LABYRINTHISCHES BAUWERK
4000 Jahre alte kreisrunde Struktur auf Kreta gibt Rätsel auf
Die merkwürdigen Gebäudereste auf einem Hügel stammen aus der Zeit der Minoer, haben aber keine Ähnlichkeit mit der üblichen minoischen Architektur
15. Juni 2024, 07:00
4000 Jahre alte kreisrunde Struktur auf Kreta gibt Rätsel auf
,
4000 Jahre alte kreisrunde Struktur auf Kreta gibt Rätsel auf
Die merkwürdigen Gebäudereste auf einem Hügel stammen aus der Zeit der Minoer, haben aber keine Ähnlichkeit mit der üblichen minoischen Architektur
15. Juni 2024, 07:00
Ein spektakulärer archäologischer Fund auf Kreta kommt den Bemühungen, mehr Touristen auf die griechische Insel zu schaffen, in die Quere: Eigentlich sollte auf dem Hügel Papoura rund zwei Kilometer nordwestlich der Stadt Kastelli eine Radaranlage für den neuen internationalen Flughafen von Heraklion entstehen. Doch nun sind diese Pläne angesichts merkwürdiger baulicher Überreste, auf die man bei Aushubarbeiten auf der Erhebung gestoßen ist, vorerst vom Tisch.
Das Mysterium vertiefte sich noch, seit Archäologinnen und Archäologen damit begonnen haben, das Bauwerk langsam freizulegen. Wie das griechische Kulturministerium berichtete, konnten sich die Fachleute inzwischen einen groben Überblick verschaffen, und auch eine zeitliche Einordnung der rätselhaften Struktur gelang den Wissenschaftern. Eine eindeutige Erklärung zu Hintergrund und Funktion des Gebäudes erschloss sich ihnen dagegen nicht.
Forschende haben auf der griechischen Insel Kreta ein jahrtausendealtes kreisrundes Bauwerk freigelegt, das den Bau eines neuen Flughafens zu verzögern droht.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Erinnerungen an ein legendäres Labyrinth
Das Bauwerk liegt gut 500 Meter über dem Meer und besteht aus acht konzentrischen Steinringen, die an einigen Stellen mit Mauern verbunden sind, um so kleine Räume zu bilden. Die Struktur wirkt beinahe wie ein kreisförmiger Irrgarten und weckt Erinnerungen an das legendäre Labyrinth, das König Minos der Sage nach auf Kreta für den Minotauros errichten ließ.
Das einzigartige Gebäude hat einen Durchmesser von insgesamt 48 Metern und verbarg im Zentrum einen etwa 15 Meter durchmessenden Raum, der von weiteren, kreuzförmig angelegten Mauern unterteilt ist. Die gesamte Struktur bedeckt eine Bodenfläche von rund 1800 Quadratmetern und enthielt ursprünglich wohl mindestens ein Dutzend Kammern.
Im Schutt kamen bei den Ausgrabungen zahlreiche Fragmente von stilistisch charakteristischen Keramikgefäßen ans Licht, die es den Forschenden schließlich ermöglichten, das Bauwerk zu datieren. Demnach dürfte die Struktur zwischen 2000 und 1700 vor Christus errichtet worden sein, also während der Hochblüte der minoischen Zivilisation.
Erste Hochkultur Europas
Der Ursprung der bronzezeitlichen minoischen Kultur auf Kreta ist umstritten. Fest steht weitgehend, dass die Minoer zwischen 3000 und 1100 v. Chr. eine der ersten Hochkulturen auf europäischem Boden errichteten. Sie brachten die Linear-A-Schrift hervor (die noch immer nicht entziffert wurde), was sie zugleich zur ersten alphabetisierten Gesellschaft Europas machte, und hinterließen zahlreiche Beispiele für ihre herausragenden architektonischen und keramischen Fähigkeiten.
Der 500 Meter hohe Hügel Papoura liegt rund 51 Kilometer südöstlich der Inselhauptstadt Heraklion. Die Gebäudereste auf ihrer Spitze geben den Fachleuten Rätsel auf.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Für das Ende der minoischen Zivilisation wurde lange Zeit der Ausbruch der Vulkaninsel Thera (Santorin) verantwortlich gemacht wird. Mittlerweile kam man jedoch unter anderem wegen zeitlicher Unstimmigkeiten von dieser Theorie ab. Dass die Katastrophe die minoischen Kultur geschwächt hat, hält man allerdings weiterhin für möglich. Der Palast von Knossos ist das bekannteste Beispiel für kolossale minoische Architektur: Das Gebäude besitzt im Zentrum einen offenen Raum, der von einzelnen Palastflügeln mit dutzenden Räumen umgeben ist.
Keine Unterkunft
Obwohl man mit der Bezeichnung "Palast" gemeinhin hochherrschaftliche Gemächer assoziieren würden, waren die monumentalen Bauten von Knossos in erster Linie der Verwaltung vorbehalten. Dass sich hier auch die königlichen Residenzen befanden, ist dagegen unwahrscheinlich. Auch das neu entdeckte runde Gebäude in der Nähe von Kastelli diente wohl nicht als Wohnsitz, wie die Forschenden vermuten.
Aber das ist vorerst auch schon die einzige Gemeinsamkeit mit den Palästen von Knossos oder überhaupt mit irgendeinem kretischen Bauwerk aus dieser Ära: Während die minoischen Paläste quadratisch oder rechteckig angelegt waren, ist das neu entdeckte Gebäude kreisförmig – ein Baumuster, das man allenfalls von einigen minoischen Gräbern kennt. Hinweise auf Beisetzungen entdeckte man jedoch bisher nicht.
Archäologinnen und Mitarbeiter des griechischen Kulturministeriums an der Grabungsstätte auf der Kuppe des Hügels Papoura. Vorerst dürfte die Errichtung einer Radaranlage an dieser Stelle für den neuen Großflughafen von Kreta vom Tisch sein.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Kultische Feste und Opferungen
Welchem Zweck diente also dieses Bauwerk? Vielleicht verraten die vielen Tierknochen, die man bei den Ausgrabungen gefunden hat, was hier vor rund 4000 Jahren vor sich ging. Die knöchernen Fragmente und andere Funde legen nahe, dass man in diesem Gebäude regelmäßig zu gemeinschaftlichen Festen zusammenkam, wie ein Vertreter des griechischen Kulturministeriums in einer Aussendung erklärte. Man reichte zu diesen rituellen Zusammenkünften wohl Mahlzeiten und Wein und brachte Opfergaben dar.
Aber dies seien alles nur vorläufige Vermutungen, so das Team. Grabungen an der seltsamen Struktur sind weiterhin im Gang, und die Archäologinnen und Archäologen gehen davon aus, dass wohl noch mehr Gebäudeabschnitte ans Licht kommen. Außerdem sind Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem griechischen Innenministerium und der griechischen Zivilluftfahrtbehörde geplant, die dabei helfen könnten, dem Geheimnis dieses Rundbaus auf den Grund zu gehen. Zumindest bis dahin dürfte die Stätte vor der Errichtung einer Radaranlage für den neuen Flughafen von Heraklion sicher sein.
(Thomas Bergmayr, 14.6.2024)
Das Mysterium vertiefte sich noch, seit Archäologinnen und Archäologen damit begonnen haben, das Bauwerk langsam freizulegen. Wie das griechische Kulturministerium berichtete, konnten sich die Fachleute inzwischen einen groben Überblick verschaffen, und auch eine zeitliche Einordnung der rätselhaften Struktur gelang den Wissenschaftern. Eine eindeutige Erklärung zu Hintergrund und Funktion des Gebäudes erschloss sich ihnen dagegen nicht.

Forschende haben auf der griechischen Insel Kreta ein jahrtausendealtes kreisrundes Bauwerk freigelegt, das den Bau eines neuen Flughafens zu verzögern droht.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Erinnerungen an ein legendäres Labyrinth
Das Bauwerk liegt gut 500 Meter über dem Meer und besteht aus acht konzentrischen Steinringen, die an einigen Stellen mit Mauern verbunden sind, um so kleine Räume zu bilden. Die Struktur wirkt beinahe wie ein kreisförmiger Irrgarten und weckt Erinnerungen an das legendäre Labyrinth, das König Minos der Sage nach auf Kreta für den Minotauros errichten ließ.
Das einzigartige Gebäude hat einen Durchmesser von insgesamt 48 Metern und verbarg im Zentrum einen etwa 15 Meter durchmessenden Raum, der von weiteren, kreuzförmig angelegten Mauern unterteilt ist. Die gesamte Struktur bedeckt eine Bodenfläche von rund 1800 Quadratmetern und enthielt ursprünglich wohl mindestens ein Dutzend Kammern.
Im Schutt kamen bei den Ausgrabungen zahlreiche Fragmente von stilistisch charakteristischen Keramikgefäßen ans Licht, die es den Forschenden schließlich ermöglichten, das Bauwerk zu datieren. Demnach dürfte die Struktur zwischen 2000 und 1700 vor Christus errichtet worden sein, also während der Hochblüte der minoischen Zivilisation.
Erste Hochkultur Europas
Der Ursprung der bronzezeitlichen minoischen Kultur auf Kreta ist umstritten. Fest steht weitgehend, dass die Minoer zwischen 3000 und 1100 v. Chr. eine der ersten Hochkulturen auf europäischem Boden errichteten. Sie brachten die Linear-A-Schrift hervor (die noch immer nicht entziffert wurde), was sie zugleich zur ersten alphabetisierten Gesellschaft Europas machte, und hinterließen zahlreiche Beispiele für ihre herausragenden architektonischen und keramischen Fähigkeiten.

Der 500 Meter hohe Hügel Papoura liegt rund 51 Kilometer südöstlich der Inselhauptstadt Heraklion. Die Gebäudereste auf ihrer Spitze geben den Fachleuten Rätsel auf.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Für das Ende der minoischen Zivilisation wurde lange Zeit der Ausbruch der Vulkaninsel Thera (Santorin) verantwortlich gemacht wird. Mittlerweile kam man jedoch unter anderem wegen zeitlicher Unstimmigkeiten von dieser Theorie ab. Dass die Katastrophe die minoischen Kultur geschwächt hat, hält man allerdings weiterhin für möglich. Der Palast von Knossos ist das bekannteste Beispiel für kolossale minoische Architektur: Das Gebäude besitzt im Zentrum einen offenen Raum, der von einzelnen Palastflügeln mit dutzenden Räumen umgeben ist.
Keine Unterkunft
Obwohl man mit der Bezeichnung "Palast" gemeinhin hochherrschaftliche Gemächer assoziieren würden, waren die monumentalen Bauten von Knossos in erster Linie der Verwaltung vorbehalten. Dass sich hier auch die königlichen Residenzen befanden, ist dagegen unwahrscheinlich. Auch das neu entdeckte runde Gebäude in der Nähe von Kastelli diente wohl nicht als Wohnsitz, wie die Forschenden vermuten.
Aber das ist vorerst auch schon die einzige Gemeinsamkeit mit den Palästen von Knossos oder überhaupt mit irgendeinem kretischen Bauwerk aus dieser Ära: Während die minoischen Paläste quadratisch oder rechteckig angelegt waren, ist das neu entdeckte Gebäude kreisförmig – ein Baumuster, das man allenfalls von einigen minoischen Gräbern kennt. Hinweise auf Beisetzungen entdeckte man jedoch bisher nicht.

Archäologinnen und Mitarbeiter des griechischen Kulturministeriums an der Grabungsstätte auf der Kuppe des Hügels Papoura. Vorerst dürfte die Errichtung einer Radaranlage an dieser Stelle für den neuen Großflughafen von Kreta vom Tisch sein.
Foto: Griechisches Kulturministerium
Kultische Feste und Opferungen
Welchem Zweck diente also dieses Bauwerk? Vielleicht verraten die vielen Tierknochen, die man bei den Ausgrabungen gefunden hat, was hier vor rund 4000 Jahren vor sich ging. Die knöchernen Fragmente und andere Funde legen nahe, dass man in diesem Gebäude regelmäßig zu gemeinschaftlichen Festen zusammenkam, wie ein Vertreter des griechischen Kulturministeriums in einer Aussendung erklärte. Man reichte zu diesen rituellen Zusammenkünften wohl Mahlzeiten und Wein und brachte Opfergaben dar.
Aber dies seien alles nur vorläufige Vermutungen, so das Team. Grabungen an der seltsamen Struktur sind weiterhin im Gang, und die Archäologinnen und Archäologen gehen davon aus, dass wohl noch mehr Gebäudeabschnitte ans Licht kommen. Außerdem sind Untersuchungen in Zusammenarbeit mit dem griechischen Innenministerium und der griechischen Zivilluftfahrtbehörde geplant, die dabei helfen könnten, dem Geheimnis dieses Rundbaus auf den Grund zu gehen. Zumindest bis dahin dürfte die Stätte vor der Errichtung einer Radaranlage für den neuen Flughafen von Heraklion sicher sein.
(Thomas Bergmayr, 14.6.2024)
,