"Verflossenes Fabriksgelände" der einstigen Papierfabrik Hamburger in Pitten

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Emma's Fährte führte mich heute nach Pitten in Bezirk Neunkirchen, wo mir dann gleich 2 Schornsteine in die Augen blitzten. Zu meinem Glück waren Personen auf dem Gelände anzutreffen. Sie konnten Emma's Blick nicht widerstehen und gestatteten uns einen Blick durchs Areal der ehemaligen Papierfabrik. Teile wurden bereits Abgetragen, der Rest soll auch in den nächsten Jahren, bis auf wenige Gebäude verschwinden.

Die erste Papiermaschine in Österreich
Man weiß kaum etwas über Vinzenz Sterz, außer dass er ab 1819 die Papierproduktion in der Habsburgermonarchie revolutioniert hat. Auch hat er 1828 die k.k. priv. Papierfabrik in Pitten gegründet. Bei der Papiermaschine, die es zum ersten Mal erlaubte, vor Ort maschinell und nicht händisch Papier herzustellen, handelte es sich um eine Adaption einer Erfindung von Bryan Donkin. Sie wurde deshalb auch „Donkinmaschine“ genannt. Durch diese Innovation war man in der Donaumonarchie nicht mehr vom Papierimport abhängig.

Vinzenz Sterz hatte als Direktor der Papierfabrik Franzensthal bei Ebergassing – welche 1770 von Thomas von Trattner gegründet worden war – 1819 die Maschine gebaut und das staatliche Privileg erhalten, das maschinell erzeugte Papier als einziger inländischer Papierhersteller für die gesamte Monarchie zu produzieren. Da die Papierrollen „unendlich“ lang sein konnten, nannte man die Produktion auch „Papier ohne Ende“.

Ab 1820 belieferte die Papierfabrik Franzensthal auch die Oesterreichische Nationalbank mit dem Papier für Banknoten. In den folgenden Jahren verbesserte Vinzenz Sterz seine Maschine und konstruierte eine Schneidemaschine. Nach weiteren Erfindungen und Verbesserungen gründete er 1828 eine Papierfabrik in Pitten. Die Pittener Papier-Manufaktur S. & Co., später bekannt unter dem Namen k.k. priv. Pittener Papierfabrik, begann ihre Produktion in einer ehemaligen Mahl- und Sägemühle. Noch im selben Jahr starb jedoch Vinzenz Sterz.

k.k. priv. Pittener Papierfabrik
Die Witwe Magdalena Sterz übernahm mit den Gesellschaftern Johann Friedrich Rümmelein, Christoph Hartwig und Philipp Heinrich Werdmüller von Elgg den Betrieb. Es gab weitere Verbesserungen der alten sowie neue Maschinen, was dazu führte, dass 1835 das Unternehmen auf der ersten österreichischen Gewerbeausstellung mit der Bronze-Medaille ausgezeichnet wurde.
Von Heinrich Werdmüller von Elgg gibt es vom heftigen Erdbeben vom 14. März 1837, das er beim Lesen der Beschreibungen des Moorbruchs in der Grafschaft Antrim in Irland im Laboratorium der Fabrik erlebte, einen ausführlichen Bericht.

1853 übernahm kurzfristig Wilhelm Hamburger, der zweite Papierfabrikant in Pitten, das Unternehmen, bevor 1858 die Actiengesellschaft k.k. priv. Pittener Papierfabrik gegründet wurde. Nach dem Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 kam das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten, welche der langjährige Direktor Wilhelm Coulon wieder in den Griff bekam, so wurde bei der Weltausstellung 1873 der Betrieb als wichtigster Hersteller von mittelfeinem Papiers erwähnt. Auch kam ab 1873 aus der Fabrik das notwendige und erstmals in Österreich erzeugte Rollenpapier für den Zeitungsdruck. Somit belieferte die k.k. priv. Pittener Papierfabrik die österreichische Presse.
Der Architekt Otto Hieser hatte übrigens in Pitten für den erfolgreichen Direktor das örtliche Schloss umgebaut. Wilhelm Coulons Arbeit wurde von seinem Nachfolger Ferdinand Hauschka ab 1884 erfolgreich fortgesetzt. In Folge hat übrigens Otto Hieser auch für Ferdinand Hauschka eine riesige Villa in Wien gebaut. Zur Jahrhundertwende war die k.k. priv. Pittener Papierfabrik die drittgrößte ihrer Art auf dem Gebiet des heutigen Österreichs, nach der Leykam-Josephsthal AG, deren Grundstein 1793 Andreas Leykam gelegt hatte, und der Neusiedler AG für Papierfabrikation, ebenfalls 1793 gegründet.
Das Unternehmen expandierte und übernahm weitere Papierfabriken der Umgebung. Ab 1906 übernahm die Leykam-Josephsthal AG über den Wiener Bankverein sukzessive die Mehrheit der Aktien der Pittener Papierfabrik. 1926 ging die Pittener Papierfabrik AG zur Gänze im Leykam-Konzern auf.
1931 wurde die Fabrik in Pitten, 103 Jahre nachdem sie von Vinzenz Sterz gegründet worden war, stillgelegt.
Quelle: Vinzenz Sterz Die erste Papiermaschine in Österreich

Eine Info aus Mein Bezirk Damals & Heute
Gründungsjahr 1853
AB PAPIERFABRIK W. Hamburger
Betrieben wird die fabriksmäßige Herstellung von Wellenpappenrohpapier auf Altpapierbasis und der Großhandel mit diesen Produkten. Man hat diese Tätigkeit von der Hamburger Holding AG (Wortlaut ehemals W. Hamburger Aktiengesellschaft - FN 122152 k) im Zuge der Abspaltung und Vermögensübertragung per 16.09.1998 übernommen. Vormals führte man ein Rechenzentrum sowie die Erbringung von EDV- Dienstleistungen. Dieses wurde jedoch ruhend gemeldet. Rückwirkend per 01.01.2010 hat man auch den Bereich "Papierbetrieb" von der Hamburger Frohnleiten GmbH (FN 121360 x) übernommen.

einige Spuren von Damals:
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Ergänzungen zur ehemaligen Papierfabrik:

Aus dem damals preußischen Westfalen kam um 1870 die Familie Wüster nach Österreich und gründete im Laufe der Zeit in Ybbs eine Stahlwarenfabrik, in Wieselburg eine Sägefabrik und in Imst eine Metallwarenfabrik.
Die Firmen produzierten: Rasierklingen (kurze Zeit), Metall-Lang und Kreissägen, Schirmgestelle, Unterlagscheiben, Karniesen und sonstige Metallwaren. In Imst landwirtschaftliche Maschinen, Autowaschanlagen, Splinten, Drahtstifte, Patent-Unterlagscheiben etc.

Im Jahr 1927 wurde in Fischamend ein Objekt mit 15.000m2 zur Kapazitätserweiterung erworben und die Übersiedlung von Wieselburg durchgeführt.

Im Jahr 1938 umfasste das Produktionsprogramm bereits: Handsägen, Maschinen und Kreissägen, Schnellschnittsägen, Fräserfeilen, Schirmstöcke, Karniesen, Stahlrohre, Schlitzrohre, Fahrradrohre, Fahrradlenker, Taschen- und Gartenschirmgestelle, Winkeleisen und Stahlrohrbetten.

Während des 2. Weltkrieges musste die Liegenschaft in Fischamend an die Wiener Neustädter Flugzeugwerke abgetreten werden.
Als Ersatz erhielt die Firma die seit 1927 stillgelegte Pittner Papierfabrik der Leykam Josefsthal AG (der Eigentümer hatte die damals neuen und modernen Papiermaschinen von Pitten nach Gratkorn bei Graz überstellt und dadurch die Firma in Pitten quasi stillgelegt).

Die Übersiedlung begann am 6. Mai 1943 und war am 12.2.1944 beendet und benötigte 132 Zugwaggons.
Am 12.4.1944 wurden die ehemaligen Betriebsstätten in Fischamend durch einen Bombenangriff vollkommen zerstört.
Nach dem Krieg wurde die Produktion von Kohlensäurefläschchen aufgenommen.

In den 1970 Jahren fanden die meisten Wüster-Firmen den wirtschaftlichen Tod und gingen in den Konkurs oder wurden aufgelöst.

Nach kurzer Überprüfung gibt es drei „Haupt-Überlebende“:
  • die Firma in Imst, welche u.a. Wäschespinnen mit der Marke „Juwel“ vertreibt Imst
  • eine „Wüster Privatstiftung“
  • und eine Stromerzeugungsfirma in Ybbs wuesterstrom
Die von Bunker Ratte aufgesuchte Ruine in Pitten war ein Teil der Fa. Wüster (Fabriksstraße); gegenüber gibt es auch die „Brüder Wüster-Gasse“ zwecks Erinnerung an die Vergangenheit.

Quelle: tlw. aus „1100 Jahre Pitten“ Marktgemeinde Pitten 1992 und Internet.
 

josef

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#11
Weitere Nutzung von Objekten der stillgelegten Papierfabrik während des 2. Weltkrieges für ein "Heeresbekleidungsamt":

Bei
Alfred Horn, Peter Wegenstein; Eisenbahn-Handbuch-Sonderausgabe 2015 - Die Bautätigkeit der DRB in Österreich 1938-45
fand ich unter der Streckenbeschreibung Wiener Neustadt - Fehring über DRB-Bautätigkeiten auf Seite 134 folgenden Hinweis zum Bereich der Haltestelle Pitten-Brunn (kurze Zusammenfassung des Artikels):
Bei Streckenkilometer 63.711 (-> Kilometrierung ab Wien-Aspangbf.) im Bereich der Haltestelle Brunn an der Pitten gab es ab 1882 eine Anschlussbahn (AB) zur Papierfabrik (Länge 887 m inkl. Nebengleise). Nach Stilllegung der Fabrik 1930-31 wurden die Gleise 1939 abgetragen. Unabhängig von der AB zur Papierfabrik entstand in den 1920iger Jahren bei Streckenkilometer 63.837 eine 211 m lange AB zur neu errichteten Röstofenanlage des Eisenerzgbaues Pitten. Nach Einstellung des Betriebes wurde 1932 die Weichenverbindung zur Aspangbahn ausgebaut. Nach der kriegsbedingten Wiederaufnahme des Bergbaubetriebes wurde 1940 die AB wieder ans Streckennetz angeschlossen. 1942 erfolgte eine Verlängerung der AB zur ehemaligen Papierfabrik unter teilweiser Benützung der alten Trasse. Grund war die Einrichtung eines "Heeresbekleidungsamtes" in den Hallen der ehemaligen Papierfabrik. In der Nachkriegszeit wurden die Gleisanlagen wieder abgebaut.
(Als "Quelle" wird im Buch das Kürzel "ÖSA" (-> Österr.Staatsarchiv) angeführt).

Nach diesen Hinweisen müssten demnach zumindest während bzw. gegen Ende der Kriegszeit die Hallen der stillgelegten Papierfabrik von der aus Fischamend umgesiedelten Firma Wüster (-> Beitrag von @struwwelpeter ) und einem "Lager für Heeresbekleidung" (-> Heeresbekleidungsamt...) genutzt worden sein...
 
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