Tod am Kreuz
Alles nur ein Übersetzungsfehler?
Zur Ostergeschichte ist sowohl theologisch als auch von der historisch-kritischen Bibelwissenschaft alles gesagt. Aber offenbar noch nicht von allen. Der Publizist und Bestsellerautor Franz Alt versucht sich in einem neuen Buch mit Breitenwirkungscharakter wieder an einer Frage: Was, wenn die Übersetzungen der Ostergeschichte unscharf sind, Jesus gar nicht am Kreuz starb? Alt argumentiert mit der aramäischen Variante der Evangelien – und fordert die Rückkehr der Kirche zu einer „jesuanischen“ Institution. Einmal mehr wird die Rolle von Paulus in der Auslegung der Geschehnisse nach Golgatha kritisiert.
Online seit heute, 15.04 Uhr
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Tod am Kreuz: Alles nur ein Übersetzungsfehler?
Alles nur ein Übersetzungsfehler?
Zur Ostergeschichte ist sowohl theologisch als auch von der historisch-kritischen Bibelwissenschaft alles gesagt. Aber offenbar noch nicht von allen. Der Publizist und Bestsellerautor Franz Alt versucht sich in einem neuen Buch mit Breitenwirkungscharakter wieder an einer Frage: Was, wenn die Übersetzungen der Ostergeschichte unscharf sind, Jesus gar nicht am Kreuz starb? Alt argumentiert mit der aramäischen Variante der Evangelien – und fordert die Rückkehr der Kirche zu einer „jesuanischen“ Institution. Einmal mehr wird die Rolle von Paulus in der Auslegung der Geschehnisse nach Golgatha kritisiert.
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Was haben die Anti-Atom-Bewegung, die Krise der CDU, die Grünen-Bewegung, die Debatten über den Standort der Kirche, Diskussionen über die Gleichberechtigung und Greta Thunberg mit der Ostergeschichte zu tun? Eigentlich nichts, könnte man meinen; für den deutschen Publizisten, Buchautor und einstiges Mitglied der Union, Franz Alt, wiederum alles. Er sieht Jesus als Vorbild für die Neuordnung der Politik, Gesellschaft – und nicht zuletzt der Kirche, seiner Kirche. Dass Alt seine guten Absichten vom „pazifistischen Jesus“ auch in der „Nationalzeitung“ abdrucken ließ, hat dem Grimme-Preisträger auch zusätzliche Kritik eingetragen.
Helfen würde laut Alt die Änderung des bisherigen Bildes von Jesus von Nazareth. Verkürzt gesagt: Er rät zur Verabschiedung vom Dogma der göttlichen Natur Jesu, was gelinde gesagt, die katholische wie reformierte Theologie auf den Kopf stellen würde. Bereits im 4. Jahrhundert, zum Konzil von Nicäa, als das Christentum unter Konstantin I. Staatskirche wurde, wurde ja die Gottesnatur von Jesus Christus als Dogma festgehalten, davon abfallende Glaubenslehren wie der Arianismus wurden unter Strafe gestellt.
Eine Rückübersetzung und ein neuer Blick
Alt vertraut auf den Text der Evangelien, vor allem auf die Rückübersetzung der Evangelien ins Aramäische, wie sie vom deutschen Pater Günther Schwarz über Jahrzehnte hinweg durchgeführt und propagiert wurde. Gestützt auf die Thesen von Schwarz geht Alt von Übersetzungsfehlern der Evangelien aus und spricht von dogmatisch-theologischen Wunschzurichtungen der Bibel, die nichts mit den Absichten Jesu zu tun hätten. Von der historisch-kritischen Bibelforschung ist dieser Ansatz nicht gedeckt (und wer eines der Bücher von Schwarz mit seinem Text der Evangelien haben möchte, muss auf den Gebrauchtbuchmarkt 300 Euro aufwärts hinlegen).
Public Domain
Kaiser Konstantin I. mit den Ergebnissen des Konzils von Nicäa
Der spät zum Pastor berufene Schwarz ging in seiner Forschung vom Versuch einer Rückübersetzung aus, in dem er die griechische Bibel ins Aramäische rückübersetzte und missverständliche Stellen mit einer Art Nachinterpretation zu füllen suchte, um eine im Aramäischen stimmige Version herzustellen. Für den Quellenabgleich zog Schwarz etwa die Peschitta heran, die Bibel für die Kirchen in der syrischen Tradition, deren Wurzeln bis ins 1. Jahrhundert zurückreichen. Schwarz meinte, dabei den Sprachduktus eines Propheten der damaligen Zeit rekonstruieren zu können, etwa indem er alle Aussagen Jesu in Versform setzte. Begründung dafür: Die Propheten der Zeit hätten damit ihren Äußerungen die Gestalt leichter merkbarer Thesen gegeben.
Abrechnung mit Paulus
Schwarz’ Erkenntnisse rechnet Alt nun auch in diesem Band stimmungsvoll hoch für eine Auseinandersetzung mit dem Amtskirchentum. Alle Leser, die sich freilich immer schon mit dem Konzept der Wandlung in der Liturgie schwertaten, werden bei der Lektüre von Alt jubilieren. Er tritt gegen die paulinische Losung (1. Kor. 1, 23) an, die die Auferstehung „zum Dreh- und Angelpunkt des Glaubens“ mache. Das verstelle den Blick auf die zentralen Botschaften Jesu, der wie alle Propheten seiner Zeit in einer Mode von Wiedergeburtsüberzeugungen unterwegs gewesen sei (eines der Fundamente der Annahmen auch bei den Übersetzungen von Schwarz).
Bücher zum Thema
Neuausrichtung des Kirchenbildes
Alt würde ein bisschen mehr Bescheidenheit guttun, meinten Kritiker seines Ansatzes, hielten ihm aber zugute, dass er sich für eine positive Betonung der Botschaften Jesu und für eine optimistisch-empathische Kirche einsetze. Dass man freilich aus der bemüht projektiven Lesart einer Rückübersetzung nicht über die Quellenproblematik zur Bibel hinauskommt, liegt auf der Hand.
Rabatti – Domingie / akg-images / picturedesk.com
Die Lanzenstiche, die Jesus in der Geschichte der Kunst erhalten hat, hätte er schwerlich überlebt. Mal traf es ihn links, mal auf der rechten Seite.
„Tatsache ist, dass außer einigen außerhalb des NT überlieferten Worten alles, was Jesus gesagt hat, nur in den vier griechisch geschriebenen Evangelien überliefert ist“, erinnert etwa der Theologe und Sozialphilosoph Franz Magnis-Suseno an die Ausgangslage zur Beurteilung der Bibel. Mit dem bei Alt gerne verwendeten Wort „Fälschung“ solle man, gerade wenn man selbst nur Projektionen zur Hand habe, bescheidener umgehen.
Wer kann ein wahres Jesus-Bild behaupten?
Wäre das Christentum tatsächlich nur einer Fälschung aufgesessen, dann wäre „der wirkliche Jesus tatsächlich seit 2.000 Jahren mausetot“ – und ohne jede Folgewirkung geblieben, kann man die Kritik von Magnis-Suseno deuten.
Alt wiederum möchte, was ehrenwert ist, Jesus als „Eingeborenen des Nahen Ostens seiner Zeit“ verstehen. Das ermögliche, von den dogmatisierten und ideologisierten Jesus-Bildern des Abendlandes wegzukommen. Der Boden für seinen Ansatz bleibt dünn und letztlich ebenso eine Glaubens- wie Überzeugungsfrage.
Illu/ORF.at
Geheimnis des Glaubens: Das leere Ostergrab beschäftigte etwa Paulus noch wenig. Ab dem Mittelalter wird es zur großen Leerstelle und zum Ort für Projektionen.
Fehlende Belege für die Auferstehungsthese
Die These vom Tod Jesu wird aber auch von geschichtswissenschaftlicher Seite und ohne Rückgriff auf aramäische Spitzfindigkeiten zumindest mit einem großen Fragezeichen versehen. Neben zahllosen Scheintod-Debatten-Strängen äußerte zuletzt der Historiker Johannes Fried in seinen Büchern, etwa „Kein Tod auf Golgatha“, Zweifel an der These vom Ableben Jesu auf Golgatha.
Oder anders gesagt: Fried sieht fehlende Belege für eine Auferstehungsthese. „Die Darstellung und der Sprachgebrauch bei Paulus und in den Evangelien liefern keinerlei Beweis für die ‚Auferstehung‘, sondern nur für die Bereitschaft, an eine solche zu glauben“, so Fried. Als die erste von Paulus bezeugte Glaubensformel entstanden sei, habe das griechische Wort egeirein im situativen Kontext nur „aufgewacht“ bedeutet und habe erst durch christlichen Einfluss die Bedeutungsebene von „auferwecken“ bekommen. „Jesus ist gestorben und auferstanden“ (1 Thess., 4,14, 1 Kor. 15,3-4) beziehe sich auf das griechische Verb anhistánai, das im zeitgenössischen Griechisch bloß „aufstehen“ oder „sich aufrichten“ meinte. Die Interpretation des Paulus setze also einen „schon elaborierten Glauben“ voraus.
Dass Gott Jesus von den Toten auferweckt habe, lasse sich nicht vor Paulus datieren, betont Fried: „Erst die Evangelisten formulierten und propagierten die endgültige, die ultimative Geschichte.“ An ein leeres Grab zu erinnern, so Fried, habe sich bei Paulus erübrigt: „Er verschmolz das wunderbare Handeln Gottes an Jesus mit seiner eigenen Christusschau.“
02.04.2021, Gerald Heidegger, ORF.at
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Helfen würde laut Alt die Änderung des bisherigen Bildes von Jesus von Nazareth. Verkürzt gesagt: Er rät zur Verabschiedung vom Dogma der göttlichen Natur Jesu, was gelinde gesagt, die katholische wie reformierte Theologie auf den Kopf stellen würde. Bereits im 4. Jahrhundert, zum Konzil von Nicäa, als das Christentum unter Konstantin I. Staatskirche wurde, wurde ja die Gottesnatur von Jesus Christus als Dogma festgehalten, davon abfallende Glaubenslehren wie der Arianismus wurden unter Strafe gestellt.
Eine Rückübersetzung und ein neuer Blick
Alt vertraut auf den Text der Evangelien, vor allem auf die Rückübersetzung der Evangelien ins Aramäische, wie sie vom deutschen Pater Günther Schwarz über Jahrzehnte hinweg durchgeführt und propagiert wurde. Gestützt auf die Thesen von Schwarz geht Alt von Übersetzungsfehlern der Evangelien aus und spricht von dogmatisch-theologischen Wunschzurichtungen der Bibel, die nichts mit den Absichten Jesu zu tun hätten. Von der historisch-kritischen Bibelforschung ist dieser Ansatz nicht gedeckt (und wer eines der Bücher von Schwarz mit seinem Text der Evangelien haben möchte, muss auf den Gebrauchtbuchmarkt 300 Euro aufwärts hinlegen).
Public Domain
Kaiser Konstantin I. mit den Ergebnissen des Konzils von Nicäa
Der spät zum Pastor berufene Schwarz ging in seiner Forschung vom Versuch einer Rückübersetzung aus, in dem er die griechische Bibel ins Aramäische rückübersetzte und missverständliche Stellen mit einer Art Nachinterpretation zu füllen suchte, um eine im Aramäischen stimmige Version herzustellen. Für den Quellenabgleich zog Schwarz etwa die Peschitta heran, die Bibel für die Kirchen in der syrischen Tradition, deren Wurzeln bis ins 1. Jahrhundert zurückreichen. Schwarz meinte, dabei den Sprachduktus eines Propheten der damaligen Zeit rekonstruieren zu können, etwa indem er alle Aussagen Jesu in Versform setzte. Begründung dafür: Die Propheten der Zeit hätten damit ihren Äußerungen die Gestalt leichter merkbarer Thesen gegeben.
Abrechnung mit Paulus
Schwarz’ Erkenntnisse rechnet Alt nun auch in diesem Band stimmungsvoll hoch für eine Auseinandersetzung mit dem Amtskirchentum. Alle Leser, die sich freilich immer schon mit dem Konzept der Wandlung in der Liturgie schwertaten, werden bei der Lektüre von Alt jubilieren. Er tritt gegen die paulinische Losung (1. Kor. 1, 23) an, die die Auferstehung „zum Dreh- und Angelpunkt des Glaubens“ mache. Das verstelle den Blick auf die zentralen Botschaften Jesu, der wie alle Propheten seiner Zeit in einer Mode von Wiedergeburtsüberzeugungen unterwegs gewesen sei (eines der Fundamente der Annahmen auch bei den Übersetzungen von Schwarz).
Bücher zum Thema
- Franz Alt: Die größte Liebe aller Zeiten. Die wahre Geschichte von Jesus, Maria Magdalena und Judas. Herder, 320 Seiten, 24,70 Euro.
- Johannes Fried: Kein Tod auf Golgatha. Auf der Suche nach dem überlebenden Jesus, C.H. Beck, 195 Seiten, 20,60 Euro.
Neuausrichtung des Kirchenbildes
Alt würde ein bisschen mehr Bescheidenheit guttun, meinten Kritiker seines Ansatzes, hielten ihm aber zugute, dass er sich für eine positive Betonung der Botschaften Jesu und für eine optimistisch-empathische Kirche einsetze. Dass man freilich aus der bemüht projektiven Lesart einer Rückübersetzung nicht über die Quellenproblematik zur Bibel hinauskommt, liegt auf der Hand.
Die Lanzenstiche, die Jesus in der Geschichte der Kunst erhalten hat, hätte er schwerlich überlebt. Mal traf es ihn links, mal auf der rechten Seite.
„Tatsache ist, dass außer einigen außerhalb des NT überlieferten Worten alles, was Jesus gesagt hat, nur in den vier griechisch geschriebenen Evangelien überliefert ist“, erinnert etwa der Theologe und Sozialphilosoph Franz Magnis-Suseno an die Ausgangslage zur Beurteilung der Bibel. Mit dem bei Alt gerne verwendeten Wort „Fälschung“ solle man, gerade wenn man selbst nur Projektionen zur Hand habe, bescheidener umgehen.
Wer kann ein wahres Jesus-Bild behaupten?
Wäre das Christentum tatsächlich nur einer Fälschung aufgesessen, dann wäre „der wirkliche Jesus tatsächlich seit 2.000 Jahren mausetot“ – und ohne jede Folgewirkung geblieben, kann man die Kritik von Magnis-Suseno deuten.
Alt wiederum möchte, was ehrenwert ist, Jesus als „Eingeborenen des Nahen Ostens seiner Zeit“ verstehen. Das ermögliche, von den dogmatisierten und ideologisierten Jesus-Bildern des Abendlandes wegzukommen. Der Boden für seinen Ansatz bleibt dünn und letztlich ebenso eine Glaubens- wie Überzeugungsfrage.
Geheimnis des Glaubens: Das leere Ostergrab beschäftigte etwa Paulus noch wenig. Ab dem Mittelalter wird es zur großen Leerstelle und zum Ort für Projektionen.
Fehlende Belege für die Auferstehungsthese
Die These vom Tod Jesu wird aber auch von geschichtswissenschaftlicher Seite und ohne Rückgriff auf aramäische Spitzfindigkeiten zumindest mit einem großen Fragezeichen versehen. Neben zahllosen Scheintod-Debatten-Strängen äußerte zuletzt der Historiker Johannes Fried in seinen Büchern, etwa „Kein Tod auf Golgatha“, Zweifel an der These vom Ableben Jesu auf Golgatha.
Oder anders gesagt: Fried sieht fehlende Belege für eine Auferstehungsthese. „Die Darstellung und der Sprachgebrauch bei Paulus und in den Evangelien liefern keinerlei Beweis für die ‚Auferstehung‘, sondern nur für die Bereitschaft, an eine solche zu glauben“, so Fried. Als die erste von Paulus bezeugte Glaubensformel entstanden sei, habe das griechische Wort egeirein im situativen Kontext nur „aufgewacht“ bedeutet und habe erst durch christlichen Einfluss die Bedeutungsebene von „auferwecken“ bekommen. „Jesus ist gestorben und auferstanden“ (1 Thess., 4,14, 1 Kor. 15,3-4) beziehe sich auf das griechische Verb anhistánai, das im zeitgenössischen Griechisch bloß „aufstehen“ oder „sich aufrichten“ meinte. Die Interpretation des Paulus setze also einen „schon elaborierten Glauben“ voraus.
Dass Gott Jesus von den Toten auferweckt habe, lasse sich nicht vor Paulus datieren, betont Fried: „Erst die Evangelisten formulierten und propagierten die endgültige, die ultimative Geschichte.“ An ein leeres Grab zu erinnern, so Fried, habe sich bei Paulus erübrigt: „Er verschmolz das wunderbare Handeln Gottes an Jesus mit seiner eigenen Christusschau.“
02.04.2021, Gerald Heidegger, ORF.at
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