Sinnvolle Nachnutzung alter Öl- und Gasbohrlöcher zur Warmwassererzeugung

josef

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Wie ein Start-up saubere Energie aus alten Bohrlöchern gewinnen will
Wo vorher Öl sprudelte, könnten bald Shrimps schwimmen. Denn wenn das Loch schon da ist, ist Geothermie gar nicht mehr so teuer, verspricht Greenwell

Aus Schwarz mach Grün: Aus aufgelassenen Öl- und Gasbohrlöchern, wie hier in Ohio, lässt sich oft noch Energie gewinnen.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Wer auf der Landstraße zwischen Reyersdorf und Bockfließ fährt, rund 35 Kilometer nordöstlich von Wien, kann die vielen Ölpumpen kaum übersehen. Mitten in Wiesen und Feldern, zwischen Windrädern und der einen oder anderen Solaranlage, wird im Weinviertel noch alte, fossile Energie gefördert. Auch wenn Österreich kein klassischer Ölstaat ist, gibt es vor allem im Wiener Becken noch Hunderte solcher Pumpen. Fördern sie irgendwann nur mehr Wasser aus der Erde, werden die Pumpen abgebaut. Danach zeugt nichts mehr davon, dass hier einmal Öl gefördert wurde, nicht mal ein "Christmas Tree", wie die verzweigte Rohrleitung, die das Bohrloch abschließt, im Branchensprech heißt.
Doch unter diesen sonderbaren Metallbäumen steckt oft noch jede Menge Energie – und zwar erneuerbare. Pro 100 Meter, die man in die Erdkruste gräbt, steigt die Temperatur in Mitteleuropa um rund drei Grad an, in anderen Gebieten sogar noch schneller.

Die Energie unter unseren Füßen

Allein in den oberen zehn Kilometern der Erde steckt laut der Internationalen Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) 50.000-mal so viel Energie wie in allen Öl- und Gasvorkommen weltweit. Geothermie verspricht schon seit langem, dieses Potenzial auszuschöpfen, doch die Technologie fristet ein Nischendasein zwischen fossilen Brennstoffen und immer günstiger werdenden Solar- und Windanlagen.
Denn Bohren ist teuer. Damit sich tiefe Geothermie so richtig auszahlt, muss man erst mal in 1.500 bis 3.000 Meter runterkommen – und das kann schnell in die Millionen gehen.
Warum also nicht die Löcher nutzen, die sowieso schon da sind? Diese Frage haben sich drei Menschen gestellt, die zuvor teils selbst in der Ölbranche gearbeitet haben – und wollen sie mit ihrem Start-up Greenwell nun selbst beantworten.
Jedes Jahr werden in Österreich rund zehn bis 30 Bohrungen aufgegeben, etwa zehn Prozent davon könnten für Geothermie genutzt werden, rechnet Greenwell-CEO Asetila Köstinger vor.


Viele Gewächshäuser werden im Winter mit Gas beheizt. Mit Wärme aus alten Bohrlöchern soll künftig CO2 eingespart werden.
Foto: Imago/Cavan Images

Gemüse will es warm
Dabei versiegelt die Ölfirma zunächst das Bohrlochende, damit kein Öl mehr herausdringen kann. Nach ein paar weiteren Umbauten kann Greenwell damit Energie gewinnen: Man leitet kaltes Wasser in das Bohrloch, das mit einer Temperatur zwischen 35 und 70 Grad wieder heraussprudelt – und das rund um die Uhr und klimaneutral. Die Umrüstaktion soll nur einen Bruchteil einer neuen Geothermiebohrung kosten, verspricht Greenwell – und nur wenig mehr als das, was Ölkonzerne momentan für die Stilllegung eine Quelle ausgeben.

Dafür, wie klassische Geothermiekraftwerke Strom zu erzeugen, eignen sich die umgerüsteten Bohrlöcher aber meistens nicht – sie sind nicht tief und warm genug. Stattdessen will Greenwell vor allem Landwirte mit Wärme versorgen. Gerade in den kalten Jahreszeiten werden viele Gewächshäuser mit fossilen Brennstoffen beheizt, um ganzjährig Gemüse liefern zu können. Regionalität sei vielen Konsumenten wichtig, sagt Köstinger, viele würden aber vergessen, dass regional angebaute Lebensmittel zwar Transportwege einsparen, ein Teil davon aber durch die Gewächshausheizung wieder zunichtegemacht wird. Aus dem umgebauten Bohrloch hingegen könne man fast ohne laufende Kosten ganzjährig Wärme beziehen.

Trocknen, Fermentieren, Züchten
Auch zum Trocknen von Holz und Lebensmitteln oder zur Fermentation braucht man große Mengen an Wärme, die oft noch aus fossilen Energieträgern kommt. Im Gegensatz zur Stromerzeugung ist die Wärmeversorgung in Österreich nämlich noch kaum auf erneuerbare Energien umgestellt.

Auch eine mit Erdwärme betriebene Shrimpfarm schwebt Köstinger vor. Die Meerestiere brauchen eine konstante Wassertemperatur von 28 bis 30 Grad – das macht ihre Zucht im kühlen Europa bisher zu einer teuren Angelegenheit.

Zudem würden Öl- und Gasförderunternehmen das Potenzial ihrer stillgelegten Bohrlöcher oft nicht sehen, sagt Greenwell-Mitgründer Werner Donke. Er hat zuvor selbst beim Ölfeldausrüster Halliburton gearbeitet und weiß, wie die Branche tickt. "Im Ölgeschäft gehe es um Transaktionen im zig Millionenbereich", sagt er. Einzelne Förderstätten geothermisch umzurüsten, um damit vergleichsweise wenig Geld zu verdienen, gehöre eben nicht zum Kerngeschäft der großen Energiekonzerne.

Klimawandel als Konkurrent
Greenwell geht es deshalb vor allem darum, eine Brücke zwischen "Agripreneurs", wie Köstinger innovative Landwirte nennt, und den Ölunternehmern zu schlagen. Das Start-up sucht aus den stillgelegten Pumpen jene aus, die für eine Nachnutzung infrage kommen. Greenwell kauft bei Interesse eines Landwirts das Grundstück, entwickelt die Technik und verkauft Wärme schließlich als monatliche Flatrate an den Verbraucher – unabhängig von den Fluktuationen auf dem Energiemarkt.
Derzeit sei noch Erdgas als Wärmequelle der Hauptkonkurrent für Greenwell, auch wenn die Preise gerade durch die Decke gehen. "Langfristig wird es aber der Klimawandel sein", sagt Werner Donke. Denn mit steigenden Temperaturen würden auch Gewächshäuser – oder Shrimpfarmen – immer weniger Wärme benötigen. Wird es Pflanzen in Zukunft zu heiß, lässt sich Erdwärme aber auch nutzen, um Gebäude zu kühlen.

Derzeit baut Greenwell eine Pilotanlage in Tschechien. Dass sie nicht in Österreich steht, habe auch was mit den hiesigen Vorschriften zu tun. Das fange schon damit an, dass sich in Österreich niemand so für Geothermie interessiere, sagt Donke. In der 80-seitigen Klimaschutzstrategie wird Geothermie etwa nur viermal erwähnt.

Zu hohes Risiko
Deshalb gibt es oft keine gesetzlichen Regelungen – für vergleichsweise exotische Nischen wie die Nachnutzung alter Bohrlöcher erst recht nicht. Die Haftung für Schäden lasse sich etwa nur teilweise auf den neuen Nutzer übertragen – die Ölfirma bleibt also noch verantwortlich, wenn ein anderes Unternehmen aus dem Bohrloch Wärme gewinnt. Ein zu großes Risiko, würden viele Ölförderer befinden – und das Bohrloch lieber ganz dichtmachen. Donke wünscht sich deshalb politische Impulse, die der Geothermie in Österreich zum Durchbruch verhelfen.

In den nächsten 15 Jahren will Greenwell jedenfalls international 1.000 Bohrlöcher umrüsten und so eine Million Tonnen CO2 einzusparen. Allein in der EU gibt es 85.000 aktive Öl- und Gasbohrungen, weltweit sind es über 1,2 Millionen. Mit der Energiewende könnten in den nächsten Jahrzehnten viele von ihnen obsolet werden, sagt Donke.
(Philip Pramer, 22.10.2021)
Wie ein Start-up saubere Energie aus alten Bohrlöchern gewinnen will
 
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