Paternoster

Geist

Worte im Dunkel
Mitarbeiter
#21
Wo die letzten Paternoster in Wien fahren

Wie ich zur Aufzugsammlerin wurde und versuchte, mit allen verbliebenen Paternostern Wiens zu fahren: die Chronik eines Abenteuers in 0,3 Metern pro Sekunde

Es soll ja Menschen geben, die sich nicht in den oberen Stock eines zweistöckigen Zuges oder Busses setzen – und das ganz ohne Höhenangst. Ich finde, man sollte Leuten, die grundlos solch kindlichen Vergnügungen entsagen, mit einer gewissen Portion Misstrauen begegnen. Paternosterfahren ist so ein Vergnügen! Mit einem Paternoster – natürlich! – oben und untenrum fahren noch viel mehr, denn so ganz geht sie nie weg, die Erleichterung, dass man doch nicht kopfüber ankommt, wo man losfuhr. "Durchfahrt ungefährlich. Ruhig verhalten." – steht da, und man möchte es sich als Lebensmotto oder besser Hoffnung in Messing schreiben lassen, heuer erst recht.

Sechs Paternoster gibt es, die in Wien noch in Betrieb sind. Und ich gebe freimütig zu, dass Begrifflichkeiten wie "nicht öffentlich zugänglich" eine gewisse Trotz- und Jetzterstrechtreaktion in mir auslösen. Also nahm ich mir vor: Wenn es sechs Paternoster in Wien gibt, will ich gefälligst auch mit allen fahren. Gleich vorweg: Ich bin gescheitert. Aber es hat sehr viel Spaß gemacht.


In den letzten 20 Jahren wurden rund 20 Paternoster eingestellt. Der im Trattnerhof zum Glück nicht.
Foto: Christian Fischer

Was ich nicht wusste, bevor ich mich mit Paternostern befasste: Viele fahren nur bis 16 Uhr, dann dreht sie der Hausmeister ab. Und: Gespräche mit Wiener Portieren sind lustig. Denn es gibt nichts, was sie nicht wissen, sie sagen aber nicht alles. Haben Portiere spezielle Klubs, wo sie ihre Geheimnisse austauschen? Solche Fragen stellt man sich, wenn man per Telefon herauszufinden versucht, ob es bestimmte Paternoster noch gibt und wann man mit ihnen fahren kann und ob überhaupt.

Teure Instandhaltung

Denn: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bekommen für hauseigene Paternoster eine eigene Schulung. Und aus Versicherungsgründen dürfen manchenorts Betriebsfremde nicht damit fahren. Wer hätte gedacht, dass das schöne Brummelbrummelklackklackklack inzwischen so schwer zugänglich ist.

Dabei ist der größte Aufwand zumeist noch nicht einmal die TÜV-Freigabe, die so ein Paternoster braucht (neu zugelassen würde er spätestens seit den Siebzigerjahren nicht mehr), sondern die teure Renovierung. Die Erneuerung der Antriebskette kann zwischen 150.000 und 170.000 Euro kosten, erklärt mir Mag.a Manuela Legen-Preissl vom Bundesdenkmalamt, die sich mit Paternostern auskennt. Dazu kann dann noch die Erneuerung der Polygonräder und Umlenkrollen, die Sanierung von Kabinen, Schacht und Triebwerksraum kommen …

Brenzliges Rauf und Runter

Und während in den letzten 20 Jahren an die 20 Paternoster stehen blieben und ausgebaut wurden (Sicherheit schlägt nämlich Denkmalschutz), fährt jener der Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Eisenbahnen und Bergbau an der Linken Wienzeile seit 2018 wieder– dank seiner nigelnagelneuen in einer tschechischen Glockengießerei Kettenglied für Kettenglied handgegossenen Antriebskette. Inzwischen ist er also ein richtiger Luxus, so ein Paternoster. Er ist der erste, mit dem ich fahre, man sieht die wunderbaren Glasfenster im Stiegenhaus mit Motiven aus Bergbau und Bahn, sie erzählen Kunst am Bau gewordene Arbeitsgeschichte. Man fährt untenrum in den Keller, in den oberen Stockwerken sieht man in Büros, die Türen stehen offen, es gibt hier im Gebäude längst keinen Parteienverkehr mehr. Man soll so einen Paternoster aber nicht unterschätzen, erklärt mir der Hauswart: "Passieren kann schon was". Kinder verschätzen sich, aber auch pensionierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die auf Besuch sind, und die Verlangsamung des eigenen Tempos nicht bedenken.


Die Fahrt im Trattnerhof-Paternoster ist ungefährlich, ein Glück.
Foto: Christian Fischer

Nummer zwei auf meiner Liste führt mich zum Paternoster im Wiener Rathaus, zur Stiege VI beim Hintereingang in der Felderstraße, er ist der zweitälteste, eröffnet im Jahr 1918. Auch hier: Um 16.00 Uhr ist Schluss mit Paternostern, vormittags bin ich hier fast allein. Man fühlt sich wie im Bauch eines großen Schiffes, und man ist es auf eine Weise ja auch, im riesigen Rathaus, wo sich selbst Menschen, die hier seit Jahren arbeiten, noch manchmal verlaufen. Die alte Holzvertäfelung mit ihrem Wochenendhaus-Geruch heimelt. Ich denke an jenen Paternoster, der hier gleich ums Eck im NIG, dem Neuen Institutsgebäude der Universität Wien, seine Kreise zog, wenn man fies war, stieg man rechts an der Warteschlange vorbei ein und hatte nach einer unterirdischen Ehrenrunde Vorsprung. Längst erstrahlt das einst abgerockte NIG in neuem Glanz – aber ohne Paternoster.

Knutschen im Paternoster

Allein die Erwähnung von Paternostern macht viele wildromantisch, auf Twitter teilen manche ihre Erinnerungen. Irgendwas hat sie, die Maschine, die kein richtiger Aufzug ist, was andere Lifte nicht haben, mit ihrer potenziell unendlich verlängerbaren Fahrt. Schließlich steht hier ja auch nicht umsonst "für zwei Personen". Nur zwei knutschten im NIG fix nicht: Julie Delpy und Ethan Hawke drehen in dem in Wien gedrehten Kultfilm Before Sunrise eine Runde, und wie sie sich da anschauen, meine Damen und Herren, das ist sehr ...!

Der dritte Paternoster ist der jüngste: Der im Liebermannhof der Wiener Städtischen Versicherung stammt aus dem Jahr 1968 und bedient sieben Stockwerke. Auch hier haben viele Leute sehr viel Spaß gehabt, der Platz zwischen den Stockwerken ist dicht beschrieben, "Dirk war hier" und "Berni & Vero" mit Herz und gleich neben das "Bitte aussteigen"-Schild hat jemand "Julia NEIN!" geschrieben, und weil Paternoster fahren kindisch macht, freut mich das. Wie kommt das in einem Paternoster, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich ist? "Wir haben viele Lehrlinge im Haus", erklärt man mir. Der Wiener Städtischen "gehört" auch der nächste Paternoster, echt Mid Century, im Ringturm. Aber leider macht er mir einen Strich durch die Rechnung: Wegen Renovierungsarbeiten ist er geschlossen. Vorbeigeschaut hab ich trotzdem, leicht gekränkt stand er da, eingefroren zwischen den Stockwerken statt in Bewegung.

Der Rest der Parternoster-Tour führt mich quer durch den ersten Bezirk. Im Trattnerhof versieht noch einer seinen Dienst, links hinten im Stiegenhaus, an der Adresse von Immobilientreuhänder, Kosmetikfirma und Juwelenfasser. Er ist der zugänglichste und charmanteste, klappert in vielen Tonlagen und erzählt die alte Wiener Stockwerkzahlenschwindelei von Parterre, Hochparterre und Mezzanin.


Michael Kurtz kümmert sich im Haus der Industrie um das Paternoster-Triebwerk.
Foto: Christian Fischer

Den Abschluss macht Österreichs ältester Paternoster, angeblich sogar der älteste Europas, aber die Datenlage bei Paternostern ist etwas ungenau. Fix ist er Wiens meistfotografierter, so als Zierde vom durchaus selbst nicht grad leisen Prachtbau am Schwarzenbergplatz 4, dem Haus der Industrie, dem Sitz der Industriellenvereinigung. Er ist der schönste, der eleganteste, seine Messingschilder und -griffe leuchten am hellsten, und er hat ungelogen das edelste Klackklack. Am 25. März 1911 wurde er von Kaiser Franz Joseph eröffnet, erzählt man mir, und kurz habe ich das absurde Bild vor Augen, das die kaiserliche PR seinerzeit sicher nicht gestattet hat: Kaiser Franz Joseph in Galauniform, in den Paternoster hüpfend, zuerst verschwindet der grüne Federschmuck, dann Gesicht und Kaiserbart, irgendwann ein halber Kaiser, dann ist er verschluckt, bis, auch damals dauerte eine Runde vier Minuten und 45 Sekunden, die Füße voran der Kaiser wieder ganz wird.

Die Erstbefahrung

Wer Paternostersehnsucht hat, geht ins Rathaus oder in den Trattnerhof oder auf Youtube, es gibt Videos aus München, Wien und Prag, eine Fahrt mit dem WDR-Paternoster und in der Sendung Verstehen Sie Spaß? hat man 1990 tatsächlich Leute verkehrt in einen Paternoster gesteckt. Den NIG-Paternoster gibt's drei Minuten lang in der Österreichischen Mediathek.
Video aus dem Jahr 2017.
DER STANDARD

"Sie sind jetzt eine seltene Spezies, so wie jemand, der alle Fünftausender bestiegen hat", sagte mir ein Mensch am Telefon, der mir bei meinem Paternoster-Unterfangen half. Wie alle Paternoster-Informanten war er ein höchst freundlicher Mensch. Vielleicht wird man ja so, wenn man mit einer aussterbenden architektonischen Gattung zu tun hat. (Julia Pühringer, 4.8.2020)
Quelle: Wo die letzten Paternoster in Wien fahren - derStandard.at
 
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