Ratzersdorf bei Wölbling-Dunkelsteinerwald: Grabung im Waldgebiet nach Befestigungsanlage aus der Frühen Bronzezeit

josef

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Archäologie im Wald: Wenn die Baumriesen fallen
In Ratzersdorf wird eine Befestigungsanlage aus der Frühen Bronzezeit untersucht. Grabungen unter Bäumen bringen dabei ganz eigene Herausforderungen mit sich
Motorsägen heulen in unregelmäßigen Abständen auf. Eine große Fichte nach der anderen neigt sich unaufhörlich ächzend. Rasselnd schrammen die Stämme mit hoher Geschwindigkeit durch das Astwerk, der Waldboden bebt bei ihrem wuchtigen Aufprall. Axthiebe nehmen stakkatoartig dem sterbenden Baum seine Äste. Ein Hydraulikarm – gesteuert vom kundigen Forstmann – hebt die auf fünf Meter skelettierten Stämme auf den Anhänger, von wo aus sie zur letzten Ruhe – zur Hackschnitzelheizanlage – geleitet werden. Ein weiteres Stück Nadelwald ist dem Borkenkäfer zum Opfer gefallen.


Ratzersdorf/Am Dachsgraben: Mit Vorsicht, Behutsamkeit und viel Erfahrung wurden die Bäume direkt um die abgedeckten Grabungsflächen geschlägert.
Foto: A. Krenn-Leeb, Projekt Ratzersdorf

Befestigungsstruktur aus der Frühen Bronzezeit
Seit Anfang Juli 2019 findet die zweite Grabungskampagne auf der Befestigungsanlage nördlich des Dachsgrabens in Ratzersdorf bei Wölbling statt. Aufgrund der charakteristischen Befestigungsstrukturen und des geborgenen Fundmaterials datiert sie in die Frühe Bronzezeit um etwa 1800–1600 v. Chr. (Unterwölbling-Kultur). Keramische Fragmente von Geschirrsets sowie fein bearbeitete Steinklingen (Silex) von Erntesicheln weisen auf eine länger währende Besiedlung der Anlage hin.


Im LiDAR-Scan erkennt man die frühbronzezeitliche Burg mit ihren Wällen und Gräben besonders gut.
Scan: NÖGIS, BEV; Projekt Ratzersdorf

Die West-Ost-orientierte ovale Geländekuppe umfasst eine innere Plateaufläche von circa drei Hektar, die in der Frühbronzezeit besiedelt gewesen war. Das mit Wällen und Gräben künstlich befestigte Areal umfasst insgesamt sogar rund 4,7 Hektar. An drei Seiten wird die Anlage von tief eingeschnittenen Bachläufen und steil abfallenden Hängen naturräumlich begrenzt. An der nördlichen, leicht zugänglichen Seite stellten mindestens fünf Wälle und Gräben schwierig zu überwindende Annäherungshindernisse dar. Die Topografie bot günstige Voraussetzungen für die Errichtung eines geschützten Zentralortes. Die Befestigungsanlage von Ratzersdorf/Am Dachsgraben kann aufgrund der fortifikatorischen Maßnahmen und der strategisch günstigen Lage als früheste Burg mit einer wirtschaftlichen und politischen Zentralortfunktion in der Siedlungskammer Wölblinger Becken identifiziert werden.

Klärung der Konstruktion
Insgesamt 20 Personen – zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Lehrgrabung, vier Praktikantinnen und Praktikanten sowie vier Personen des Stammteams – führen archäologische Untersuchungen unter der Leitung von Alexandra Krenn-Leeb im Auftrag der Universität Wien und des Landes Niederösterreich (Landesarchäologe Franz Pieler) sowie mit Genehmigung der Abteilung für Archäologie des Bundesdenkmalamtes (Martina Hinterwallner) durch. Mittels zwei Grabungsflächen soll aktuell die Konstruktion der ehemaligen Burgbefestigung geklärt werden. Das innerste Plateau war besiedelt gewesen und wurde umlaufend von einem Wall mit einer darauf befindlichen Blendmauer und einem davor errichteten Graben geschützt. Die Blendmauer musste unmittelbar einer Holzkonstruktion – sei es vor einer hölzernen Palisadenwand, einem hölzernen Wehrgang oder hölzernen Hauswänden – vorgestellt gewesen sein. Die Blendmauer samt dahinter befindlicher Holzkonstruktion wurde offensichtlich durch ein massives Brandereignis zerstört.


Die deutlichen Brandspuren an den Steinen belegen eine enorme Holzmenge bei der Konstruktion.
Foto: R. Weßling, Projekt Ratzersdorf

Die ursprünglich sorgfältig geschlichteten Steinplatten stürzten den Wallbereich hinunter in den Graben und verkeilten sich teilweise aufrecht – ein Nachweis für einen Fall aus einer gewissen Höhe.

Tödliche Schleudersteine
Bemerkenswert sind zahlreiche Kiesel und abgerundete Steine inmitten des Mauerversturzes. Sie belegen mit hoher Wahrscheinlichkeit Schleuderkugeln, die als Distanzwaffen in dem vernichtenden Kampfgeschehen zum Einsatz kamen. Diese repräsentieren wohl die Waffen der ersten Angriffswelle in der letzten Schlacht um die Burg. Nur wenige Schleuderer waren notwendig, um ausreichend Verwirrung unter den Bewohnerinnen und Bewohnern in der befestigten Anlage zu stiften.


Serpentinit, Kalksandstein und vor allem Kiesel aus Quarz wurden bisher als Schleudersteine identifiziert.
Foto: A. Krenn-Leeb, Projekt Ratzersdorf

Der Vizeweltmeister im Sportschleudern, Christian Sam, charakterisierte in einer ersten Begutachtung Geschoße für zumindest drei unterschiedliche Distanzen, wobei diese durchaus auch tödliche (Kopf-)Verletzungen erwirken konnten. Vermutlich war jedoch das vorrangige Ziel der Schleudern die Verursachung von massiven stumpfen Verletzungen, wie etwa von Rippenbrüchen, zerschmetterten Gelenken und schmerzhaften Prellungen. Dadurch mussten die ersten Verwundeten geborgen werden, was die Kampfkraft der Überfallenen gewiss deutlich beeinträchtigt hatte. Fakt ist, dass die Befestigung letztendlich unwiederbringlich zerstört wurde.

Dem Grabungsteam ist es daher gelungen, gleich in der ersten Grabungsfläche das Zerstörungsereignis der ehemaligen Burg der Bronzezeit zu ermitteln.

Messung mit dem Magnetometer
Die Kenntnis zum relativ genauen Ablauf dieses Zerstörungsereignisses und zu den fortifikatorischen Maßnahmen verdanken die Archäologinnen und Archäologen dem hervorragenden Erhaltungszustand dieser deshalb unter Denkmalschutz gestellten Fundstätte. Der langjährige Waldbestand schützte die Anlage vor Erosion und tiefgreifender landwirtschaftlicher Bewirtschaftung.

Eine große Herausforderung stellte allerdings der Baumbestand für die flächige geophysikalische Prospektion dar. Mühsam wurden 30 mal 30 Meter messende Flächen abgesteckt und von Volker Lindinger (Firma Ardig) mit dem Magnetometer untersucht. Dabei werden Änderungen des Erdmagnetfeldes, verursacht durch archäologische Strukturen im Boden, erfasst. Ausgewählte Flächen – vor allem die geplanten Grabungsbereiche – wurden ebenfalls mittels Bodenradar untersucht. Es gelang, eine der drei alten Grabungsstellen von Josef Bayer vom Naturhistorischen Museum in Wien, dem Entdecker der Anlage von Ratzersdorf Ende der 1920er-Jahre, zu lokalisieren. Aber auch ein weiterer Grabenverlauf, der aktuell im Gelände nicht mehr sichtbar ist, wurde geortet. Geoarchäologische Bohrprospektionen, durchgeführt von Felix Köstelbauer, dienten der Erfassung der Mächtigkeit der vorhandenen Kulturschichtbereiche.


Die Messungen mit einem tragbaren Magnetometer erfordern eine gute körperliche Konstitution.
Foto: A. Krenn-Leeb, Projekt Ratzersdorf

Dank der hervorragenden Kooperation mit den Grundbesitzern und dem Fachgebiet Forstwesen der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten konnte die forstwirtschaftlich akut notwendige Schlägerung der von Borkenkäfern befallenen Bäume im direkten Umfeld der Grabungsflächen in kürzester Zeit sehr zufriedenstellend bewältigt werden.

Naturraum als Kulturraum
Die Studierenden wurden somit unmittelbar mit einigen nicht alltäglichen Herausforderungen einer archäologischen Grabung konfrontiert. Sie erlernen und vertiefen in der Lehrgrabung die grundlegenden Prinzipien der archäologischen Ausgrabung. In Teamarbeit werden die Methoden der Befunderkennung, der Vermessung, der digitalen, fotografischen, deskriptiven und grafischen Dokumentation, der Schichtabtragung, des Feinputzes sowie der Fundbergung und Probenentnahme geübt. Weiters werden die Verwaltung und Nachbereitung der Fund- und Datenmaterialien sowie die Anforderungen hinsichtlich Grabungsmanagement, Administration und der Personalführung vermittelt.


Bereits im Bachelorstudium der Urgeschichte und Historischen Archäologie ist eine Lehrgrabung zu absolvieren.
Foto: A. Krenn-Leeb, Projekt Ratzersdorf

Durch die Integration einer Lehrgrabung der Universität Wien in das bestehende Projekt zur landschafts- und umweltarchäologischen Erforschung der Siedlungskammer Wölblinger Becken wird aktiv forschungsgeleitete Lehre betrieben, und die Studierenden werden bereits frühzeitig mit realitätsnahen Bedingungen der Archäologie und der Arbeitssicherheit vertraut gemacht. Der Naturraum Wald wird nun auch als Kulturraum begriffen und die diesbezüglichen Herausforderungen bewältigt. Es werden aber auch die Chancen für die Erhaltungsbedingungen der archäologischen Befunde trotz der schwierigen Bedingungen einer umfassenden interdisziplinären Dokumentation gesehen und genützt. Erfreulicherweise gelang es dadurch auch, den Ursprung einer Wasserquelle zu lokalisieren.


Nur durch einen Feinputz – meist auch unter Zuhilfenahme eines Staubsaugers – können die unterschiedlichen Schichten differenziert werden. Die Studierenden erlernen die Spurenlese im Boden.
Foto: A. Krenn-Leeb, Projekt Ratzersdorf

Deshalb ist es uns ein Anliegen, die Bedeutung der Befestigungsanlage von Ratzersdorf bei Wölbling auch der ansässigen Bevölkerung näherzubringen. Dank der großzügigen Unterstützung der Marktgemeinde Wölbling wird am Mittwoch, dem 31. Juli, ein Tag der offenen Grabung stattfinden. Die Grabungsleiterin Alexandra Krenn-Leeb wird durch die Anlage führen und die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem bisher einzigartigen Befundkontext bekanntgeben. Besuchen Sie uns – wir heißen Sie herzlich willkommen.
(Alexandra Krenn-Leeb, Ronny Weßling, Doris Jetzinger, Nicolas Loy, 25.7.2019)

Alexandra Krenn-Leeb ist Archäologin am Institut für Urgeschichte und Historische Archäologie der Universität Wien und Grabungs- und Projektleiterin vor Ort. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das Neolithikum, die Kupfer- und Bronzezeit mit dem Fokus auf sozialarchäologische Themen. Von 1999 bis 2017 untersuchte sie die kupferzeitliche Siedlung in Höhenlage am Kleinen Anzingerberg (KG Meidling im Thale und KG Unterwölbling).
Ronny Weßling ist örtlicher Grabungsleiter und Mitbegründer der Firma Crazy Eye OG. Seine Schwerpunkte liegen im Bereich Geoinformatik und 3D-Dokumentation. Er ist bereits seit 2009 in der Region archäologisch tätig, unter anderem am Kleinen Anzingerberg.
Doris Jetzinger leitet die örtliche Grabungsdokumentation und ist Tutorin für die Lehrgrabung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Prähistorische Archäologie, Landschaftsarchäologie und archäologische Dokumentationsmethodik.
Nicolas Loy ist Student der Urgeschichte und Historischen Archäologie und leidenschaftlicher Schmied. Er sorgt für perfektes Werkzeug und einen einwandfreien Maschineneinsatz. Er zeigte sich verantwortlich für die Aufbereitung der zu untersuchenden Flächen (Rodung, forstwirtschaftliche Mitarbeit).

Archäologie im Wald: Wenn die Baumriesen fallen - derStandard.at
 
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