Anna HOFBAUER, Kainreith
5. Munitionszug in Kainreith
(Ostersonntag, 1. April 1945, 12 Uhr)
Ich habe gerade die sonntägliche Zwiebelsuppe auf den Tisch gestellt. Da zischen plötzlich zwei Tiefflieger, aus Richtung Brugg kommend, über unser Haus in Kainreith gegen Westen und ballern bereits auf den etwa hundert Meter von der Ortschaft Kainreith abgestellten Lastzug. Das wäre für uns Dörfler nicht schlimm gewesen, wenn er nicht voll mit Munition beladen gewesen wäre. Das wußte aber vorerst niemand. Beim ersten Anfliegen habe ich nur das Bellen der Bordkanonen gehört, aber als sie nach einer Schleife über Sigmundsherberg, die Sonne im Rücken, ein zweitesmal zurückkommen, da passierte es.
Ein gewaltiges, ohrenzerfetzendes Getöse ließ die Kainreither erzittern. Niemand aber weiß, was in diesen furchtbaren Minuten eigentlich geschieht. Die Hölle scheint los zu sein. Gewaltige Detonationen erschüttern den Ort und seine Umgebung. Tausende Eisentrümmer schwirren pfeifend durch die Luft, über die Siedlung, in die Häuser und in die Höfe hinein. Die Menschen rennen, suchen schützende Ecken, kauern sich unter Küchentische, legen sich flach, wo sie sich eben befinden. Die faustgroßen, schwirrenden Eisentrümmer zerstören alles, was ihnen hemmend in den Weg kommt. Dächer werden zerfetzt. Ein unheimlicher Explosionsdruck trommelt in die Ohren. Malter rieselt von den Zimmerdecken, Fensterscheiben zerspringen. Die Welt scheint unterzugehen.
Das unmittelbar neben dem Geleiskörper stehende Eisenbahnerhäuschen (bei Bahnkilometer 92,7) in dem die Familie Lagler wohnt, ist nur mehr ein einziger Trümmerhaufen. Seine Bewohner sind, einer gewissen Vorahnung folgend, noch im letztmöglichen Augenblick in den Ort hineingerannt und so dem sicheren Tode entronnen.
Die Walkensteiner bekommen, obwohl sie weiter von der Detonationsstelle entfernt sind, die gewaltige Druckwelle fast noch mehr zu spüren, weil ihre Häuser offen auf dem gegenüberliegenden Hang liegen. Die Dächer sind alle zerfetzt, kein Fenster ist ganz geblieben. Der ganze Spuk dauert durchgehend fast eine halbe Stunde, aber auch dann kracht es vereinzelt noch immer wieder, selbst dann noch, als die verängstigten Bewohner langsam wieder Mut fassen und einer den anderen fragt, was denn eigentlich los gewesen ist?
Zusatz:
Nach mündl. Angaben eines Zeitzeugen gab es bei diesem Angriff 11 Tote (davon waren 2 aus Sigmundsherberg). Auch der Bahnhof in Retz wurde an diesem Tage bombardiert.
Der letzte Waggon des langen Munitionszuges stand beim Schranken an der Bahnkreuzung der früheren Landesstraße (jetzt Agrarweg, Richtung Straße nach Hötzelsdorf). Später wurden die noch frei herumliegenden, nicht krepierten Granaten nördlich vom Bahngeleise aufgestapelt und zu Weihnachten 1945 von der russ. Besatzung gesprengt.
Ein weiterer Munitionszug stand an diesem Ostersonntag einen Kilometer weiter Richtung Gmünd abgestellt im Waldstück der Kurve „Einschnitt“ am Leeberg. Dieser war aber vom Wald getarnt und an diesem Tage für die Tiefflieger weniger sichtbar.
Anna BERNDL (Bernhard), damals Kainreith
6. Nochmals „der Munitionszug“
Damals, an diesem Ostersonntag, als dieser Lastzug beschossen wurde und die gewaltigen Explosionen die ganze Umgebung erschütterten, war ich 25 Jahre alt und habe im Eisenbahnerhäuschen Kainreith, gegenüber dem Stationsgebäude mit meiner Familie gewohnt, und ich weiß noch etwas darüber zu berichten:
Amalia Scheidl (wohnhaft in Rodingersdorf 22) hatte an diesem Tage Schrankendienst an der Haltestelle in Kainreith. Als der mit Munition vollbeladene Militärzug langsam in die Station einfuhr, um daselbst stehn zu bleiben, schrie sie geistesgegenwärtig mit allen ihren Kräften den Lokführer an:
„Fahrn’s doch weiter, es kommen schon Tiefflieger!“ Der gab daraufhin nochmals Dampf und fuhr richtig ein paar hundert Meter weiter ins Freie hinaus.
Nicht auszudenken, was erst passiert wäre, wenn der Zug in der Station herinnen stehen geblieben wäre. So ist es dieser Frau Scheidl zu danken, daß die nachfolgenden Zerstörungen sich doch in Grenzen hielten.
Am nächsten Tag - Ostermontag - kamen die Tiefflieger abermals und beschossen die restlichen, auf dem Geleise blockierten Munitionswaggons, die den ersten Angriff über standen hatten.