Chinas Zugriff auf Südamerika

josef

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Südamerika als Chinas neuer Hinterhof
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Von Mittwoch bis Samstag ist die Präsidentin von Peru, Dina Boluarte, zu Besuch in China. Neben Präsident Xi Jinping sollen sie und ihre Minister auch einflussreiche Vertreter aus der Wirtschaft treffen. Es ist ein Besuch, der ein weiteres Mal exemplarisch den wachsenden Einfluss Chinas auf Südamerika aufzeigt – und zugleich viele Fragen aufwirft.
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Lateinamerika als geschundener Kontinent ist seit jeher Spielball geopolitischer Mächte – zuerst Europa, dann die USA, jetzt China. Die den damaligen europäischen Kolonialgebieten entrissenen Rohstoffe förderten einst den wirtschaftlichen Fortschritt Europas. „Man könnte sogar sagen, sie machten ihn erst möglich“, schrieb etwa der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano in seinem Werk „Die offenen Adern Lateinamerikas“.

Im 19. und 20. Jahrhundert traten die USA an die Stelle Europas und setzten im Zuge der „Monroe-Doktrin“ ihre wirtschaftspolitischen Interessen im „Hinterhof“ Lateinamerika durch. Seit rund 20 Jahren ist es die Volksrepublik China, die ihren Einfluss in Lateinamerika stetig erweitert. In Südamerika hat sie die USA als Nummer-eins-Handelspartner bereits abgelöst, in Lateinamerika liegt sie knapp dahinter.

Tamara Sill
Der „Cerro Rico“ in Potosi, Bolivien – bis heute Sinnbild für den ausgebeuteten Rohstoffreichtum Südamerikas

Handel mit China: „Fortsetzung der Geschichte“
Anna Preiser, Expertin für internationale Politik an der Uni Wien mit Schwerpunkt politische Ökologie und Lateinamerika und derzeit in Lima, der Hauptstadt Perus, sieht in den engen Handelsbeziehungen zu China eine Fortsetzung der Geschichte Lateinamerikas. Mit dem zur Jahrtausendwende einsetzenden Wirtschaftswachstum Chinas sei auch die Nachfrage nach Rohstoffen stark gestiegen – seitdem sei auch gerade im extraktivistischen Bereich wie Bergbau und Erdölförderung viel Kapital von China nach Lateinamerika geflossen.

„In den vergangenen Jahren hat China dann auch begonnen, in den Straßenbau zu investieren, in Infrastrukturprojekte, in Telekommunikation und im Energiebereich.“ Das Stromnetz in Lima etwa werde zu 100 Prozent von einem chinesischen Unternehmen kontrolliert, so Preiser.

Treffen mit Huawei und China Railway Construction
Ein Blick auf die Agenda der peruanischen Präsidentin scheint die große wirtschaftspolitische Macht Chinas in Lateinamerika zu bestätigen: Begleitet von Ministern und Ministerinnen aus Wirtschaft, Außenamt, Bauwesen, Verkehr und Kommunikation trifft sie etwa Vertreter von Huawei, Cosco Shipping und der China Railway Construction Corporation (CRCC) und hält eine Grundsatzrede über „Investitionsmöglichkeiten in Peru“, wie die Onlinenewsplattform Infobae kürzlich berichtete.

Tamara Sill
Hafen von Valparaiso, Chile – auch hier ist China der wichtigste Importpartner

Megahafen als Vorzeigeprojekt
Das „Vorzeigeprojekt“ der bilateralen Handelsbeziehungen zwischen Peru und China, so schreibt etwa auch Infobae, sei derzeit das Megaprojekt des Hafens von Chancay im Norden Limas. Zwar läuft ein Rechtsstreit über die Exklusivrechte für den Betrieb, das in Hongkong ansässige Unternehmen Cosco Shipping Ports plant jedoch die Eröffnung Ende des Jahres.

Seidenstraße in Lateinamerika
China kündigte die „Neue Seidenstraße“ 2013 an. Darunter vergibt die Volksrepublik etwa Kredite an andere Länder weltweit und sichert sich dadurch politische und wirtschaftliche Vorteile. Laut CFR sind bereits 21 lateinamerikanische Länder Teil davon.

Der Hafen soll eine der Hauptrouten für den Handel zwischen Asien und Südamerika werden – mit Anfangsinvestitionen von Cosco in der Höhe von 1,3 Milliarden Dollar. Laut einer Studie des US-amerikanischen Thinktanks Council of Foreign Relations (CFR) sei China bereits in mehr als 40 Hafenprojekten in Lateinamerika involviert.
Die Vereinigten Staaten sowie die EU zeigen sich über die chinesische Involvierung jedoch besorgt. Für lateinamerikanische Länder würden die Investitionen indes mehr „Handlungs- und Verhandlungsspielraum“ mit imperialistischen Mächten erlauben, sagte Preiser. Schließlich könne Peru über China etwa geopolitischen Druck auf die USA ausüben und erhoffe sich dadurch, weitere Investitionen an Land zu ziehen.

APA/AFP/Ernesto Benavides
Der Megahafen in Chancay, Peru, soll Asien und Südamerika noch näher aneinanderrücken lassen

Lateinamerika wieder in „Rolle von Rohstofflieferant“
Zwar gebe sich China im Zuge seiner ausgerufenen „Süd-Süd-Kooperationen“ als solidarischer Partner, als Partner, der seine Partner an Entwicklung teilhaben lassen und fördern wolle, in Wahrheit handle es sich jedoch nicht um eine gleichwertige hierarchische Ebene.

Im Endeffekt würden lateinamerikanische Länder letztlich erst wieder in die Rolle des Rohstofflieferanten gedrängt und Industrialisierungsprozesse verhindert werden, analysiert Preiser. Und weiter: „Wenn man sich den Handel zwischen China und Peru ansieht, ist es so, dass Peru hauptsächlich Rohstoffe an China verkauft, dann aber zum Beispiel Handys aus China einkauft, also die weiterverarbeiteten Produkte. Das heißt, es gibt erst wieder diesen ungleichen Handel.“

Tamara Sill
Waren einst Porzellan, Seide und Gewürze gefragte Handelsgüter, sind es jetzt Rohstoffe wie Lithium. Hier unter den Salzseen in Uyuni, Bolivien, sollen die größten Vorkommen der Welt lagern.

Energiewende auf Kosten des globalen Südens
Es sei eine Entwicklung, die sich auch in Zukunft noch fortsetzen werde, prognostizierte die Expertin. Denn gerade mit der Energiewende steige die Nachfrage nach Rohstoffen exponentiell an: „Wenn alles grün werden soll, werden mehr Metalle benötigt. Die Nachfrage nach Kupfer beispielsweise soll bis 2040 um 50 Prozent steigen. Auch die Nachfrage nach Lithium wird extrem steigen. Da stellt sich natürlich die Frage: Wer hat überhaupt Zugriff auf diese Rohstoffe?“, so Preiser, die im Zuge ihres Doktorats derzeit die Entwicklungen der Umweltpolitik im peruanischen Bergbausektor analysiert.

Auch laut einem Bericht des US-amerikanischen Thinktanks CFR habe Chinas Entwicklungsbank große Investitionen in den Bereich erneuerbarer Energien getätigt. Lateinamerikas größte Solaranlage in Jujuy, Argentinien, sowie der Windpark in Coquimbo, Chile, seien etwa durch Geldmittel der Bank errichtet worden.

Tamara Sill
Kritiker bemängeln, dass chinesische Investitionen Umwelt- und Arbeitsrechtsstandards in den Ländern drücken würden

Kritik an laxen Umwelt- und Arbeitsstandards
Preiser kritisierte, dass es ein weiteres Mal die Länder des globalen Südens sind, die die sozio-ökologischen Kosten der Rohstoffausbeutung tragen müssten. Gerade im Fall von Investitionen aus China kämen laxe Umwelt- und Arbeitsstandards sowie fragwürdige Menschenrechtsvorgehen hinzu.

Auch der ehemalige peruanische Botschafter in China, Harold Forsyth, zeigte sich dem Besuch der Präsidentin in China gegenüber skeptisch: „China ist ein sehr wichtiges Land für Peru, aber gleichzeitig ist es ein Land, dessen Außenpolitik überhaupt nicht auf Demokratie und Menschenrechte ausgerichtet ist. Genau das sind die großen Defizite Perus“, wird er bei Infobae zitiert.

In dem Bericht von CFR ist ebenso zu lesen, dass chinesische Unternehmen niedrigere Umwelt- und Arbeitsstandards einführen würden. Chinas wachsende Kontrolle über kritische Infrastruktur wie Häfen und Energienetze bringe zudem Risiken für die nationale Sicherheit mit sich. Dazu komme: Zwar seien chinesische Kredite oft an weniger Bedingungen geknüpft, doch könne die Abhängigkeit von ihnen wirtschaftlich instabile Länder wie Venezuela in eine Schuldenfalle treiben, die bis zur Zahlungsunfähigkeit führen.
29.06.2024, Tamara Sill, ORF.at

Links:
Infobae über Besuch Boluartes
Infobae zu Hafenprojekt
CFR-Bericht
Anna PreiserGaleano „Die offenen Adern Lateinamerikas“
Studie
Hafen Valparaiso

Wirtschaft: Südamerika als Chinas neuer Hinterhof
 
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