80 Jahre TÜPL: 42 Dörfer mussten weichen
1938 wurde von den Nationalsozialisten im Waldviertel ein Truppenübungsplatz (TÜPL) errichtet. 40 Dörfer wurden entvölkert, 7.000 Menschen ausgesiedelt. Dieses Ereignisses wurde nun in Döllersheim (Bezirk Zwettl) gedacht.
„Hearst das net, wia die Zeit vergeht“, sang der Kinder- und Jugendchor aus Kirchberg am Walde bei der Gedenkfeier in der Friedenskirche Döllerheim am südlichen Rand des heutigen Truppenübungsplatzes Allentsteig, kurz „TÜPL“ genannt. Rund um die Döllersheimer Kirche sieht man auch, wie die Zeit vergeht: Die Ruinen der ehemaligen Schule, des Pfarrhofes oder des ehemaligen Gasthauses sind mit Pflanzen und Moos überwuchert, davor sind Fotos aufgestellt, die zeigen, wie die Häuser hier einmal ausgesehen haben.
ORF
Die Friedenskirche Döllerheim, links daneben die Ruine der ehemaligen Volksschule
Alljährlich zu Allerseelen wird zu einer Gedenkveranstaltung in die Friedenskirche von Döllersheim geladen. Sie war heuer dem Thema „80 Jahre Truppenübungsplatz“ gewidmet, mehr als 200 Pesonen waren der Einladung zum Gedenken gefolgt. „Diese Veranstaltung hat auch den Zweck, dass das Wissen nicht verschwindet. Ich kenne viele Leute, die nicht wissen, dass hier einmal mehr als 40 Dörfer bestanden haben mit einem regen Dorfleben“, sagt Bernhard Lehr, Obmann des Vereins „Freunde der alten Heimat“, der die Gedenkveranstaltung mitorganisierte.
Statt Aufschwung kam die Aussiedelung
Bernhard Lehr ist ein Nachkomme Ausgesiedelter. „Die Mutter meines Vaters hat sehr gelitten. Sie hat sich sehr schwergetan, etwas Neues zu finden. Sie hat oft geweint. Mein Vater war damals 18 Jahre alt. Er besaß damals eine Fotokamera und hat vor dem Verlassen den Ort nochmals fotografiert. Eines davon zeigt einen Lastwagen vollbeladen mit Hausrat.“
Bernhard Lehr
Ein Lkw verlässt Oberndorf (1938)
Zuerst erhofften sich 1938 viele Bewohner des Döllersheimer Ländchens einen Aufschwung ihrer Region, weil Adolf Hitler hier seine Wurzeln hatte, wie dies auch ein „Ostmark-Wochenschaubericht“ knapp nach dem Anschluss feierte. Doch das Blatt wendete sich rasch, bereits wenige Wochen später war der Truppenübungsplatz beschlossene Sache, vielleicht auch, um Hitlers ärmliche Herkunft zu verschleiern.
„Im Juni 1938 wurde im Waldviertel verkündet: Innerhalb von sechs Wochen müssen die ersten acht Ortschaften im inneren Kern des jetzigen Truppenübungsplatzes geräumt sein. Diese Betroffenen haben nichts mehr angreifen dürfen“, schildert Bernhard Lehr die damalige Situation. „Alle haben entsetzt reagiert und gar nicht glauben wollen, was da passieren soll. Mein Vater hat gesagt, dafür hätten wir den Hitler auch nicht gebraucht“, erinnerte sich die Zeitzeugin Stefanie Leuzmezer an ihre Kindheit.
ORF
Ehrenwache vor dem Haus von Hitlers Vater in Döllersheim (1938)
Aus Aussiedelung wird Vertreibung
Die Aussiedelung vollzog sich in mehreren Wellen. Anfangs gab es noch relativ faire Entschädigungen und Neubauten als Ausweichquartier, doch wandelte sich die Aussiedelung im Laufe des Krieges immer mehr zur Vertreibung.
„Mein Vater ist in der näheren und weiteren Umgebung herumgefahren, sogar bis in die Steiermark, aber man stand da schon vor verschlossenen Türen. Viele haben gesagt, ja, ich verkaufe meinen Hof, aber erst nach dem Krieg. Das war furchtbar für unsere Familie“, erzählte Stefanie Leuzmezer in einem Interview im Jahr 1983. Die späten Aussiedler erhielten während der Kriegszeit eine geringe Entschädigung, die von den NS-Behörden auf ein Sperrkonto gelegt wurde und nach dem Zusammenbruch 1945 durch die Währungsreform nahezu wertlos geworden war.
Ein Truppenübungsplatz unterschiedlicher Heere
Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand kurz Hoffnung, dass die Sowjets eine Rückkehr der Ausgesiedelten ermöglichen könnten. 80 Prozent der Vertriebenen sollen sich dafür auf einer Liste eingetragen haben, erzählt Bernhard Lehr. Doch mit der Eingliederung des TÜPL in die USIA-Betriebe der Sowjets war die Hoffnung dahin. Nun veranstalteten die Besatzer dort Schießübungen und verkauften auf dem Schwarzmarkt Ziegel der zerschossenen Häuser.
ORF
Erstes Bundesheer-Manöver in Allentsteig (1957)
1957 übernahm das noch junge österreichische Bundesheer in verkleinerter Form den Übungsplatz. „Es gab allein schon wegen der vielen gefährlichen Kriegsrelikte und Blindgänger keine Chance auf Rückgabe an die Bevölkerung. Bis heute finden wir jedes Jahr 100 Blindgänger auf dem Gelände“, erläutert Julius Schlepschy, der Betriebskommandant des TÜPL, die Gründe für die Übernahme des Gebietes durch das Bundesheer im Jahr 1955.
Interesse an der Familiengeschichte
Heute dominiert bei den Nachkommen der Aussiedler weniger der Gram über das Schicksal der Familie, sondern das Interesse an der eigenen Familiengeschichte. „Ich freue mich, dass vor allem die Jugend, die dritte Generation, wissen will, woher stammt meine Familie, wie sind sie durch die schwierigen Zeiten gekommen. Das fasziniert mich“, erklärt Julius Schlepschy gegenüber noe.ORF.at.
Solch ein Unrecht solle nie wieder über einen Teil der österreichischen Bevölkerung hereinbrechen, sagte er bei der Gedenkveranstaltung. Der Verein „Freunde der alten Heimat“ und das Bundesheer arbeiten gut zusammen, man veranstaltet unter anderem gemeinsam solche Gedenktage und pflegt die Gedenkstätte rund um die Friedenskirche Döllersheim.
Hannes Steindl, noe.ORF.at
Links:
Publiziert am 03.11.2018
ORF
Die Friedenskirche Döllerheim, links daneben die Ruine der ehemaligen Volksschule
Alljährlich zu Allerseelen wird zu einer Gedenkveranstaltung in die Friedenskirche von Döllersheim geladen. Sie war heuer dem Thema „80 Jahre Truppenübungsplatz“ gewidmet, mehr als 200 Pesonen waren der Einladung zum Gedenken gefolgt. „Diese Veranstaltung hat auch den Zweck, dass das Wissen nicht verschwindet. Ich kenne viele Leute, die nicht wissen, dass hier einmal mehr als 40 Dörfer bestanden haben mit einem regen Dorfleben“, sagt Bernhard Lehr, Obmann des Vereins „Freunde der alten Heimat“, der die Gedenkveranstaltung mitorganisierte.
Statt Aufschwung kam die Aussiedelung
Bernhard Lehr ist ein Nachkomme Ausgesiedelter. „Die Mutter meines Vaters hat sehr gelitten. Sie hat sich sehr schwergetan, etwas Neues zu finden. Sie hat oft geweint. Mein Vater war damals 18 Jahre alt. Er besaß damals eine Fotokamera und hat vor dem Verlassen den Ort nochmals fotografiert. Eines davon zeigt einen Lastwagen vollbeladen mit Hausrat.“
Bernhard Lehr
Ein Lkw verlässt Oberndorf (1938)
Zuerst erhofften sich 1938 viele Bewohner des Döllersheimer Ländchens einen Aufschwung ihrer Region, weil Adolf Hitler hier seine Wurzeln hatte, wie dies auch ein „Ostmark-Wochenschaubericht“ knapp nach dem Anschluss feierte. Doch das Blatt wendete sich rasch, bereits wenige Wochen später war der Truppenübungsplatz beschlossene Sache, vielleicht auch, um Hitlers ärmliche Herkunft zu verschleiern.
„Im Juni 1938 wurde im Waldviertel verkündet: Innerhalb von sechs Wochen müssen die ersten acht Ortschaften im inneren Kern des jetzigen Truppenübungsplatzes geräumt sein. Diese Betroffenen haben nichts mehr angreifen dürfen“, schildert Bernhard Lehr die damalige Situation. „Alle haben entsetzt reagiert und gar nicht glauben wollen, was da passieren soll. Mein Vater hat gesagt, dafür hätten wir den Hitler auch nicht gebraucht“, erinnerte sich die Zeitzeugin Stefanie Leuzmezer an ihre Kindheit.
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Ehrenwache vor dem Haus von Hitlers Vater in Döllersheim (1938)
Aus Aussiedelung wird Vertreibung
Die Aussiedelung vollzog sich in mehreren Wellen. Anfangs gab es noch relativ faire Entschädigungen und Neubauten als Ausweichquartier, doch wandelte sich die Aussiedelung im Laufe des Krieges immer mehr zur Vertreibung.
„Mein Vater ist in der näheren und weiteren Umgebung herumgefahren, sogar bis in die Steiermark, aber man stand da schon vor verschlossenen Türen. Viele haben gesagt, ja, ich verkaufe meinen Hof, aber erst nach dem Krieg. Das war furchtbar für unsere Familie“, erzählte Stefanie Leuzmezer in einem Interview im Jahr 1983. Die späten Aussiedler erhielten während der Kriegszeit eine geringe Entschädigung, die von den NS-Behörden auf ein Sperrkonto gelegt wurde und nach dem Zusammenbruch 1945 durch die Währungsreform nahezu wertlos geworden war.
Ein Truppenübungsplatz unterschiedlicher Heere
Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand kurz Hoffnung, dass die Sowjets eine Rückkehr der Ausgesiedelten ermöglichen könnten. 80 Prozent der Vertriebenen sollen sich dafür auf einer Liste eingetragen haben, erzählt Bernhard Lehr. Doch mit der Eingliederung des TÜPL in die USIA-Betriebe der Sowjets war die Hoffnung dahin. Nun veranstalteten die Besatzer dort Schießübungen und verkauften auf dem Schwarzmarkt Ziegel der zerschossenen Häuser.
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Erstes Bundesheer-Manöver in Allentsteig (1957)
1957 übernahm das noch junge österreichische Bundesheer in verkleinerter Form den Übungsplatz. „Es gab allein schon wegen der vielen gefährlichen Kriegsrelikte und Blindgänger keine Chance auf Rückgabe an die Bevölkerung. Bis heute finden wir jedes Jahr 100 Blindgänger auf dem Gelände“, erläutert Julius Schlepschy, der Betriebskommandant des TÜPL, die Gründe für die Übernahme des Gebietes durch das Bundesheer im Jahr 1955.
Interesse an der Familiengeschichte
Heute dominiert bei den Nachkommen der Aussiedler weniger der Gram über das Schicksal der Familie, sondern das Interesse an der eigenen Familiengeschichte. „Ich freue mich, dass vor allem die Jugend, die dritte Generation, wissen will, woher stammt meine Familie, wie sind sie durch die schwierigen Zeiten gekommen. Das fasziniert mich“, erklärt Julius Schlepschy gegenüber noe.ORF.at.
Solch ein Unrecht solle nie wieder über einen Teil der österreichischen Bevölkerung hereinbrechen, sagte er bei der Gedenkveranstaltung. Der Verein „Freunde der alten Heimat“ und das Bundesheer arbeiten gut zusammen, man veranstaltet unter anderem gemeinsam solche Gedenktage und pflegt die Gedenkstätte rund um die Friedenskirche Döllersheim.
Hannes Steindl, noe.ORF.at
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Publiziert am 03.11.2018