Lost Place
Badlwandgalerie ist Zeitzeugin für das Industriezeitalter
6. Dezember 2022, 15:30 Uhr
Die 1844 fertiggestellte Badlwandgalerie zwischen Peggau und Frohnleiten gilt als einzigartiges Industriedenkmal, das als bautechnisches Zeugnis für die Modernisierung der Steiermark im 19. Jahrhundert steht. Heute ist die Galerie aufgrund der drohenden Einsturzgefahr gesperrt, sie wird aber als inoffizielle - wenngleich keineswegs ungefährliche - Kletterroute genutzt.
GRAZ-UMGEBUNG. Unzählige LKW und noch mehr Autos fahren täglich an der mittlerweile
einsturzgefährdeten Badlwandgalerie vorbei, nur die wenigsten denken dabei aber wohl daran, dass das Industriedenkmal auf der
Brucker Straße zwischen Peggau und Frohnleiten schon im Jahr 1844 aus dem Felsen geschlagen wurde und seither als stummes Denkmal eine bewegte Geschichte miterlebte.
Am Rande der vielbefahrenen Straße steht sie und bleibt vielfach unbemerkt:
Die Badlwandgalerie, die seit den 70er-Jahren nicht mehr genutzt wird.
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
Platz für die Eisenbahn
Dass die Badlwandgalerie für die österreichische
Südbahnstrecke Wien-Triest genau an dieser Stelle errichtet wurde, ist in erster Linie der
Engstelle geschuldet, die sich aus dem Fels der Badlwand und dem Kugelstein ergibt. Inmitten von Fels und Erhebung floss zum Zeitpunkt der Erbauung noch die
ungeregelte Mur, die dementsprechend hohe Wasserstände erreichen konnte.
Im 19. Jahrhundert reichte die ungeregelte Mur noch direkt bis zum Felsen -
mittlerweile ist der Fluss längst "gezähmt".
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
Der
fehlende Platz war es somit, der die planenden Akteure im 19. Jahrhundert dazu veranlasste, für die Eisenbahngleise die Badlwand bei Peggau abzusprengen und die Galerie zu errichten. Auf diese Weise wurden Bahn- und Individualverkehr übereinander gelegt.
Test für Semmeringbahn
Diese Errichtung stellte gewissermaßen einen Probelauf für die erst
zehn Jahre später erbaute Semmeringbahn dar. Schließlich konnte beim Bau der Badlwandgalerie die
technische Machbarkeit der Baukonstruktion getestet werden.
Mit dem Erbauungsjahr 1844 gilt die Badlwandgalerie gewissermaßen als "große Schwester"
der Semmeringbahn - zumal sie für deren Errichtung wichtige Hinweise lieferte.
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
Darüber hinaus waren aber auch logistische Herausforderungen zu meistern, die von der Unterbringung und Verpflegung der knapp
2.000 Arbeiter über die Beschaffung von Material bis hin zur Bereitstellung des passenden Werkzeugs reichten - und auch für die Errichtung der Semmeringbahn hilfreiche Hinweise lieferten.
Logistik als Herausforderung
Von diesen Fragen rund um die Logistik weiß auch Steinmetzmeister
Mario Ruml zu berichten, der sich im Rahmen seiner
Diplomarbeit intensiv mit der Badlwandgalerie auseinandergesetzt hat und für die bessere Instandhaltung bzw. eine
erneute Nutzung der Galerie eintritt. Im Gespräch mit MeinBezirk.at erklärt Ruml etwa, dass für den Galeriebau
so viele Ziegel benötigt wurden, dass eine einzige Ziegelei den Bedarf unmöglich decken konnte - weshalb kurzerhand sämtliche Grazer Ziegeleien aufgekauft wurden. Nicht alle lieferten allerdings die selbe Qualität, was heute Instandhaltungsmaßnahmen mitunter erschwert.
Die Kapelle erinnert an die Arbeiter, die im Rahmen der Erbauung ums Leben gekommen sind.
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
Nicht hinlänglich geklärt werden konnte dagegen die Frage, wo die knapp 2.000 Arbeiter untergebracht wurden, die vorwiegend aus Italien, Böhmen oder Mähren stammten. An ihre Anwesenheit erinnern jedoch zum einen
persönliche Inschriften in Felseinbuchtungen, die bis in das 19. Jahrhundert zurückdatieren, zum anderen aber auch die
Ferdinandkapelle bei Badl. Letztere wurde zum Gedenken an die tödlich verunglückten Bauarbeiter errichtet, deren Zahl sich den Pfarrunterlagen von St. Martin zufolge auf 44 beläuft.
Wechselhafte Nutzung
Nach ihrer Errichtung wurde die Galerie nicht nur zur Zeugin für das Industriezeitalter, das für die Steiermark besonders ein
Aufblühen der Eisenindustrie bedeutete, sondern sie fand sich auch in wechselhaften Funktionen wieder: Während zunächst beide Eisenbahngleise
unter der Galerie und der Individualverkehr auf der Galerie verliefen, wurde im 20. Jahrhundert zuerst das eine, dann auch das zweite Richtungsgleis außerhalb der Galerie verlegt.
Heute kaum mehr vorstellbar: Auf diesem Weg verliefen bis in die 60er-Jahre beide
Straßenrichtungen für den Individualverkehr, der einige Meter weiter auf die Galerie auffuhr.
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
In den
60er-Jahren wurde dann auch eine Straßenrichtung vor die Badlwandgalerie ausgelagert, da diese dem
hohen Verkehrsaufkommen nicht mehr gewachsen war und es besonders in Zeiten des Reiseverkehrs auf der sogenannten "
Gastarbeiterroute" zu gehäuften Staus kam. 1977 wurde schließlich auch die zweite Straßenrichtung vor der Galerie errichtet, da der desolate Zustand ein weiteres Befahren nicht mehr zuließ.
Ein bleibender "Lost Place"?
Seither gab es zahlreiche Auseinandersetzungen rund um die Frage, wer denn nun für
Erhaltungsmaßnahmen zuständig ist. Dies sei Ruml zufolge grundsätzlich auch durchaus nachvollziehbar, da sich wohl niemand gerne um ein
Bauwerk ohne Nutzung kümmert. Deshalb dürfe man, wenn es nach dem Steinmetzmeister geht, die Galerie aber noch lange nicht dem Verfall überlassen.
Mario Ruml hat sich in seiner Diplomarbeit intensiv mit dem Denkmal auseinandergesetzt
und hofft auf eine bessere Wartung sowie eine erneute Nutzung.
Foto: RMS, hochgeladen von Kristina Sint
Stattdessen plädierte Ruml bereits in seiner Diplomarbeit für eine erneute Verwendung des Denkmals, indem beispielsweise ein
Fahrradweg errichtet wird. Bislang wurden allerdings noch keine konkreten Schritte in Richtung einer Reaktivierung unternommen, weshalb die Badlwandgalerie weiterhin ihr Dasein als "Lost Place" fristet. Lediglich von
Klettersportlerinnen und -sportler wird die Felswand mitunter noch als inoffizielle Route genutzt, wenngleich das Klettern wegen der Einsturzgefahr - nach Einschätzung von Ruml zurecht - streng verboten ist.
Im Beitrag gibt es noch ein Video.
Quelle:
Lost Place: Badlwandgalerie ist Zeitzeugin für das Industriezeitalter