Zwangsarbeit bei den Wiener Verkehrsbetrieben

josef

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Einblicke in Zwangsarbeit für Wiener Bim

Die Wiener Verkehrsbetriebe haben im Zweiten Weltkrieg ihren Betrieb und die Versorgung der Bevölkerung mit ausländischen Zwangsarbeitern aufrecht erhalten. Geheimnisse über dieses dunkle Kapitel der Öffi-Geschichte lüftet jetzt ein Buch.
„Menschenmaterial: Unbefriedigend“ - ein Zitat des vom NS-Regime eingesetzten Direktors der Verkehrsbetriebe über ihm nicht genehme Arbeitskräfte - heißt die gut 90 Seiten umfassende und mit Fotos, Faksimiles von Dokumenten und Datentabellen angereicherte Publikation. Ihr Autor Walter Farthofer ist kein ausgewiesener Historiker, war allerdings 45 Jahre bei den Wiener Linien tätig und hat bereits eine umfassende Unternehmens-Chronik sowie den 550-Seiten-Wälzer „Wiener Tramway Geschichte(n)“ mit Hauptfokus auf den Widerstand der Straßenbahner ab 1934 vorgelegt.

Bei seinen Recherchen stieß Farthofer auf 1.351 kleine, teils unvollständig ausgefüllte Karteikarten im Wiener-Linien-Archiv. Sie zeugen von den ausländischen (Zwangs-)Arbeitern. Auf ihrer Basis hantelte sich der Hobby-Historiker weiter: „Ich wollte die Chronik gewissermaßen vervollständigen“, sagt er im APA-Interview.

Frauen lenkten, Männer legten Gleise
Wie kam es überhaupt dazu, dass ausländische Zwangsarbeiter für die Aufrechterhaltung des Öffi-Betriebs eingesetzt wurden? „Die damaligen Verkehrsbetriebe haben zu 98 Prozent Männer beschäftigt. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Männer zum Militärdienst eingezogen. Die Frauen, die man noch rekrutieren konnte, waren zu wenig bzw. im Fahrdienst eingesetzt. Es gab aber auch Arbeiten, für die Frauen nur schwer geeignet waren“, so Farthofer.

Das betraf vor allem den „Oberbau“ - also das Verlegen und Instandhalten der Gleise: „Damals gab es ja quasi keine Bagger oder Hebewerkzeuge. Pflastersteine, Schienen - alles musste händisch transportiert und gehoben werden. Hier hat man dann auf ausländische Arbeiter zurückgegriffen.“

Straßenbahn als „das“ Verkehrsmittel im Krieg
Einziges Öffi-Verkehrsmittel war damals die Straßenbahn. Der Busbetrieb war wegen Treibstoffmangels schon zuvor eingestellt worden, der Bau der ersten U-Bahn-Röhren lag noch Jahrzehnte in der Zukunft. Wichtig war die Bim insofern, als sie mangels anderer verfügbarer Transportmittel auch Lebensmittel und andere Güter vom Stadtrand bzw. von den Betrieben in und durch die Stadt beförderte. Deshalb wurden zu Fabriken oder zum Postamt „Schleppbahnen“ gelegt, um direkte Anbindungen zu haben.

Die ersten Zwangsarbeiter, die eingesetzt wurden, kamen aus Polen. Allein in den ersten drei Juliwochen 1941 waren es 141. Danach folgten Männer aus Russland und der Ukraine. Die Ostarbeiter mussten auch in der Hauptwerkstätte und in den Remisen, wo kleinere Arbeiten an den Wagen durchgeführt wurden, arbeiten. Durchaus überraschend ist allerdings, dass über die Jahre hin die meisten Beschäftigten aus den Niederlanden kamen. Sie wurden, nicht zuletzt wegen der geringeren Sprachbarriere, ab 1944 auch im Fahrdienst eingesetzt - hauptsächlich als Schaffner bzw. Schaffnerinnen.

Begriff Zwangsarbeiter „etwas unscharf“
Wobei Farthofer betont, dass der Begriff „Zwangsarbeiter“ in diesem Fall etwas unscharf ist. Denn um Kriegsgefangene oder KZ-Häftlinge habe es sich bei diesem Personal nicht gehandelt. Teilweise meldeten sie sich sogar freiwillig in Rekrutierungsbüros in ihrem jeweiligen Heimatland, wo ihnen freilich Arbeit unter rosigeren Bedingungen versprochen wurde. Aber viele der ausländischen Mitarbeiter wurden auch zwangsrekrutiert bzw. -verpflichtet, ins Deutsche Reich verfrachtet und von den Arbeitsämtern nach Bedarf und Priorität Unternehmen zugewiesen.

So waren in ganz Wien Anfang 1943 insgesamt ganze 65.000 Menschen - das entspricht der heutigen Bevölkerung von Mariahilf und Neubau - derart beschäftigt, bei den Verkehrsbetrieben mit etwa 430 in diesem Jahr freilich nur ein Bruchteil davon.

Zumindest am Papier waren Zwangsarbeiter im Werkalltag nicht schlechter gestellt - auch was den Lohn betrifft. Allerdings: Die Unterkünfte waren tendenziell miserabel beschaffen. Die ausländischen Arbeiter waren größtenteils in Massenquartieren untergebracht - etwa im „Freihaus“ an der Wiedner Hauptstraße oder im jetzt noch bestehenden und von Sportvereinen genutzten Betriebsgebäude Michelbeuern. „Das waren Schlafsäle, es gab kaum sanitäre Anlagen, die Räume mussten immer wieder von Ungeziefer befreit werden“, berichtet der Autor.

Widerstand und Sabotage
Insofern nicht verwunderlich, dass es unter dem ausländischen Personal auch Widerstand und Sabotage gab - von „Arbeitsbummelei“ bis zu mutwilligen Beschädigungen von Maschinen. Die Bestrafung reichte von Versetzungen über Haftstrafen bis zu Einweisungen in Straflagern.

Innerhalb von vier Jahren verließen etwa 800 Zwangsarbeiter die Verkehrsbetriebe - etwa 60 Prozent aller auf diese Weise Beschäftigten. Der Hauptgrund waren allerdings nicht Versetzungen in als wichtiger eingestufte Tätigkeitsbereiche, Krankheiten oder Verhaftungen, sondern Flucht. Viele kamen einfach nicht aus dem Urlaub zurück.

Zehn Zeilen Erwähnung im Jahr 2003
Farthofer, Jahrgang 1946, trat 1962 bei den Wiener Linien in den Dienst, bildete kaufmännische Lehrlinge aus und war die letzten 20 Jahre bis zu seiner Pensionierung 2007 Direktionssekretär.

Ob die Zwangsarbeit jemals Thema im Betrieb gewesen sei? „Niemals. Das war immer Tabu.“ Noch 1978 war die Zeit von 1934 bis 1945 in einer Geburtstagspublikation anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Verkehrsbetriebe so gut wie ausgespart. „Da hat man sich mit vier Zeilen über diese Zeit hinweggerettet. Zum 100-Jahr-Jubiläum 2003 hat man es dann schon auf zehn Zeilen gebracht“, so Farthofer.

Links:
Publiziert am 13.02.2018
http://wien.orf.at/news/stories/2895275/

Link zu den "Sondertransporten mittels Straßenbahn":
http://unterirdisch.de/index.php?threads/sondertransporte-der-wiener-straßenbahn-während-der-beiden-weltkriege.9982/#post-83276

Mehr zum Buch:
http://unterirdisch.de/index.php?threads/neues-buch-über-zwangsarbeit-bei-den-wiener-verkehrsbetrieben-während-des-krieges.13653/
 
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josef

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So waren in ganz Wien Anfang 1943 insgesamt ganze 65.000 Menschen - das entspricht der heutigen Bevölkerung von Mariahilf und Neubau - derart beschäftigt, bei den Verkehrsbetrieben mit etwa 430 in diesem Jahr freilich nur ein Bruchteil davon.

Zumindest am Papier waren Zwangsarbeiter im Werkalltag nicht schlechter gestellt - auch was den Lohn betrifft. Allerdings: Die Unterkünfte waren tendenziell miserabel beschaffen. Die ausländischen Arbeiter waren größtenteils in Massenquartieren untergebracht - etwa im „Freihaus“ an der Wiedner Hauptstraße oder im jetzt noch bestehenden und von Sportvereinen genutzten Betriebsgebäude Michelbeuern. „Das waren Schlafsäle, es gab kaum sanitäre Anlagen...
Der Hinweis zu einem "Massenquartier" für Fremdarbeiter im "Freihaus an der Wiedner Hauptstraße" erinnert mich an den alten, 2007 von @chris11 eröffneten, Thread zu einem "Lager Freihaus"...
 

josef

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Noch ein Artikel zum Thema:


Aufarbeitung:
Wiener Linien in der NS-Zeit: 570.678 Arbeitstage unter Zwang

Die damaligen "Wiener Stadtwerke – Verkehrsbetriebe" beschäftigten während der NS-Diktatur Zwangsarbeiter. Jetzt arbeitet das Unternehmen seine Geschichte auf

Wien – Die Wiener Linien stellen sich einem dunklen Kapitel ihrer Geschichte: Das Unternehmen arbeitete seine eigene Geschichte während der NS-Zeit auf. Wie die meisten österreichischen Unternehmen beschäftigten auch die damaligen "Wiener Stadtwerke – Verkehrsbetriebe" Zwangsarbeiter während der NS-Diktatur.

Die Wiener Linien öffneten ihre Archive aus eigenem Antrieb. Man wolle das Ausmaß und die Intensität dieser Gewissenlosigkeit abschätzen können, schreibt der heutige Geschäftsführer der Wiener Linien, Günter Steinbauer, im Vorwort des Buches. Man habe die Verantwortung dafür, dass die Erinnerung an diese Schandtaten aufrecht bleibe.

Unter dem Titel "Menschenmaterial: Ungenügend" legt der Autor und ehemalige Wiener-Linien-Mitarbeiter Walter Farthofer eine Chronik der Geschehnisse zwischen Juli 1941 und April 1945 vor. Der Titel des Buches ist ein Zitat des damaligen Direktors der Wiener Verkehrsbetriebe, Karl Schöber, der sich in einem Brief über die mangelnde Qualität der Arbeiter beschwerte.

foto: wiener linienStraßenbahngarnitur "Type M" im Ursprungszustand innen, aufgenommen noch vor den Kriegsjahren, 1930.

Am Mittwoch wurde das Buch im Wiener Verkehrsmuseum Remise unter der Anwesenheit des Autors, der für die Wiener Linien zuständigen Stadträtin Ulli Sima sowie des Historikers Bertrand Perz und des Vorsitzenden des Zukunftsfonds der Republik Österreich, Kurt Scholz, präsentiert.

Farthofer, der über fünfzig Jahre für die Wiener Linien arbeitete, stützte sich bei seiner Forschung auf 1.351 Arbeitsakten, die die Zwangsarbeit bei den Wiener Verkehrsbetrieben (heute Wiener Linien) bezeugen. Laut den Aufzeichnungen waren 1.037 der Zwangsarbeiter Männer und 314 Frauen. Der jüngste unter ihnen war zum Zeitpunkt seiner Aufnahme 13 Jahre alt.

Aus 14 verschiedenen Nationen wurden die Menschen nach Wien geholt, um im Unternehmen zu schuften. Den größten Anteil – ein Drittel – der Zwangsarbeiter bei den damaligen Wiener Verkehrsbetrieben machten Holländer aus, von denen wiederum die Hälfte Frauen waren. Die zweitgrößte Gruppe waren Polen mit zwanzig Prozent.

An dritter Stelle kamen Griechen, danach Russen, Belgier und Ukrainer. Eingesetzt wurden die Arbeiter im Gleisbau, im Werkstättendienst und vereinzelt auch als Schaffner. Insgesamt 570.678 Arbeitstage wurden für die Verkehrsbetriebe unter Zwang geleistet.

foto: wiener linienWinter 1942 auf der Linie 167 in Rothneusiedl (heute im Wiener Stadtteil Favoriten).

Hierarchisierung unter den Zwangsarbeitern
Zu Zwangsarbeit kam es im NS-Regime schon früh. "Nach 1938 wurden Juden, Sinti und Roma schnell zwangsverpflichtet", sagte Bertrand Perz, Historiker und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Zeitgeschichte, im Rahmen der Präsentation des Buches.

1940 gab es eine Debatte im NS-Staat, wie man die fehlenden Wehrdienstler ersetzen könnte. Die Frauenerwerbsquote befand sich entgegen der NS-Ideologie auf dem damaligen Höchststand. "Das Regime hatte Angst, dass bei noch höherer Belastung die Stimmung in der Bevölkerung kippt", sagte Perz. Um dem Risiko zu entgehen, hat das Regime Zwangsarbeiter geholt.

Nach derzeitigem Forschungsstand wurden 13 Millionen Menschen unter dem NS-Regime zur Arbeit gezwungen. Für die deutsche Wirtschaft waren diese Arbeiter von entscheidender Bedeutung. "Das ist der größte Zwangsarbeitseinsatz von Menschen in der Geschichte", sagte Historiker Perz.

Doch Zwangsarbeiter war nicht gleich Zwangsarbeiter: Osteuropäer befanden sich auch bei den Wiener Verkehrsbetrieben am unteren Ende der von den Nazis vorgenommenen Hierarchisierung.

foto: wiener linienDie Linie 46 im Zentralfriedhofverkehr zwischen erstem und zweitem Tor während des Zweiten Weltkriegs. Im Hintergrund sind weitere Züge mit K-Triebwagen.

Primitive Schlafstätten
Untergebracht waren die Arbeiter in primitiven Behausungen, zum größten Teil in Lagern. Für viele wurden Baracken gebaut. In einer Unterkunft im vierten Wiener Gemeindebezirk stand den Arbeitern nicht mehr zur Verfügung als ein Strohsack, ein Polster und zwei Decken. Es gab keinen Spind, die Habseligkeiten wurden unter dem Bett verstaut, oft gab es keine Heizung.

Einige Arbeiter, vor allem Holländer, wurden in umfunktionierten Schulen untergebracht. Die betreffenden Schulen standen leer, da die Schüler in vor Luftangriffen sichere Gebiete evakuiert wurden. Meist gab es keine Waschgelegenheiten, sondern lediglich Ausgussmuscheln. Für ihre Unterkünfte haben die Arbeiter finanziell aufkommen müssen.

Manchmal regte sich auch Widerstand: Mit der Methode der "Arbeitsbummelei" wurde "passive Resistenz" geleistet, berichtet Farthofer. Ein Grieche wurde beispielsweise wegen Sabotage zu drei Jahren Haft verurteilt.

"Eine Wiedergutmachung gibt es nicht", sagte der bei der Buchpräsentation ebenfalls anwesende Vorsitzende des aus dem Versöhnungsfonds hervorgegangenen Zukunftsfonds der Republik, Kurt Scholz. Es gebe lediglich so etwas wie Gestenzahlungen, das vergangene Leben aber könne man nicht restituieren.

Desiderate in der Forschung gebe es, was das "große Bild" betreffe, nicht mehr so viele, meinte Perz. Einzelne Regionen und Bereiche müssen noch stärker erforscht werden, "auch wegen der Vermittlungsarbeit". Es gehe darum zu zeigen, dass die Gräuel "nichts Exotisches waren, sondern überall". (Vanessa Gaigg, 16.2.2018)
https://derstandard.at/2000074358676/Wiener-Linien-in-der-NS-Zeit-570-678-Arbeitstage-unter
 

josef

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Da wir bei den Wiener Verkehrsbetrieben während der Kriegszeit sind, nun ein kleiner Seitenblick auf Fahrzeugzugänge bei der Straßenbahn 1944:

Die knappen Ressourcen dieser traurigen Epoche hinterließen nicht nur Spuren bei der damaligen Reichsbahn in Form der Beschaffung der "Kriegslokomotiven". Auch für die Straßenbahnbetriebe der Großstädte entwickelte man einheitliche, materialsparende Garnituren in Form der "Kriegsstraßenbahnwagen" (-> KSW)!

Die 1942 in Auftrag des "Reichsministeriums für Bewaffnung und Munition" bei der "Düsseldorfer Waggonfabrik" entwickelten Straßenbahntriebwagen wurden bei der "Waggonfabrik Fuchs" in Heidelberg gefertigt. Die antriebslosen Beiwagen kamen von der "Uerdinger Waggonfabrik".

Den "Wiener Verkehrsbetrieben" wurden 1944 30 Stück KSW zugeteilt. Da nur die stählernen Wagenkästen ohne elektrische Ausrüstung geliefert wurden, konnten die Triebwägen erst nach dem Krieg komplettiert und in Betrieb genommen werden. Sie erhielten die Typenbezeichnung "A" und wurden wegen ihrer Herkunft als "Heidelberger" bezeichnet...

Im Anhang einige Fotos der "Heidelberger", die bei Besuchen im "Wiener Tramway - Museum" bzw. nunmehrigen "Verkehrsmuseum Remise" in Wien 3., Erdberg, 2010 und 2015 entstanden:
 

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