WK I - Kriegsfilme - Ablenkung der Massen: Falsche Bilder vom echten Krieg

josef

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#1

foto: filmarchiv Austria
Der Filmpionier Alexander "Sascha" Kolowrat gilt als Begründer der österreichischen Filmindustrie und als wichtigster Propagandafilmer der Monarchie. Hier an der Kamera bei Aufnahmen im Feld.


Die österreichisch-ungarische Kriegsfilmproduktion diente weniger der Propaganda als der Ablenkung der Massen

Wien – Über David W. Griffith, den Regisseur des so berühmten wie berüchtigten Historienfilms Birth of a Nation (1915), wird die folgende Begebenheit berichtet: Als Griffith während des Ersten Weltkriegs nach Europa reiste, um an der französisch-deutschen Front seinen Propagandafilm Hearts of the World zu drehen, erlebte der Stummfilmregisseur seine bis dahin größte Niederlage. Griffith, dem ausnahmsweise der Zugang zu den Schützengräben erlaubt war, kehrte der Front enttäuscht den Rücken: Im Niemandsland gab es nichts zu sehen, was auf der Leinwand seinen Zweck erfüllt hätte. Resigniert reiste Griffith ab und reinszenierte die Schlachtszenen in Salisbury und im Studio. Der Blick vom Feldherrnhügel auf die Formationen, den er als Filmstratege vor Augen gehabt hatte, gehörte im modernen Krieg bereits der Vergangenheit an.

Unterhaltung für die Massen
In dem vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekt "Bewegte Bilder zu Habsburgs letztem Krieg" hat der Wiener Historiker und Autor Hannes Leidinger (Der Untergang der Habsburgermonarchie, Haymon 2017) mit seinem Team nun rund 1500 Filmtitel aus österreichisch-ungarischer Produktion von 1914 bis 1918 erfasst und diese auf Bilder und Beschreibungen des Ersten Weltkriegs hin untersucht. Mit erstaunlichem Ergebnis: Nicht nur diente ein Großteil der Arbeiten nicht propagandistischen Zwecken, sondern der Unterhaltung bzw. Ablenkung der Massen, die "authentischen" Bilder des Krieges erwiesen sich überdies auch vorwiegend als Fälschungen.

Die Filmografie, die Leidinger in Zusammenarbeit mit dem Filmarchiv Austria und ungarischen Filmhistorikern erstellen konnte, liefert bereits aufgrund ihres Umfangs erste Überraschungen: So konnten von den 1500 Einzeltiteln hunderte mehrheitlich in Ungarn produzierte Spielfilme neu erfasst werden. Vor allem die damals vor dem Hauptfilm laufenden Wochenschauen waren dabei ein ergiebiger Fundus, aus dem man sich für die sogenannten "Aktualitätenfilme" – kurze Dokumentationen über aktuelle Ereignisse – bedient habe, so Leidinger.

Aufgabe der Kriegspropaganda war es aber nicht nur, in der Heimat die Kriegsmoral zu heben, sondern auch Neutrale und Verbündete, etwa das osmanische Publikum, zu beeinflussen – mit dem Resultat, dass noch heute zwischen Amsterdam und Ankara entsprechendes Material auftaucht. Und selbst vom damaligen Feind beschlagnahmte Aufnahmen können noch hundert Jahre später sichergestellt werden.

Doch welche Bilder des Krieges bekam das Publikum der Donaumonarchie eigentlich zu sehen? Leidinger verweist hier auf die systematische Manipulation: So seien etwa viele Bilder der Kriegsbegeisterung, etwa beim Ausmarsch der Truppen 1914 an die Front, bereits nachweisbar als Fälschungen identifiziert worden.

Kein Kriegsjubel
"Im Grunde ist der Spielfilm Wien im Krieg 1916 bereits eine Antwort auf die zunehmende Kriegsmüdigkeit", so der Historiker. "Der Kriegsjubel lässt sich filmisch genauso wenig belegen wie in vielen anderen Bereichen. Im Vordergrund steht nicht die Euphorie, sondern die Stimmungsmache gegen den Feind, etwa wenn in Serbien erklärt den Krieg die gegnerische Führung als Zwerge auftritt. "Ich würde behaupten, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht gejubelt, sondern schlicht gehorcht hat – vor allem die Arbeiter- und die Bauernschaft." Eine Einschätzung, die sich mit dem Bestand aus den Kriegsjahren deckt. Authentisch sei einzig das bei patriotischen Veranstaltungen entstandene und oftmalig verwendete Fotomaterial: "Immer wieder das Radetzky-Denkmal vor dem Kriegsministerium. Das ist schon verdächtig."

In luftigen Höhen
Doch das filmische Reenactment hatte auch unmittelbar mit den Auflagen der modernen Kriegsführung zu tun. Leidinger verweist in diesem Zusammenhang auf die sich parallel entwickelnde Industrialisierung von Kino und Krieg: Eine Möglichkeit, den Feldherrnhügel durch Filmaufnahmen "zurückzuerobern", hätten die neuen Luftaufnahmen als "Eindruck der Gesamtsituation" geboten.

Dass der Schrecken die Massen zukünftig von oben ereilen würde, deuten auch österreichische Produktionen an. Dennoch sei die Erfahrung der Ereignislosigkeit – und damit des "unfilmischen" – Schlachtfelds nicht neu: Bereits der russisch-japanische Krieg 1904/05 sei als Maschinenkrieg geführt worden.

Aber hätte man die Hitze des Gefechts überhaupt darstellen können? Leidinger verweist hier ausgerechnet auf Georges Méliès, Frankreichs berühmtesten frühen Kinozauberer (Die Reise zum Mond), der schon vor der Weltkriegserfahrung meinte, seine Aktualitätenfilme über den Krieg nur im Studio nachstellen zu können.

Auf diese Frage hat das Kino erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine Antwort gefunden: in naturalistischen Schlachtengemälden, bei denen man als Zuschauer den Überblick verliert. (Michael Pekler, 18.3.2018)
Link

www.bewegte-bilder-1914-18.at

https://derstandard.at/2000076076603-1317/Ablenkung-der-Massen-Falsche-Bilder-vom-echten-Krieg
 

josef

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#2
Bomben und Lieder – Musik im ersten Weltkrieg
Die Rolle der Musik im Ersten Weltkrieg.
Im Jahr 2014 wird an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert, heuer an sein Ende. Er war der erste industriell geführte militärische Konflikt in Europa. Doch nicht nur aus humanitärer Perspektive wurde er zur europäischen Urkatastrophe. Auch politisch blieb nichts, wie es vorher war: Vier Reiche gingen unter – das Osmanische Reich, die Habsburger k.u.k-Monarchie, das russische Zarenreich und das Deutsche Kaiserreich.


APA Grafik

Im Krieg verliert jeder und alles seine Unschuld und niemand und nichts bleibt unschuldig am Krieg – auch nicht, wenn es sich nur um Töne handelt. Im Krieg wird Musik zur Waffe. Sie wird missbraucht und zum verlängerten Arm, um Schlagworte der Propaganda den Gehirnen der Massen einzubläuen. Sie macht die Körper zu Gleichschrittmaschinen und Mitsingautomaten. Musik soll als kultureller Stacheldraht Frontverläufe markieren zwischen Nationen und Kulturen. Sie soll anzeigen, wer Freund ist und wer Feind, wer gut ist und wer böse, kulturell erhaben und primitiv. 2014 jährt zum einhundersten Mal der Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Geschichtswissenschaft spricht von einem Epochenbruch. Die Musikgeschichte zieht gemeinhin andere Grenzen, sie setzt ihren Wendepunkt um das Jahr 1908/1909, in dem die ersten atonalen Kompositionen entstanden. Galt das 19. Jahrhundert in der Musik als das Jahrhundert der Romantik, in der das poetische, das harmonische, das klanglich stimmungsvolle Element im Vordergrund steht, kommt es zur Jahrhundertwende durch die Aufgabe der Tonalität zum Bruch, zu einer Aufbruchsahnung einer musikalischen Moderne.

Große Euphorie zu Beginn
Und dann ging es los. Perfekte Unfähigkeit, groteske Fehleinschätzungen, bodenloser Leichtsinn der allermeisten Politiker und Militärs. Bereits das Attentat von Sarajevo ist unglaublich. Der erste Versuch war missglückt, was den Thronfolger nicht daran hinderte, sich in aller Ruhe weiter ungeschützt durch die Stadt kutschieren zu lassen, bis ihn die tödliche Kugel tatsächlich am 28. Juni 1914 traf. Einen Monat später die Kriegserklärung der österreichisch-ungarischen Monarchie an das Königreich Serbien. Dann geht es Schlag auf Schlag: Am 1. August tritt das Deutsche und das Russische Kaiserreich in den Krieg ein, tags darauf Luxemburg, ihnen sollten Frankreich, Belgien, Großbritannien, Australien und Kanada am 4. August folgen.


APA/Herbert Pfarrhofer

Zu Beginn des Krieges war die Euphorie groß. Blumengeschmückte Züge mit Soldaten fuhren begleitet von Musik Richtung Serbien, Belgien und Frankreich. Es schmetterte aus allen Kehlen nach der Devise „Lieder sind Wehr und Waffen“ oder „Singen und Siegen gehört in unserem Heer zusammen“. Ganze Schulklassen meldeten sich im August 1914 mit ihren Lehrern freiwillig zum Kriegsdienst. Alle glaubten, sie seien nach ein paar Monaten wieder zuhause. Der Propaganda gelang, den Krieg als harmlosen Spaziergang, das Kämpfen als schicke Geste auszugeben – Jubelstimmung zwischen dem winkenden Kaiser, feschen Madln und dem Zauber der Montur. Von Massenpsychose und Kriegseuphorie würden wir heute sprechen, um die aufgeputschte Stimmung der Mobilmachung zu beschreiben.

Das gesamte Musikleben wird besonders zu Beginn des Krieges in seinen Dienst gestellt. Stücke von Komponisten verfeindeter Länder werden aus den Konzertsälen verbannt, Musik aus den Feindesländern werden in allen beteiligten Staaten boykottiert. Der Erste Weltkrieg wurde nicht nur mit Musik geführt, vielmehr auch gegen sie und auf die Grenzen eines Staates beschränkt. Die Österreicher wollen nicht länger Verdi und Puccini hören, die Deutschen nicht länger Berlioz und die Engländer keinen Beethoven mehr. Die englische „Musical Times“ macht aus ihm einen Flamen und damit zum Angehörigen der belgischen Nation, die 1914 von deutschen Truppen überrannt worden war. Die Deutschen sind beim Boykott alles Ausländischen besonders gründlich, sie wollen gar musikalische Fachbegriffe ausmerzen. Aus „Etüde“ wird „Übung“, aus „Impromptu“ „Fantasie aus dem Stegreif“ oder aus dem Violoncello Kniegeige. Später im Nationalsozialismus konnte die Musikpropaganda ideal an diesen Diskurs anknüpfen und ihn für ihre rassistische Ideologie aktualisieren.

Der Gipfel an Ausländerfeindlichkeit, der Speiseplan für eine Woche 1914 in Deutschland:

Sonntag: Hahn im Topf auf Pariser Art
Montag: Russische Eier mit Kosakenfleisch
Dienstag: Englisches Beefsteak mit Bombenbeilage
Mittwoch: Ostender Austern mit belgischer Tunke
Donnerstag: Serbisches Reisfleisch
Freitag: Montenegrinischer Hammelbraten frisch gestohlen
Samstag: Japanische Raubvogelnester am Spieß

Musik spielte augenscheinlich eine auffallende Rolle beim Verabschieden von Soldaten. Geradezu ein Ritual, das ohne Klänge und Töne kaum denkbar scheint. Die dabei zu hörenden Lieder, Gesänge und Märsche sind Ausdruck des Erinnerns für die Zurückgebliebenen und der letzten Begegnung des Soldaten mit der Heimat. Veteranen des Ersten Weltkriegs berichten besonders oft über den Abschied von Heimat und zivilem Leben, von ihrer Fahrt zur Front. Zitat Kurt Tucholsky, deutscher Journalist und Schriftsteller:

„Mir blieb der Verstand stehen. Ich glaubte, ich sei auf ein Schützenfest geraten. Glockenläuten, Girlanden, Freibier, Juhu und Hurra. Ein großer Rummelplatz war meine Heimat, und von dem Krieg, in den sie da ging, hatte sie nicht die leiseste Vorstellung.“

Und hier irritiert etwas auf den ersten Blick und wird für den Zuhörer sperrig, weil Amüsement und Pathos aufeinandertreffen, denn zwischen tänzerischen Passagen und nationalistischer Gestimmtheit, zwischen beschwingtem Galopp und dem Heldentod auf dem Schlachtfeld liegen nur wenige Minuten Musik. Das Volkslied trifft auf patriotischen Gesang der Sänger, Schüler, Schützen, Studenten, Gassenhauer vermischen sich mit Salonmusik, Theaterlied mit Militärmärschen, das Couplet und der Schlager purzeln bald durcheinander. Es wird aufgerüstet in deutsch-österreichischen Komponistenstuben. Mit dem sogenannten „Patriotischen Tongemälde“ werden nationale Themen aufgegriffen, auf politische Ereignisse reagiert und in großer Auflage publiziert. Bei diesem Musikgenre wird schleichend die Politisierung von Musik greifbar, für die eine Melange aus Kunstmusik, verschiedenen Formen der Unterhaltungsmusik und Militärmusik kennzeichnend ist.

Musik als Waffe
Mobilmachung und Kriegsbegeisterung aber nicht nur im Reich von Wilhelm II. Und nicht weniger martialisch ist die Musik in den Entente-Staaten, die ursprünglich aus Großbritannien, Russland und Frankreich bestanden. Auch hier nationaler Patriotismus und Propaganda, musikalisch nicht ganz so aggressiv. Nach der Landung in Frankreich 1914 marschierte ein irisches Bataillon, das Teil der britischen Armee war, mit einem Marschlied auf den Lippen durch Boulogne. Der „Daily Mail“ berichtete davon und machte das Lied einem breiten Hörerkreis bekannt. Eine Schallplattenaufnahme mit dem hochgeachteten Tenor John McCormack vergrößerte die Popularität des Songs, der sich bald zur inoffiziellen Hymne der britischen Soldaten entwickelte.


ORF

In Frankreich unterlagen alle Lieder während des Krieges einer strengen Zensur und das Musizieren und Singen in der Öffentlichkeit einer ebenso strengen Kontrolle. Unzählig die Chansons, die zu Kriegsbeginn von einem Hurrapatriotismus geprägt waren wie „Ma p’tite Mimi“ – „Meine kleine Mimi“. Ursprünglich war es ein Koloniallied, in dem ein Soldat fröhlich von der vietnamesischen Geliebten Mimi berichtet.

“Gott, schütze den Zaren, den Starken, den Mächtigen, herrsche uns zum Ruhme, zu unserem Ruhme. Er herrsche zum Schrecken der Feinde, der rechtgläubige Herrscher!“ Was Kaiser Franz Joseph I. für die österreichisch-ungarische Monarchie war, war Zar Nikolaus II. im russischen Kaiserreich. Russland stellte sich während der Julikrise 1914 offen hinter Serbien und erklärte als ihre Schutzmacht, keinen Angriff auf Serbiens Souveränität durch Österreich-Ungarn zuzulassen. Man sagt, dass Nikolaus II. gegen den Krieg war und Gewalt hasste, weil er ahnte, dass ein Krieg das Ende der alten Ordnung in Russland und damit seinen Untergang bedeuten könnte. Das Ende des Ersten Weltkriegs erlebte er tatsächlich nicht mehr, er und die gesamte Familie aus dem Haus der Romanows werden von Soldaten am 17. Juli 1918 erschossen, verbrannt und verscharrt.


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Für die Italiener begann der Erste Weltkrieg erst 1915. Obwohl Italien zu Kriegsbeginn in ein Militärbündnis mit Deutschland und Österreich eingebunden war, sah es sich nicht gezwungen, einzugreifen, weil der Vertrag vorsah, dass Italien Österreich militärisch nur dann zu Hilfe kommen sollte, wenn dieses von außen angegriffen würde. Nach Geheimverhandlungen mit England und Frankreich trat die italienische Regierung der Entente bei und erklärte am 23. Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg. „La Canzone del Grappa“ war ein von den italienischen Soldaten gern gesungenes patriotisches Kampflied. Grappa bezieht sich dabei nicht auf den berühmten Tresterbrand, sondern auf ein Bergmassiv, das zu einem riesigen Schlachtfeld infolge dreier Schlachten an der Piave wurde, in denen mehrere zehntausend italienische und österreichische Soldaten ums Leben kamen.

Tempo und Rhythmus als Kriegsmusik
Das deutsche Kaiserreich und die österreichisch-ungarische Monarchie werden auch Mittelmächte bezeichnet. Es handelte sich um ein Militärbündnis, das seinen Namen wegen der zentraleuropäischen Lage erhielt, eingeklemmt von den sie umgebenden Ententestaaten. 1914 schloss sich das Osmanische Reich dem Bündnis an, ein schwer angeschlagener Staat unter der Führung von Großsultan und Kalif Mehmed V. und seinem Kriegsminister Enver Pascha. Das türkische Heer wurde von den sogenannten Janitscharen begleitet. Die Janitscharenkapellen verwendeten Marschmusik, gespielt mit Oboen, Hörnern, Pfeifen und vielen Schlaginstrumenten wie Pauken und Schellen. Lautstärke, Tempo und Rhythmus spielen überhaupt in der türkischen Klangwelt die größte Rolle. Die Janitscharenmusik war ein Mittel, die Soldaten aufzupeitschen, zu ermutigen und ihre Moral zu heben, eigentlich das musikalische Pendant zu den hiesigen Blaskapellen und Spielmannszügen.

Michael Huemer / ooe.ORF.at

Publiziert am 01.08.2018
Bomben und Lieder – Musik im ersten Weltkrieg
 
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