Slowakei: Kopflose Skelette in Massengrab aus der Steinzeit gefunden

josef

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PRÄHISTORISCHER KRIMI
Kopflose Skelette weisen auf mögliches Massengrab aus der Steinzeit hin
Einer der größten europäischen Siedlungsplätze vor 7.000 Jahren befindet sich in der Slowakei. Weshalb warf man 37 Tote ohne Schädel in einen Graben?

Die Bestattungen von Vráble (Slowakei) überraschten das deutsch-slowakische Forschungsteam.
Foto: Dr. Till Kühl, Ur- und Frühgeschichte/Uni Kiel

"Wir haben mit weiteren menschlichen Skeletten gerechnet, doch dies übertraf all unsere Vorstellungen", verleiht der Archäologe Martin Furholt von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel seiner Überraschung Ausdruck. Er leitet das Grabungsprojekt nahe der slowakischen Kleinstadt Vráble, bei dem bereits in vergangenen Jahren einzelne Skelette ohne Kopf oder andere Gliedmaßen zum Vorschein kamen. Nun wurden dort 38 Tote entdeckt, deren Positionierung gegen reguläre Bestattungspraktiken spricht, wie die Universität in einer Aussendung mitteilte. Sie wirken wie neben- und übereinandergeworfen, in Rücken-, Seiten- und Bauchlage. Nahezu allen fehlt der Schädel – nur bei einem Kleinkind war er noch vorhanden.

Seitdem rätseln die beteiligten Fachleute, was genau hier in der Jungsteinzeit, 5.250 bis 4.950 Jahre vor unserer Zeitrechnung, vor sich ging. Damals zählten die drei nahe beieinanderliegenden Siedlungen von Vráble / Ve'lké Lehemby in Zentraleuropa zu den größten Ortschaften mit besonders hoher Bevölkerungsdichte. Mindestens 313 Häuser standen hier, 80 davon dürften gleichzeitig bewohnt gewesen sein.


An der Fundstelle von Vráble / Veľké Lehemby befanden sich in der Jungsteinzeit drei Dörfer, wie die Illustration zeigt. Die Skelette wurden bei der südwestlichen Siedlung entdeckt – in Gräben, die rund um das Dorf gezogen wurden.
Bild: Karin Winter, Ur- und Frühgeschichte/Uni Kiel

Doch das Zusammenleben barg Schwierigkeiten, wie schon zuvor vermutet wurde. Viele Menschen auf engem Raum könnten für knappe Ressourcen gesorgt haben, was zu Rivalitäten und letztendlich zum Zusammenbruch der Gemeinschaften führte, so die Annahme. Die neuen Funde, die nicht nur von Kieler Archäologinnen und Archäologen, sondern auch von Mitgliedern des Archäologischen Instituts der Slowakischen Akademie der Wissenschaften (Nitra) bearbeitet werden, ergänzen das Bild um eine weitere makabre Dimension.

Leichen im Graben
Eines der drei Dörfer war durch einen mehr als einen Kilometer langen doppelten Graben von den anderen beiden abgegrenzt. Auch Palisadenverstärkungen gab es stellenweise, wobei die Fachleute vermuten, dass es sich dabei um eine weitere Abgrenzung der Siedlung handelt und sie nicht als kriegerische Verteidigung gedacht waren. In diesem Graben stieß das Team auf 15 Quadratmetern auf die 38 Skelette, von denen viele offenkundig hineingeworfen oder -gerollt worden waren.


Im einstigen Graben um das Dorf wurden die geköpften Skelette entdeckt. Das Freilegen des ungewöhnlichen Fundes ist für die Wissenschafterinnen und Wissenschafter nicht einfach.
Foto: Prof. Dr. Martin Furholt, Ur- und Frühgeschichte/Uni Kiel

"Mehrere Einzelknochen ohne Skelettverbund lassen vermuten, dass der zeitliche Ablauf komplexer gewesen sein könnte", sagt die Kieler Anthropologin Katharina Fuchs. Womöglich verstarben die vielen Menschen nicht gleichzeitig – ob eines natürlichen Todes oder unter Fremdeinwirkung –, sondern wurden über einen längeren Zeitraum im Graben bestattet. Es gebe jedenfalls Hinweise darauf, dass skelettierte Leichen in die Mitte des Grabens geschoben wurden, um Platz für neue zu schaffen.

Sorgfältig abgetrennt
Wurden die Verstorbenen durch Köpfung getötet oder entfernte man erst anschließend ihre Häupter? Eindeutige Antworten gibt es nicht. "Bei einigen Skeletten ist der erste Halswirbel erhalten, was eher auf eine sorgfältige Abtrennung des Kopfes als auf Köpfung im gewalttätigen, rücksichtslosen Sinne hinweist", sagt Fuchs, "aber all dies sind sehr vorläufige Beobachtungen, die es anhand weiterer Untersuchungen noch zu bestätigen gilt."

Genauere Analysen werden zweifellos folgen und in wissenschaftlichen Studien veröffentlicht. Durch die Auswertung alter DNA-Spuren ließe sich etwa feststellen, ob sie – im Vergleich mit anderen Skelettfunden – aus fernen Regionen stammten oder ob die Toten miteinander verwandt waren. Interdisziplinäre Untersuchungen, auch im Bereich der Isotopenanalysen und Datierungen, sind geplant.

Kopfjäger oder Totenkult?
Bis dahin lässt der prähistorische Kriminalfall noch sehr viele Interpretationen zu. "Es mag naheliegen, ein Massaker mit Menschenopfern, vielleicht sogar in Verbindung mit magischen oder religiösen Vorstellungen, zu vermuten", sagt Projektleiterin Maria Wunderlich von der Kieler Universität. Ob es sich eher um ein Massengrab oder um einen ungeordneten Friedhof handelt, lasse sich noch nicht sagen. "Sind diese Personen Kopfjägern zum Opfer gefallen, oder übten ihre Mitmenschen einen besonderen Totenkult aus, der nichts mit zwischenmenschlicher Gewalt zu tun hatte?"


Für das Neolithikum – die Neu- oder Jungsteinzeit – ist der Fund einzigartig. Auf nur 15 Quadratmetern wurden 37 Skelette in unterschiedlichen Positionen bestattet, manche davon wurden nach der Deponierung wohl auch nochmals verändert.
Foto: Dr. Till Kühl, Ur- und Frühgeschichte/Uni Kiel

Auch Konflikte und kriegerische Auseinandersetzungen spielten womöglich eine Rolle – innerhalb oder zwischen den Siedlungen. An anderen Fundstätten, die ebenfalls etwa 7.000 Jahre alt sind und zur Linearbandkeramik-Kultur gezählt werden, wurden bereits Tötungen zahlreicher Menschen nachgewiesen. In der Nähe von Frankfurt am Main wurden wohl mindestens 26 Menschen brutal gefoltert und ermordet. Weitere Massaker, die an massiven Knochenverletzungen abzulesen sind, fanden im Harz (ebenfalls Deutschland) und in Schletz, 50 Kilometer nördlich von Wien, statt. "Unstrittig ist aber, dass dieser Fund für das europäische Neolithikum bisher absolut einzigartig ist", betont Wunderlich.

Schwierige Analysen
In anderen Bereichen des Grabens wurden zuvor mitunter sorgfältig bestattete Skelette mit Grabbeigaben entdeckt, diese scheinen jedoch in der Unterzahl zu sein. Einige wurden paarweise oder zu dritt zusammengelegt, manchen fehlten Hand- und Fußknochen, was an historische Bestrafungen erinnert. Was mit den fehlenden Körperteilen geschah, ist bislang unklar, ganz abgesehen von dem Grund für die Abtrennung einzelner Gliedmaßen.

Die Fundlage an der neuen Grabungsstelle ist ebenfalls bemerkenswert – und herausfordernd, vor allem, da die Schädelknochen fehlen, die bei der Identifizierung der Individuen helfen, wie Martin Furholt darlegt. Auch aus anthropologischen Gesichtspunkten stellen die fehlenden Köpfe das Team vor Schwierigkeiten. Immerhin liefern Merkmale wie der knöcherne Augenbrauenbereich und die Unterkieferwinkel Indizien für typisch männliche oder weibliche Anatomie. So muss man sich bei der Auswertung auf andere Anzeichen verlassen, die sich mitunter an Beckenknochen finden.

Die Zähne eines Menschen sind weitere hilfreiche Fundstücke und können nicht nur Rückschlüsse auf das Alter, sondern auch auf die Ernährung zulassen. Doch auch sie fehlen hier klarerweise. "Die Schädel selbst zu finden wäre natürlich großartig", sagt Furholt, "hier haben wir jedoch wenig Hoffnung. Dennoch hat Vráble uns so oft überrascht, wer weiß, was die Fundstelle noch für uns parat hält."
(Julia Sica, 13.1.2023)
Kopflose Skelette weisen auf mögliches Massengrab aus der Steinzeit hin
 
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