"Motorisiertes Vorankommen" nach Kriegsende

josef

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#1
So fuhr Österreich in die Zweite Republik
Das Land war ein Trümmerhaufen, an motorisiertes Vorankommen war nach Kriegsende erstmal kaum zu denken. Erinnerungen anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der Wiedergeburt
Mein persönlicher Einstieg in die wahre Autowelt begann am 7. Mai 1945 in Seewalchen am Attersee, wohin es uns als Ausgebombte aus Wien verschlagen hatte. Gegen Mittag plötzlich Motorenlärm auf der bisher leeren Seestraße, Nervosität unter den Bewohnern der umliegenden Häuser, "die Amis sind da".

Für uns Jugendliche dagegen begann eine faszinierende Zeit. Eine endlose Kolonne amerikanischer Militärfahrzeuge, die uns dann mindestens zehn Jahre lang täglich begleiten sollten, rollte vorbei – "America first", würde ein späterer Präsident sagen.

Wie ein Scherz wirkte damals das Führungsauto, ein erbeuteter Opel-Blitz-Lastwagen der Wehrmacht, noch mit den Nummernschildern "WL" (Wehrmacht-Luftwaffe) versehen. Auf den beiden vorderen Kotschützern zwei GIs mit umgehängter Maschinenpistole, am Ärmel das Zeichen der Rainbow-Division aus New York.


Das US-Hauptquartier in Wien in der Nationalbank
Foto: PictureDesk

Von diesem Moment an dominierten rund um den Attersee die Fahrzeuge der Amerikaner, die sich in den schönsten Seevillen einquartiert hatten.

Kaum herrschte Frieden und gab es keine Angst mehr vor Beschlagnahme durch Organe des Dritten Reiches – wer konnte, hatte vielfach seine motorisierte Gerätschaft vor fremden Augen verborgen –, versuchten auch Einheimische wieder, ihre fahrbaren Untersätze zu bewegen. Ein Molkereibesitzer aus Wien etwa rollte seinen Steyr-Opel, Baujahr 1932 (mit 1,2-Liter-Motor und 22 PS), aus der Garage, einen von 496 in Lizenz gebauten Einheiten.

Plötzlich auch stand vor einer Villa das Prachtstück eines Steyr- 220-Cabrios mit Gläser-Karosse, 6-Zylinder-Motor und 55 PS, doch die Amerikaner hatten nur Sehnsucht nach Mercedes-Modellen.

Benzin blieb in diesen ersten Monaten nach Kriegsende ein Illusionsprodukt, Holzgas war aber noch en vogue. Mit einer Schulfreundin durfte ich den Fiat 1100 L ihrer Mutter besteigen, noch in wüsten Tarnfarben. Sie arbeitete als Dolmetscherin für die US-Besatzer, den Wagen hatte der Arbeitgeber irgendwo "gefunden".


Der nach Wien zurückgeholte Feuerwehrfuhrpark auf dem Rathausplatz.
Foto: ÖNB

Um die Wirtschaft, nach heutiger Corona-Diktion, "hochzufahren", benötigten die Gemeinden Nutzfahrzeuge, Seewalchen bekam zwar einen Feuerwehrwagen Baujahr 1911, doch die Amerikaner hatten den zahlreich herumstehenden Fahrzeugbestand der Wehrmacht eingesammelt und zentral gelagert, beispielsweise auf dem Flugplatz Zell am See. Nur die gummibereiften Anhänger waren schon vorher in Bauernscheunen verschwunden.

Laster für den Aufbau
Ein Wiederaufbau ohne Lastkraftwagen war fast undenkbar, deshalb gab die Besatzungsmacht später aus ihren Beutebeständen gewisse Kontingente frei.

Szenenwechsel Wien. Ab August 1945 beherrschte der Fuhrpark der vier Alliierten das bescheidene Verkehrsbild, amerikanisches Material fand sich auch bei Franzosen und Sowjets (nie bezahlt aus dem Leih- und Pachtvertrag), nur die Engländer gingen mit ihrer Automobilindustrie eigene Wege.


Kanzler Renner bekam von den Sowjets einen Mercedes 290 (Baujahr 1933) "geschenkt".
Foto: Archiv Urbanek

Aus diesen Beständen bekam Wien ein größeres Paket von in Kanada gebauten Chevrolet-Lastern, natürlich alles Rechtslenker. Eine Charity-Geste? Eher nicht, die Briten wollten sich schlicht die Kosten des Heimtransports sparen.

Die russische Verkehrspolizistin vor der Oper regelte eigentlich nur sich selbst, mangels Verkehrs. Der volle Parkplatz vor der Nationalbank hingegen, damals Hauptquartier der USFA (United States Forces in Austria), siehe Bild oben links, zeigt ein Sammelsurium von Fahrzeugen, angefangen bei zahlreichen Jeeps über US-Ford-Limousinen für Offiziere bis hin zu zahlreichen Beutefahrzeugen, aufgetrieben irgendwo.

Oldtimerfreunden sticht dabei sicher das Mercedes-290-Cabrio (Langversion, 6-Zylinder-Reihenmotor, 40 oder 60 PS, 1,8 Tonnen schwer) in die Augen oder das Opel-P6-Cabriolet (1,9-Liter-6-Zylinder, 36 PS) – dessen Verbrauch von um die 13 Liter auf 100 km war den Amis natürlich wurscht.


Weit verbreitet war der britische Militärlaster C60L.
Foto: Neuer Kaiser Verlag

Am 20. August 1945 brachte Josef Holaubek, der spätere Polizeipräsident, einen Teil der Feuerwehrflotte, die im April des Jahres nach Oberösterreich geflüchtet war, durch die Sowjetzone nach Wien. Unter US-Schutz, sicher ist sicher. Treffpunkt: Rathausplatz.

In diesen Tagen tauchten auch wieder die ersten Taxis auf, in vielen Fällen die unverwüstlichen Steyr-XII-Modelle aus den Jahren 1926 bis 1929, mit 30-PS-Sechszylindermotor und oft in der Landaulet-Version.

Vereinzelte Motorradfahrer schafften den Weg durch zerbombte Straßen zwischen riesigen Schutthaufen. Wie als Kontrast herrschte bei Kanzler Karl Renner purer Luxus – die Russen hatten ihm einen Mercedes 290 (Baujahr 1933) spendiert, woher er kam, ist ein Rätsel. Heute befindet sich die Rarität im Privatbesitz eines Sammlers. Fahrbereit. Ansonsten dominierte in diesen Tagen vor rund 75 Jahren das Fahrrad oder, vor allem, Schusters Rappen.
So also fuhr – und ging – Österreich in die Zweite Republik...
(Peter Urbanek, 31.05.2020)
So fuhr Österreich in die Zweite Republik - derStandard.at
 

josef

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#2
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Die Fortsetzung zu unserem Beitrag "So fuhr Österreich in die 2. Republik". 1945: Bestandsaufnahme des Fuhrparks bei Rettung, Polizei, Feuerwehr und öffentlichem Verkehr
Der 1. Mai 1945 scheint das ideale Datum zu sein, um einen Blick auf den Überlebenskampf der Stadt Wien zu werfen – auf den Mobilitätsstatus der wichtigsten kommunalen Betriebe wie Wiener Linien, Feuerwehr, Rettung, aber auch auf die Wiederauferstehung der Polizei.

Knapp zwei Wochen waren die Kämpfe um Wien vorbei, auf dem Rathausplatz erklangen die Internationale oder Brüder, zur Freiheit, zur Sonne, Dr. Karl Renner formierte Ende April die erste demokratische Regierung – mit dem Schönheitsfehler, dass diese monatelang von den Westalliierten als kommunistisches Satellitenregime abgetan wurde. Rund 80 Kilometer westlich tobte noch der Krieg, und Reichspräsident Dönitz schaffte den Hitlergruß bei der Wehrmacht ab.


1947: Ausfahrt des Einsatzkommandos aus der Rossauer Kaserne.
Foto: Polizeimuseum

Große Teile Wiens lagen zu diesem Datum in Schutt und Asche, kein öffentlicher Verkehr, keine Kommunikation, es herrschte Hunger, Mangel an allem, Wohnungsnot, Plünderungen, auf den Straßen Faustrecht, für viele Frauen war es eine Zeit des Schreckens.

Theodor Körner, bewährter General aus dem Ersten Weltkrieg, setzte als Wiener Bürgermeister die militärischen Strategien aus den Isonzo-Schlachten um, "seine" Kommunalbetriebe formten aus der Stunde null die Stunde eins.

Provisorischer Straßenbahnbetrieb
Der Schlüssel hierfür fand sich bei den Verkehrsbetrieben. Bis 7. April 1945, da wurde schon in den Vorstädten gekämpft, verkehrte noch die Straßenbahnlinie O regelmäßig. Kaum war Frieden in Groß-Wien, wurden alle Kräfte mobilisiert, um wieder einen provisorischen Straßenbahnbetrieb auf die Schienen zu stellen. Viele Remisen waren zerstört, Straßenbahnwagons vergammelten als sinnlose Panzersperren, Schutt und Müll machten viele Straßen unpassierbar, doch bereits am 29. April konnten auf vereinzelten Strecken im Westen der Stadt mit den Linien 10, 46, 47, 49, 60 der reguläre Verkehr wieder aufgenommen werden.


Die Feuerwehr rückt 1945 mangels Motorgerät per Schubkarren aus.
Foto: Wiener Feuerwehr

Ende Mai rollte sogar die Stadtbahn zwischen Hietzing und Hauptzollamt, das Geheimnis dieses Wunders – denn eine Stadt ohne öffentlichen Transport ist wie ein Gelähmter ohne Rollstuhl, sagte man damals: Mit nur zwölf Prozent Gleisschäden durch Kampfhandlungen und Bombentreffer war Wien halbwegs glimpflich davongekommen.

Im Erdberger Museum der Wiener Verkehrsbetriebe findet sich die Dokumentation dieser Zeit inklusiver vieler Exponate des rollenden Materials.


Das einzige noch einsatzfähige Löschfahrzeug von Gräf & Stift.
Foto: Wiener Feuerwehr

Wien fuhr wieder, wenn auch in sehr bescheidener Form. Das ermöglichte auch Feuerwehr und Rettung, gewisse Einsätze zu realisieren. Nach dem Anschluss 1938 wurden ja – entsprechend dem deutschen System – Feuerwehr und Rettung als Feuerschutzpolizei vereinigt. Wie in den USA kam im Bedarfsfall für einen Krankentransport zuerst die Feuerwehr.

Im Konvoi zurück
Als halbmilitärische Einheit erhielten beide Körper bei den Kämpfen um Wien den Rückzugsbefehl Richtung Oberösterreich. Wie im STANDARD berichtet, brachte Josef Holaubek im August 1945, abgesichert durch US-Militär, rund 50 Einsatzfahrzeuge der Berufsfeuerwehr wieder zurück, die Rettungswagen dagegen scheinen im Westen andere Liebhaber gefunden zu haben, darunter auch der Sanitäts-Horch.

Die Feuerwache Wien stand Anfang Mai 1945 mit zwei Rüstwagen von Gräf & Stift beziehungsweise Austro-Daimler, Baujahr 1918, da. Für sie hatte sich selbst in diesen Zeiten kein "Liebhaber" gefunden. Vieles musste händisch erledigt werden.


Bei der Rettung kommen auch ein Horch...
Foto: Rettungsmuseum Wien

Noch dramatischer die Situation der Rettung. Eine Einsatzfahrt Richtung Rudolfsstiftung endete an der russischen Sperre. Der Sanitätskraftwagen (Sanka) wurde beschlagnahmt, Patient und Pflegepersonal auf die Straße gesetzt, das Fahrzeug verschwand spurlos. Selbst die Militärpolizei, sie hatte Treibstoff zur Verfügung gestellt, zeigte sich "not amused". Wracks säumten die Einsatzzentralen der Rettung, fünf Ford V8-Rettungswagen als Leihgabe der Schweiz sowie ein Dodge-Ex-Militärwagen erleichterten erst im Herbst die Situation.


...und ein Opel Blitz zum Einsatz.
Foto: Rettungsmuseum Wien

"Warum fahren Sie mit meinem Auto?"
Von Polizei im herkömmlichen Sinn konnte man im Mai ’45 nicht sprechen, der Großteil der Mannschaft hatte sich gen Westen abgesetzt – für die mächtigen Kommunisten ein Zeichen, Polizei in ihrem Sinn zu rekrutieren. Wer halbwegs entsprach, bekam eine Armbinde, die private Waffe durfte mitgebracht werden – und Leumundszeugnis? Völlig unbekannt.

Den Fuhrpark galt es zu beschaffen, gemeinsam mit Mitgliedern der Tito-Freiheitsbrigade wurden private Garagen aufgebrochen, man "organisierte" die Mobilität, wie Werner Sabitzer, Chef des Polizeimuseums, im Gespräch mit dem STANDARD berichtete. Auch Präsident Holaubek kam dadurch in eine peinliche Situation, als ihm vor dessen Dienstwagen ein Passant die Frage stellte: "Warum fahren Sie mit meinem Auto?"
Luftschutzfahrzeuge, rollendes Wehrmachtsmaterial, zusammengebastelte Straßenwracks erlaubten in diesen Wochen bescheidene Fortbewegung. Vier Polizisten bildeten mit ihren privaten Motorrädern die erste Funkstreife, etwas später spendete die Kontrollbank der Wiener Polizei Dodge-Kraftwagen aus alliierten Beständen.

Aus heutiger Sicht, eingebettet in Wohlstand, scheinen die Leistungen jener Tage fast unglaublich, doch es war der Einsatz jener Generation, welche unbedingt eines wollte: den Frieden gewinnen.
(Peter Urbanek, 28.8.2020)
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