Tragödie der britischen Arktisexpedition 1845 soll durch Funde aus den Wracks der gesunkenen Schiffe geklärt werden

josef

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Wracks sollen letzte Geheimnisse lüften

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Vor 175 Jahren ist der britische Polarforscher Sir John Franklin in die Arktis aufgebrochen. Seine Schiffe sanken, die Mannschaft wurde aufgerieben. Die Spuren der Expedition blieben lange ein Puzzle, die Inuit erzählten von herumirrenden Weißen und Kannibalismus. Fundstücke, die zuletzt von Bord der „HMS Erebus“ geholt wurden, sollen nun helfen, die Tragödie in der Arktis endgültig zu rekonstruieren.
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Franklin startete im Mai 1845 mit der „Erebus“ und der „HMS Terror“, zwei umgebauten Kriegsschiffen, und insgesamt 133 Mann Besatzung von England aus in Richtung Arktis. Ziel war die Erforschung und Kartierung der Nordwestpassage zwischen Atlantik und Pazifik. Die Expedition schlug fehl, die Schiffe wurden nach unzähligen Suchexpeditionen erst 2014 bzw. 2016 gefunden.

Kanadische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen die Wracks seither, erst diese Woche präsentierte Parks Kanada, die für Kultur- und Naturerbe zuständige Regierungsbehörde, neue Erkenntnisse und zog eine Zwischenbilanz. Das Projekt sei eines der größten, komplexesten archäologischen Unternehmen in der Geschichte Kanadas, hieß es. Zuletzt waren an die 350 Gegenstände von der „Erebus“ geborgen worden. Sie liegt in relativ seichtem Wasser.

Stoff füllt Dutzende Bücher
Man stehe bei der Erforschung der Wracks praktisch noch am Beginn, zitierte die „New York Times“ Projektkoordinator Ryan Harris in einem Interview. Man versuche herauszufinden, was wann geschah, die Ereignisse zu ordnen. Ein Frage laute: Wie verlief das Leben der Crews, die praktisch dem Tod ins Auge blickten? Sie hätten ihre Kameraden sterben gesehen, gewusst, dass sie nie wieder nach Hause zurückkehren würden, so Harris.

APA/AFP/Ho
Das Wrack der „Erebus“ auf dem Meeresgrund vor der Adelaide-Halbinsel

Die Franklin-Expedition lieferte Stoff gleichermaßen für Wissenschaft und Fiktion. Monthy-Python-Star Michael Palin schrieb einen historischen Abenteuerroman darüber, AMC verpackte den historischen Stoff in die Serie „The Terror“.

Gut ausgerüstete Expedition
Franklin, Konteradmiral und bereits Polarforscher mit Erfahrung, legte im Mai 1845 mit den beiden umfunktionierten Kriegsschiffen und einem Versorgungsschiff sowie 133 Mann Besatzung in England ab. Das Versorgungschiff kehrte später wieder um, die „Erebus“ und die „Terror“ segelten mit 129 Menschen an Bord in Richtung kanadische Arktis.

APA/AFP/Ben Stansall
Die Schiffsglocke der „Erebus“

Die Schiffe waren aufwendig umgebaut worden, ihre Konstruktion wurde verstärkt, eine Heizung eingebaut, die „Erebus“ erhielt die Dampfmaschine einer Lokomotive und eine Schiffsschraube. An Bord befand sich Verpflegung kalkuliert für mehrere Jahre und in Form von Konserven, gedacht wurde auch an die Versorgung mit Vitaminen, einen gewissen Luxus in Form von Alkohol und Tabak sowie Bücher.

Im Eis gefangen
Den Winter 1845 verbrachte die Besatzung nach Erreichen der kanadischen Arktis in einem Winterlager auf Beechey Island. Dort fand man später die Leichen dreier Matrosen – als Mumien im Eis. 1846 fuhren die Schiffe weiter, blieben aber vor King William Island im Eis hängen.

APA/AFP/Mark Ralston
Nach der „Erebus“ wurde ein Vulkan benannt – allerdings im Südpolarmeer am anderen Ende der Welt in der Antarktis

Ab hier beginnen sich die Spuren zu verlaufen. Franklin starb im Sommer 1847. Im Jahr darauf gaben die Mannschaften die Schiffe auf, wobei es auch immer wieder heißt, ein Teil der Besatzung könnte versucht haben weiterzusegeln. Man fand die „Erebus“ und die „Terror“ schließlich weit weg von dort, wo man sie lange vermutet hatte.

Inuit berichteten von Kannibalismus
Bald nach dem Verschwinden der Schiffe hatten sich Such- und Rettungsexpeditionen mit zahlreichen Schiffen auf den Weg gemacht, teils gerieten sie selbst in Schwierigkeiten. Die ersten Spuren fand eine Expedition 1850, darunter die drei Gräber und Reste des Winterlagers auf Beechey Island, vier Jahre später stieß der schottische Forscher John Rae zufällig auf mehrere Gegenstände aus dem Fundus der Expedition, aufgesammelt von den Einwohnern der Region, den Inuit.

picturedesk.com/Illustrated London News Ltd/Mary Evans
Unzählige Expeditionen suchten nach Spuren Franklins und seiner Männer (Kupferstich um 1850)

Sie berichteten gegenüber Rae auch von Kannibalismus unter den Weißen, eine Überlieferung, die der britische Schriftsteller Charles Dickens als Fantasie von „Wilden“ zurückwies, die allerdings die Wissenschaft viele Jahre später bestätigte. Menschliche Knochen, die gefunden wurden, wiesen tatsächlich Koch- und Schnittspuren auf. Wiederum einige Jahre später fand eine weitere Expedition einen Lagerplatz der Seeleute. Sie hatten dort auch Notizen hinterlassen. Auf einer war zu lesen, dass man die Schiffe 1848 aufgegeben hatte und sich zu Fuß nach Süden aufmachen wollte. Die Männer kamen auf dem Marsch um.

Erste Blicke in das Wrack der „Terror“
Die kanadische Regierung suchte lange nach dem Wrack, 2014 wurde die „Erebus“ gefunden, und zwar dort, wo die Inuit oft geschildert hatten, dass sie gelegen sei, wie die „New York Times“ schrieb. Die „Terror“ sei ebenfalls nach dem Hinweis eines Inuit-Jägers gefunden worden. Letztes Jahr wurde auch sie vermessen, ein Unterwasservideo lieferte Bilder von Porzellan in einem Regal, Flaschen und Möbeln an Bord.

Geborgen wurde davon noch nichts, dafür viele Gegenstände von der „Erebus“. Laut „New York Times“ wurden in fast 100 Tauchgängen an die 350 Fundstücke eingesammelt. Erstmals hätten auch Gegenstände Crew-Mitgliedern zugeordnet werden können. Sie sollen dabei helfen, das Leben an Bord in den Monaten der Katastrophe zu rekonstruieren.

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OpenStreetMap

Was passierte an Bord?
Fundstücke liegen bereits im britischen National Maritime Museum in Greenwich, was die Tauchgänge vom Schiff direkt zu Tage förderten, könnte neue Einsichten in seine „letzten verhängnisvollen Monate“ bringen, zitierte die „New York Times“ den Leiter der Royal Canadian Geographical Society. Schiffe seien „ein unglaubliches Lager von Informationen und Gegenständen“.

Es gebe allerdings noch sehr viel auf der „Erebus“, die ihren Namen von Erebos, dem Gott der Finsternis aus der griechischen Mythologie, hat, zu tun. Es seien erst wenige Kabinen untersucht, ein Deck sei eingestürzt, Schränke und Laden versperrt. Insbesondere hofften die Unterwasserarchäologen auf schriftliche Aufzeichnungen darüber,was an Bord wirklich passierte, zu stoßen.
21.02.2020, geka, ORF.at

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Arktisexpedition 1845: Wracks sollen letzte Geheimnisse lüften
 
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