"Versuchslabor" experimentelle Archäologie

josef

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PRAKTISCHE FORSCHUNG
Experimentelle Archäologie: Versuchslabor quer durch die Zeiten
Die Statik eines Scheiterhaufens ist nicht zu unterschätzen, und beim Keramikbrennen hilft Dung: Der Methoden-Selbsttest fördert neue Erkenntnisse zutage
Die Archäologie öffnet uns Fenster in längst vergangene Zeiten und verleiht unseren Vorfahren in gewisser Weise die Stimme, mit der sie – obwohl durch Äonen von uns getrennt – zu uns sprechen können. Über weite Strecken müssen die Archäologen bei ihrer Arbeit ohne schriftliche Quellen auskommen. Sie verfügen fast ausschließlich über die materiellen Hinterlassenschaften aus dem Leben der Vertreter lange verschwundener Kulturen und Gesellschaften. Dabei handelt es sich um Kunstgegenstände, Objekte kultischer Funktion oder um Gebrauchsgegenstände des Alltags.

Mit dem Ausgraben von Objekten ist die Arbeit der Forscher aber nicht abgeschlossen, ganz im Gegenteil. Die Funde bedürfen einer Interpretation, und selbst wenn diese zufriedenstellend möglich ist, bleiben Fragen offen: Wie lief das damals genau? Welche Techniken und Materialien standen zur Verfügung, welche Arbeitsschritte waren nötig? Und welche Problemstellungen bewältigten die Menschen damals, um all das herzustellen, was die Archäologen heute, Jahrhunderte und Jahrtausende später, bergen?

In der experimentellen Archäologie werden Werkzeuge hergestellt und genutzt, wie man sie schon vor tausenden Jahren entwickelte.
Foto: Mamuz

Die Antworten auf diese Fragen, bei denen die Forschung mit herkömmlichen Methoden an ihre Grenzen stößt, versucht die experimentelle Archäologie zu finden. In diesem Spezialbereich der Wissenschaft treffen die geistes- und naturwissenschaftlichen Aspekte der Archäologie auf Handwerkskunst.

Altägyptisches Bronzegießen
Der Mamuz-Standort Schloss Asparn an der Zaya widmet der experimentellen Archäologie heuer eine gleichnamige Sonderausstellung und setzt damit gleichsam ein Ausrufezeichen in seinem Kerngebiet. Hier befindet sich mitten im Weinviertel ein anerkanntes Zentrum für die experimentellen Archäologen in ganz Europa.

Über die Jahrzehnte ist im Freigelände des Urgeschichtemuseums ein ansehnliches Dorf von detailgetreuen Nachbauten aus diversen Abschnitten der Geschichte von der Steinzeit bis zur Eisenzeit entstanden. In der Sonderschau wird anhand von 25 Experimenten von Archäologen aus aller Welt die Leistungsfähigkeit dieser wissenschaftlichen Spezialdisziplin demonstriert.


Metallverarbeitung wie in der Eisenzeit: Im Freigelände des Schloss Asparn wird alte Handwerkskunst erprobt.
Foto: Mamuz

Dass die alten Ägypter den Bronzeguss beherrschten, lässt sich unschwer anhand diverser Funde von Bronzeobjekten erkennen. Doch bei den Gussformen der Bronzeplastiken handelt es sich um sogenannte verlorene Formen. Diese haben üblicherweise die Zeiten nicht überdauert, sondern wurden im Produktionsablauf zerstört. Im Wachsausschmelzverfahren wird ein Wachsmodell ummantelt, um eine Form zu bilden. Das Wachs wird sodann durch Erhitzen entfernt, zurück bleibt eine Hohlform, die mit Metall ausgefüllt wird. Der Fund von unfertigen Formen einer Bronzegießerwerkstatt in Ägypten ermöglichte einen einzigartigen Einblick in die Arbeitsmethoden der Metallverarbeiter vor mehr als dreitausend Jahren. Die Rekonstruktion ergab, dass die Formen in einem komplexen Verfahren aus mehreren Schichten, darunter auch eine spezielle Entlüftungsschicht, hergestellt wurden. Bei einer wesentlichen Ingredienz handelte es sich übrigens um Eselsdung.

Schlechte Luft wie bei den Wikingern
Bei den Grabungen in der neolithischen Siedlung Çukuriçi Höyük in der Türkei wurden massenhaft Steinklingen aus Obsidian gefunden. Ebenso wurden zahlreiche Überreste von Schweinen entdeckt. Die Experimente der Archäologen konnten zeigen, dass die Obsidianklingen nur bedingt zur Fleischzerteilung geeignet waren.

Ein anderes Experiment versuchte, der geringen Lebenserwartung der Wikinger auf den Grund zu gehen. Die Versuchsteilnehmer lebten mit Messgeräten ausgestattet einen bestimmten Zeitraum in einem Nachbau eines Wikingerhauses. Dabei wurden die schlechten Luftverhältnisse simuliert. Die Ergebnisse demonstrierten, dass es sicherlich gesündere Lebensweisen gibt, die gemessenen Daten waren aber teilweise weniger dramatisch als erwartet.

Ein schmutziges Geschäft
Die experimentelle Archäologie wird in Asparn jedoch nicht nur als Ausstellungsmaterial aufbereitet, sie kann auch live erlebt werden. Am vergangenen Wochenende fand hier die schon seit 1982 regelmäßig abgehaltene Lehrveranstaltung "Experimentelle Archäologie" der Universität Wien statt. Dabei wird in jedem Fall der Beweis erbracht, dass es sich bei der Archäologie zwar oft genug um ein schmutziges Geschäft, aber sicherlich nicht um angestaubtes Wissen aus dem Elfenbeinturm handelt. Mehrere Dutzend Nachwuchsarchäologen erprobten und verfeinerten vier Tage lang ihre Kenntnisse in zahlreichen Handwerkstechniken und dokumentierten minutiös ihre Erkenntnisse aus den Versuchen.


Kochen ohne Erdäpfel und Paradeiser: Vor tausend Jahren und mehr mussten Menschen in Europa ohne die Früchte amerikanischer Gewächse satt werden.
Foto: Mamuz

Bei einer Station entsteht eine Speerschleuder aus einem Hirschgeweih. Das harte Material wird mit Steinklingen bearbeitet – ein zeitraubendes Verfahren, doch eingeweicht in Wasser lässt sich das Geweih gleich viel besser schnitzen. Bei einem anderen Versuch wird das Gericht Ritschert gekocht, wie es wohl auch die Bergleute in den Salzstollen in Hallstatt vor tausenden Jahren zubereitet haben – dies verraten jedenfalls ihre im Berg entdeckten Hinterlassenschaften.

Vom Kochtopf zur Feuerbestattung

So sieht ein Kochtopf aus Ziegenfell aus.
Foto: Michael Vosatka

Bei einer weiteren Station wird Gemüse in einem Fellkochtopf gegart. Hierzu muss erst eine Ziegenhaut von Fleisch- und Fettresten gereinigt werden, danach wird damit eine Grube ausgekleidet. In diesem primitiven Kochtopf wird das (selbstverständlich ausschließlich vorkolumbisch-europäische) Gemüse in einer Suppe gegart. Die Kochtemperatur kommt von Steinen, die nebenan in einer Feuerstelle erhitzt und dann in den Topf gegeben werden.

Überhaupt spielt Feuer eine wesentliche Rolle bei den Experimenten, sei es bei der Verhüttung von Kupfererz, bei der nach der exakten Dosierung der per Blasebalg zugeführten Luft für die optimale Temperatur gesucht wird, sei es bei verschiedenen Schmiedeversuchen.


Auch die Temperatur eines professionell errichteten Scheiterhaufens zur Einäscherung wird gemessen.
Foto: Mamuz


Hier wird das Totenhemd gezeigt, dass das Schwein bei seiner Feuerbestattung trug.
Foto: Michael Vosatka

Einer der Höhepunkte der Lehrveranstaltung ist eine Feuerbestattung. Dabei muss keiner der Studenten volontieren: Eingeäschert wird ein Schwein – der "porcine" Körper weist vergleichbare Eigenschaften zum menschlichen auf. Das Tier wird mit einem Totenhemd eingekleidet, mit Wolltüchern bedeckt und mit Beigaben aus Metall und Töpferware ausgestattet auf einem Scheiterhaufen kremiert. Allein dessen Errichtung ist ein eigenes Experiment: Wie schlichtet man den Scheiterhaufen so auf, dass er perfekt in sich zusammenstürzt und für eine vollumfängliche Einäscherung sorgt? In der Vergangenheit hat sich schon einmal ein Schwein aufgrund von Konstruktionsmängeln vom Scheiterhaufen "geflüchtet".

Historisches Handwerk selbst ausprobieren
Die Keramik wurde zuvor in einem anderen Versuch hergestellt. Während an einem Tag Holz zum Brennen der Töpfe in einer Feuerstelle verwendet wurde, kam anderntags ein speziellerer Brennstoff zum Einsatz: Der eigens aus Deutschland mitgebrachte Dung von bayerischen Kamelen zeigt im Experiment durch eine gleichmäßige Verbrennungstemperatur eine besondere Eignung für die Keramikproduktion.


Besonders hilfreich beim Brennen von Keramik: Tierdung, in diesem Fall der von Kühen.
Foto: Mamuz

Wer selbst experimentieren möchte, kann dies den ganzen Sommer hindurch bei zahlreichen Workshops und historischen Handwerkskursen im Schloss Asparn selbst ausprobieren: Vom Bogenbau über die Herstellung von Pfeilspitzen aus Flint bis zum Bierbraukurs ist für jeden Geschmack etwas dabei.

Die Ausstellung "Experimentelle Archäologie" wurde gemeinsam mit Exarc, der internationalen Vereinigung archäologischer Freilichtmuseen, konzipiert. In den kommenden Jahren soll die Schau an anderen Standorten gezeigt werden. In Asparn ist sie jedenfalls noch bis 21. November zu sehen.
(Michael Vosatka, 12.7.2021)

Links
Mamuz-Sonderausstellung "Experimentelle Archäologie"
Veranstaltungen und Kurse im Schloss Asparn/Zaya

Experimentelle Archäologie: Versuchslabor quer durch die Zeiten
 
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