Schallaburg - Jahresausstellung 2019: „Liebeserklärung“ an die Hände

josef

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„Liebeserklärung“ an die Hände
„Eine Liebeserklärung“ an das Handwerk will die neue Schallaburg-Ausstellung sein – und leidet ein wenig an den klassischen Verliebtheitssymptomen: Die nicht immer rosige Vergangenheit und harte Alltagsrealität muss man in „Der Hände Werk“ länger suchen. Im Vordergrund: eine facettenreiche Tour zwischen Tradition und Innovation.
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Eine heimelige Stube, vorne Maria am Spinnrad, hinten Joseph als Zimmermann: Ein kleiner Schaukasten aus dem 19. Jahrhundert zeigt das Handwerk als perfekte Welt – als vormodernes Idyll, in dem alles noch in Ordnung ist, jeder und jede seine Position hat, von der aus er oder sie gottgefällig sein Tagwerk erfüllt. Das mit 1850 datierte Objekt stammt aus einer Zeit, als die Industrialisierung diesen Traum für viele bereits gründlich bröckeln ließ – was die Botschaft des Schaukastens erst so richtig popularisierte: Man muss sich den Handwerker als glücklichen Menschen vorstellen.

Der neue Hype rund ums Handwerk sei davon gar nicht so weit entfernt, vermutet Brigitte Felderer, die Kuratorin der neuen Jahresausstellung. Dass man heute gerne das Analoge würdigt und selber auch einmal einen Töpferkurs besucht, führt Felderer nicht allein darauf zurück, „dass wir nur noch auf der Tastatur herumklopfen“, wie sie bei der Vorabbesichtung meint. „Ich glaube, die neue Begeisterung entspringt auch daher, dass wir denken, ein Handwerker ist letztlich mit seinem Tun zufrieden.“ Der Mensch, er sei eben ein haptisches Wesen.

ORF.at/Peter Pfeiffer
Hier geht’s lang: Piktogramme weisen den Weg in den 22 Räume starken Parcours

ORF.at/Peter Pfeiffer
Vom Handlesen bis zu Handmetaphern: Das Manuelle wird rundum gewürdigt

Genau diesem Umstand geht jetzt „Der Hände Werk“, die neue große Schallaburg-Ausstellung, nach. Was auch ein Stück weit als Abgrenzungsversuch zum Grazer Joanneum und zum Wiener MAK zu verstehen ist, die erst im Vorjahr Handwerksausstellungen zeigten: Das Thema boomt eben, vom Strick-Mob bis hin zu allem, was unter das omnipräsente „Do It Yourself“ fällt. Ein anderer Fokus musste her für die schon länger anberaumte Schau. Die Lösung: „Nicht das Objekt, sondern das Tun“ stehe hier im Vordergrund, meinte der künstlerische Leiter der Schallaburg, Kurt Farasin, bei der Pressekonferenz – und kündigte eine „Liebeserklärung an die Hände“ an.

Rundum-Huldigung des multifunktionalen Körperteils
Geworden ist es konkret eine – wie immer auf der Schallaburg breitenwirksam aufgestellte – Schau, die kursorisch durch die Kulturgeschichte von Zunft und Hobby-Bastlertum führt und zur Rundum-Huldigung des multifunktionalen Körperteils ausholt: Die beiden Hände, so lernt man hier, bestehen aus gleich einem Viertel der menschlichen Knochen. Viel essenzieller aber ist, wie ein Homunculus-Modell mit riesengroßen Pratzen demonstriert, die Verbindung zum Gehirn: Neben dem Sprechen scheint unsere Fingerfertigkeit fast die gesamte Denkleistung zu beanspruchen.

ORF.at/Peter PfeifferDer Homunculus zeigt, wie sehr unsere Hände das Gehirn beanspruchen: Je 17.000 Fühlkörperchen pro Hand ermöglichen Sinneserleben

Die – um eines der hier zitierten Hand-Sprachbilder zu bedienen – „Oberhand“ in „Der Hände Werk“ hat aber dann doch die Handwerkskunst selbst, mit Exponaten, die vom Mittelalter bis in die Gegenwart reichen. Ob schlicht-schön, kurios, äußerst detailreich, ausgefuchst clever oder voller Hightech: Die 22 Räume beherbergen Gesticktes von Marie Antoinette, eine aufwendig geschnitzte „Waldviertler Riesenpfeife“ oder eine bespielbare Miniaturgeige aus Gold – und daneben aktuelle Meisterstücke, immer eines pro Raum, meistens aus nächster Nähe, aus niederösterreichischen Betrieben.

„Handwerk weist immer in Richtung Zukunft“
Wohl am beeindruckendsten: ein Stoffvorhang in tiefem, durchdringendem Dunkelblau, der von einem grazilen Netz aus weißen Ästchen überzogen ist. Man spürt förmlich, wie viel Zuwendung hier drinnen steckt. Blaudruck heißt die jahrhundertealte Veredelungstechnik, die Joseph und Miriam Koo bis heute betreiben, als eine von zwei verblieben Betrieben in Österreich. Die Technik, die Harzmischung mittels Walze appliziert, ist extrem aufwendig – und seit 2018 auch Immaterielles Kulturerbe der UNESCO.

ORF.at/Peter Pfeiffer
Edelstes Handwerk: Heinrich L. Hetzer aus der Wiener Brokatmanufaktur mit seinem Seidenwebstuhl, im Hintergrund Franz Xaver Winterhalters „Elisabeth“-Gemälde (1865) mit den berühmten „Sisi-Sternen“, die man hier ebenfalls präsentiert

„Handwerk weist immer in Richtung Zukunft, auch für die Traditionsbetriebe“, betont Felderer das Faktum, dass die Zeit selbst am Blaudruck nicht spurlos vorüber geht: Neue Technologien bieten – nicht zuletzt für Familie Koo – neue Vermarktungsmöglichkeiten und beschleunigen die Arbeit mitunter immens. Brokatmeister Heinrich L. Hetzer, auch einer der Letzten seines Fachs, nutzt etwa den ausgestellten historischen Seidenwebstuhl nur für die Rekonstruktion historischer Stoffe. Dagegen meistens in Betrieb: ein elektronisch angesteuertes Modell. Vielleicht am deutlichsten demonstrieren aber Vasen aus Australien, wie Handwerk und technologische Entwicklung zusammengehen. Die grazilen Porzellangefäße stammen zwar als dem 3-D-Drucker, sind aber allesamt Einzelstücke mit dem „gewissen Dreh“.

Liebeserklärung ohne Schattenseiten
„Die Gesellschaft wäre nichts ohne Handwerk“, betont Felderer, während sie auf ein Video über den Maler- und Tapeziererbetrieb Phönix aufmerksam macht. Die Unternehmen, die eher still unser Leben erleichtern, sind in „Der Hände Werk“ aber grundsätzlich rar – und noch rarer die normale, manchmal harte Realität des heutigen Handwerkerlebens. Auch historisch hat man’s hier lieber schön. Elend und Arbeitslosigkeit, ob industrialisierungs- oder globalisierungsbedingt: Fehlanzeige. „Im 19. Jahrhundert führten wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen auch zu einem radikalen Wandel des Handwerks“: Viel deutlicher werden die Ausstellungsmacherinnen nicht.

Ausstellungshinweis
„Der Hände Werk“ läuft bis 3. November, 3382 Schallaburg 1, montags bis freitags von 9.00 bis 17.00 Uhr, samstags, sonn- und feiertags bis 18.00 Uhr.
Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen.


Eine Liebeserklärung also ohne Schattenseiten – dafür mit, wie man betont, einer „noch stärkeren Einladung zum Dialog“ – womit man auf den Mitmach- und Interaktivitätsteil anspielt. Wer aber tatsächlich hämmern, stricken oder Autos auftunen will, sollte sein Glück besser an den Schwerpunkttagen jeden ersten Samstag im Monat versuchen. Ansonsten beschränkt man sich aufs Holzstempel-ins-Kissen-Drücken, Unterschrift-fälschen-Üben oder auf einfache Buchbindetechniken. „Rupfen, Zupfen, Zwicken“ – nur die Überschriften zeigen schon jetzt, dass es beim Handwerk mitunter wild zugehen kann.
Paula Pfoser, für ORF.at
Schallaburg: „Liebeserklärung“ an die Hände
 
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