Zivilschutz in Wien

Christel

Geschichtsspuren.de
#1
Hallo,

kürzlich war ich in Wien und habe bei meinem Besuch auch nach Hochbunkern für den zivilen Luftschutz Ausschau gehalten.

Bis auf die Flaktürme, die der zivilen Bevölkerung nur begrenzt zugänglich gemacht wurden konnte ich keine weiteren Hochbunker entdecken. Winkeltürme konnte ich in Wien auch nicht entdecken (aber das hatten wir hier ja schon besprochen).

Hat jemand von Euch nähere Erkenntnisse zum Thema Hochbunker in Wien?

LG, Christel
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
Hallo Christel,

das Thema LS muss man in Wien bzw. im gesamten Bundesgebiet von Österreich und auch in Teilen des süddeutschen Raumes aus einem anderen Blickwinkel sehen als bei Euch im Norden. Die in GB stationierten Bomber hatten eine zu geringe Eindringtiefe um Süddeutschland und Österreich zu erreichen. In Norddeutschland gab es schon in den ersten Kriegsjahren empfindliche Bombenangriffe, die davon verschonten „Donau- und Alpengaue“ wurden dagegen als „Reichsluftschutzkeller“ bezeichnet. Die Folge waren großzügige Verlagerungen von Rüstungswerken von N nach S.

Es gab LS - Übungen und wie in anderen wichtigen Städten wurden ab 1940 in Wien mit dem Bau von öffentlichen LS – Bunkern begonnen. Es waren zuerst Tiefbunker, aber aus Kostengründen wurden die Bunker auch als oberirdische Anlagen, vor allem in Parks, errichtet. Der am meisten gebaute Typ hatte 34 LS – Kammern bei einem Außenmaß von 40 x 20 m, ausgestattet mit Gasschleusen, Filter, Sanitäreinrichtungen usw. .

Mit der deutschen Niederlage in Afrika und der Landung der Alliierten in Süditalien im Sommer 1943 änderte sich die Lage schlagartig! Von Nordafrika aus (Tunesien) und vor allem aus dem süditalienischen Raum (Foggia) erreichten die Bomber der USAF und RAF nun auch den österreichischen, süddeutschen Raum sowie die Tschechoslowakei, Slowakei, Ungarn und die Balkanstaaten! Die 15th US-Luftflotte und die 205. Group der RAF begannen sofort mit dem Aufbau einer zweiten Luftfront. Der erste größere Luftangriff auf die damalige „Ostmark“ erfolgte am 13. August 1943, Angriffsziel war Wiener Neustadt (WNF – Me109 Produktion).

Nun begann natürlich der verstärkte und rasche Ausbau von weiteren LS - Einrichtungen und Schutzbauten für die Zivilbevölkerung. Bei der Neuerrichtung bzw. Ausbau von Rüstungsbetrieben und militärischen Einrichtungen wurden natürlich von Beginn an für entsprechende LS -Einrichtungen vorgesorgt, z.B. Hochbunker bei den HG-Werken in Linz oder Flugmotorenwerke in Graz-Thondorf.

Das Fehlen von großen Hochbunkern in Wien außer den Schutzräumen in den Flaktürmen und den kleineren vorhin beschriebenen Bunkern beruht aber auf die riesigen Kelleranlagen unterhalb der Gebäude in der Innenstadt. Die teilweise bis ins Mittelalter zurückreichenden, oft mehrere Etagen in die Tiefe reichenden Kelleranlagen wurden durch Mauerdurchbrüche, Schaffung von Verbindungsgängen, Verstärkungen, Notausstiegen usw. zu einem riesigen und weiträumigen System ausgebaut. Durch eine Vielzahl von Ordnungs- und Hinweisschilder sowie Leuchtstreifen an den Wänden wurde die Orientierung in diesem unterirdischen Labyrinth gewährleistet. In den Gängen zwischen den Kellerräumen wurden Gasschleusen eingebaut und Schutzraumbelüfter sorgten für Frischluft. Neben diversen Befehlsstellen wurden auch die nötigen Sanitär- und „Erste Hilfe“ Einrichtungen mit Notbetten und Operationsmöglichkeiten eingerichtet. Weniger massiv ausgeführte Keller- und Gangteile wurden mit Deckenverstärkungen und Abstützungen versehen. Nach dem Krieg wurden viele Gänge wieder verfüllt bzw. die Durchbrüche wieder abgemauert.

Literaturhinweis: Marcello La Speranza „Burgen, Bunker, Bollwerke – Historische Wehranlagen zwischen Passau und Hainburg“, ISBN 3-7020-1046-7

Weiters möchte ich darauf hinweisen, dass auf österreichische Städte keine flächendeckenden Nachtangriffe der RAF wie in Deutschland erfolgten! Die Tagangriffe der USAF hatten klar definierte Ziele wie Rüstungsbetriebe, Kasernenanlagen, Flugplätze, Verkehrsanlagen usw. ! Natürlich wurden dabei im Umfeld solcher Ziele jede Menge ziviler Bausubstanz und Infrastruktur getroffen und neben den Sachschäden auch viel menschliches Leid angerichtet.

lg
josef
 

Christel

Geschichtsspuren.de
#3
Hallo Josef,

ich danke Dir für die ausführliche Antwort. Werde mir erstmal das von Dir empfohlene Buch beschaffen. ;)

LG, Christel
 
#4
Die oftmals weitläufig verbundenen Kelleranlagen spielten auch in der Schlacht um Wien in den Apriltagen 1945 eine wesentliche Rolle. Einerseits konnten sich so bereits überrante Verteidiger vereinzelt wieder zu den eigenen Linien (soweit sie noch bestanden) durchschlagen, andererseits kam es dadurch zu überraschenden Vorstößen einiger Kampfgruppen der Russen hinter die Linien der Deutschen. Details dazu kann man in dem Buch "Brände an der Donau" nachlesen (Leopold Stocker Verlag).
 
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