Der "Räuberhauptmann Grasel", eine Waldviertler Legende, wurde 1818 gehenkt

josef

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Räuberhauptmann Grasel: Ein Außenseiter als Berufsverbrecher
Johann Georg Grasel wurde 1818 in Wien gehenkt. Aus einer Abdeckerfamilie am Rande der Gesellschaft stammend, war ihm eine kriminelle Karriere vorherbestimmt
"Jessas, so vül Leit!", soll Johann Georg Grasel ausgerufen haben, als man ihn zum Galgen führte. Viele Tausende versammelten sich am 31. Jänner 1818 vor dem Neutor in Wien, um den Räuberhauptmann und seine Komplizen Jakob Fähding und Ignatz Stangel hängen zu sehen. Hinrichtungen waren eine Volksbelustigung; Schaulustige stritten sich um die besten Plätze, und Wanderhändler machten gute Geschäfte.

Drei Tage zuvor waren Grasel, Fähding und Stangel zum Tod verurteilt worden. Weitere Komplizen hatten langjährige Kerkerstrafen erhalten. Mitglieder der Grasel-Bande hatten ein Jahrzehnt lang im nördlichen Niederösterreich und im südlichen Böhmen und Mähren Diebstähle, Einbrüche und Raubüberfälle verübt.


Johann Georg Grasel.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek / Bildarchiv Austria

Abdecker am Rande der Gesellschaft
Mit der Hinrichtung Grasels endete das kurze Leben eines Outlaws, dem eine andere als die kriminelle Karriere so gut wie verwehrt war. Grasels gewalttätiger und oft betrunkener Vater Thomas war Abdeckergehilfe (Schinderknecht); die Mutter Regina stammte ebenfalls aus einer Abdeckerfamilie. Abdecker lebten vom Verwerten toter Tiere und standen wie Henker am Rande der Gesellschaft, denn ihre Tätigkeit galt als "unehrliches Gewerbe". Meist heirateten sie innerhalb ihres Standes. Sie verwendeten auch eigene, dem Rotwelsch ähnelnde Wörter zur Verständigung untereinander.

"Brutaler und gefühlloser Mensch"
Grasel, geboren am 4. April 1790 in Neu Serowitz (Nové Syrovice) in der Nähe von Znaim (Znojmo) in Mähren, begleitete seinen Vater schon als Kind bei Eigentumsdelikten. War sein Vater eingekerkert, zog "Hansjörgel" mit seiner Mutter Regina und seiner Schwester bettelnd und stehlend durch die Region. Der Schulbesuch blieb ihm verwehrt; er konnte weder lesen noch schreiben. Schon als Neunjähriger war er wegen kleinerer Diebstähle und Herumtreiberei in Drosendorf im Arrest. Als Jugendlicher unternahm Grasel mit seinem Vater und weiteren Mittätern Diebstouren und Raubzüge. Unter anderem überfielen sie einen Baumwollhändler bei Waidhofen an der Thaya und misshandelten dessen Tochter schwer. Die Beute bestand aus Münzen und Kleidungsstücken.

Grasel, beschrieben als "brutaler und gefühlloser Mensch", scharte immer mehr Kriminelle um sich, und in der Region war er bald als "Räuberhauptmann" bekannt. Die Grasel-Bande hatte mehrere Dutzend Mitglieder. Sie überfielen in wechselnder Zusammensetzung Bauernhöfe und Handwerksgeschäfte, fesselten die Bewohner und folterten sie, bis sie die Verstecke für Wertsachen verrieten. Die Beute bestand meist aus Geld, Uhren und Schmuck, Kleidungsstücken, Bettwäsche und Lebensmitteln.

Stich nach einer beim Verhör angefertigten Zeichnung.
Foto: Österreichische Nationalbibliothek / Bildarchiv Austria

Im Jänner 1810 überfielen Grasel, sein Vater, ein Cousin und fünf weitere Männer in Budkau (Budkov) einen Kaplan und dessen Wirtschafterin, im Juni jenes Jahres beraubte Grasel den Wundarzt von Pernegg und im Dezember 1811 stach er nach einem Streit einen Tabakhändler nieder, der fünf Monate später an den Folgen der Verletzungen starb. Im selben Jahr erstach Grasel einen Gastwirt aus Obergrünbach, der ihn verfolgt hatte. Im Jahr darauf wurde er festgenommen, nachdem er in der Nähe von Horn betrunken randaliert hatte. Er bestach den Amtsschreiber und konnte aus dem Gefängnis entkommen.

Grasel hatte mehrere Geliebte, die ebenfalls aus Abdeckerfamilien stammten, darunter Resi Hamberger, die ihn bei einigen Einbrüchen begleitete, und Rosalia "Salerl" Eigner, mit der er zwei Söhne hatte.

Nach einem Raub im April 1813 wurden Grasel und Stangel in einem Gasthaus in Mallebarn nach heftiger Gegenwehr überwältigt. Sie gaben falsche Namen an und behaupteten, Deserteure zu sein, da sie hofften, aus einem Militärgefängnis leichter ausbrechen zu können. Beide wurden in eine Kaserne nach Wien gebracht, aus der Grasel in der Nacht auf den 7. Juli 1813 flüchten konnte. Auf der Flucht lernte er Jakob Fähding kennen, genannt "Gams", der neben Stangel zum wichtigsten Komplizen Grasels wurde.


Eine der Waldviertler "Graselhöhlen", in denen sich der Räuberhauptmann versteckt haben soll.
Foto: Werner Sabitzer

Grasels Verhaftung
Anfang 1815 wurde der Fahndungsdruck verstärkt. Grasels Geliebte Resi und weitere Mitglieder der Familie Hamberger wurden verhaftet. Im April 1815 meldete sich Grasel unter falschem Namen in Prag zum Militärdienst, desertierte aber nach sechs Wochen und verübte weiterhin Eigentums- und Gewaltdelikte.

Im Oktober wurde das Wiener Kriminalgericht mit der "ausschließlichen Untersuchung" Grasels und seiner "Verflochtenen" betraut. Bis zu 800 Soldaten beteiligten sich an der Fahndung. Komplizen und Hehler wurden festgenommen, einige bei Fluchtversuchen erschossen. In einer Personenbeschreibung wurde Grasel als "höchst gefährlicher Raubmörder" bezeichnet.

Eine List führte schließlich zu seiner Verhaftung. Der Berufsverbrecher wollte nach Schlesien flüchten, aber vorher seine Geliebte Hamberger aus dem Gefängnis in Drosendorf befreien. Ein Polizeispitzel inszenierte die "Befreiung" Hambergers und lockte Grasel in ein Gasthaus in Mörtersdorf. Dort wurde der lang gesuchte Bandenführer in der Nacht zum 20. November 1815 überwältigt. Der Polizeispitzel erhielt die hohe Ergreiferprämie. Damit konnte man im Waldviertel fünf Häuser kaufen.
Grasel wurde nach Horn und am 21. November 1815 nach Wien gebracht, wo er im Kriminalgericht und später im Kriegsgericht verhört wurde. Nach und nach wurden weitere Komplizen und Unterstützer festgenommen. Da Grasel als Deserteur betrachtet wurde, war er der Militärgerichtsbarkeit unterworfen. Die Verhöre und Ermittlungen dauerten mehr als zwei Jahre an. Grasel gestand 205 Straftaten von 1806 bis 1815, darunter den Raubmord an Anna Marie Schindler am 19. Mai 1814 in Zwettl. Das 66-jährige Opfer war mit einer Eisenstange erschlagen worden.

Grasel verantwortete sich damit, dass er von seinen Eltern schon in der Kindheit zum Stehlen gezwungen worden sei. Sein Vater habe ihn verprügelt, wenn er sich geweigert habe, bei einer Straftat mitzumachen. Er habe ihm sogar einen Messerstich versetzt. Grasels Vater starb im Kerker auf dem Brünner Spielberg und seine Mutter im Gefängnisspital. Seine Schwester verbüßte eine längere Kerkerstrafe.


Tod durch den Strang 1818. Johann Georg Grasel, Jakob Fähding und Ignatz Stangel (Lithografie von Adolph Friedrich Kunike).
Foto: Österreichische Nationalbibliothek / Bildarchiv Austria


Installation im Keller der "Graselwirtin" in Mörtersdorf.
Foto: Werner Sabitzer

Kein "edler Räuber"
Im Waldviertel erinnern die Namen einiger Gasthäuser an den Räuberhauptmann: "Graslstuben", "Räuberhauptmann Grasl" und die "Graselwirtin" in Mörtersdorf. Es gibt einige "Graselhöhlen", in denen er sich versteckt haben soll. Über ihn wurden Bücher, Gedichte und Theaterstücke geschrieben. 1968 wurde ein Spielfilm über das kriminelle Leben des Hingerichteten gedreht, mit Peter Vogel in der Hauptrolle. Es gibt auch mehrere TV-Dokumentationen. In manchen Volksstücken und Überlieferungen wird Grasel als "Held" und als "edler Räuber" verklärt. Tatsächlich waren Grasel und seine Komplizen jedoch brutale Gewohnheitskriminelle, die rücksichtslos Menschen überfielen.
(Werner Sabitzer, 15.7.2021)

Werner Sabitzer, Kriminalpolizist, 30 Jahre Pressereferent im Innenministerium und Chefredakteur der Fachzeitschrift "Öffentliche Sicherheit". Er befasst sich mit Polizei- und Kriminalgeschichte sowie der Geschichte Kärntens und publiziert darüber in Fachmedien und Sachbüchern.
Das Bildmaterial wurde dankenswerterweise vom Autor sowie vom Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek zur Verfügung gestellt.


Der Biografieblog wird betreut von Forscherinnen und Forschern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Mehr Biografien zum Nachlesen mit Quellenangaben und weiteren Informationen finden Sie auf der Website des Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage der ÖAW.
Eine ausführlichere Version des Artikels finden Sie hier.
Räuberhauptmann Grasel: Ein Außenseiter als Berufsverbrecher
 

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#2
In den unzähligen Geschichten die im Waldviertel über Johann Georg Grasel verbreitet bzw. überliefert wurden, gibt es auch einige Hinweise auf Höhlen, die der Räuber als Unterschlupf genutzt haben sollte:

So z.B. eine Höhle im zum Kamp abfallenden Felsmassiv unterhalb der Rosenburg und unweit der Wallfahrtskirche Maria Dreieichen.


Rosenburg:
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Am Fußweg, der vom Kampfluss durch den Wald zum Schloss hochführt, befindet sich im Felsen (linker Bildbereich) eine "Graselhöhle"...
(Aufnahme 21.07.2017)

...genauso wie in Maria Dreieichen:
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Höhleneingang Maria Dreieichen


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Hinweistafel bei Höhle in Maria Dreieichen...


...und als Verbindung der ca. 7 km (Luftlinie) voneinander entfernten Höhlen sollte laut Überlieferung ein Geheimgang gedient haben ;).
(2 Fotos von Maria Dreieichen v. 21.05.2015)
 
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