Wetterextreme im späten Mittelalter begünstigten den Aufstieg der "Habsburger-Dynastie"

josef

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Was die Habsburger und die Kleine Eiszeit miteinander zu tun haben
Das späte Mittelalter war geprägt von Wetterextremen – und dem Aufstieg einer Dynastie dank der Krise
"Es gibt hier viele Wiesen und Wälder, (…) kein Acker trug je besser Korn." So lobt der Dichter des Versepos "Biterolf und Dietleib" um 1260 die Steiermark. Seit gut 200 Jahren hatten günstige klimatische Bedingungen in Europa das Wachstum von Landwirtschaft und Bevölkerung unterstützt, auch in Österreich, das seit 976, und in der Steiermark, die seit 1192 unter der Herrschaft der Babenberger stand. Allerdings starb diese Familie 1246 aus. Nachbarfürsten stritten um das Erbe, darunter der böhmische König Ottokar II. Přemysl. An die Stelle des Wohlstands trat "große Not", wie der Minnesänger Ulrich von Liechtenstein klagte.

Krieg um das Babenberger-Erbe und ein Vulkanausbruch
Zu den politischen Unruhen kam eine Zunahme der Häufigkeit von Witterungsextremen, die den klimatischen Übergang von der "Warmzeit" des Hochmittelalters zur "Kleinen Eiszeit" anzeigte. Eine Kaltanomalie, die 1257 durch die atmosphärische Wirkung eines Ausbruchs des Vulkans Samalas auf der indonesischen Insel Lombok mitverursacht wurde, führte zu Missernten und Hungersnöten. Im immer wieder aufflammenden Kampf um das Babenberger-Erbe konnte sich König Ottokar II. durchsetzen. Doch wählten die deutschen Fürsten 1273 mit Rudolf I. von Habsburg einen König, der die Ansprüche des Reiches in den österreichischen Ländern geltend machte. Er besiegte Ottokar II. im August 1278 in der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen nordöstlich von Wien. König Rudolf I. übertrug Österreich und Steiermark 1282 an seine Söhne Albrecht I. und Rudolf II. und begründete damit die mehr als 600-jährige Herrschaft der Habsburger an der Donau.


Im Jahr 1257 trug der Ausbruch des Vulkans Samalas auf der Insel Lombok in Indonesien zu einer weltweiten Kalt-Anomalie bei (Karte links); im August 1278 kämpfte der Habsburger König Rudolf I. in der Schlacht bei Dürnkrut und Jedenspeigen gegen das Heer des Böhmenkönigs Ottokar II. um die Herrschaft in Österreich.
(Gemälde von Leopold Löffler, 1860, Nationalmuseum Krakau).
Fotos: Wikicommons/Sadalmelik CC 3.0 (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Lombok_Locator_Topography.png)/Public Domain


Donauflut, Dürre und Rinderpest
Ihr Aufstieg zur Großmacht vollzog sich parallel zur klimatischen Entfaltung der "Kleinen Eiszeit". Um 1282 setzte ein Minimum der Sonnenaktivität ein, das nach dem Schweizer Astronomen Johann Rudolf Wolf (1816–1893) benannt wird und bis 1342 anhielt. Der auch mit dem "Klimaforcing" des Samalas-Ausbruchs 1257 einsetzende Trend zu kühleren Klimabedingungen setzte sich auf globaler Ebene durch. Die Frequenz strenger Winter und kühl-feuchter Sommer stieg. 1284/1285 verwüsteten Donau-Hochwässer Österreich und seine Nachbarländer, trugen aber immerhin zum Scheitern einer Invasion der Mongolen in Ungarn bei. Zwischen 1293 und 1295 wird eine weitere nasskalte Periode beschrieben; 1295 erfasste eine Überschwemmung des Wienflusses das vor dem Kärntnertor liegende Wiener Bürgerspital, bei der viele Patienten ertranken. Im "Jahrhundertsommer" 1304 war hingegen der Wasserstand der Donau so niedrig, dass man zwischen Krems und Klosterneuburg an drei Stellen die Donau mit Fuhrwerken durchfurten konnte. In den Jahren 1310 bis 1312 wütete eine weitere Hungersnot. Und zwischen 1315 und 1321 führte eine neuerliche Kaltanomalie zu enormen Ernteausfällen beim Getreide. Vor allem in Nordwesteuropa gingen diese Jahre als "Große Hungersnot" in die Geschichte ein.

Auch für Österreich wird berichtet, dass Starkregenfälle und Überschwemmungen das auf den Feldern stehende Getreide schwer schädigten. Allerdings verzeichnete man für 1317 im Stift Zwettl im Waldviertel, dass die Menschen auf Brot aus Gerste und Hafer zurückgreifen konnten. Zu den Missernten kamen Erkrankungen bei Mensch und Vieh. Ab 1310 wurde Österreich von der Rinderpest heimgesucht. Die Sterblichkeit konnte bis zu 90 Prozent der infizierten Tiere betragen. Vielleicht war schon diese Seuche (wie später der "Schwarze Tod") eine Folge der "mikrobiologischen Globalisierung" Eurasiens infolge der mongolischen Eroberungen, denn bereits ab 1288 trat eine solche Krankheit in der Mongolei auf und verbreitete sich dann vermutlich nach Westen.

Übergriffe auf Juden und Kriege der Habsburger
Diese Katastrophen hinderten aber die Habsburger nicht, ihre Kämpfe um Ländereien und Titel weiterzuführen. Immerhin nutzten sie ihre Macht gelegentlich zum Schutz von Minderheiten, die in Zeiten der Krise besonders Verdächtigungen ausgesetzt waren. Im Dürrejahr 1305 wurde den Juden in Korneuburg die Schändung einer aus einer Kirche entwendeten geweihten Hostie vorgeworfen, was als Anlass zu ihrer Ermordung diente. 1306 tauchten ähnliche Gerüchte in St. Pölten und in Wien auf und wurden von Übergriffen auf Juden begleitet; diesmal schritt Herzog Rudolf III. von Habsburg ein und verhängte eine Geldbuße über St. Pölten. Eine angebliche Hostienschändung in Fürstenfeld in der Steiermark 1312 provozierte aber erneut Pogrome. Ab 1314 versuchte der Habsburger Friedrich der Schöne seine Ansprüche auf die deutsche Königskrone gegen Herzog Ludwig II. von Bayern mit Gewalt durchzusetzen. Über viele Jahre verwüsteten die beiden Nachbarn wechselseitig ihre Länder, bis 1325 eine Einigung erzielt wurde. Dennoch verloren die Habsburger ab 1330 für mehr als ein Jahrhundert (bis 1438) den Zugriff auf die Krone. Dieses Jahrhundert begleiteten mit weiteren Extremereignissen und vor allem der Pestpandemie ab 1348 noch größere Katastrophen.


Rekonstruktion der Sommertemperaturen im Mitteleuropa auf der Grundlage von Baumringdaten aus den Alpen, 1150-2003, im Vergleich zu 1960-1990 (nach Büntgen u. a. 2011; gepunktete Linie = 30-jähriger Durchschnitt)
Grafik: J. Preiser-Kapeller, ÖAW

Der parallele Aufstieg der Habsburger und Osmanen während der Kleinen Eiszeit
Dennoch stand am Ende der Aufstieg der Habsburger zur europäischen Großmacht. In einer neuen zweibändigen Studie vergleiche ich den Einfluss von Klimawandel und Pandemien auf die Transformation vorindustrieller Gesellschaften in Europa, im Nahen Osten und in Ostasien in Antike und Mittelalter. Deutlich wird, dass weder "günstige" Klimabedingungen automatisch zu gesellschaftlicher Stabilität, noch "ungünstige" zum Zusammenbruch von Staaten führten. Je nach ihrer Fähigkeit, solche Schocks zu verarbeiten oder zumindest den Zusammenhalt der Eliten aufrechtzuerhalten, wurde die Stellung von Regimen gestärkt oder geschwächt. Die Habsburger gehörten – bei allem Leid der Masse der Menschen, das aber die Herrschenden oft wenig kümmerte – zu den "Gewinnern" der Krisen des 14. und 15. Jahrhunderts, ähnlich wie eine andere Dynastie, die von Kleinasien aus zur selben Zeit zur Weltmacht aufstieg: die Osmanen. Die direkte Konfrontation zwischen den beiden Newcomern fand dann während des Höhepunkts der Kleinen Eiszeit im 16. und 17. Jahrhundert statt, wie wir in einer früheren Studie beleuchten konnten. Als die Kleine Eiszeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Ende ging, wurden bald danach auch diese beiden Dynastien, die "aus der Kälte" kamen, gestürzt.
(Johannes Preiser-Kapeller, 2.3.2021)

Johannes Preiser-Kapeller ist Historiker am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und forscht zur Vernetzung und Umweltgeschichte der mittelalterlichen Welt. Im März 2021 erscheint in den zwei Bänden "Die erste Ernte und der große Hunger" und "Der Lange Sommer und die Kleine Eiszeit" seine vergleichende Studie zu Klima, Pandemien und der Verwandlung der Alten Welt in Antike und Mittelalter im Wiener Mandelbaum-Verlag.

Was die Habsburger und die Kleine Eiszeit miteinander zu tun haben - derStandard.at
 
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