Bahnstrecke Gmünd - Wien 1945

#1
Hallo Forum!

Ich habe eine Frage an die Bahnexperten:

War im Frühjahr/Sommer 1945 nach Kriegsende die Bahnverbindung Gmünd (NÖ) - Schwarzenau - Göpfritz an der Wild - Sigmundsherbeg - Eggenburg - Absdorf-Hippersdorf - Wien für längere Zeit unterbrochen, z.B. durch Bombenschäden oder Sprengungen? Falls ja, etwa welcher Zeitraum?

Der Hintergrund meiner Frage: Ein Verwandter von mir kam nach Kriegsende von Berlin - Dresden - Prag - Gmünd (NÖ) nach Wien. Für die längere Strecke von Berlin bis Gmünd brauchte er nur drei Tage. Für die kürzere Teilstrecke Gmünd - Wien allerdings elf Tage.

Gruß,
Martin
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#2
...War im Frühjahr/Sommer 1945 nach Kriegsende die Bahnverbindung Gmünd (NÖ) - Schwarzenau - Göpfritz an der Wild - Sigmundsherbeg - Eggenburg - Absdorf-Hippersdorf - Wien für längere Zeit unterbrochen, z.B. durch Bombenschäden oder Sprengungen? ...
Abgesehen von den Zerstörungen in Wien direkt (FJ-Bahnhof, Bf. Heiligenstadt...) war die "klassische" FJB-Strecke im Bereich Tulln durch Sprengung der Donaubrücke bis ca. 1948 nicht durchgehend befahrbar. Dies konnte jedoch durch die Verbindungsstrecke Absdorf-Hippersdorf - Stockerau (zur Nordwestbahn) Richtung Floridsdorf nördlich der Donau umgangen werden.

Kurz vor Kriegsende wurde auch der damalige Hauptbahnhof Gmünd -> heute České Velenice (1938-45 Gmünd III) bombardiert. Wie weit sich das auf den nach 08.05.1945 wiedererstandenen "innerösterreichischen Bahnverkehr" auswirkte, kann ich nicht sagen, da ich die Verbindungen gleich nach Kriegende für das Streckenstück zwischen "Gmünd Hauptbahnhof" (CZ) und "Gmünd Stadt" (AT) nicht kenne...

Jedenfalls gab es lt. einschlägiger Literatur kleinere Zerstörungen zwischen Gmünd-Stadt und Absdorf-Hippersdorf (und sicher auch weiter über Stockerau-Korneuburg nach Floridsdorf...), aber zumindest ein eingleisiger Betrieb war meistens möglich. Das Problem lag eher bei der Häufigkeit der Zugfahrten für Zivilpersonen wegen der Transporte der russischen Besatzer bzw. wegen Kohlemangels! Am 7. Juni 1945 wurden die Bahnanlagen im Bereich Ziersdorf durch die Explosion eines "entlaufenen" Munitionszuges unterbrochen (url="Front in Österreich"]siehe hier - #6[/url]). Aber soweit ich dazu hörte, fuhren Züge bis zur provisorischen Befahrbarmachung der Strecke bis bzw. vor die Unfallstelle und das Zwischenstück musste zu Fuß zurückgelegt werden.

lg
josef
 
#3
Danke, Josef, für die ausführliche Antwort.

Es wird wohl so sein wie du sagst, daß die Reiseverzögerung durch die "Benachteiligung" ziviler Fahrten zustande kam.

Liebe Grüße
Martin
 

cerberus9

Well-Known Member
#4
Glaube nicht das diese Verzögerung ausschließlich mit der Bahn zu tun hatte.
Mann musste essen. Essen musste man sich verdienen. Da kein Geld - mit Arbeit.
Weiteres musste er durch die russische Zone. Durch diese hat man sich nur vorsichtig und langsam bewegt. Oft hat man einfach nur gewartet bis eine Situation günstig war.

lg
Cerberus
 
#5
Schließe mich Cerberus an. Mein Vater brauchte für die Gegenrichtung im Juli 1945 2 Wochen (kam aus Breslau). Nach seinen Erzählungen fuhr man in Etappen weil durch die russischen Truppen immer wieder die Züge - wenn sie fuhren - nach Personen ohne russischen Passierscheinen durchsucht wurden (seinen russischen Passierschein und den Sani-Ausweis hatten ihm tschechische Freischärler zerrissen). Die Zwischenhalte verbrachte er bei Bauern, wo er für Arbeit Essen erhielt. Die Bahnbeamten wussten immer über die "freien" Streckenabschnitte bescheid. Und so hat er sich nach Hause "gehangelt".

In seinem Nachlass fand ich auch folgendes Kuriosum: Eine Bestätigung der Republik Österreich vom August 1945 dass er per 28. April 1945 aus der deutschen Wehrmacht entlassen wurde. Tatsächlich hat Breslau (er war dort OP-Gehilfe) ja erst am 08. Mai 1945 kapituliert.

daKarli
 
#6
Hallo,

und danke für eure Ergänzungen.

@daKarli: Der meinige Verwandte wurde ebenso wie deiner nachträglich Anfang September 45 per 25. 4. 45 aus der Wehrmacht entlassen. Er war Wiener.

LG,
Martin
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#7
Glaube nicht das diese Verzögerung ausschließlich mit der Bahn zu tun hatte...
@Cerberus und @dakarli haben natürlich recht, die "verzögerte Heimkehr" betraf sicherlich nicht nur das damalige Betriebsgeschehen der Bahn!

Passt zwar nicht ganz zur Rückreise des Verwandten von @Kalzium, mich interessierten aber die Ereignisse entlang der FJB von Gmünd bis Wien im Jahre 1945,
- gefunden in

„125 Jahre Kaiser Franz Josef-Bahn“
vom Verein Waldviertler Eisenbahnmuseum Sigmundsherberg, 1995:

Hauptbahnhof Gmünd (heute Bf. České Velenice): 23.03.1945 – fast totale Zerstörung durch US-Bombenangriff.

Bf. Pürbach-Schrems: 01.04.1945 – Ölzug durch Tiefliegerangriff in Brand geschossen.

Sigmundsherberg: In den letzten Kriegswochen war außerhalb des Bahnhofsbereiches an der Nebenstrecke nach Horn (- Kamptalbahn nach Hadersdorf) der Befehlszug der „Reichsbahndirektion Wien“ in der Anlage „Edelweiß“ hinterstellt.

Limberg-Maissau: 26.03.1945 – Tieffliegerangriff auf einen Personenzug, Lok zerstört, Lokführer und Heizer getötet.
Verhinderung der vorbereiteten und befohlenen Sprengung der großen Hangbrücke in der Nähe von Limberg-Maissau durch engagierte Ortsbewohner.

Bf. Ziersdorf: Ostermontag 1945 – Großbrand nach Fliegerangriff auf einen abgestellten Kesselwagenzug mit Benzin. Nebengebäude des Bahnhofs und Gütermagazin total zerstört.
07.06.1945 – wie bereits berichtet, Explosion einer aus dem Bf. Limberg-Maissau entlaufenen Gruppe von 30 Munitionswagen beim Zusammenstoß mit einem Güterzug in der Nähe von Ziersdorf:

30 mit Munition beladene Güterwagen entrollen im Bahnhof Limberg-Maissau (Gefälle in Richtung Ziersdorf bis zu 10‰). Sowohl die Strecke als auch der Bahnhof Ziersdorf sind wegen Kriegsschäden nur eingleisig befahrbar, und auf diesem Gleis steht ein Güterzug. Der Zug wird Richtung Groß Weikersdorf abgefertigt, damit der unvermeidbare Zusammenstoß nicht im Ortsgebiet von Ziersdorf erfolgt. Der Zusammenprall ereignet sich im km 58.800 - eine gewaltige Explosion verwüstet den Zug und die Strecke. Wächterhaus 43 im km 58.750 wird zerstört und im Umkreis von 2 km werden Leichenteile gefunden. Die Aufräumungsarbeiten dauern zwei Jahre und fordern weitere Tote und Verletzte. Noch im Jahr 2002, beim Bau der B4 - Umfahrung Ziersdorf wurde jede Menge Munition, eine Granate und ein Wagenrad entdeckt.
Áuszug aus http://www.jneumeister.at/bahnhofchronik/besatzung.html


Tulln: 07.04.1945 – Sprengung der Brücke über die „Kleine Tulln“.
08.04.1945 – Sprengung der Tullner Donaubrücke.

Wien-Nußdorf: März 1945 – Aufnahmegebäude nach Bombenangriff ausgebrannt.

Wien-Heiligenstadt: 15.03.1945 – Aufnahmegebäude durch Bombenangriff zerstört. Gleisanlagen des Bahnhofes durch 3 weitere Bombenangriffe zerstört, Stadtbahnbrücke über die FJB gesprengt.

Wien-FJ-Bahnhof: Der Kopfbahnhof wurde durch Bombenangriffe und Beschuss während des „Kampfes um Wien“ stark beschädigt.
Soweit eine kurze Chronik über die größeren Kriegsschäden und Ereignisse an der Strecke der FJB.

lg
josef
 
Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#8
Tieffliegerangriff auf Mun.Zug in Kainreith bei Sigmundsherberg

Ergänzung zu den im Beitrag #7 aufgelisteten Ereignissen an der FJB 1945:

Im Bereich der Drehscheibe des Eisenbahnmuseums Sigmundsherberg entdeckte ich ein Denkmal zur Erinnerung an die Auswirkungen eines Luftangriffes auf einen Munitionszug nordwestlich des Bahnhofes Sigmundsherberg bei Kainreith am 01.04.1945:
 

Anhänge

Zuletzt bearbeitet:

josef

Administrator
Mitarbeiter
#9
Nochmals Kainreith...

Bei der Suche nach weiteren Infos zum Tieffliegerangriff auf den Munitionszug stieß ich auf nachfolgende Zeitzeugenberichte:

Anna HOFBAUER, Kainreith

5. Munitionszug in Kainreith
(Ostersonntag, 1. April 1945, 12 Uhr)

Ich habe gerade die sonntägliche Zwiebelsuppe auf den Tisch gestellt. Da zischen plötzlich zwei Tiefflieger, aus Richtung Brugg kommend, über unser Haus in Kainreith gegen Westen und ballern bereits auf den etwa hundert Meter von der Ortschaft Kainreith abgestellten Lastzug. Das wäre für uns Dörfler nicht schlimm gewesen, wenn er nicht voll mit Munition beladen gewesen wäre. Das wußte aber vorerst niemand. Beim ersten Anfliegen habe ich nur das Bellen der Bordkanonen gehört, aber als sie nach einer Schleife über Sigmundsherberg, die Sonne im Rücken, ein zweitesmal zurückkommen, da passierte es.

Ein gewaltiges, ohrenzerfetzendes Getöse ließ die Kainreither erzittern. Niemand aber weiß, was in diesen furchtbaren Minuten eigentlich geschieht. Die Hölle scheint los zu sein. Gewaltige Detonationen erschüttern den Ort und seine Umgebung. Tausende Eisentrümmer schwirren pfeifend durch die Luft, über die Siedlung, in die Häuser und in die Höfe hinein. Die Menschen rennen, suchen schützende Ecken, kauern sich unter Küchentische, legen sich flach, wo sie sich eben befinden. Die faustgroßen, schwirrenden Eisentrümmer zerstören alles, was ihnen hemmend in den Weg kommt. Dächer werden zerfetzt. Ein unheimlicher Explosionsdruck trommelt in die Ohren. Malter rieselt von den Zimmerdecken, Fensterscheiben zerspringen. Die Welt scheint unterzugehen.

Das unmittelbar neben dem Geleiskörper stehende Eisenbahnerhäuschen (bei Bahnkilometer 92,7) in dem die Familie Lagler wohnt, ist nur mehr ein einziger Trümmerhaufen. Seine Bewohner sind, einer gewissen Vorahnung folgend, noch im letztmöglichen Augenblick in den Ort hineingerannt und so dem sicheren Tode entronnen.

Die Walkensteiner bekommen, obwohl sie weiter von der Detonationsstelle entfernt sind, die gewaltige Druckwelle fast noch mehr zu spüren, weil ihre Häuser offen auf dem gegenüberliegenden Hang liegen. Die Dächer sind alle zerfetzt, kein Fenster ist ganz geblieben. Der ganze Spuk dauert durchgehend fast eine halbe Stunde, aber auch dann kracht es vereinzelt noch immer wieder, selbst dann noch, als die verängstigten Bewohner langsam wieder Mut fassen und einer den anderen fragt, was denn eigentlich los gewesen ist?

Zusatz:
Nach mündl. Angaben eines Zeitzeugen gab es bei diesem Angriff 11 Tote (davon waren 2 aus Sigmundsherberg). Auch der Bahnhof in Retz wurde an diesem Tage bombardiert.

Der letzte Waggon des langen Munitionszuges stand beim Schranken an der Bahnkreuzung der früheren Landesstraße (jetzt Agrarweg, Richtung Straße nach Hötzelsdorf). Später wurden die noch frei herumliegenden, nicht krepierten Granaten nördlich vom Bahngeleise aufgestapelt und zu Weihnachten 1945 von der russ. Besatzung gesprengt.

Ein weiterer Munitionszug stand an diesem Ostersonntag einen Kilometer weiter Richtung Gmünd abgestellt im Waldstück der Kurve „Einschnitt“ am Leeberg. Dieser war aber vom Wald getarnt und an diesem Tage für die Tiefflieger weniger sichtbar.




Anna BERNDL (Bernhard), damals Kainreith

6. Nochmals „der Munitionszug“

Damals, an diesem Ostersonntag, als dieser Lastzug beschossen wurde und die gewaltigen Explosionen die ganze Umgebung erschütterten, war ich 25 Jahre alt und habe im Eisenbahnerhäuschen Kainreith, gegenüber dem Stationsgebäude mit meiner Familie gewohnt, und ich weiß noch etwas darüber zu berichten:

Amalia Scheidl (wohnhaft in Rodingersdorf 22) hatte an diesem Tage Schrankendienst an der Haltestelle in Kainreith. Als der mit Munition vollbeladene Militärzug langsam in die Station einfuhr, um daselbst stehn zu bleiben, schrie sie geistesgegenwärtig mit allen ihren Kräften den Lokführer an:
„Fahrn’s doch weiter, es kommen schon Tiefflieger!“ Der gab daraufhin nochmals Dampf und fuhr richtig ein paar hundert Meter weiter ins Freie hinaus.

Nicht auszudenken, was erst passiert wäre, wenn der Zug in der Station herinnen stehen geblieben wäre. So ist es dieser Frau Scheidl zu danken, daß die nachfolgenden Zerstörungen sich doch in Grenzen hielten.
Am nächsten Tag - Ostermontag - kamen die Tiefflieger abermals und beschossen die restlichen, auf dem Geleise blockierten Munitionswaggons, die den ersten Angriff über standen hatten.
Quelle: http://holzer.uxs.eu/pdf/zeit-zeugen.pdf
 
1

1975reinhard

Nicht mehr aktiv
#10
Hallo,

hat jemand noch genauere Informationen zum Angriff auf den Bahnhof Gmünd am 23.03.1945?

Mein Großvater wurde dort schwer verwundet, so dass er einige Wochen später starb.
Allerdings wurde beim Eintrag im Standesamt Gmünd der 26.03.1945 als Tag der Verwundung angegeben.

Viele Grüße
Reinhard
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#11
Bombenangriff Hbf. Gmünd 23.03.1945

...hat jemand noch genauere Informationen zum Angriff auf den Bahnhof Gmünd am 23.03.1945?
Hallo Reinhard,

hier findest du einige Fotos vom zerstörten Bahngelände. Der damals bombardierte Hauptbahnhof von Gmünd musste nach dem 1. Weltkrieg 1920 an die damalige Tschechoslowakei abgetreten werden, wurde 1938 wieder an das Deutsche Reich angegliedert und kam nach Kriegsende 1945 wieder zur CSSR zurück. Daher auch die Bezeichnung der Fotos mit "Bahnhof České Velenice".

Und hier gibt es einen kurzen Bericht zum Bombenangriff. Der Artikel ist Teil der Entstehungsgeschichte von České Velenice aus tschechischer Sichtweise...

lg
josef
 

josef

Administrator
Mitarbeiter
#13
oder Zeitung lesen: http://anno.onb.ac.at/
ANNO - AustriaN Newspapers Online ...
Da wurde über solche Dinge fast nichts berichtet! Die ganze Ausbeute aus den wenigen einsehbaren Zeitungen vom 24. - 27.03.1945 über Bombenangriffe ist ein gleichlautender Kurzartikel bei "Kleine Wiener Kriegszeitung" und "Neues Wiener Tagblatt" am 24.03.45 zum Raum Wien, keine Erwähnung von Gmünd:
Luftangriff auf Wien
Amerikanische Bombenflugzeuge warfen gestern abermals Bomben im Raum von Wien und verursachten geringe Personenverluste sowie Sachschäden. Eine Anzahl von Flugzeugen wurde abgeschossen.
 
Oben