Die "Lost Places Profis" aus Wien

josef

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#1
UNTERWELTEN
Wie ein Forscherteam Lost Places in Wien entdeckt
Marcello La Speranza und Lukas Arnold lieben Bunker, verfallene Villen und Industrieruinen. Eine Leidenschaft, die sie mit immer mehr Menschen teilen

Der Historiker Marcello La Speranza mit Helm sowie Fotograf Lukas Arnold bilden das Forscherteam Wiener Unterwelten.
Foto: Lukas Arnold

An einem sonnigen Morgen im Frühling im Alsergrund knipst Marcello La Speranza seine Taschenlampe an. Zuvor hat der Wiener Historiker die unscheinbare Kellertür eines Gründerzeithauses aufgesperrt und flugs eine Zeitkapsel betreten. Als er unten in den engen Gang leuchtet, muss ihm sein Begleiter vor dem Weitergehen noch ein Versprechen geben: niemandem zu verraten, wo genau im neunten Wiener Gemeindebezirk sich dieser Keller befindet.


Ein verborgener Luftschutzkeller im neunten Wiener Gemeindebezirk.
Foto: Lukas Arnold

"Die Urban Explorer nehmen überall zu und tauchen sonst ungebeten hier auf." La Speranza sagt "Örban", als würde man den Namen eines ungarischen Politikers betont lustig aussprechen. Tatsächlich sind dem 1964 geborenen Wiener Historiker mit besonderem Interesse für Archäologie und Zeitgeschichte nur die vielen englischen Modeworte wie "Lost Places" oder die zu "Explorern" aufgewerteten sensationsgeilen Spechtler suspekt. Letztere sieht er nicht immer, aber immer häufiger als Störenfriede bei seiner Arbeit an historischen Orten wie diesem.


Fotograf Lukas Arnold nutzt den Keller auch als Galerie.
Foto: Lukas Arnold

Der Lichtkegel der kräftigen Stablampe fällt auf eine Reihe von großformatigen Fotografien an der schwarzen Ziegelwand. Es sind die Werke von Lukas Arnold, der nun ebenfalls den Keller betreten hat. Der freischaffende Fotograf, Jahrgang 1988, hat sich vor gut fünf Jahren mit La Speranza zusammengetan, um als "Forscherteam Wiener Unterwelten" genau jene zu erkunden und zu dokumentieren. "Ich mag diese düstere Galerie", sagt Arnold über den ungewöhnlichen Keller in einem gewöhnlichen Zinshaus, in dem er etwas mehr als ein Dutzend seiner Fotografien von Lost Places gehängt hat. Einzelne Bilder fallen immer wieder von der Wand, weil die Nägel in dem nassen Untergrund nicht lange halten.


Eine phosphoreszierendes Emailleschild.
Foto: Lukas Arnold

Arnold richtet den Spot seiner Taschenlampe auf ein rostiges Emailleschild mit der Aufschrift "Notausstieg". Als er das Licht kurz ausknipst, leuchtet das Schild noch lange kräftig grün in der Dunkelheit. Um die nächste Ecke tauchen weitere phosphoreszierende Schilder auf, neben zusammengezimmerten Kojen und einer langen Leiter, die durch die Decke ins Freie führt. "Notabort für Frauen" und "Rauchen verboten" steht da. Zusammen mit herumliegenden Gegenständen wie einem einzelnen Schuh, Blechtöpfen und antiquierten Schwechater-Bierflaschen aus braunem Glas verrät der Keller: Hier haben Menschen wohl über einen längeren Zeitraum Zuflucht gesucht.


In dem 2011 erstmals untersuchten Keller wurden viele persönliche Gegenstände gefunden.
Foto: Lukas Arnold

Als die Räume 2011 erstmals genauer untersucht wurden, fand man die Reste eines französischen Revolvers und eines österreichischen Mannlicher-Gewehres sowie den Filter einer "Volksgasmaske", der sofort bei der ersten Berührung zerbröselte. Es handelt sich also um einen alten Luftschutzkeller. Doch für die innere Stadt scheint er überraschend groß geraten. Als sich La Speranza um 180 Grad dreht und den Lichtkegel mitzieht, taucht hinter den Eindringlingen in diese Zeitkapsel noch ein viel größerer Raum auf.

Kleine Kathedrale
Ein Gewölbe offenbart sich, gut sechs Meter hoch und rund zehn Meter unter der Erde. Es wirkt wie das Mittelschiff einer zu klein geratenen Kathedrale oder wie ein recht großer Weinkeller, in dem man eher teure Jahrgänge lagert. Darunter scheint sich noch eine weitere Etage zu verbergen, die vielleicht nur zugeschüttet wurde. Ziegelbögen auf Bodenniveau deuten jedenfalls darauf hin, dass da unten noch etwas sein könnte. Wozu dieses Gewölbe, das in dieser Form seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast unverändert geblieben ist, in der Zeit davor diente, ist ungeklärt.

Historisch Relevantes
Mittwoch bis Samstag arbeitet La Speranza im Haus des Meeres. Er hat die Ausstellung Erinnern im Inneren kuratiert, die die historische Seite dieses Flakturms mit Aquarien beleuchtet. An den meisten anderen Tagen streift der Wissenschafter durch die Stadt und fahndet nach Gebäudestrukturen, die historisch Relevantes enthalten könnten. Wenn der Historiker die Eigentümer der Häuser nicht kennt, läutet er auch einfach mal bei einer der Hausparteien an, stellt sich vor und verrät, was sein Interesse geweckt hat.


Eine verlassene Jugendstil-Villa in Wien
Foto: Lukas Arnold

"Nur in jedem dreißigsten Keller findet sich tatsächlich etwas Interessantes. Die Stadtarchäologie juckt das aber ohnehin nicht. Die sind auf die Römerzeit fokussiert, nehmen vielleicht noch Stätten aus dem Mittelalter mit. Aus historischer Sicht sind Dinge aus einem Luftschutzkeller aber genauso Artefakte wie jene aus Pompeji oder Ephesos", sagt La Speranza.

Vergessene Orte
Auch wenn der Historiker mit der Bezeichnung Lost Places wenig anfangen kann, hat ihn doch genau jene Faszination gepackt, die von solch vergessenen Plätzen ausgeht. Bis zu dreimal pro Woche untersucht er ganz nach Lehrbuch-Definition für Lost Places vergessene Orte und Bauwerke aus der jüngeren Geschichte, die entweder noch nicht historisch aufgearbeitet worden sind oder kein allgemeines Interesse fanden.


In den ehemaligen Paukerwerken, einer industriellen Werksanlage in Wien-Floridsdorf.
Foto: Lukas Arnold

"Durch persönliche Gegenstände, die man an solchen Orten findet, bekommt das Ganze noch einmal eine besondere Dimension für Zeitgeschichtler", meint er und fügt an, dass die Stadt Wien mit ihrer 2000-jährigen Geschichte eine gut gefüllte historische Fundgrube sei. Fotograf Lukas Arnold sieht Wien dagegen nicht in der ersten Lost-Places-Liga mitspielen.

Lost-Places-Paradies Berlin
"Vor der Pandemie war ich oft in Berlin und Brandenburg. Das ist in Bezug auf Lost Places noch einmal eine ganz andere Nummer." Es gäbe dort deutlich mehr vergessene und verlassene Orte, die vor allem aus fotografischer Sicht interessant seien. Spontan fallen ihm die "alte Anatomie" mit den grellen Graffitis auf den Sitzreihen ein oder die Vielzahl geschlossener Fabrikshallen, die manchmal dennoch aussehen, als wäre nur gerade Schichtwechsel.


In den Paukerwerken wurden vor allem Waggons gefertigt.
Foto: Lukas Arnold

Worin sich die beiden einig sind: Ihr Forschungsgegenstand ist immer nur eine Momentaufnahme. Während sie an einem Ende der Stadt gerade neue Fragen ausgraben, wird am anderen Ende ein historisch aufschlussreiches Gebäude schon wieder abgerissen. "Die Immobilienfirmen haben naturgemäß wenig Interesse an unserer Arbeit. Im schlimmsten Fall stoßen wir ja auf etwas historisch Bedeutsames, das die Bauarbeiten verzögert", sagt der Historiker.


Die alte Anatomie in Berlin.
Foto: Lukas Arnold

Immer öfter kontaktieren auch Bewohner oder Anrainer das Forscherteam, das durch Fernsehauftritte und eigene Publikationen bekannt geworden ist. "Zum Höhepunkt der Pandemie haben wir wöchentlich zwei oder drei Hinweise auf interessante Objekte bekommen", sagt La Speranza. Überhaupt sieht er die Begeisterung für solche Orte seit ein paar Jahren immer weiterwachsen. Weil die Menschen in der Pandemie nur schlecht reisen konnten, versuchten sie Entdeckungen in der Nähe zu machen. Das Team hat in dieser Zeit so viele Anfragen für Führungen bekommen, dass sie gar nicht alle bedienen konnten.

Romantische Orte
Man möchte meinen, dass sich mit den zurückgewonnenen Reisefreiheiten mehr Menschen nach fröhlichen Orten sehnen. Aktuell kommt aber noch etwas hinzu, was für gut besuchte düstere Plätze spricht: "Wir bemerken seit Beginn des Kriegs in der Ukraine ein gewachsenes Interesse an Luftschutzkellern und Bunkern. Das hängt mit dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen zusammen. Manche wollen sich wiederum vorstellen können, wie schrecklich es dort drinnen sein muss", meint der Historiker. Ein weiterer Aspekt, der für den Besuch verwunschener Orte spricht: Romantik. "Früher hat man Burgruinen besucht, um wie in Romanen oder auf Gemälden dargestellten Verfall zu sehen. Heute sucht man das Morbide in Kellern oder Fabrikshallen." Ein Zugang, den Arnold aus ästhetischer Sicht des Verfalls nachvollziehen kann.


Eine frühere Gärtnerei in Hirschstetten, die mittlerweile abgerissen wurde.
Foto: Lukas Arnold

Der Fotograf hat in Hirschstetten eine mittlerweile abgerissene Gärtnerei dokumentiert, die auf ihn sehr romantisch wirkte. Eines der Fotos zeigt einen Baum, der sich seinen Weg gewaltsam durch das Glasdach eines Gewächshauses gebahnt hat. "Ich mag es, wenn sich die Natur zurückerobert, was der Mensch zurücklässt", sagt Arnold mit gefühligem Unterton und fügt an: "Es erinnert mich daran, dass unsere Spezies auf der Erde vielleicht doch nicht der Endgegner ist."
(Sascha Aumüller, RONDO, 11.5.2023)
Wie ein Forscherteam Lost Places in Wien entdeckt
 
#2
ich finde das beachtlich das diese Gruppe öffentlich propagandiert wird. Klar, es steckt eine Menge Arbeit dahinter und sind gute Fotos.
Die Frage ist nur, wurden alle gezeigten Fotos mit "Genehmigung" geschossen oder so wie auch alles andere in der Szene passiert?

Es gibt viele Urbexer die meinen, dann ein Buch ihrer Werke veröffentlichen zu müssen/ auf "halb-legal"...
 
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wolfsgeist

Well-Known Member
#3
ich finde das beachtlich das diese Gruppe öffentlich propagandiert wird. Klar es steckt eine Menge Arbeit dahinter und sind gute Fotos.
Die Frage ist nur, wurden alle gezeigten Fotos mit "Genehmigung" geschossen oder so wie auch alles andere in der Szene passiert?

Es gibt viele Urbexer die meinen, dann ein Buch ihrer Werke veröffentlichen zu müssen/ auf "halb-legal"...
Ich denke in diese ganzen Wiener Keller wird man ohnehin schwer ohne Genehmigung reinkommen, oder täusche ich mich da?
Soweit ich weiß entstehen viele klassische "Lost Places"-Bücher ohne Genehmigung, vor allem auch wegen Haftungsfragen...
 
#5
Der gezeigte Keller ist 100% legal.
der/die Keller vielleicht, aber ich denke hier werden andere Location auch noch dargestellt.


Soweit ich weiß entstehen viele klassische "Lost Places"-Bücher ohne Genehmigung, vor allem auch wegen Haftungsfragen...
in der Tat. Für so etwas gehört besonderer Mut, genau wie auf Youtube sich bei einem Lostplace zu zeigen.
Respekt, kann ich nur sagen.... - meiner Ansicht nach sind dies keine "Profis", es gibt nicht viele, aber doch einige in der Urbex Szene die habens drauf, arbeiten noch ehrlich auf Recherche und dokumentieren nicht auf "Schmarotz-Locations". Diese veröffentlichen jedoch auch keine Bücher und müssen auch nicht den "fame" leben.
 
Zuletzt bearbeitet:

adasblacky

Well-Known Member
#6
Also bei den Beiden bin ich mir recht sicher, dass sie die notwendigen "Genehmigungen" haben. Sie sind bekannt genug, dass sie von Besitzern eingeladen werden ...
Was ist schlecht dran wenn man von seinem Hobby leben möchte? Da gehört dann halt auch ein wenig Werbung dazu :)
Bei einem Teil der Aufnahmen kenn ich sogar den Hausbesitzer ...

Lukas Arnold erzählte das letzte Mal recht ausführlich wie mühsam es sein kann die Erlaubnis zum Betreten zu bekommen, da halt viele Hausbesitzer nicht interessiert sind.
LG Blacky
 
#7
Also bei den Beiden bin ich mir recht sicher, dass sie die notwendigen "Genehmigungen" haben. Sie sind bekannt genug, dass sie von Besitzern eingeladen werden ...
Was ist schlecht dran wenn man von seinem Hobby leben möchte? Da gehört dann halt auch ein wenig Werbung dazu :)
Bei einem Teil der Aufnahmen kenn ich sogar den Hausbesitzer ...

Lukas Arnold erzählte das letzte Mal recht ausführlich wie mühsam es sein kann die Erlaubnis zum Betreten zu bekommen, da halt viele Hausbesitzer nicht interessiert sind.
LG Blacky

Das diese Leute einen höheren Bekanntheitsgrad haben macht sie zu Privilegierten? Klar würd ich auch nicht jedem erlauben das Grundstück zu betreten. Aber wo fängt man an und wo hört man auf? - Es gibt möglicherweise weitere Urbexer die auch eine social media Karriere anstreben wollen...
Es liegt eh in den Händen der jeweiligen Grundstückbesitzer, aber wundern darf man sich dann nicht, wenn auch illegale Betretungen passieren.
Wie wurde Urbex vor Adventurebuddy & Co gehandelt?

Man beschaffte sich Informationen über verlassene Orte und machte seine Fotos und das wars. Klar präsentierte man diese Fotos auch, da dies auch eine eigene Schiene der künstlerischen Darstellung von Hobby/Profi-fotografen sein soll - aber man verbreitete diese Orte nicht

für mich sind das alles nur Showmänner, so wie auch ein Adventurebuddy...
 
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adasblacky

Well-Known Member
#8
Warum privilegiert? Welche (ungerechtfertigte) Besserstellung erfahren sie?
Natürlich wollen Andere auch von Ihrem Hobby leben können :) Ich glaub nur, dass das keine Massenbewegung wird.
Ja, man sollte solche Plätze nicht jedermann zugänglich machen - 10% der Leute sind halt Deppen.
Aber diese Geheimniskrämerei ist auch nicht das Gelbe vom Ei.
Ich würde z.B. Michi&Emma jederzeit ein Plätzchen verraten, das sie nicht kennen (OK, das is jetzt sehr an den Haaren herbeigezogen :) ).
Oder auch anderen guten Bekannten, bei denen ich sicher sein kann, dass sie nichts zerstören ... Hast Du alles ganz allein gefunden?
Dein Problem mit "Adventurebuddy" versteh ich nicht. Ist das eine Person oder die Bezeichnung?
Als Paragleiter würde ich einige meiner Freunde als Adventurebuddys bezeichnen, was ist da schlecht dran?

Nichts für ungut
LG Blacky
 
#9
Klar, mit manchen Leuten kann man Location teilen, wo man sich sicher sein kann, bin ich ganz bei dir...

ob ich alles ganz alleine gefunden habe... - meine ersten Einstiegsjahre in die Urbexszene sammelte ich Erfahrungen und gewiss, bekam ich von Profis den einen oder anderen Platz vermittelt. Wenn man weiß welche "Werkzeuge" eigentlich jedem zur Verfügung stehen um solch Orte zu finden, braucht man auch diese ganze Tauscherei auch nicht..

Wenn du mich "heute" oder jetzt fragst, muss ich dir sagen, dass ich meine LP selbst finde und auch allein arbeite.
Selbst manch Posting hier im Forum sind für mich keine Einschränkung diesen Ort nicht selbst zu finden.
Fragen sich manche Schnorrer nicht, woher auf einmal der eine oder andere Spot in der Urbexszene auftaucht?

Es gibt Leute die leisten hier investigative Arbeit, leider auch ungewollt für Andere.
 

adasblacky

Well-Known Member
#10
Ja, eh - Als "alter" Hase kennt man Quellen, liest viel und liebt Karten und Satellitenbilder - und hat mehr Zeit dafür?
Vor Allem bekommt man ein Auge für Schlot und Co :) Aber am Anfang ist das sicher nicht so einfach

Viele der Plätze hab ich auch selbst gefunden (um dann drauf zu kommen, dass Einer/Eine von Euch schon vorher dort war. Dank @wolfsgeist find ich es aber immer schnell heraus :) )
Aber ich war auch schon dankbar für den ein oder anderen Tipp aus dem Forum.

Und ich geh lieber zu zweit, man braucht ja nur blöd über Gerümpel stolpern ...

LG Blacky
 
#11
Zeitgeschichte
Gebunkerte Erinnerung

In zahlreichen Wohnhäuser der Hauptstadt sind immer noch Luftschutzkeller und Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg vorhanden. Der Fotograf und Hobbyhistoriker Lukas Arnold organisiert Touren in diese und lässt dabei auch Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu Wort kommen.

Anna Giulia Fink, 16. Dezember 2024, 15:00

Lukas Arnold
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Aus dem Mutter-Kind-Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg in den unteren Geschoßen im 16. Bezirk wurde ein Museum.
Modrige Tiefgeschoße und verstaubte Keller sind jene Welt, in der Lukas Arnold aufblüht. Seit acht Jahren schon steigt der Wiener Fotograf regelmäßig in die untersten Geschoße von Wohnungen und Häusern in der Hauptstadt ab. Er ist Teil des Forscherteams Wiener Unterwelten, als Kind schon hätten ihn mittelalterliche Burgruinen "magisch angezogen", erzählt Arnold. Vor einem Jahr gründete er den Verein Unter Wien, über den er – nach Berliner Vorbild – zwei Arten von Touren durch diesen Teil der Welt unterhalb der Stadt anbietet: in historische Kellergewölbe, die im Zweiten Weltkrieg auch als Luftschutzkeller dienten.

Und durch einen von den Nationalsozialisten gebauten Luftschutzbunker, präziser: einen sogenannten Mutter-Kind-Bunker nahe dem Schuhmeierplatz in Ottakring. Die NS-Machthaber begannen ab den 1930er-Jahren in Deutschland und später auch in Österreich, Luftschutzbunker zu errichten, öffentliche einerseits, aber eben auch private. Vor drei Jahren betrat Lukas Arnold gemeinsam mit Vereinskollegen den weitläufigen Raum erstmals. Sie räumten den Schutt und all das über die Jahre Angesammelte weg, Schuhe und Bierflaschen etwa.

Lukas Arnold
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Mehr als 50 Stufen führen hinunter in den alten Luftschutzbunker.

Dann besorgten sie Elektronik, verlegten Strom, machten den Boden eben und den gesamten Keller "führungstauglich", wie Arnold erzählt. Aber die gesamte Ausstattung hier unten, mehr als 50 Stufen von der Erdoberfläche hinunter, die war damals noch vollständig: die sogenannte Gasschleuse, die das Eindringen chemischer Kampfstoffe verhindert, die im Dunkeln leuchtenden Notausgang-Schilder oder auch die Notfalltoiletten.

Die Bunkeranlagen waren so gebaut, dass sie hermetisch abgeriegelt werden konnten. Sie beinhalteten Maschinenräume mit Schutzraumbelüftern und Gasfiltern, auch Waschräume waren integriert. Arnold sammelte alles an Alltagsgegenständen ein, das er finden konnten, und richtete daraus eine Art Museum ein: Dort stehen nun blaue Verdunkelungslampen, Gasmasken, Kinderwägen, alte Fotos und vergilbte Briefe. Es sind nicht nur Objekte, die Arnold hier im 16. Bezirk gefunden hat.

Der Hobbyhistoriker ist quer durch Österreich gefahren, um Dinge aus Kellern und Bunkern zusammenzutragen. "100 Prozent Alltagsgegenstände", sagt er. "Nichts Militärisches!" Auch die Touren drehen sich um den Alltag der Menschen in den Bunkern während des Krieges.

Dafür hat er auch mit Zeugzeuginnen und Zeitzeugen gesprochen. Arnold kontaktierte Pensionistenheime in Wien, er sprach mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, fragte weiter herum. So hat Arnolds Projekt allmählich die Runde gemacht. Und so kam er auf 20 Personen, die ihm aus ihrer Zeit in Luftschutzeinrichtungen erzählten.

Zeitzeuginnen-Berichte

Arnold interviewte die Männer und Frauen, manche sprachen zum ersten Mal darüber. Einige begannen zu weinen, während sie erzählten. Arnold sagt, er sehe ihre Berichte auch als eine Art Mahnung dafür, Frieden nicht für selbstverständlich zu nehmen. Ausschnitte aus einigen dieser Gespräche laufen im Zuge der 90-minütigen Tour. So erinnert sich beispielsweise Anna, Jahrgang 1934:
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Zeitzeugin Anna erzählt von der Zeit, die sie in einem Luftschubunker verbrachte.

"Meine Mutter war Luftschutzwart in unserem Haus. Sie hat immer geschaut, dass Gasmasken vor Ort waren. Während der Angriffe waren wir alle im Keller, und meine Mutter musste schauen, dass niemand rausgeht oder panisch wird. Zum Glück waren die Leute alle sehr ruhig, denn jeder hatte Todesangst."


Ilse Draxler, Jahrgang 1942, erzählt nach, wie sie einen Bombenangriff erlebte:
Lukas Arnold
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Ilse Draxler musste während des Zweiten Weltkrieges ebenfalls immer wieder in den Luftschutzbunker in ihrem Wohnhaus fliehen.

"Wir waren bei den Bombenangriffen im Luftschutzkeller in unserem Haus. Es war auch immer ein Ministrant dabei, der mit uns gemeinsam gebetet hat. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir eines Tages wieder bei Fliegeralarm in den Keller eilten, wir wieder mit dem Ministranten gebetet haben. Meine Mutti, ich sowie die anderen Leute haben uns an den Händen gehalten und gemeinsam mit dem Ministranten gebetet. Ich habe laut ,Oh Himmelsmutti hilf!‘ geschrien, und ein paar Sekunden später schlug eine Bombe unmittelbar neben unserem Keller ein. Durch den Einschlag wurde unser Haus zerstört, der Keller teilweise auch, und ein Splitter hat mein kleines Füßchen getroffen und verletzt, aber wir haben dank des Gebetes diesen Angriff überlebt."


Und Ingeborg Robausch, Jahrgang 1930, erinnert sich:
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Ingeborg Robausch erlebte mehrere Fliegeralarme in einem Flakturm in Wien.

"Ich war auch mehrmals im Flakturm im Esterházypark. Es war damals furchtbar voll, und es gab auch Menschen, die waren direkt hysterisch! Die haben Angst gehabt, und das war furchtbar, für mich als jungen Menschen überhaupt! Es waren viele Kinder, eine Schreierei, es war nicht schön im Bunker drinnen! An den Wänden waren die Bänke, da hat sich jeder um den besten Platz gestritten."


Durch Mundpropaganda würden sich weiterhin Menschen melden. Vor kurzem sprach er mit einer 100-jährigen Frau. Sie ist die älteste Gesprächspartnerin, die meisten sind zwischen 90 und 97, manche jünger.
Lukas Arnold
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Fotograf und Hobby-Historiker Lukas Arnold hat eine Passion für die Wiener Unterwelt.

Drei Personen begleiteten Arnold in die Bunker aus ihrer Kindheit oder Jugend. Sie kamen nicht weit, erzählt Arnold: Zu emotional sei es für sie gewesen. Viele seien außerdem nicht nur seelisch, sondern auch körperlich nicht in der Verfassung. Viele der alten Luftschutzkeller und Bunker seien immer noch vorhanden, ein Zutritt aber erfordert eine Genehmigung der Besitzer der Wohnanlage – die es oft nicht gebe.


Das Stadtbild verändert sich zudem enorm. Wo Neues entsteht, verschwinden oftmals historische Orte. Auch im Untergrund finde "ein großer Wandel statt", sagt Arnold. Durch den Ausbau der U-Bahn-Linien U2 und U5 etwa gingen viele Kelleranlagen verloren. Umso energischer möchte Arnold andere Menschen dort, wo es geht, in die verborgenen Geschoße Wiens führen. (Anna Giulia Fink, 16.12.2024)
Quelle: Gebunkerte Erinnerung
 

josef

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Mitarbeiter
#12
Geschichte
Das schwindende Erbe der Lost Places
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Alte verschollene Plätze – sogenannte „Lost Places“ – zeigen meist Spuren aus der Vergangenheit. Der Wiener Lukas Arnold fotografiert die verbliebenen „Lost Places“ – mit offizieller Zustimmung. Denn die Plätze sind „kein Spielplatz“ warnt er nach einem tödlichen Unfall.
Online seit heute, 6.15 Uhr
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Ein Ort der an die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs erinnert. Versteckt in einem unscheinbaren Innenhof, in der Nähe des Donaukanals, der letzte „Lost Place“ in der Wiener Innenstadt. Eine Bombenruine, die die Reste eines mehrstöckigen ehemaligen Kaufhauses zeigt.

Das Einzige, was von diesem einstmals prachtvollen Gebäude übrig ist, ist der Luftschutzkeller und ein paar wenige Mauern, die noch an die Grundrisse des Gebäudes erinnern. „Die eine Ecke des Hauses hat einen richtigen Volltreffer abbekommen, eine klaffende Wunde, wie man so schön sagt“, erklärt der Fotograf Lukas Arnold. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, solche „Lost Places“ zu finden und mit seiner Kamera festzuhalten.


hen Bombenangriff wurde das ehemalige Kaufhaus Billerbeck großteils beschädigt. Die Vorderfassade des 1887 errichteten Gebäudes wurde in den Nachkriegsjahren wieder aufgebaut. Die restlichen beschädigten Ziegelmauern und das demolierte Kellergewölbe wurden der Natur überlassen. Eine alte Luftschutztür, die einst in den Keller führte, erinnert an die Vergangenheit dieses Hauses. Der Keller diente damals im Zweiten Weltkrieg als Zufluchtsort für Schutzsuchende.

Fotostrecke
ORF
Das ehemalige Kaufhauses Billerbeck wurde im Zweiten Weltkrieg zu einer Bombenruine
ORF
Eine alte Luftschutztür die einst in den Keller des Hauses führte

ORF
Die Löcher in der Mauer waren einstmals kleine Fenster

ORF
Die Bombenruine ist eine der letzten Lost Places in Wien

ORF
Die Stahlträger wurden vor einigen Jahren erneuert, um die Gebäudereste vor dem Zusammenbruch zu bewahren

Lukas Arnold
Ein Foto aus einer verlassenen Gärtnerei im 22. Bezirk, die mittlerweile aber niedergerissen wurde

Lukas Arnold
Blumentöpfe, Scheibtruhen und Werkzeuge lagen verwittert und mit Pflanzen bewachsen in der Gärtnerei

Lukas Arnold
Der Fotograf entdeckt immer wieder Orte mit diversen geschichtlichen Hintergründen

Lukas Arnold
Oftmals sind noch Kleidungsstücke oder andere Hinweise zu finden, die auf die einstige Funktion der Lost Places hinweisen

Lukas Arnold
Die jetzige S-Bahnstrecke der "S45“ war Teil der Stadtbahn, welche 1898 eröffnet worden ist

Verschwinden der Lost Places in Wien
Während Wien ständig wächst, drohen die verbliebenen „Lost Places“ in die Vergessenheit zu geraten. Doch seit acht Jahren hält Arnold mit seiner Kamera verlassene Orte fest, die von der Zeit übersehen wurden. Alte Fabriken, verlassene Krankenhäuser, Gärten und stillgelegte Bahnhöfe. Doch wie Arnold gegenüber wien.ORF.at betont, verschwinden solche verlassenen, von der Geschichte geprägten Orte in Wien immer mehr. „In Wien wird extrem viel gebaut, und somit verschwinden die Lost Places in rasantem Tempo“, so Arnold.

Besonders in der Seestadt Aspern im 22. Bezirk und entlang der Donau wurden viele Industrieruinen und alte Gärtnereien abgerissen und durch moderne Neubauten ersetzt. Im Untergrund jedoch, tief verborgen unter der Stadt, schlummern noch einige dieser „Lost Places“. Historische Kellergewölbe, oftmals zehn bis 15 Meter unter der Erde, welche verschüttet sind und seit Jahrzehnten oder teilweise auch Jahrhunderten nicht mehr betreten wurden.

Lost Places sind kein Kinderspielplatz
In Niederösterreich stürzte am vergangenen Wochenende ein 15-jähriges Mädchen in einem ehemaligen Zementwerk fünf Stockwerke in die Tiefe und erlitt dabei tödliche Verletzungen. „Ein Lost Place ist kein Kinderspielplatz und ohne Informationen über das Gebäude, sollten man diesen auch nicht betreten“, so Arnold gegenüber wien.ORF.at.

Er selbst begehe einen „Lost Place“ immer nur mit Schutzbekleidung, um Unfälle zu vermeiden. „Das große Problem, durch Social Media wird das Besuchen dieser Orte immer mehr zum Hype und die Orte verbreiten sich schnell“, meint der Fotograf. Die Leute würden sich vorab nicht darüber informieren, welches Gefahrengebiet sie betreten, nur um einen Schnappschuss für Social Media zu erhalten.

Arnold selbst hat das Gebäude nie betreten. Er dokumentiert ausschließlich Orte, die er mit offizieller Genehmigung des Eigentümers besichtigen darf. „Die Abfüllzentrale war verschlossen, und da ich keinen Besitzer ausfindig machen konnte, blieb der Ort für mich tabu.“ Besonders in der Nacht sollten solche Orte nicht betreten werden.

„Die geheime Welt der verlassenen Orte“
Am 15. Februar um 17.00 Uhr lädt der Fotograf zu seiner Vernissage „Die geheime Welt der Lost Places“ ein. "Bei der Ausstellung zeige ich viele Fotos von Wien, welche ich in den letzten Jahren gemacht habe von Lost Places, sowie einige „Gustostücke" aus dem benachbarten Ausland“, so Arnold. Die Ausstellung kann bis zum 22. Februar besucht werden. Am 17. Februar um 17.00 Uhr wird außerdem ein Vortrag von dem Fotografen zu den Werken gehalten.

Veranstaltungshinweis
Ausstellung: „Die geheime Welt der Lost Places“, im AlsCafé, Schultheßgasse 7, 1170 Wien, von 15. bis 22. Februar

Gezeigt werden die Fotos in einem Café, das demnächst zu einem „Lost Place“ werden könnte. Das Café gibt es seit mehr als 100 Jahren, nun steht es vor der Schließung und einer Haussanierung. Der Fotograf meint: „Es passt perfekt zum Thema, da es bald ebenfalls ein Lost Place sein wird.“
13.02.2025, Elisa Lutterschmied, wien.ORF.at
Das schwindende Erbe der Lost Places

Mehr siehe im Folgebeitrag:
 
Zuletzt bearbeitet:
#15
GsD, damit können dann auch interessierte Menschen, die nicht diese Möglichkeiten haben, davon teilhaben.
Dies ist für mich eine billige Antwort, sorry. Jeder der sich für etwas interessiert hat die Fähigkeit sich gewisses anzueignen.
Leute die nur darauf warten, einen LP zugesteckt zu bekommen, um vl auch mal feeling erleben zu können, raffen es nicht - oder sind faule Menschen - oder wollen es ohnehin nicht.
 
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