Bundesarchiv: Inventar der Quellen zur Geschichte der 'Euthanasie'-Verbrechen 39-45

SuR

... wie immer keine Zeit ...
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#1
"Das "Inventar der Quellen zur Geschichte der 'Euthanasie'-Verbrechen 1939-1945" gibt einen Überblick über die archivalischen Überlieferungen, die sich auf die Vorbereitung und Durchführung des vom NS-Regime organisierten Mordes an psychisch Kranken und anderen Patienten beziehen. Erfaßt wurden einschlägige Quellen in Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien.

Die nach ihrer heutigen staatlichen Zugehörigkeit sortierten Standorte der Archive und sonstigen Verwahrstellen bilden das Grundgerüst der Klassifikation des Inventars. Die Arbeiten für den Hauptteil des Projektes, der die Überlieferungen in Deutschland und Österreich umfaßt, sind von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert worden.

Das Projekt wurde von Beginn an -auch in finanzieller Hinsicht- von der Bundesärztekammer mitgetragen.

Frau Brigitte Jensen hat mittels mehrerer Fragebogenaktionen die Grunddaten zu den einzelnen Quellen erhoben, die anschließend von Herrn Dr. Harald Jenner in der vorliegenden Übersicht zusammengestellt worden sind.

Mit finanzieller Unterstützung der Robert Bosch Stiftung hat Herr Jerzy Grzelak den Teil für Polen bearbeitet.

Die Angaben zu den relevanten Überlieferungen in Tschechien, die für die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein erhoben worden sind, stammen von Herrn Dr. Dietmar Schulze.

Unterstützt wurde das Bundesarchiv bei der Durchführung des Gesamtprojektes von einem Wissenschaftlicher Beirat unter der Leitung von Frau PD Dr. Christina Vanja, die neben dem "Arbeitskreis zur Erforschung der nationalsozialistischen 'Euthanasie' und Zwangssterilisation" zu den Initiatoren des Inventars gehört.

Bei thematischen Fragen, Korrekturen und Ergänzungen wenden Sie sich bitte an Herrn Matthias Meissner, Bundesarchiv, Finckensteinallee 63, 12 205 Berlin, Tel. 01 888 7770-450..."

Quelle und Links: Bundesarchiv
 

josef

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#2
Kärnten - „Euthanasie“-Morde werden aufgearbeitet

„Euthanasie“-Morde werden aufgearbeitet

In Kärnten wurden zwischen 1939 und 1945 geschätzte 1.500 Menschen im Rahmen der sogenannten „Euthanasie“ ermordet. An der Med-Uni Graz, am Institut für Sozialmedizin, werden nun die individuellen Opfergeschichten erforscht.

Die Opfer waren meist behindert oder psychisch leidend, manchmal auch nur alt und gebrechlich, schildert der Grazer Sozialmediziner Wolfgang Freidl. Er wird das Projekt mit seinem Team durchführen. Der Kärntner Sozial- und Kulturwissenschafter Helge Stromberger legte schon vor einem Jahrzehnt eine erste Publikation zu „Die Ärzte, die Schwestern, die SS und der Tod. Kärnten und das produzierte Sterben im NS-Staat“ im Klagenfurter Drava Verlag vor.

Der Begriff Euthanasie
Euthanasie besteht aus den griechischen Ausdrücken von „schön“ und „Tod“. In der NS-Zeit wurden grausame Morde unter dem Vorwand der „Rassenhygiene“ mit diesem Ausdruck verbrämt und quasi vorgetäuscht, man würde den betroffenen Menschen einen Gefallen tun und sie von ihrem Leiden erlösen.

Vom Krankenhaus in Tötungsanstalten
Demnach wurden zwischen Juni 1940 bis Sommer 1941 mehr als 700 Menschen vom „Kärntner Gaukrankenhaus“ in Klagenfurt im Rahmen der sogenannten Aktion „T4“ in vier Bahntransporten in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz geschickt und umgebracht. Der Großteil von ihnen stammte aus der psychiatrischen Abteilung, rund 100 aus dem „Siechenhaus“ als Teil der geriatrischen Abteilung, sowie anderen Einrichtungen der Kärntner Armen-, Alten-und Behindertenhilfe.

Der ab 1942 einsetzenden „wilden Euthanasie“ seien nochmals an die 700 Personen zum Opfer gefallen, erläuterte Freidl am Dienstag im Gespräch mit der Austria Presse Agentur. Die Menschen wurden u.a. durch Medikamente oder durch Nahrungsreduktion ermordet. Diese Tötungen wurden bis April 1945 fortgesetzt.

Geschichten ein Gesicht geben
„Wir möchten in Kooperation mit dem Kärntner Landesarchiv und Helge Stromberger den unzähligen Opfern von damals wieder ein Gesicht geben“, schilderte Freidl eine Zielsetzung des auf zwei Jahre anberaumten Forschungsprojektes, das von der Österreichischen Nationalbank unterstützt wird. Ähnliches hat der Grazer Sozialmediziner und seine Mitarbeiter schon in einem Forschungsprojekt NS-Euthanasie in der Steiermark und hier v.a. im sogenannten „Feldhof“ in Graz für 1.500 Opfer - darunter mehr als 200 Kinder - unternommen.

Verwicklung der Amtsärzte aufarbeiten
Daneben wollen die Forscher aber auch anhand der im Kärntner Landesarchiv aufbewahrten Krankenakten sowie im Berliner Bundesarchiv herausfinden, „inwieweit die Amtsärzte und das NS-Gesundheitssystem insgesamt bei der Einweisung von behinderten und psychisch erkrankten Menschen in die Anstalten involviert war“. Und nicht zuletzt wolle man anhand einiger Fallbeispiele die „Emotionssoziologie“ der Pflegerinnen und Pfleger, die in dem System mitgespielt hätten, klären. Die Datenlage sei auf alle Fälle gut: „Es ist vieles vorhanden - von den Prozessakten bis hin zu den Patientenakten“, so Freidl.
http://kaernten.orf.at/news/stories/2674975/
 

josef

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#3
Manche Verbrechen der NS-„Euthanasie“ beschäftigen die Forschung bis heute:

Was tun mit Gehirnpräparaten?
Manche Verbrechen der NS-„Euthanasie“ beschäftigen die Forschung bis heute: etwa die Gehirnpräparate von Patienten, die bis heute überdauert haben. Wie schwierig es ist, dieser Opfergruppe zu gedenken, beschreibt der Historiker Paul Weindling in einem Gastbeitrag.

Der Tod ist selbstverständlich nicht nur ein natürliches, sondern auch ein soziales Phänomen, doch damit gehen schwierige Fragen in Bezug auf menschliche Überreste, die Erforschung der historischen Provenienz und die Erinnerung an die Opfer einher. Welche Implikationen hat die Dichotomie zwischen Natur und Gesellschaft für den Tod, vor allem im Hinblick auf die Tötung von Psychiatriepatienten und -patientinnen sowie anderen Personen, deren Gehirne während des Nationalsozialismus und darüber hinaus zu Forschungszwecken verwendet wurden?


Paul Wendling

Über den Autor
Paul Weindling ist Research Professor für Medizingeschichte an der Oxford Brookes University. Weindling war Mitglied unterschiedlicher beratender Kommissionen zum Thema Nationalsozialismus. Derzeit ist er Co-Präsident der Kommission der Universität Straßburg zur Erforschung der medizinischen Fakultät der Reichsuniversität Straßburg zwischen 1941-1944 und Stadt Wien/IFK_Fellow am IFK in Wien.

Als natürliches Phänomen beschränkte sich der Tod in diesem Zusammenhang nicht nur auf die Tötung einer Person, sondern ihr Gehirn wurde damit entmenschlicht und auf einen natürlichen Gegenstand reduziert, dessen Gewebe in feine Scheiben geschnitten und für Forschungszwecke konserviert wurde. Kurz gesagt, es wurde für die medizinische Forschung in einen Naturgegenstand verwandelt.

Es besteht ein großer Unterschied, ob Gehirnpräparate mit wissenschaftlichem Blick betrachtet werden, oder ob das Hirngewebe als Teil einer Person gesehen wird, bzw. als Teil eines Individuums, das liebte und geliebt wurde, und durch eine Reihe von Symptomen und Verhaltensmuster, die nicht im Bereich des „Normalen“ lagen, zusätzlich an Komplexität gewann.

Wenn wir die Identitäten der Getöteten erforschen und die Geschichte ihrer Überreste verfolgen, ergibt sich eine Spannung zwischen der Person und ihrem breiteren sozialen Umfeld. Lange Zeit gaben historische Archive die Daten von „Euthanasie“-Opfern nur nach Schwärzung der Namen preis. Ist es nun an der Zeit, den Schleier zu lüften, so dass alle Opfer der medizinischen Tötungen und der damit verbundenen Forschungstätigkeit während des Nationalsozialismus mit vollem Namen genannt werden?

Spiegelgrund: Musterbeispiel der Gedenkkultur
In Österreich wurden die Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“ bis heute nicht vollständig identifiziert. Ausnahmen davon sind lediglich manche Opfergruppen in bestimmten psychiatrischen Spitälern und die Personen, die auf Schloss Hartheim ums Leben gebracht wurden. Abgesehen davon, dass ihre Tötung mit voller Absicht geschah, ist noch immer nicht klar, in welchem Ausmaß die Opfer dieser sogenannten „Euthanasie“ für Forschungszwecke herangezogen wurden.

Ein Musterbeispiel der Gedenkkultur stellt die sogenannte „Kinderfachabteilung“ „Am Spiegelgrund“ dar. Sie war Teil des größten psychiatrischen Krankenhauses der Stadt Wien, das damals die Bezeichnung „Am Steinhof“ trug und heute Otto-Wagner-Spital heißt. Dieser Abteilung kommt das Verdienst zu, all ihrer ermordeten Opfer gedacht und Berichte von Überlebenden gesammelt zu haben.

Die Gedenkstätte Steinhof wurde tatsächlich zum internationalen Vorbild. Die Max-Planck-Gesellschaft, Deutschlands prestigeträchtigste Forschungseinrichtung, prüft gerade ihre Vorgehensweise im Umgang mit den Gehirnpräparaten, die in der Zeit des Nationalsozialismus von ihrer Vorgängerorganisation, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, gesammelt wurden. Die Gedenkstätte Steinhof ist deswegen beispielhaft, weil die einzelnen Opfer namentlich erwähnt wurden.

Im Gegensatz dazu begrub die Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 1990 rund eine halbe Million Hirnschnitte kollektiv und anonym. Sobald man aber die Namen von Einzelpersonen und die Umstände ihres Todes nachverfolgt, wird deutlich, dass sie immer noch Präparate von „Euthanasie“-Opfern in ihren Sammlungen aufbewahrt. Zum Teil stammten die begrabenen Präparate auch von Personen, die auf natürliche Weise zu Tode kamen. Kurz gesagt, die erwähnte Bestattung war chaotisch und unvollständig.


Paul Wendling

Schwierige Fragen für die Forschung
Aus dieser Situation ergibt sich die Notwendigkeit, Einzelpersonen zu identifizieren und die Herkunft der Hirnschnitte zu klären. Ich bin Mitglied einer Gruppe von unabhängigen Historikern und Historikerinnen, die im Auftrag der Max-Planck-Gesellschaft an der Identifizierung der Opfer und der Erforschung ihrer Todesumstände arbeiten. Einige Fragen sind nach wie vor offen: In welchem Ausmaß dürfen persönliche Daten Gegenstand historischer Forschung werden?

Veranstaltungshinweis
Am 19.3. hält Paul Weindling den Vortrag: „Provenance and Personal Identity: Problems of Brain Tissues from the Era of National Socialism“. Ort: IFK Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften | Kunstuni Linz, Reichsratsstraße 17, 1010 Wien. Zeit: 18.15 Uhr

Eine besondere Herausforderung stellt der Umgang mit Krankheiten dar. Kann im Fall eines Kriegsgefangenen, der an einer bestimmten Erbkrankheit starb und dessen Gehirn später in die Sammlung aufgenommen wurde, die Person mit der Krankheit in Verbindung gebracht werden? Was, wenn diese Erbkrankheit nur als Vorwand für seine Tötung diente? In welchem Ausmaß sollte hier der Grundsatz der Vertraulichkeit, der eigentlich dem Schutz von lebenden Personen dient, gelten? Oder sollten die Opfer beim Namen genannt werden, wie es im Falle des Holocausts mittlerweile gängige Praxis ist? Sollte ein schottischer Kriegsgefangener, dessen Gehirn auf Grund einer neurologischen Erkrankung in eine Sammlung aufgenommen wurde, genauso identifiziert werden, wie Jüdinnen und Juden, die 1940 in Warschau an von Läusen übertragenem Fleckfieber verstarben?

Von Patienten und Patientinnen geschaffene Kunst zeigt, dass die individuelle Lebensgeschichte mit ihren spezifischen Erfahrungen für die Identitätsbildung ausschlaggebend ist. Gerade auch Krankheit formt die Lebensgeschichte. Wenn aber Krankheit als persönliche Angelegenheit betrachtet wird, die aus rechtlichen Gründen nicht Gegenstand historischer Forschung sein darf, und wenn die persönliche Identität so privat ist, dass Namen nicht preisgegeben werden dürfen, dann stehen wir vor einer bürokratischen Mauer, die jegliche Identitätsfeststellung verhindert. Wie jener Toten, die für so lange Zeit Forschungsobjekte waren, auf angemessene Weise gedacht werden kann, bleibt also höchst fragwürdig.

Aus dem Englischen: Wolfgang Trimmel

Weiterführende Links zum Thema:
Mehr zu dem Thema:
Publiziert am 18.03.2018
http://science.orf.at/stories/2901586
 
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