Operation mit der Tarnbezeichnung "Greenup" - Befreiung Innsbrucks vom Nazi-Regime

josef

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#1
Wie jüdische Agenten die Nazis vom Kampf um Innsbruck abhielten

Anfang 1945 sprangen zwei jüdische Flüchtlinge und ein Wehrmachtsdeserteur über Tirol ab, um das Ende der NS-Herrschaft zu beschleunigen

In der Nacht auf den 26. Februar 1945 flog ein viermotoriger B-24-Bomber zum wiederholten Mal über die Stubaier Alpen. Die Wetterlage erschien diesmal günstiger für die waghalsige Mission. An Bord der Maschine im Auftrag des US-Geheimdienstes Office of Strategic Services (OSS) machte sich ein ungleiches Trio zum riskanten Absprung bereit: die beiden jüdischen Flüchtlinge Fred Mayer und Hans Wijnberg sowie der desertierte Tiroler Wehrmachtssoldat Franz Weber.


foto: national archives and records administration
Luftbild von Innsbruck, April 1945.

Das Ziel der Operation war klar umrissen: Die drei Agenten sollten sich zu Webers Heimatort Oberperfuss durchschlagen, einem Bergdorf nahe Innsbruck, dort ein Funknetz aufbauen und Informationen zu Waffen- und Gütertransporten über den Brennerpass beschaffen. Der Schienenverkehr auf dieser Strecke war die entscheidende Verbindungslinie der deutschen Wehrmacht zur italienischen Front. Zudem gab es weitere militärisch relevante Angriffsziele in der Umgebung, etwa die Messerschmitt-Werke in Kematen, die Teile für deutsche Jagdflugzeuge produzierten.

Abstieg ins Ungewisse
Tatsächlich sollte die Operation mit der Tarnbezeichnung Greenup zum spektakulärsten und erfolgreichsten Einsatz des amerikanischen Geheimdienstes nicht nur auf österreichischem Boden, sondern auf dem gesamten mediterranen Kriegsschauplatz werden, schreibt Peter Pirker in seinem neuen Buch "Codename Brooklyn". Der Wiener Historiker hat die atemberaubende Geschichte akribisch aufgearbeitet und dabei auch einige Blindstellen früherer Darstellungen gründlich ausgeleuchtet.


foto: national archives and records administration
Die Stadt wurde im Mai kampflos übergeben – dank Franz Weber, Hans Wijnberg und Fred Mayer (von links).

Am Ende der Mission stand nicht weniger als die Verhaftung der regionalen NS-Führung und die kampflose Übergabe Innsbrucks an die US-Armee. All das konnten Mayer, Wijnberg und Weber freilich nicht ahnen, als sie bei eisiger Kälte um ein Uhr nachts im meterhohen Schnee landeten. Vier Stunden lang sammelten sie ihre aus dem Flugzeug abgeworfene Ausrüstung ein und begannen mit dem schwierigen Abstieg.

Bis dahin war das Leben der jungen Männer, alle drei noch keine 25 Jahre alt, höchst unterschiedlich verlaufen. Fred Mayer und Hans Wijnberg waren Juden, die vor dem Rassenwahn der Nazis in die USA geflohen waren. Mayer konnte 1938 mit seiner gesamten Familie aus Freiburg im Breisgau emigrieren, Wijnberg 1939 mit seinem Zwillingsbruder aus Amsterdam. Mayer und Wijnberg traten in die US-Armee ein – und fielen dort schnell durch ihre Talente auf.

Karriere in der Wehrmacht
Franz Weber hingegen hatte bis vor kurzem im Dienst der deutschen Wehrmacht gestanden. Geboren im tiefkatholischen Oberperfuss, hatte sich Weber als 19-Jähriger freiwillig als Offiziersanwärter gemeldet und eine rasante Karriere in der Wehrmacht hingelegt. Die Hoffnungen, die er zunächst in die Herrschaft des NS-Regimes legte, wichen nach und nach Zweifeln. Als Weber die Gewaltexzesse der "Partisanenbekämpfung" auf dem Westbalkan aus nächster Nähe miterlebte, wechselte er im Herbst 1944 die Seiten. Was ihn nun mit Mayer und Wijnberg einte, war der Wunsch, aktiv etwas gegen die Nazis zu tun.


foto: national archives and records administration
Für Städte und Regionen legte das Team Codenamen fest: Innsbruck hieß im Funkverkehr Brooklyn, Garmisch wurde zu Flatbush.

Tiroler Netzwerk
Das Risiko, das die drei Agenten dafür eingingen, war enorm. Aufzufliegen hätte mit größter Wahrscheinlichkeit Folter und Tod bedeutet, für Weber stand auch die Sicherheit seiner Familie in Oberperfuss auf dem Spiel. Im Dorf war bekannt, dass er desertiert war – doch die drei fanden dank der Hilfsbereitschaft einiger Bewohner schnell Unterschlupf. Über Webers Vermittlung entstanden auch die ersten Kontakte zu Gegnern des NS-Regimes.

Schon in der Planungsphase der Mission hatte sich herauskristallisiert, dass es vor allem Frauen waren, auf deren Hilfe die Agenten zählen konnten: Ohne Webers Schwestern in Oberperfuss und Innsbruck, ohne seine Verlobte Anni und deren Mutter Anna Niederkircher, Wirtin des Hotels Krone, wäre die Operation nicht möglich gewesen. Mit ihrer Hilfe und der Unterstützung weiterer Bekannter Webers gelang es in den folgenden Wochen, Verbindungen aufzubauen, die bald schon bis in die Innsbrucker Kriminalpolizei und sogar in die Gestapo hineinreichten.


foto: national archives and records administration
Beschreibung der "Operation Greenup" in einem Dokument des Office of Strategic Services, Februar 1945.

Getarnt als Offizier
Während sich Hans Wijnberg in Oberperfuss versteckt hielt und Informationen an die alliierten Streitkräfte in Süditalien funkte, schlüpfte Fred Mayer in die Rolle eines Wehrmachtsoffiziers. Er, der jüdische Flüchtling und US-Agent aus dem Schwarzwald, trat nun uniformiert in Innsbruck auf und trank mit deutschen Soldaten und Nazis. "Ich habe immer unter Druck am besten funktioniert", sagte er in einem Interview in den 1970er-Jahren. "Wenn Sie mich unter Druck setzen, können Sie nicht mit mir mithalten – auch jetzt nicht."


foto: national archives and records administration
Das Greenup-Team in Oberperfuss nach der Befreiung. Hinten (von links): Hans Wijnberg, Maria Hörtnagl, Fred Mayer. Vorne: Anni Niederkircher und Franz Weber.

Mayer sammelte Details über den Eisenbahnverkehr, Truppenbewegungen und Luftabwehrstellungen. Als seine Tarnung aufzufliegen drohte, nahm er die Identität eines französischen Fremdarbeiters an und erhielt eine Anstellung als Elektriker. Nun bekam er Zutritt zur unterirdischen Produktionsstätte der Messerschmitt-Werke.

Gestapo-Razzia
Doch Mayer wollte mehr tun, als nur Informationen zu beschaffen: Er sah die Chance gekommen, eine Untergrundorganisation aufzubauen, um die amerikanischen Truppen bei der Befreiung der Region aktiv zu unterstützen. Durch einen Gestapospitzel flogen Mayers Verbindungen allerdings auf, dutzende Personen wurden verhaftet und teils schwer misshandelt. Einer der Helfer der Operation Greenup, Robert Moser, starb an den Folgen.

Mayer wurde als amerikanischer Agent enttarnt und am 20. April 1945 festgenommen. Selbst unter schwerer Folter der Gestapo verriet er nichts, Weber und Wijnberg blieben unentdeckt. In weiterer Folge gelang es Mayer, aus der Haft heraus mit dem Gauleiter von Tirol-Vorarlberg, Franz Hofer, in Verhandlungen zu treten. Hofer ließ sich angesichts der unausweichlichen Niederlage zur Kapitulation bewegen.

Freie Stadt Innsbruck
Als sich die 103. US-Infanterie-Division der 7. US-Armee am 3. Mai 1945 Innsbruck näherte, kam Mayer den Militärs entgegen und berichtete, Hofer und seinen Stab interniert zu haben. Innsbruck wurde kampflos übergeben.


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Innsbruck am 3. Mai 1945: Bewohner jubeln US-Soldaten beim Einzug in die Stadt zu.

In seinem Buch erzählt Pirker diese Geschichte aus einem neuen Blickwinkel, der die vielen Helfer und vor allem Helferinnen der Operation Greenup sichtbar macht. Ein eigenes Kapitel ist auch der Nachkriegsjustiz gewidmet und rollt auf, in welch geringem Ausmaß die involvierten Nationalsozialisten nach dem Krieg zur Verantwortung gezogen wurden – auch von den Alliierten, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges neue Allianzen mit alten Nazis schmiedeten.
(David Rennert, 22.3.2019)
Wie jüdische Agenten die Nazis vom Kampf um Innsbruck abhielten - derStandard.at
 

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#2
Tochter von Greenup-Agent auf Tirol-Besuch
Am Ende des 2. Weltkriegs ist die Operation Greenup in Tirol gelaufen. Drei US-Geheimdienstler organisierten Ende des 2. Weltkriegs die unblutige Übernahme Innsbrucks. Die Tochter eines dieser Agenten hat jetzt Tirol besucht.
Hans Wijnberg war als Funker für den amerikanischen Geheimdienst OSS während des Zweiten Weltkriegs aktiv. Seine Tochter Audrey hat jetzt jene Orte in Tirol besucht, an denen sich einst ihr Vater versteckt hielt, um Informationen an die Alliierten weiterzugeben.

Geschichtlicher Hintergrund
In der Nacht auf den 26. Februar 1945 sprangen drei Männer per Fallschirm über Tirol ab. Zwei von ihnen waren Juden, Fred Mayer und Hans Wijnberg, die nach Amerika geflüchtet waren. Der dritte im Bunde war der Tiroler Wehrmachtsdeserteur Franz Weber. In dessen Heimatort Oberperfuss bauten die Agenten ein Funknetz auf. Sie überwachten Lieferungen der Nazis über den Brenner und gaben wichtige Informationen an die Amerikaner weiter. Viele in Oberperfuss wussten Bescheid und unterstützten die Männer.


Archiv Breit
w.l.n.r.: Franz Weber, Hans Wijnberg und Fred Mayer in Oberperfuss

Während Hans Wijnberg sich als Funker in Oberperfuss versteckt hielt, gab sich Fred Mayer als Wehrmachts-Offizier aus und mischte sich unter deutsche Soldaten. Eine Oberperferin fungierte quasi als Kurier zwischen Mayer und Wijnberg. Mayer wollte aber mehr als nur Informationen beschaffen und plante eine Untergrundorganisation aufzubauen, um amerikanischen Truppen in Tirol den Weg zu ebnen. Schließlich flog er auf und wurde gefoltert. Er überlebte und wurde zu Gauleiter Franz Hofer gebracht. Fred Mayer konnte diesen davon überzeugen, dass der Widerstand gegen die Amerikaner sinnlos wäre. Hofer kapitulierte in weiterer Folge und übergab Innsbruck widerstandslos an die Amerikaner.

„Nie über Mission gesprochen“
Audrey Wijnberg, die in Holland lebt, erinnerte sich im Gespräch mit ORF Tirol, dass ihr Vater nur über das Fallschirmspringen und Morsen gesprochen hat. Der Besuch in Oberperfuss sei für sie sehr speziell gewesen. Auch deswegen, weil ihr Vater großteils über die Operation Greenup schwieg. „Bis Bücher und Filme veröffentlicht wurden, hatte ich keine Idee, wie wichtig die Operation eigentlich war“, erzählte sie.


ORF
Audrey Wijnberg mit dem Originalfoto der Agenten.

Dass ihr Vater Teil der Mission war, die Innsbruck am Ende des Zweiten Weltkriegs viel Blutvergießen erspart hat, macht sie stolz: „Ich glaube jeder, der aus einem Flugzeug springen und sein Leben dem Wohl anderer Menschen widmen würde, ist ohne Zweifel ein Held.“ Hans Wijnberg und sein Bruder Louis überlebten den Krieg. Der Rest der Familie starb in Konzentrationslagern.

Neues Buch vorgestellt
Der Wiener Historiker Peter Pirker hat die Operation Greenup jetzt umfassend in einem Buch aufgearbeitet. Darin gibt er auch die Rolle der Einheimischen detailliert wieder. Durch deren Unterstützung wurde die Operation ermöglicht und somit das Ende der NS-Herrschaft beschleunigt.

Publiziert am 30.03.2019
Tochter von Greenup-Agent auf Tirol-Besuch
 
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