Wien - Archäologen legten Friedhöfe frei

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Harald 41

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Sechs vergessene Friedhöfe wurde in Wien innerhalb des Gürtels freigelegt....

Archäologen legten Friedhöfe frei

Mit der großen Hygienereform von Kaiser Joseph II. verschwanden viele Friedhöfe innerhalb des Gürtels. Durch die Zuschüttung schützte man die Bevölkerung vor Krankheiten. Sechs vergessene Ruhestätten haben Stadtarchäologen ausgegraben.

„Wir können uns nicht aussuchen, wo wir graben“, erklärte Karin Fischer-Ausserer, Leiterin der Wiener Stadtarchäologie, im APA-Interview. Stattdessen werde die Abteilung immer dann angerufen, wenn bei Bauarbeiten plötzlich Knochen, Ruinen oder Fundamente auftauchen. So etwa geschehen beim Umbau des Bundesrealgymnasiums Marchettigasse in Mariahilf: Beim Aufgraben des Hofes stießen die Arbeiter dort auf jede Menge Knochen und menschliche Überreste.

Diese erwiesen sich schließlich als Friedhof des ehemaligen Militärspitals in der Gumpendorfer Straße. Mit solchen Ausgrabungen könne man nicht nur einiges über die im 17. und 18. Jahrhundert üblichen Bestattungsriten sagen, sondern auch viele anthropologische Aussagen treffen, schilderte Fischer Ausserer. „Bei den Soldaten des Mariahilfer Friedhofes wurden beispielsweise grobe Mangelerscheinungen wie etwa Zahnfleischschwund festgestellt. Die Versorgung der Armee dürfte also nicht besonders gut gewesen sein“, so die Leiterin der Stadtarchäologie.
Grabungen zeigen Bestattungsriten

Die Ergebnisse der Grabungen sind auch im neuesten Band der Reihe „Wien Archäologisch“ nachzulesen. Dieser wird am Donnerstag präsentiert, am gleichen Tag wird eine Ausstellung zur Geschichte der sechs freigelegten Friedhöfe eröffnet.

Neben dem Soldatenfriedhof stießen die Stadtarchäologen auch auf drei letzte Ruhestätten im Bereich der Sensengasse im Alsergrund, den Friedhof zu St. Ulrich in der Zollergasse in Neubau und einen Friedhof bei der Hernalser Kalvarienbergkirche. „Gemeinsam haben die Gräber, dass sie vor allem für Begräbnisse der ärmeren und bürgerlichen Bevölkerung genutzt wurden“, sagte Fischer-Ausserer. Denn Klerus und Adelige wurden damals noch nicht in der Erde, sondern eher in Gruften oder eigenen Totengebäuden zur letzten Ruhe gebettet.

Dementsprechend fanden die Wissenschafter vor allem einfache Holzsärge, Bekleidungsreste und schlichte Kreuze oder Totenkronen. Aus diesen Funden lässt sich etwa auf Bestattungsriten schließen: „Bis ins 16. Jahrhundert nähte man die Leichen schlicht in Totensäcke aus Leinen ein. Später begann man, die Toten auch zu bekleiden, um sie für ihre Vereinigung mit Gott im Nachleben passend auszustatten“, führte die Archäologin aus.
Abgetrennte Bereiche für Kindergräber

Die ältesten Gräber dieser Untersuchungen stammen vom Bäckenhäusel Gottesacker im Alsergrund. Nahe der Sensengasse fanden die Stadtarchäologen im Zuge der Bauarbeiten am Universitätssportinstitut 2005 und 2006 auch noch zwei weitere Friedhöfe: den Spanischen Friedhof sowie den Neuen Schottenfriedhof. Auf diesen drei Ruhestätten seien alle Arten von Gräbern vertreten: Einerseits einfache Schachtgräber, in denen die Toten mit Blick nach Süden nebeneinandergereiht wurden, andererseits Massengräber, die vor allem in Zeiten von Seuchen und Epidemien als rasche Totenlager dienten.

„Hier wurden die Toten übereinandergelegt, mit Kalk bestreut und möglichst schnell weitere Leichen hineingeschlichtet - auch um Ansteckung zu verhindern“, erklärte Fischer-Ausserer. Auch eigens abgetrennte Bereiche für Kinder und Kleinkinder sowie das Fundament und der Kellerbereich einer Friedhofskirche kamen bei den Grabungen zum Vorschein.
Wanderausstellung wird geplant

Die Ausstellung in der Fachbereichsbibliothek Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft in der Sensengasse konzentriert sich auf jene Grabungen, die in der Umgebung stattfanden. Danach soll die Schau weiter wandern. „Es ist wunderschön wenn man den Menschen zeigen kann, was sich früher hier befunden hat“, erklärt die Stadtarchäologie-Leiterin diesen Zugang. Beleuchtet wird auch der Umgang mit diesen Funden in der Vergangenheit: „Stieß man auf Knochen, wurde oft zuplaniert und drübergebaut“, meinte Fischer-Ausserer. Ein gutes Beispiel dafür sei etwa die Errichtung der neuen Kalvarienbergkirche.

Das Buch und die Ausstellung „Der Tod ist erst der Anfang“ werden am 12. Juni, 19 Uhr in der Fachbereichsbibliothek Bildungswissenschaft, Sprachwissenschaft und Vergleichende Literaturwissenschaft, Sensengasse 3a, 1090 Wien, präsentiert.

Heute werden die gefundenen Knochen sorgfältig ergraben sowie ihre Fundstellen erfasst und fotografiert. Danach gelangen sie zur anthropologischen Untersuchung, um Rückschlüsse auf Geschlecht, Alter und andere Daten zu ziehen. Sind alle Analysen abgeschlossen, werden die Knochen eingeäschert und im Bereich der namenlosen Toten am Zentralfriedhof wieder bestattet.

http://wien.orf.at/news/stories/2651837/

LG Harry
 

Stoffi

Well-Known Member
#2
Das passiert immer wieder, vor 2 Jahren wurde im Keller eines hauses in der elisabethstrasse Reste eines friedhofes ( also 2 Skelette) gefunden
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#3
"Wiens vergessene Friedhöfe"

Was vergessene Skelette über Wiens Geschichte erzählen
Julia Schilly, derStandard.at, 12. Jänner 2015

Die Überreste eines aufgelassenen Friedhofs in Hernals berichten über Leben und Bräuche vor hunderten Jahren

Den Wienern und Wienerinnen wird seit jeher nachgesagt, vom Tod fasziniert zu sein. Und manchmal sind sie den Toten näher, als sie wissen. Denn Gottesäcker, eine alte Bezeichnung für Friedhöfe, befanden sich seit der Spätantike meist bei Gotteshäusern, die wiederum im Zentrum eines Ortes standen. Erst Überbelegung, Angst vor Krankheiten und der Hunger nach immer mehr Bauland verdrängten die Bestattungsorte wieder aus der Stadtmitte. Viele Tote verblieben in ihren Gräbern und wurden vergessen. Diese Orte sind zwar aus dem Stadtbild verschwunden, erzählen aber viel über Bevölkerung, Wachstum und Entwicklung von Wien.

Daher widmet ihnen die Stadtarchäologie nun eine Serie von Ausstellungen. Die darin vorgestellten neuzeitlichen Friedhöfe wurden von den Stadtarchäologen ausgegraben und erforscht. "Zur Erden bestattet in Hernals" ist die zweite Ausstellung in der Reihe. Sie wird von der Stadtarchäologie Wien und der Volkshochschule Meidling veranstaltet. Die Ausstellung präsentiert die Ergebnisse der Ausgrabung auf dem einstigen Bestattungsplatz um die Kalvarienbergkirche und setzt sie in Beziehung zur Ortsgeschichte von Hernals.

300 frühneuzeitliche Gräber entdeckt

Die Bevölkerung des Vorortes Hernals hatte einen eigenen Bestattungsplatz. Für die Neugestaltung des St.-Bartholomäus-Platzes musste im Herbst 2009 die Oberfläche abgetragen werden. Bereits unter der Asphaltdecke fanden die Arbeiter Spuren von Gräbern. Die Baustelle verwandelte sich daher vorübergehend in eine Grabungsstätte: Die Stadtarchäologie Wien legte in sieben Wochen mehr als 300 frühneuzeitliche Gräber frei. Sie gehörten zum ehemaligen Friedhof der Pfarre Hernals, der vom späten Mittelalter bis ins Jahr 1786 genutzt wurde.

Die Kirche St. Bartholomäus ist in Hernals bereits für das 14. Jahrhundert bezeugt. Rund um die Kirche lag der Friedhof. Die Stadtarchäologen gehen davon aus, dass sich das dazu gehörige mittelalterliche Dorf zwischen Elterleinplatz und St.-Bartholomäus-Platz sowie entlang eines Weges am Hang südlich des Alsbaches erstreckt hat. Erst 1892 wurde das bis dahin eigenständige Dorf Hernals in die Stadt Wien eingemeindet.

Friedhof als sozialer Spiegel der Gesellschaft
In einigen Gräbern fanden sich Überreste der Totenkleidung. Diese Beigaben geben Aufschluss über Glauben, Rituale und sozialen Stand. Bei einigen Toten fanden sich Gürtel und Knöpfe, die Aussagen über die soziale Topografie Wiens erlauben: Denn die Verzierungen sind teilweise durchaus bescheiden. Das bedeutet, dass nicht nur die Elite auf den Friedhöfen der Stadt begraben wurde, sondern auch Angehörige des Prekariats, des Militärs, Arme und Kranke.

Datenbank Skelett
Der Fachbereich, der sich mit der Auswertung menschlicher Überreste beschäftigt, wird als Osteo- oder Bioarchäologie bezeichnet. "Das Skelett ist ähnlich einer Datenbank, in der zahlreiche Informationen über Identität und Lebensumstände einer Person gespeichert werden und auch Jahrhunderte nach dem Tod noch abrufbar sind", berichten die Mitarbeiter der Stadtarchäologie. Die anthropologische Auswertung ermöglicht also Aussagen über den Gesundheitszustand und das Sterbealter.

Neuere DNA-Analysemethoden lassen teilweise sogar erkennen, an welchen Krankheiten Menschen gestorben sind, wie die Stadtarchäologie informiert: "Die DNA bestimmter Krankheitserreger ist sehr robust und kann unter günstigen Lagerungsbedingungen über viele Jahrhunderte erhalten bleiben." Bislang am Skelett "unsichtbare" Krankheiten wie die Pest können so aufgespürt werden.

309 Individuen, die auf dem Friedhof am St.-Bartholomäus-Platz gefunden wurden, konnten anthropologisch ausgewertet werden. Für die Bevölkerung in der frühen Neuzeit war das niedrige Sterbealter nicht überraschend. Die Ursachen der geringen Lebenserwartung konnten an zahlreichen Skeletten nachgewiesen werden. Ein häufiges Problem waren Mangelerkrankungen, die an Biegedeformationen der Langknochen festgestellt wurden: ein Hinweis auf chronischen Vitamin-D-Mangel, auch Rachitis genannt. Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 90 Prozent der Kinder in mittel- und nordeuropäischen Städten der frühen Neuzeit an Rachitis litten.

Auch Skorbut, also ein chronischer Vitamin-C-Mangel, wurde an Kinderskeletten nachgewiesen. Bis zum 20. Jahrhundert waren jedoch Infektionskrankheiten die führende Todesursache. Grund waren Unterernährung sowie die mangelhafte Hygiene und medizinische Versorgung.

Kulturelle Praktiken
Überreste von Frauen im Alter zwischen 40 und 60 Jahren, die in Hernals bestattet wurden, wiesen teilweise Deformierungen der Rippen und des gesamten Brustkorbs auf. Veränderungen dieser Art können durch das häufige Tragen eines Korsetts entstehen. Ein männliches Skelett zwischen 40 und 60 Jahren hatte halbovale Einkerbungen an beiden Eckzähnen, was wiederum auf das regelmäßige Fixieren einer Pfeife mit den Zähnen hinweist.
http://derstandard.at/2000010126099/Was-vergessene-Skelette-ueber-Wiens-Geschichte-erzaehlen
 
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