied der NSDAP und der SA. Er leitete eine Notaufnahme für NS-Straßenkämpfer und war Mitglied des NS-Ärztebundes. Danach machte Beiglböck Karriere: 1939 wurde er zum Sekretär der "Gesellschaft für menschliche Erbbiologie", 1940 zum Referenten für Ernährungsfragen im Gesundheitsamt der Stadt Wien, 1941 zum Stabsarzt der Luftwaffe und 1944 zum Dozentenführer bestellt.
Lebensgefährliche Qualen
Auf Vorschlag Eppingers erhielt Beiglböck die Ernennung zum verantwortlichen Arzt für die Meerwassertrinkversuche im Konzentrationslager Dachau. Ihr Ziel war es, Seewasser für Soldaten in Seenot trinkbar zu machen und so ihre Überlebenschancen zu verbessern. Hierfür standen zwei Verfahren zur Diskussion. Die von Eppinger bevorzugte sogenannte "Berkatit"-Methode beruhte auf der Überdeckung des salzigen Geschmacks des Wassers durch Beifügung eines Tomatenextrakts.
Beiglböck (links) mit seinem Verteidiger Gustav Steinbauer während des Nürnberger Ärzteprozesses.
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Aufgrund des osmotischen Gefälles war zu erwarten, dass dieses Verfahren zu einer lebensgefährlichen Schädigung innerer Organe führen würde: Im Körper würde die hohe Salzkonzentration außerhalb der Zellen dafür sorgen, dass Wasser von innerhalb nach außen abgegeben wird, um dies auszugleichen, und dabei die Zellen austrocknen.
Eine weitere, kostspieligere, effektivere und weniger gefährliche Methode, die tatsächlich den Salzgehalt des Wassers reduzierte, war für das Unternehmen IG Farben entwickelt worden. Trotz der offenkundigen Überlegenheit dieser Methode und der vorhersehbaren Gefährlichkeit des Berkatit-Verfahrens bestand Eppinger darauf, Experimente durchzuführen und einen direkten Vergleich am Menschen anzustellen. Das Problem, so meinen jedoch Experten heute, wäre ohne weiteres auch ohne Menschenversuche zu lösen gewesen.
Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte Versuche an KZ-Häftlingen höchstpersönlich genehmigt und gefördert. Als Versuchspersonen dienten 40 bis 60 Roma und Sinti. Laut Forschungsprotokoll wurden sie in vier Experimentalgruppen und eine Kontrollgruppe aufgeteilt:
Die Ergebnisse, obschon unzuverlässig (die Häftlinge gelangten heimlich an Süßwasser), bestätigten die Unterlegenheit der Berkatit-Methode. Beiglböck gab später zu, dass die Versuchspersonen an Krämpfen, Delirium und extremem Durst gelitten hatten, bestand aber darauf, dass es keine Todesfälle gegeben hatte.
Nach dem Krieg erkannte ein ehemaliger Dachauer Häftling in einem britischen Gefangenenlager Beiglböck, der sich als einziger österreichischer Arzt im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 zu verantworten hatte. Anfang 1947 leitete auch die Wiener Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Beiglböck wegen Kriegsverbrechen, Misshandlung und Quälereien sowie Verletzung der Menschenwürde ein, das jedoch bald eingestellt wurde.
Der deutsche Sinto Karl Höllenreiner, der Beiglböck später attackierte, war Ende Mai 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert worden, wo ein bestimmter Abschnitt von den Nationalsozialisten als "Zigeunerlager Auschwitz" bezeichnet wurde. Nachdem dieser Teil kurze Zeit später aufgelöst wurde – der Großteil der Verhafteten wurde ermordet –, kam Höllenreiner ins KZ Buchenwald und von dort als Versuchsperson ins KZ Dachau. Er beschrieb 1947 das Experiment aus seiner Sicht mit folgenden Worten:
Der Mediziner (Mitte) beim Nürnberger Ärzteprozess. Der Internist aus Österreich bekennt sich "nicht schuldig".
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Im Nürnberger Ärzteprozess wurde Beiglböck zunächst zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde das Urteil auf zehn Jahre Zuchthaus reduziert. Während des Prozesses diffamierte Beiglböck Zeugen, die ihn belasteten, und manipulierte Belastungsmaterial, bevor er es dem Gericht übergab. Er entfernte unter anderem die Namen von Versuchspersonen, um zu verhindern, dass Zeugen ausfindig gemacht werden konnten. Außerdem fälschte er Versuchsdaten und klinische Fallbeschreibungen.
Höllenreiner wurde nach seiner Attacke auf Beiglböck zu 90 Tagen Gefängnis verurteilt, kam jedoch bald auf Bewährung frei.
Hilfe von deutschen Internisten
Beiglböck wurde Ende 1951 vorzeitig aus dem Landsberger Gefängnis entlassen, nicht zuletzt wegen der massiven Fürsprache der "Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin" (DGIM) und einiger ihrer prominenten Mitglieder. Sie hatten Beiglböck durch diverse Gutachten und Stellungnahmen entlastet. Unter anderem wurde behauptet, die Häftlinge hätten sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Dokumentiert ist jedoch, dass Beiglböck mindestens eine Versuchsperson mit gezogener Pistole zur Teilnahme zwang.
Nach Beiglböcks Haftentlassung verschaffte ihm Ludwig Heilmeyer eine Assistentenstelle an der Freiburger Universitätsklinik. Bald darauf wurde Beiglböck Chefarzt am Krankenhaus Buxtehude, wo Dietrich Allers, der zuvor Geschäftsführer der "Euthanasie"-Zentrale in der berüchtigten Aktion T4 gewesen war, die Verwaltung leitete. In der Folgezeit betätigte sich Beiglböck auch weiterhin als Wissenschafter: In den 1950er-Jahren publizierte er rund 20 Arbeiten in deutschsprachigen medizinischen Zeitschriften.
Die Staatsanwaltschaft von Bückeburg leitete 1959/60 ein erneutes Ermittlungsverfahren gegen Beiglböck ein, das jedoch bald eingestellt wurde. Die DGIM bestand darauf, dass Beiglböck stets ein vorbildlicher Arzt gewesen sei, und wählte ihn 1956 sogar in den Vorstand. Als er 1962 auf Einladung der Österreichischen Ärztekammer einen Vortrag in Wien halten wollte, meldete sich heftiger Widerstand seitens der SPÖ und der Israelitischen Kultusgemeinde; die Vortragseinladung musste daraufhin zurückgezogen werden.
Mord oder Suizid?
Wilhelm Beiglböck starb am 22. November 1963 in Buxtehude. Die Umstände seines Todes legen einen Selbstmord oder Mord nahe. Er wurde leblos auf der Treppe seines Hauses aufgefunden. Die "Stille Hilfe" – eine 1951 gegründete Organisation zur Unterstützung von ehemaligen SS-Mitgliedern – war in seinem Testament als Haupterbin vorgesehen. Ein Vertreter der Landesärztekammer erklärte bei der Trauerfeier, Beiglböck sei "nach dem Krieg in ein Räderwerk des Hasses geraten, das keine Gerechtigkeit kannte".
(Edzard Ernst, 17.8.2024)
Edzard Ernst ist deutsch-britischer Mediziner und Emeritusprofessor der University of Exeter. Er hatte dort die erste Professur für die Erforschung von Alternativmedizin in Großbritannien inne. Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von Gesund ohne Pillen – was kann die Alternativmedizin? (mit Simon Singh), und hat sich im Lauf seiner Karriere immer wieder mit NS-Medizin und ihren Nachwirkungen (auch an der Uni Wien) beschäftigt.
Wilhelm Beiglböck und die Meerwassertrinkversuche im KZ Dachau
Wilhelm Beiglböck und die Meerwassertrinkversuche im KZ Dachau
Der Internist war der einzige Österreicher, der beim Nürnberger Ärzteprozess angeklagt war. Seine Experimente waren unmenschlich und unnötig.
Ein Gastbeitrag von Edzard Ernst
17. August 2024, 06:00
Wilhelm Beiglböck verteidigt sich beim Nürnberger Ärzteprozess. Dort wird er von einem seiner Opfer attackiert.
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Ein deutliches Raunen ging durch die Zuschauerreihen des Justizpalasts in Nürnberg, als der Zeuge plötzlich auf den Angeklagten zustürmte, ihm einen heftigen Faustschlag ins Gesicht versetzte und ausrief: "Dieser Lump hat mein Leben ruiniert!" Der Zeuge war Karl Höllenreiner, und bei dem Angeklagten handelte es sich um den österreichischen Arzt Wilhelm Beiglböck. Die dramatische Szene trug sich am 27. Juni 1947 während des Nürnberger Ärzteprozesses zu, dessen Verhandlungen seit Dezember 1946 liefen.
Bericht in der österreichischen Zeitung "Weltpresse" (vom 28. Juni 1947) über den Faustschlag, den Beiglböck erhielt.
ÖNB, Anno
Was war der Hintergrund für diesen Eklat? Und wer waren dessen Protagonisten? Wilhelm Beiglböck wurde am 10. Oktober 1905 in Hochneukirchen, Niederösterreich, geboren. Er ging in Melk zur Schule, studierte anschließend Medizin in Wien und Graz, wo er Burschenschafter der Moldavia in Wien (Wahlspruch "Einig und frei, deutsch und treu") und der Germania in Graz wurde. Aus dieser Zeit stammen auch die deutlich sichtbaren Schmisse in seinem Gesicht.
Nach Studienabschluss arbeitete Beiglböck zunächst unter Franz Chvostek an der III. Medizinischen Universitätsklinik und ab Mai 1934 als Assistent seines späteren Mentors, Hans Eppinger, an der I. Medizinischen Universitätsklinik in Wien. 1937 heiratete Beiglböck die Ärztin Margarethe Orthner (1911–1979), mit der er einen Sohn hatte. 1938 wurde Beiglböck zum Facharzt für Innere Medizin ernannt und habilitierte sich ein Jahr darauf. Auf ausdrücklichen Wunsch Eppingers wurde er 1943 zum außerordentlichen Professor ernannt.
Beiglböck war überzeugter Nationalsozialist. Schon vor dem "Anschluss" war er illegales Mitglied der NSDAP und der SA. Er leitete eine Notaufnahme für NS-Straßenkämpfer und war Mitglied des NS-Ärztebundes. Danach machte Beiglböck Karriere: 1939 wurde er zum Sekretär der "Gesellschaft für menschliche Erbbiologie", 1940 zum Referenten für Ernährungsfragen im Gesundheitsamt der Stadt Wien, 1941 zum Stabsarzt der Luftwaffe und 1944 zum Dozentenführer bestellt.
Lebensgefährliche Qualen
Auf Vorschlag Eppingers erhielt Beiglböck die Ernennung zum verantwortlichen Arzt für die Meerwassertrinkversuche im Konzentrationslager Dachau. Ihr Ziel war es, Seewasser für Soldaten in Seenot trinkbar zu machen und so ihre Überlebenschancen zu verbessern. Hierfür standen zwei Verfahren zur Diskussion. Die von Eppinger bevorzugte sogenannte "Berkatit"-Methode beruhte auf der Überdeckung des salzigen Geschmacks des Wassers durch Beifügung eines Tomatenextrakts.
Beiglböck (links) mit seinem Verteidiger Gustav Steinbauer während des Nürnberger Ärzteprozesses.
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Aufgrund des osmotischen Gefälles war zu erwarten, dass dieses Verfahren zu einer lebensgefährlichen Schädigung innerer Organe führen würde: Im Körper würde die hohe Salzkonzentration außerhalb der Zellen dafür sorgen, dass Wasser von innerhalb nach außen abgegeben wird, um dies auszugleichen, und dabei die Zellen austrocknen.
Eine weitere, kostspieligere, effektivere und weniger gefährliche Methode, die tatsächlich den Salzgehalt des Wassers reduzierte, war für das Unternehmen IG Farben entwickelt worden. Trotz der offenkundigen Überlegenheit dieser Methode und der vorhersehbaren Gefährlichkeit des Berkatit-Verfahrens bestand Eppinger darauf, Experimente durchzuführen und einen direkten Vergleich am Menschen anzustellen. Das Problem, so meinen jedoch Experten heute, wäre ohne weiteres auch ohne Menschenversuche zu lösen gewesen.
Der Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte Versuche an KZ-Häftlingen höchstpersönlich genehmigt und gefördert. Als Versuchspersonen dienten 40 bis 60 Roma und Sinti. Laut Forschungsprotokoll wurden sie in vier Experimentalgruppen und eine Kontrollgruppe aufgeteilt:
- Gruppe 1 sollte weder Nahrung noch Flüssigkeit zu sich nehmen, was bei gesunden Menschen über vier bis sechs Tage ohne ernste Folgen möglich ist.
- Gruppe 2 sollte täglich 0,5 Liter Meerwasser trinken.
- Gruppe 3 sollte Berkatit-Wasser trinken sowie Notrationen essen, die Versuche dauerten vier bis fünf Tage an.
- Gruppe 4 sollte das nach IG-Farben-Prozedur aufbereitete Wasser trinken; die maximale Versuchsdauer lag hier bei zwölf Tagen.
- Eine Kontrollgruppe durfte normales Wasser in beliebiger Menge trinken.
Die Ergebnisse, obschon unzuverlässig (die Häftlinge gelangten heimlich an Süßwasser), bestätigten die Unterlegenheit der Berkatit-Methode. Beiglböck gab später zu, dass die Versuchspersonen an Krämpfen, Delirium und extremem Durst gelitten hatten, bestand aber darauf, dass es keine Todesfälle gegeben hatte.
Nach dem Krieg erkannte ein ehemaliger Dachauer Häftling in einem britischen Gefangenenlager Beiglböck, der sich als einziger österreichischer Arzt im Nürnberger Ärzteprozess 1946/47 zu verantworten hatte. Anfang 1947 leitete auch die Wiener Staatsanwaltschaft ein Verfahren gegen Beiglböck wegen Kriegsverbrechen, Misshandlung und Quälereien sowie Verletzung der Menschenwürde ein, das jedoch bald eingestellt wurde.
Der deutsche Sinto Karl Höllenreiner, der Beiglböck später attackierte, war Ende Mai 1944 verhaftet und nach Auschwitz deportiert worden, wo ein bestimmter Abschnitt von den Nationalsozialisten als "Zigeunerlager Auschwitz" bezeichnet wurde. Nachdem dieser Teil kurze Zeit später aufgelöst wurde – der Großteil der Verhafteten wurde ermordet –, kam Höllenreiner ins KZ Buchenwald und von dort als Versuchsperson ins KZ Dachau. Er beschrieb 1947 das Experiment aus seiner Sicht mit folgenden Worten:
"Während dieser Experimente hatte ich furchtbare Durstanfälle, fühlte mich sehr krank, verlor stark an Gewicht und zum Schluss bekam ich Fieber und fühlte mich so schwach, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. (...) Ich erinnere mich noch genau an eine Szene, wo ein tschechoslowakischer Zigeuner den Doktor der Luftwaffe gebeten hat, dass er unmöglich noch mehr Wasser trinken könnte. Dieser tschechoslowakische Zigeuner wurde daraufhin auf Anordnung von dem Doktor der Luftwaffe an ein Bett festgebunden, der Doktor der Luftwaffe goss diesem Zigeuner persönlich mittels einer Magenpumpe gewalttätig das Seewasser herunter. Während der Experimente erhielten die meisten Zigeuner Leber- und Rückenmarkpunktionen. Ich selbst habe eine Leberpunktion erhalten und weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass diese Punktionen furchtbar schmerzhaft waren. Noch heute, wenn das Wetter wechselt, fühle ich starke Schmerzen, wo die Leberpunktion durchgeführt wurde. Alle Leber- sowie Rückenmarkpunktionen wurden von dem Doktor der Luftwaffe persönlich durchgeführt ... (...) Von den ursprünglich 40 Mann hat einer, wie bereits erwähnt, die Versuche nur wenige Tage mitgemacht. Drei waren so dem Tode nah, dass man sie am selben Abend auf Tragbahren, mit weißen Tüchern abgedeckt, herausgetragen hat. Von diesen drei habe ich niemals wieder etwas gehört."
Eindeutige Beweise für den Tod von Versuchspersonen wurden jedoch nie gefunden – wohl nicht zuletzt deshalb, weil Beiglböck später die Unterlagen fälschte. Drei der Häftlinge starben später im KZ, unabhängig von Beiglböcks Experimenten.Der Mediziner (Mitte) beim Nürnberger Ärzteprozess. Der Internist aus Österreich bekennt sich "nicht schuldig".
Gemeinfrei, USHMM, National Archives
Im Nürnberger Ärzteprozess wurde Beiglböck zunächst zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Später wurde das Urteil auf zehn Jahre Zuchthaus reduziert. Während des Prozesses diffamierte Beiglböck Zeugen, die ihn belasteten, und manipulierte Belastungsmaterial, bevor er es dem Gericht übergab. Er entfernte unter anderem die Namen von Versuchspersonen, um zu verhindern, dass Zeugen ausfindig gemacht werden konnten. Außerdem fälschte er Versuchsdaten und klinische Fallbeschreibungen.
Höllenreiner wurde nach seiner Attacke auf Beiglböck zu 90 Tagen Gefängnis verurteilt, kam jedoch bald auf Bewährung frei.
Hilfe von deutschen Internisten
Beiglböck wurde Ende 1951 vorzeitig aus dem Landsberger Gefängnis entlassen, nicht zuletzt wegen der massiven Fürsprache der "Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin" (DGIM) und einiger ihrer prominenten Mitglieder. Sie hatten Beiglböck durch diverse Gutachten und Stellungnahmen entlastet. Unter anderem wurde behauptet, die Häftlinge hätten sich freiwillig zur Verfügung gestellt. Dokumentiert ist jedoch, dass Beiglböck mindestens eine Versuchsperson mit gezogener Pistole zur Teilnahme zwang.
Nach Beiglböcks Haftentlassung verschaffte ihm Ludwig Heilmeyer eine Assistentenstelle an der Freiburger Universitätsklinik. Bald darauf wurde Beiglböck Chefarzt am Krankenhaus Buxtehude, wo Dietrich Allers, der zuvor Geschäftsführer der "Euthanasie"-Zentrale in der berüchtigten Aktion T4 gewesen war, die Verwaltung leitete. In der Folgezeit betätigte sich Beiglböck auch weiterhin als Wissenschafter: In den 1950er-Jahren publizierte er rund 20 Arbeiten in deutschsprachigen medizinischen Zeitschriften.
Die Staatsanwaltschaft von Bückeburg leitete 1959/60 ein erneutes Ermittlungsverfahren gegen Beiglböck ein, das jedoch bald eingestellt wurde. Die DGIM bestand darauf, dass Beiglböck stets ein vorbildlicher Arzt gewesen sei, und wählte ihn 1956 sogar in den Vorstand. Als er 1962 auf Einladung der Österreichischen Ärztekammer einen Vortrag in Wien halten wollte, meldete sich heftiger Widerstand seitens der SPÖ und der Israelitischen Kultusgemeinde; die Vortragseinladung musste daraufhin zurückgezogen werden.
Mord oder Suizid?
Wilhelm Beiglböck starb am 22. November 1963 in Buxtehude. Die Umstände seines Todes legen einen Selbstmord oder Mord nahe. Er wurde leblos auf der Treppe seines Hauses aufgefunden. Die "Stille Hilfe" – eine 1951 gegründete Organisation zur Unterstützung von ehemaligen SS-Mitgliedern – war in seinem Testament als Haupterbin vorgesehen. Ein Vertreter der Landesärztekammer erklärte bei der Trauerfeier, Beiglböck sei "nach dem Krieg in ein Räderwerk des Hasses geraten, das keine Gerechtigkeit kannte".
(Edzard Ernst, 17.8.2024)
Edzard Ernst ist deutsch-britischer Mediziner und Emeritusprofessor der University of Exeter. Er hatte dort die erste Professur für die Erforschung von Alternativmedizin in Großbritannien inne. Er ist Autor zahlreicher Bücher, unter anderem von Gesund ohne Pillen – was kann die Alternativmedizin? (mit Simon Singh), und hat sich im Lauf seiner Karriere immer wieder mit NS-Medizin und ihren Nachwirkungen (auch an der Uni Wien) beschäftigt.
Wilhelm Beiglböck und die Meerwassertrinkversuche im KZ Dachau